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ZWÖLFTES KAPITEL.

DAS ENDE.

Adolar übernahm es selbst, seiner Mutter Anzeige von dem Schritte zu machen, zu welchem ihn schon seit Wochen das Herz trieb. Vorher besprach er sich mit dem Abbé, um diesen zu sondiren und seine Ansichten in Bezug auf das Verfahren zu hören, das man bei der Reizbarkeit der Baronin wohl einzuhalten habe. Abbé Kasimir rieth zu offenherziger Mittheilung, und gab als Grund für seine Ansicht an, die Kranke könne, überbrachte ihr eine Mittelsperson diese wichtige Nachricht, auf den Gedanken kommen, Adolar habe etwas gethan, das er ihr gegenüber selbst nicht zu rechtfertigen wage oder dessen er sich vor andern schäme.

Zur Ueberraschung des jungen Barons nahm aber Clotilde die Mittheilung von dem Geschehenen auffallend ruhig hin. Sie zeigte sich weder erschrocken noch erfreut, selbst zu einer Bemerkung, aus welcher Adolar die Stimmung seiner Mutter hätte errathen können, ließ sie sich nicht bewegen. Nur eine einzige kurze Frage richtete sie an den Sohn, der ihrem Herzen völlig fremd geworden war. Diese faßte sich in die wenigen Worte zusammen:

»Wann gedenkst du deine Verlobung zu veröffentlichen?«

Adolar hatte mit Hildegarde und deren Vater bereits ausgemacht, daß dies am Allerheiligentage geschehen solle. Hildegarde erwählte mit Absicht diesen Tag, weil sich für sie Erinnerungen daran knüpften, die ihr zwar Schmerzen verursachten, aus denen sie aber doch im Hinblick auf das, was sie kämpfend, irrend, büßend errungen hatte, auch Trost und Freude schöpfen konnte. An diesem Tage gedachte der junge Standesherr auf seinem Stammschlosse den ihm und seiner Braut Zunächststehenden eine kleine Familienfête zu geben.

Die Baronin nahm auch diese Mittheilung des Sohnes gleichgültig hin, fuhr fort in ihrem Gebetbuche zu lesen, das sie nur selten aus der Hand legte, und erwiderte nicht einmal den Abschiedsgruß, mit welchem Adolar sich empfahl.

Kaum aber verlor sich der Widerhall der Schritte des Fortgehenden im Corridor, als Clotildens Aeußere sich völlig verwandelte. Die mühsam zur Schau getragene Ruhe machte der größten Unruhe Platz, die ihr Inneres verzehrte. Sie mußte noch einmal die vergangenen Jahre durchleben, die ihrer Erinnerung so wenig wirklich erhebende Momente darboten. Zu diesen Momenten hatte sie bis zu dem Tage, wo Adolar ihr mit spöttischem Lächeln ankündigte, er werde dem Förster seine Tochter wieder zuführen, ihr mütterliches Verhältniß zu Hildegarde gezählt, von der sie glaubte, es könne keine Macht sie ihr jemals entreißen. Die spätern Ereignisse belehrten die Baronin freilich, daß sie ihrer Schlauheit zu viel zugetraut habe. Die Ankunft Joseph’s am Ort, in dem Clotilde bald darauf den einzigen Sohn ihrer Schwester Veronika kennen lernte, löste für immer das freundschaftliche Verhältniß zwischen ihr und der Gräfin Diana von Serbillon. Die ehrgeizige, auf ihren Stand, der die Fehler und Sünden ihrer Vergangenheit völlig austilgen sollte, ungemein stolze Frau empfand diesen Schlag, der sie in einen finstern Abgrund zurückschleuderte, schmerzlicher als den Bruch mit ihrem Sohne, den die sich daran knüpfenden Enthüllungen zur Folge hatten. Sie wußte, daß Hildegarde nunmehr für sie verloren sei. Auch dies Unabwendbare würde indeß Clotilde nach einiger Zeit wohl verschmerzt haben, daß sie aber zugleich annehmen mußte, die Tochter ihrer Freundin Cornelie werde sie jetzt ebenso sehr verachten, wie sie ehedem mit vertrauender Liebe sich ihr angeschmiegt hatte, erhöhte die Pein ihres Daseins bis zur Unerträglichkeit.

