Walther von der Vogelweide
Gedichte
Walther von der Vogelweide

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Nähe der Geliebten

L.120. Weder ist ez übel od ist ez guot

    Sagt, ist es übel oder gut,
Daß ich mein Leid verbergen kann?
Man sieht mich immer wohlgemut;
Doch trauert mancher andre Mann,
   Der nicht die Hälfte meines Grams gewann,
      Obwohl ich häufig mich gebärde,
      Als kennt ich keinerlei Beschwerde.
Nun möge Gott es fügen so,
      Daß ich noch einmal werde
      So recht von Herzen froh!

    Wie kommts, daß ich so manchem Mann
In seiner Not schon Trost gereicht
Und ich mich selbst nicht trösten kann,
Wenn mich kein Wahn darin beschleicht?
   Ich minn ein Weib, das nur zur Güte neigt:
      Sie läßt mich jedes Wort beginnen,
      Doch kann ich nie ein End gewinnen.
Darüber wär ich längst verzagt,
      Wollt sie nicht lächelnd sinnen,
      Wenn sie mir was versagt.

    Droht ihrem Herzen nicht Gefahr,
(Von außen scheint sie freudenreich)
Und hütet sie der Zucht fürwahr,
So kommt an Huld ihr keine gleich.
   Der andern Glanz war neben ihrem bleich,
      Falls Gott so reich ihr Herz geschmücket,
      Wie mich ihr äußrer Reiz entzücket;
Mir wird bei solcher Tugend doch,
      Dien ich ihr unverrücket,
      Der Lohn beschieden noch!

    Falls noch mein Glück im Zweifel liegt,
Den leicht die Liebste gütevoll,
Wenn sie den Willen hat, besiegt,
So trag dies Leid ich ohne Groll.
   Sie fragt mich, was kein andrer fragen soll:
      Wie lang sie treu mich werde sehen?
      Mein Glück und Trost pflegt zu bestehen
Vor allen Frauen doch in ihr.
      Nun möge mir geschehen,
      Was ich ersehnet mir.

   Gar viele reden desto mehr,
Wenn sie bei ihrer Holden sind:
In ihrer Nähe wird mirs schwer,
Und weniger weiß ich als ein Kind,
   Und fühle alle meine Sinne blind.
      Mich hielten andre für betöret,
      Da sie nicht viel auf Worte höret,
Doch gutes Wollen weiß zu sehn.
      Ich habs! – mein Mund es schwöret –
      So wahr mir Liebes soll geschehn!


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