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NEUNTES KAPITEL.

ADOLAR UND HILDEGARDE.

Am Grabe Geldern’s war Adolar von Kaltenstein zum ersten male wieder mit Hildegarde zusammengetroffen. Er hatte das junge Mädchen in den letzten Wochen einigemal nur von fern gesehen, da es ausgesprochener Wunsch ihres Vaters war, seine ihm wiedergegebene Tochter sollte sich erst ganz in die heimatlichen Verhältnisse wieder einleben, ehe sie sich frühern Bekannten zeige und überhaupt zerstreuenden Umgang suche. Schloß Kaltenstein durfte Hildegarde begreiflicherweise nicht betreten. Ging doch Andreas selbst nur ungern dahin, weil er immer fürchtete, es müsse eines Tages sich etwas Furchtbares daselbst ereignen.

Adolar dachte zwar häufig an seine Jugendgespielin, die Erforschung der so sehr verworrenen Familienverhältnisse aber, in die ihn selbst das Leben so tief verwickelt hatte, lenkten seine Gedanken immer wieder von Hildegarde ab, obwohl er sich ihr viel näher gerückt glaubte. War sie es doch gewesen, die in der Hand der Vorsehung zur Mittelsperson ward zwischen Lebenden und Todten. Ohne Hildegarde, ohne die Irrungen, zu denen verkehrte Anschauungen sie verlockten, wer konnte wissen, ob er jemals die ihm gewordene Einsicht erlangt hätte!

So fühlte sich Adolar lebhaft zu der Försterstochter hingezogen, und je mehr er den Augenblick nahen sah, der ihn wahrscheinlich seinen Aeltern gänzlich entfremden werde, desto mehr sehnte er sich nach Hildegarde, die, wie Abbé Kasimir ihm wiederholt versicherte, dem Verderben nur durch die seltenen Anlagen ihres Geistes, welche sie das Bessere leichter erkennen ließen, für immer entrissen worden war.

Noch vor der Bestattung Geldern’s ward Adolar ohne sein Zuthun Zeuge von der Aufnahme Hildegardens seitens des Domdechanten. Der milde Geistliche wehrte dem Mädchen nicht, daß sie ihn in wahrscheinlich nicht verständlichen Worten um Verzeihung bat, auch sprach er selbst geraume Zeit ernste Worte zu ihr, dann aber legte er wie segnend seine Hand auf das Haupt der Gebückten und führte sie seiner Schwester zu. Sabine kam Hildegarde mit mütterlicher Liebe entgegen und schien nur von dem freudigen Gedanken beherrscht zu sein, die auch ihr verloren Gegangene jetzt unverdorben umarmen und sprechen zu können.

Bei der Beerdigung Sandomir Geldern’s stand Hildegarde neben Zerline. Adolar konnte ungestört Vergleiche zwischen beiden jungen Mädchen anstellen, von denen das eine ihm verwandt, das andere eine Fremde und doch Vertraute war.

Dieser Vergleich fiel in jeder Beziehung zu Hildegardens Gunsten aus. Die Tochter Corneliens war in ihrem ungeheuchelten Schmerz am Grabe der Mutter unendlich lieblich gewesen, Zerline machte in der maßlosen Heftigkeit, die sie über den plötzlichen Tod des Vaters an den Tag legte, auf Adolar einen durchaus ungünstigen Eindruck. An dieser Heftigkeit, die jede Spur der neckischen Grazie verwischte, durch welche Zerline für gewöhnlich bestehen konnte, enthüllte sich der ganze Mangel an Erziehung in seiner vollen Blöße, und machte sie nicht blos unschön, sondern geradezu abstoßend.

Wie anders stand dieser durch körperliche Vorzüge reizenden Wilden die in stille Trauer versunkene Hildegarde gegenüber!

