Walther von der Vogelweide
Gedichte
Walther von der Vogelweide

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Zu hohes Lob

L.72. Lange swîgen des hât ich gedâht

    Langen Schweigens war ich erst bedacht,
Doch nun sing ich wieder wie vorher.
Gute Leute haben dies vollbracht,
Die entlocken mir nun wohl noch mehr!
   Singen soll ich nun und sagen –
   Was sie hoffen, tu ich gern;
Doch sie sollten auch mein Leid beklagen!

    Höret Wunder, wie es mir erging,
Wie ich selber Nachteil mir gebracht:
Eine Frau behandelt mich gering,
Die ich durch mein Lied berühmt gemacht.
   Ach, ihr Stolz ist nicht geringe:
   Weiß sie nicht, daß all ihr Lob
Spurlos schwindet, wenn ich nicht mehr singe?

    Gott, wie zürnt man ihr wohl noch um mich,
Wenn ich Ruh gebiete meinem Sang?
Die sie lobten, werden sicherlich
Einst noch schelten – doch mir nicht zu Dank.
   Tausend Herzen wurden froh
   Durch die Gunst, die sie mir gab –
Die entgeltens, trennen wir uns so!

    Als ich noch geglaubt, sie war mir gut,
Wer war ihr da lieber wohl als ich?
Das ist klar, was sie mir immer tut,
Dieses Eine glaub sie sicherlich:
   Löst sie mich aus dieser Not,
   Bringt mein Leben ihrem Ruhm,
Tötet sie mich – ist es auch ihr Tod!

   Werd ich in Frau Minnes Diensten alt,
Wird auch ihr viel Jugend nicht geschenkt,
Doch mein Haar ist dann wohl dergestalt,
Daß sie leicht an einen Jüngern denkt.
   Gnade Gott euch, junger Mann –
   Rächet mich und greift ihr dann
Die alte Haut mit frischen Gerten an!

Simrock: Geschichtliche deutsche Sagen, S.338, bemerkt hierzu, daß die erste und letzte Strophe dieses Liedes sehr entstellt in das Volkslied vom edeln Möringer übergegangen ist.


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