Durch die schrecklichen Seelenleiden, die seitdem ihren Geist verdunkelten, war Clotilde allerdings gegen alles nach und nach abgestumpft worden. Selbst das blutige Ende des ungeliebten Bruders und dessen vermuthliche Anstifter konnten die matt gewordene Seele der Baronin nur auf kurze Zeit in galvanisches Zucken versetzen. Nach der Bestattung Geldern’s und der kalten Trennung von dem verhaßten und gefürchteten Gatten sank sie in ihre frühere Stumpfheit zurück. Sie weinte, fastete, betete, im übrigen hörte sie von der Welt nichts und hatte auch nicht das Bedürfniß, sich um dieselbe oder nur um ihre nächste Umgebung zu kümmern.

Aus diesem Hindämmern, das nur ein Ergebniß der erschöpften Natur, nicht das Product geistiger Wiedergeburt war, schreckte die eitle Weltdame jetzt des Sohnes unerwartete Mittheilung auf.

Hildegarde, die sie keines Blickes, keines Wortes mehr gewürdigt hatte, die sie offenbar verabscheute, sollte binnen wenigen Wochen ihre Schwiegertochter werden und im strahlenden Glanz jugendfrischer Anmuth als Gebieterin einziehen auf Schloß Kaltenstein! Der bloße Gedanke schon, daß sie Zeugin dieses Ereignisses sein müsse, erregte ihr Entsetzen. Sie fühlte, daß sie die Nähe dieses Mädchens, das von ihr abgefallen war, nie ertragen werde. Ihre Finger bogen sich wie Krallen zusammen, wenn sie der Lieblichkeit Hildegardens gedachte, die sie ja von Jugend an bezaubert hatte, und mit wollüstiger Grausamkeit schnürte sie in Gedanken der glücklichen Braut den schneeigen Hals zu, bis das blühende Gesicht des Mädchens sich verzerrte, die Augen stier aus ihren Höhlen traten und eine entstellte, zuckende Leiche zu ihren Füßen lag.

Clotilde lachte so laut, daß sie erschrocken beide Hände auf den krampfhaft zuckenden, willenlos sich öffnenden Mund drückte. Sie wußte nicht, was sie thun wollte, aber sie mußte schweigen, ihre Gedanken vor jedermann geheim halten können, wenn sie überhaupt einen Entschluß fassen sollte, der sich ausführen ließ. Und es gelang der geistig Leidenden sich zu beherrschen. Auch Abbé Kasimir wurde von ihr getäuscht, als er mit seiner kränkelnden Cousine von dem frohen Ereignisse sprach, dem man auf Kaltenstein freudig entgegengehe.

»Wohl, wohl, lieber Abbé,« sagte sie, die Hände des Priesters drückend, »die Liebe versöhnt alles und macht uns würdig, dereinst nach den überstandenen Leiden und Täuschungen auf Erden glückliche Bürger des Himmels zu werden!«

Adolar freute sich dieser ruhigen Ergebung seiner Mutter. Er sprach wiederholt dem Abbé seinen Dank aus für den wohlthuenden Einfluß, den sein fortwährender Verkehr mit der Baronin auf deren Gemüthszustand habe.