Adolar freute sich, daß sein Vater heute kein Auge für die Schönheit der Försterstochter hatte. Er war, das mußte ihm jeder ansehen, zerstreut und trug sich mit ganz andern Gedanken. Er entzog sich auch möglichst bald den Blicken der vielen Neugierigen, denen er aus verschiedenen Gründen eine merkwürdige Persönlichkeit war. Je strenger der Baron darauf hielt, daß die Schloßbedienten über alle Vorgänge auf Kaltenstein schwiegen, desto mehr schwoll die Masse der Gerüchte an, die in den seltsamsten Entstellungen von Mund zu Mund liefen. Es gab einzelne, die sich den Glauben nicht nehmen ließen, der Baron habe sich dem Teufel verschrieben. Darüber – erzählte man weiter – habe die Baronin den Verstand verloren, und seit behufs der Heilung der Geisteskranken auch noch ein Priester auf Kaltenstein lebe, gäbe es jede Nacht zwischen guten und bösen Geistern einen Kampf, vor dem sich jeder dabei Unbetheiligte entsetze.

Der Tod des geheimnißvollen Fremden, über den womöglich noch mehr Gerüchte in Umlauf kamen, bestärkte die abergläubigen Gemüther aufs neue in ihren Annahmen und Behauptungen. Ueber die Art seines Todes lauteten alle Berichte gleich. Ein Mann von großer Statur, in grünem Jagdhabit, ohne jegliche Waffe, hatte den Fremdling, der sich nun erst in seiner wahren Gestalt als Bruders der Baronin zeigte, am hellen Mittage erschossen. Außer der Tochter des Ermordeten und dessen Schwester hatte keine lebendige Seele den unheimlichen Jäger erblickt, nur seine im Sande des Parks zurückgebliebenen Spuren ließen sich nicht verwischen. Und diese Spuren sollten eine gar sonderbare Form haben! Wer anders konnte nach solchen Zeichen der Mörder des Lieutenants sein als der leibhaftige Böse selbst? Und der Baron – das stand in der Meinung des Volks nicht minder fest – hatte den Tod seines Schwagers gewünscht!

Baron von Kaltenstein lehnte die Einladung des Domdechanten, nach den Beerdigungsfeierlichkeiten noch einige Zeit in seiner Behausung zu verweilen, ab, indem er auf seinen Sohn als denjenigen denken, der ihn zu vertreten und zu ersetzen berufen sei.

In der Dechanei erst sprachen sich Adolar und Hildegarde. Andreas selbst führte dem jungen Gebieter seine Tochter zu, indem er einige Worte des Dankes an denselben richtete, die Hildegarde nicht verstehen konnte.

»Mit dem Baron habe ich schon auf dem Herwege gesprochen,« sagte der Förster. »Es wird ihm lieb sein, wenn Sie mir und Hildegarde auf der Rückfahrt Gesellschaft leisten. Sie werden eine Einladung in mein Haus, hoffe ich, für heute Abend nicht abschlagen.«

Adolar, von dem Zauber der schweigsamen Hildegarde befangen, sagte freudig zu, und als der Domdechant ihm mittheilte, Zerline werde vorläufig in der Dechanei verbleiben, bis sich ein schicklicher Aufenthalt für die Verwaiste finde, pries er den Zufall, der ihm eine ungestörte Unterhaltung mit Hildegarde gestattete.

Des Bleibens in der Dechanei war nicht lange. Andreas wollte nicht zudringlich erscheinen, auch hatte er keine rechte Ruhe in dem geistlichen Hause, obwohl der Domdechant ihm gewogen war und gar nicht daran dachte, ihm etwa Vorwürfe über sein zweideutiges Verhalten in der Vergangenheit zu machen. Endlich wünschte er die Begleitung des Stiftssyndikus, den er lieber im Forsthause bei Tafel Thränen vergießen sah als in der Dechanei, weil er schon wußte, daß er den selig werdenden Cousin dann nicht mehr von der Stelle bringe.

