Walther von der Vogelweide
Gedichte
Walther von der Vogelweide

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Geistige Nähe

L. 44. Mîn frouwe ist underwîlent hie

   Die Herrin weilt zuzeiten hier,
Von ihrer Güte kann ichs hoffen wohl
   Da ich mich nie getrennt von ihr.
Wenn diese jene Minne suchen soll,
   So wird sie häufig in Gedanken
Abwesend sein, wie ich es bin.
Mein Leib ist hier, bei ihr mein Sinn verweilt!
Und der bleibt treu ihr ohne Wanken.
Ich ließ es herzlich gern geschehn,
Wenn er nur drob nicht mein vergesse.
Was hilfts, ob ich die Augen schlösse?
Sie würden durch mein Herz sie sehn.

    Ich lebte still und unbedroht,
Ständ nur die Lüge nicht im Ehrenkleid.
   Wie lang noch währt die Zeit der Not?
Was ihnen lieb, verschafft mir Herzeleid.
   Wie mich das schmerzt, wenn man im Lande
So keck es treibt und unversteckt –
Da bleibt kein Braver ungeneckt:
Untreue, Sünde, Falschheit, Schande
Empfehlen sie, wenn man sie fragt.
O weh, daß man sie nicht vermeidet –
Das wird den Frauen noch verleidet,
Auch sind viel Herrn schon drob verzagt!


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