Mittlerweile wurden die nöthigen Anzeigen des frohen Ereignisses denjenigen Personen zugestellt, welche Adolar zuerst unterrichtet und zu seinem Verlobungsfeste eingeladen wissen wollte. An diesem wichtigen Tage durften unter den Gästen am wenigsten der Stiftssyndikus und Joseph am Ort fehlen. Die Einladung des letztern rief zwischen Adolar und Hildegarde ein Gespräch hervor, das anfangs zu mancherlei Abschweifungen und schließlich zu einer Einladung auch Doctor Armhalter’s führte. Hildegarde kostete diese Unterhaltung mit ihrem Verlobten nicht wenig Thränen, eine auch nur leise Verstimmung des einen oder des andern war aber nicht damit verbunden. Domdechant Warnkauf konnte ebenfalls nicht übergangen werden, doch stellte man es dem wohlwollenden Prälaten frei, ob er Zerline dem Verlobungsfeste ihres Cousins mit zuführen wolle, oder ob er es für schicklicher halte, daß die um den Vater Trauernde noch einige Zeit jeder geräuschvollen Lustbarkeit, die ohnehin nicht zu ihrem Herzen stimmen könne, fern bleiben wolle.

Von Joseph am Ort und dem Doctor Armhalter trafen sehr bald zusagende Antworten ein, der Domdechant dagegen entschuldigte sein Ausbleiben. Die kirchlichen Feierlichkeiten an dem bezeichneten Tage, auf welche das glückliche Brautpaar zu geringen Werth gelegt hatte, rechtfertigten Warnkauf’s Ausbleiben vollkommen, und daß Zerline keine Neigung zeigte, die Zahl der Verlobungsgäste vermehren zu helfen, trug nur dazu bei, das junge Mädchen in Adolar’s wie Hildegardens Achtung steigen zu machen.

Glänzende Vorbereitungen wurden weder auf Schloß Kaltenstein noch im Forsthause getroffen. Man begnügte sich mit Bekränzung der Thorwege und des Schloßportals, wobei jedoch Kathrine diesmal nicht persönlich mit Hand anlegte. Ueberhaupt hielt sich die Tante sehr zurückgezogen, blieb still und sah finster drein. Das Glück der Nichte war nicht nach ihrem Herzen, da es ja doch dem für sie unheimlichen Schloß Kaltenstein entstammte.

Ohne weitere Störung kam der Allerheiligentag heran. Schon am Morgen trafen die geladenen Gäste auf Kaltenstein ein, das außer dem geschmackvoll bekränzten Ausgang zum Schlosse und der sehr freundlich decorirten Trinkhalle, dem weitesten Gemache im ganzen Schlosse, keine weitern Verzierungen zeigte.

Die Baronin hatte schon früh große Toilette gemacht. Sie blieb still und freundlich, bis sie den Einzug der Braut im Schloßhofe durch das Jubeln der Unterthanen von Kaltenstein erfuhr, deren sich sehr viele vor dem Schlosse in Festtagskleidern eingefunden hatten. Bei diesem Jubelrufe sah man sie erzittern und erbleichen.

»Mir ist nicht wohl, Abbé,« sprach sie zu Kasimir, der bei ihr verweilte, um sie der jungen Braut zuzuführen.

»Ich kann Hildegarde Frei nicht sehen! ... Der Schlag würde mich rühren! ... «

Abbé Kasimir suchte die Aufgeregte zu beruhigen und bemühte sich, ihr das fröhliche Ereigniß als eine Fügung des Himmels darzustellen, für die alle gleichmäßig der Vorsehung dankbar sein müßten.

Clotilde gab dies zu, ward auch wieder ruhig, nahm aber dem Abbé das Versprechen ab, man solle nicht weiter in sie dringen, sondern sich ihr selbst überlassen.

»Sobald ich mich stark genug fühle, werde ich das Brautpaar davon in Kenntniß setzen lassen,« fügte sie hinzu und entließ den ebenfalls nicht wenig erregten Priester.

Inzwischen begrüßten die nach und nach eintreffenden Gäste die Verlobten, während Vorkehrungen zu einem frohen Mahle getroffen würden, dessen Arrangement Kathrine übernommen hatte. Obwohl ungern und äußerst unfreundlich, begleitete sie doch ihre Nichte aufs Schloß. Ihre Gegenwart war aber niemand angenehm. Die unnahbare Härte der Blatternnarbigen, die in ihrem bunten Festtagsschmucke auf alle den unheimlichsten Eindruck machte, ließ kein lautes Zeichen der Freude aufkommen. Man konnte die große, hagere Person mit den stechenden, tiefliegenden Augen, und dem zerrissenen, faltigen Gesicht für das verkörperte Fatum halten, wenn sie schweigsam und steif mit gewaltigen Schritten die weiten, festlich decorirten Raume durchwandelte.