Unterwegs kam das Gespräch zwischen Adolar und Hildegarde bald in Fluß. Der junge Baron gedachte der Gräfin von Serbillon und erzählte seiner schönen Nachbarin, daß er neulich einen Brief dieser vortrefflichen Dame in Händen gehabt habe.

»Einen Brief?« sagte Hildegarde lebhaft. »Die Frau Gräfin hat Ihnen geschrieben, Herr Baron?«

»O nein! So vertraut sind wir nicht,« versetzte Adolar. »Der Brief war an meinen Cousin, den Abbé gerichtet, und dieser gestattete mir Einsicht in das mir wichtig gewordene Blatt. Es war von Ihnen darin die Rede, mein Fräulein!«

Hildegarde fühlte, daß sie erröthete. Nicht ohne Beschämung sprach sie: »Wenn die gnädige Gräfin über mich Beschwerde gegen den Herrn Abbé führt, so ist sie vollkommen im Rechte. Ich habe der trefflichen Dame großen Kummer verursacht, als ich noch auf Hammerburg lebte, und nun sie nicht mehr um mich ist, lohne ich ihr durch hartnäckiges Schweigen mit Undank. Aber kann ich schreiben, kann ich meine Empfindungen in Worte kleiden, ohne kalt oder doch höflich gemessen zu erscheinen? Haben Sie, Herr Baron, noch niemals das Gefühl einer Ueberfülle von Gedanken gehabt, das durch den Druck, den es auf unsere Denkkraft ausübt, unsäglich belästigt? So oft mich dies Gefühl überrascht, bin ich eine unglückliche Person. Ich finde keine Worte für mein Fühlen und Denken, nur durch Blicke, durch einen Händedruck und durch Thränen könnte ich in solchen Momenten mit Personen, die ich liebe und verehre, sprechen!«

Adolar hörte dem lebhaften Mädchen, das im Feuer ihrer Rede alle Befangenheit ablegte, mit vielem Vergnügen zu.

»Wenn ich bis heute diese Empfindung auch noch nicht gekannt habe,« versetzte er, »so fühle ich doch, daß sie mir von jetzt an nicht mehr lange ein Geheimniß bleiben wird.«

Hildegarde schlug die Augen nieder, denn der warme Blick des jungen Barons machte sie von neuem befangen. Nach kurzem Schweigen ergriff Adolar abermals das Wort:

»Es ist doch höchst eigenthümlich,« sprach er, »wieso oft alles ganz anders sich gestaltet, als wir es eigentlich im Sinne haben. Wir suchen Vergnügen, bereiten uns mit großer Sorgfalt darauf vor, und ehe wir es ahnen, sehen wir dem Ernst des Lebens in die kalten, mitleidslosen Züge. Aber nicht blos vorübergehende Lebensmomente verwandeln sich unter unsern Augen in ihr gerades Gegentheil, auch bei reiflich erwogenen Entschlüssen gewahren wir nicht selten dieselbe Erscheinung. Ich sterbe, um nicht auf entfernt liegende Thatsachen hinzuweisen, daß auch wir beide schon eine ähnliche Erfahrung gemacht haben.«

Hildegarde sah den jungen Baron still fragend an.

»Sie lächeln vielleicht,« fuhr Adolar fort, »wenn ich behaupte, mein – angeborener Hang zu rauschenden Lustbarkeiten, zu toller Ausgelassenheit, zu rücksichtslosem und übermüthigem Genuß des Augenblicks habe mich Sie, mein Fräulein, wiederfinden lassen!«

Hildegarde mußte wirklich ungläubig lächeln.

»In der That, es ist, wie ich sage!« betheuerte Adolar. »Dieser Hang lehrte mich einen Mann kennen, einen Polen ...«

»Den Fürsten Bulabicki?« fiel Hildegarde ein.

