Walther von der Vogelweide
Gedichte
Walther von der Vogelweide

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Wider die Merker

L. 97. Ez waere uns allen einer hande saelden nôt

    Ach, es wär uns allen
   Eines Heiles wieder Not:
Daß man rechter Freude   wär wie einst bedacht.
   Doch mir muß mißfallen,
   Schier zu meiner Freude Tod,
Daß der Jugend Freude   heut fast Schmerzen macht.
     Was nützt ihr denn der junge Leib,
     Mit dem die Jugend sollte minnen?
     Hei!   Wolltest du auf Freuden sinnen,
     Dazu hilft, Jüngling, nur ein Weib!

    Freude nur gibt mir noch
   Heute Grund zum Fröhlich-sein,
Um der Liebe willen,   wie mein Los auch fällt.
   Weilt mein Leib auch hier noch,
    Ihr gehört das Herz allein;
Deshalb wohl für sinnlos   mancher längst mich hält.
    Und sollten sie zusammenkommen,
     Mein Leib, mein Herz und beider Sinne,
     So würden sie des werden inne,
     Daß sie mir Freuden oft genommen.

    Listger Merker Spähen
   Läßt nun keinem Heil geschehn;
All ihr Lauern ärgert   werter Leute viel.
   Darob muß ich schmähen:
   Wollt ich sie nun heute sehn,
Käm ich nicht zu meiner   Freuden süßem Ziel.
     Die Zeit doch, hoff ich, zu erleben,
     Wo ich sie einsam treff und willig –
     Dann fort! ihr Merker, wie es billig:
     Dann wird mir Liebe viel gegeben.

    Wohl manch einer fragt hier
   Nach der Liebsten – wer sie sei,
Der ich jahrlang dienend   steh in Minnelohn?
   Doch das mißbehagt mir,
   Darum sag ich: »Es sind drei,
Denen ich gedienet – denk der vierten schon!«
     Indes weiß sie es ganz allein,
     Die so mir Herz und Leib zerteilet,
     Die Liebliche verletzt und heilet,
     Der gern ich mag zu Willen sein.

    Darum, Herrin Minne,
   Greif auch sie mit Minne an,
Die mich zwingt und lange   hielt in Zwang und Hut.
   Dessen sei sie inne,
   Daß die Minne zwingen kann –
Ach! wenn sie auch fühlte   minnigliche Glut!
      O möchte sie doch glauben mir,
     Daß ich sie minne und sie meine;
     Beweis ihr, Minne, drum das eine:
     Ich dien ihr gerne – und nur ihr!


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