Joseph am Ort, der in aufmerksamster Weise für ein ausgewähltes Musikcorps gesorgt hatte, das zugleich mit ihm auf Kaltenstein eintraf, hielt sich meistentheils zu dem Stiftssyndikus, an dessen gerötheten Augenlidern sich schon jene verrätherischen Perlen zeigten, die ihm stets entquollen, wenn er im Geiste schlanke entkorkte Weinflaschen mit vielversprechenden Etiketten auf schöngedeckten Tafeln überblickte.

Schon brannten die Lichter in der Trinkhalle, die Musiker stimmten ihre Instrumente und Andreas forderte den Abbé auf, einen letzten Versuch zu machen, indem er ihn bat, man möge der Frau Baronin anzeigen, daß die Gesellschaft sehnsuchtsvoll ihres Erscheinens harre.

Abbé Kasimir flüsterte eine kurze Weile mit Adolar und richtete auch an Hildegarde einige Fragen. Diese hob flehend ihre Hände zu dem neuen Cousin auf, worauf dieser sich entfernte.

Es verging eine bange Viertelstunde, in der man kaum einen andern Laut vernahm als den festen Tritt der unablässig das Gemach durchschreitenden finster blickenden Kathrine.

Endlich trat Abbé Kasimir wieder zu den Harrenden. Er war bleich und seine Stimme zitterte, als er mit gefalteten Händen die Worte sprach:

»Sie hat vollendet und steht vor ihrem Richter!«

Bald war das Schreckliche bekannt. Clotilde hatte ihre Zofe fortgeschickt, um, was sie oft that, allein zu bleiben. Sicher, von keinem Späher belauscht zu werden, mußte sie dann die Treppe geräuschlos hinabgeglitten sein.

Darauf hatte sie sich nach dem Park gewandt. Am Schlosse der geöffneten Pforte hing ein abgerissenes Stück ihres seidenen Gewandes. Die im weichen, frischgefallenen Schnee zurückgelassenen Fußtapfen führten zu dem wunderlich geformten Tempel. Hier mußte die Unglückliche niedergekniet sein und mit der Stirn den Boden berührt haben. Später war sie zum offenen Weiher gegangen, im Laufschritt, wie es schien. Dicht am Rande des Wassers war der Schnee und das dürre Gras zerwühlt, als sei es mit Fäusten zerschlagen. Hier hatte sich Clotilde ins Wasser gestürzt. Ihre Leiche trieb, von mattem Mondschein wie in ein silbernes Netz gehüllt, auf den leichtbewegten Wellen. Abbé Kasimir vermuthete, das furchtbare Gesicht, von dem sie so oft gequält worden war und das ihr die klagende Gestalt ihrer Mutter zeigte, möge sie verlockt und in den Tod gestürzt haben. –

Unter dem erschütternden Eindruck dieses traurigen Ereignisses verzichtete man auf die Feier der Verlobung. Hildegarde erschien untröstlich und weilte bis tief in die Nacht hinein an der Leiche der Baronin. Sie betete leise und vergoß viele Thränen.

Auch Kathrine faßte Posto an der Seite der Ertrunkenen und zwar ihrer Nichte gerade gegenüber, es sah aber niemand ihr Auge feucht werden. Gegen Mitternacht erst folgte sie dem Rufe ihres Bruders, noch einmal einen kalten Blick unendlicher Verachtung auf die Todte werfend.

Nach einigen Tagen ward die Baronin beerdigt. Man senkte sie an der Seite des ihr im Tode vorangegangenen Bruders ein. Das Leben hatte die irrenden Geschwister getrennt, der Tod vereinigte sie wieder.

