Walther von der Vogelweide
Gedichte
Walther von der Vogelweide

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Frau und Frühling

L. 45. So die bluomen uz dem Grase dringent

    Wenn die Blumen aus dem Grase dringen,
Gleich als lachten sie empor zur Sonne,
Morgens früh an einem Tag im Mai,
   Und die Vögel lieblich dazu singen
Ihre schönsten Weisen – welche Wonne
Meinet ihr, daß dieser ähnlich sei?
   Ach, man glaubt sich halb im Himmelreiche;
Soll ichs sagen, was ich dem vergleiche,
Wohl! so sag ich, was mein Aug erquickt
Heut und immerdar, wenn ichs erblickt.
    Denkt: ein schönes Edelfräulein schritte
Reich- und feingeschmückt die Straße nieder,
Daß sie unterm Volke sich ergeht,
   Fröhlich in der Dienerinnen Mitte.
Züchtig blickt sie um sich hin und wieder,
Wie die Sonne neben Sternen steht.
   Ach, der Mai mit allen Wundergaben
Kann doch nichts so wonnigliches haben,
Als ihr süßer Leib – mit leichtem Sinn
Gäb ich alle Blumen für sie hin.

    Wollt ihr, ob ich Wahrheit künde, schauen?
Kommt zum Mai, wenn festlich er gekleidet
Einzug hält mit seinem ganzen Troß!
   Schaut ihn an und schaut die edeln Frauen!
Sagt, für wen der Sieg sich nun entscheidet,
Sagt, ob ich kein bessres Spiel genoß –?
   Ja, und wenn mich einer wählen hieße,
Daß ich eines hier fürs andre ließe –
Rasch entschied ich mich: Eh nicht der Mai
März wird, geb ich nicht die Herrin frei!


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