Bald darauf meldete ein Brief Doctor Armhalter’s dem Stiftssyndikus, daß man die Leiche Nicanor’s im Winkel in einer tiefen Waldschlucht entdeckt habe. Der Zustand derselben ließ vermuthen, daß der von seinem Vetter Zacharias zuerst Vermißte schon vor einiger Zeit seinen Tod gefunden habe. Er war offenbar ausgeglitten und in die Tiefe gestürzt. Man fand ihn mit gebrochenem Genick. In der Tasche seines grünen Jagdrocks trug er ein abgefeuertes Pistol.

Von dem Baron blieben geraume Zeit alle Nachrichten aus. Endlich meldete ein sehr kurz gefaßtes Billet an den Stiftssyndikus, daß er sich nach England begeben werde. Der dienstfertige Liebner antwortete umgehend, theilte ihm das inzwischen Vorgefallene mit und versprach, seine Angelegenheiten stets pünktlich zu besorgen. Der Baron hat dieses Schreiben des Juristen niemals beantwortet.

Die Verlobung Hildegardens mit Adolar verzögerte sich bis zum nächsten Frühjahr. Adolar mußte seiner Braut dieses Opfer bringen, damit sie Zeit gewinne, die Eindrücke zu überwältigen, die sie aufs tiefste ergriffen hatten.

Abbé Kasimir verließ schon zu Anfang des nächsten Jahres Kaltenstein, um zuerst nach Hammerburg zurückzukehren, wo er noch einige Monate verweilte. Später begab er sich nach Polen, wohin Joseph am Ort ihn begleitete. Der alte Wertschinsky war gestorben und hatte den noch lebenden Nachkommen der Kinder Xaver’s von Ludomirsky zu seinem Erben ernannt.

Zerline blieb auf der Dechanei. An dem Tage, wo Hildegarde mit Adolar vor den Altar trat, geleitete der Domdechant seine geistige Pflegebefohlene ins Stift des Klosters. Sie wollte erproben, ob ihr ein Aufenthalt in diesem, der sich zum Noviziat umgestalten konnte, besser gefallen werde als die Rückkehr in das bewegte Leben der Welt.

Kathrine Frei betrat Schloß Kaltenstein nie wieder. Sie blieb die strenge, eifersüchtige Wächterin der Ordnung im Forsthause, fügte sich in manchen Dingen den Wünschen ihres Bruders, ward aber von Tage zu Tage immer barscher und unzugänglicher. Wenn Hildegarde ihren Vater besuchte, stieg sie entweder in den Keller hinab oder sie verschloß sich in der Küche, wo sie sich mit ihren Spinnen spielend die Zeit vertrieb.

An heitern Abenden pflegte Kathrine auf hartem Schemel vor der Hausthür zu sitzen, bis die Sonne hinter dem Saume des Gebirges versank. Wer sie nicht kannte, der konnte die völlig Regungslose, immer kalt vor sich Hinstarrende für geisteskrank halten. Das war sie jedoch nicht, wohl aber litt ihr Herz mehr, als ihre Umgebung ahnte. Eines Abends ging Kathrine Frei zugleich mit der Sonne zur ewigen Ruhe. Als Andreas etwas später aus dem Forste zurückkehrte, fand er die Schwester als Leiche vor der Thür sitzen. Die schon erkaltete Hand derselben hielt den Hausschlüssel fest umklammert. Kathrine hatte ein Testament gemacht und in diesem ihre Garderobe, ihren alten, aber werthvollen Schmuck und ihr kleines Vermögen, das sie nach Kräften durch Sparsamkeit zu vergrößern suchte, ihrer ›einzig lieben Nichte Hildegarde‹ und deren Kindern vermacht.

»Wir konnten uns nicht verstehen im Leben,« hatte die Erblasserin mit großen, dicken Buchstaben unter das Testament geschrieben, »ich hoffe aber, im Jenseits, wo sich ja Juden, Heiden und Türken miteinander vertragen, wird es schon besser gehen.«

Hildegarde ließ ihrer Tante einen Leichenstein setzen und diesem die Worte eingraben:

»Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern!«


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