»Sehen Sie, mein Fräulein, daß ich Grund habe, meine Behauptung aufrecht zu erhalten? Fürst Bulabicki war schuld, daß ich mich ganz und leidenschaftlich eine Zeit lang unbeschränkt nur der Zerstreuung in die Arme warf, und dieses wüste Leben, das ich nicht loben will, führte mich wieder mit dem unglücklichen Manne zusammen, an dessen frischem Erdhügel wir heute gemeinschaftlich gebetet haben.«

»Sie kannten den Fürsten Bulabicki längere Zeit?« fragte Hildegarde zögernd. »Ich lernte ihn kennen auf Schloß Hammerburg.«

»Ich hatte einigemal im Gespräche mit dem Fürsten, das mich auf die heimatlichen Verhältnisse brachte, Ihrer gedacht – im Guten und – Sie verzeihen, mein Fräulein – auch ein wenig tadelnd ... Die Baronin – meine Mutter

– war ja die vertraute Freundin Ihrer Mutter ... «

»Lassen wir die Todten ruhen!« unterbrach Hildegarde den jungen Baron. »Wenn sie aus Liebe zu mir irrte, wer darf sie deshalb tadeln?«

»Der Fürst blieb nicht gleichgültig bei meinen Erzählungen. Der Tod jenes als Dieb und Wilderer verrufenen Mannes in der auch Ihnen verhängnißvoll gewordenen Nacht, die wir doch, glaub’ ich, beide noch segnen dürften, gab zu weitern Gesprächen Anlaß, und als ich bald darauf aus dem Munde meines unglücklichen Oheims den ersten Blick in das finstere Geheimniß einer schrecklichen Vergangenheit warf, nahm Fürst Bulabicki mir das Versprechen ab, ihn dereinst, wenn es mir gelänge, Sie jemals wiederzufinden, von diesem glücklichen Ereigniß in Kenntniß zu setzen. Mein Versprechen konnte ich nicht halten. Dagegen war Fürst Bulabicki so glücklich, Ihnen auf Schloß Hammerburg zu begegnen, und seinem Freundeswort habe ich unser heutiges Beisammensein zu verdanken. Verging auch noch geraume Zeit, ehe Sie das Vaterhaus wieder betraten, mein Wort richtete Ihren bekümmerten Vater auf, und was sich später daran knüpfte, machte Sie frei von dem beengenden Drucke einer Gewalt, der Sie längere Zeit himmlische Weihe beimaßen.«

Hildegardens Augen füllten sich mit Thränen.

»Wir irrten alle, alle!« sagte sie. »Und wie konnte es anders sein! ... Sie kannten ja das Leben im Forsthause! ...«

»Ich fand es damals höchst amusant,« erwiderte Adolar, »und ich brauche wohl nicht zu erwähnen, worin das Interessante für mich großentheils lag, ehe ich Kaltenstein mit der Akademie vertauschte.«

Die Blicke Hildegardens ruhten bei diesen Worten mit größerer Freundlichkeit, fast mit Innigkeit auf dem jungen Baron.

»Haben Sie seit jenen Tagen Ihre Ansicht auch über das Amusante in unserm Hause geändert, Herr Baron?« fragte sie bewegt.

»Sie leiden doch nicht mehr darunter?« lautete Adolar’s Gegenfrage.

Hildegarde brach in leises Weinen aus. Der junge Edelmann wollte ihren Schmerz nicht stören, weil er überzeugt war, daß Thränen ihn lindern und seine Begleiterin später zum Sprechen bewegen würden.

»Hat mein Vater nicht mit Ihnen gesprochen?« fragte Hildegarde, als der Strom ihre Thränen wieder versiegte. »Aber freilich, Sie waren ja immer so beschäftigt!«

»Von den häuslichen Verhältnissen in Ihrem Vaterhause ist zwischen uns nie die Rede gewesen,« erwiderte Adolar. »Die Krankheit der Baronin, der Unmuth des Barons, der sich häufig zu den ungerechtesten Zornausbrüchen gegen völlig Unschuldige steigerte; das gefährlich rücksichtslose Betragen meines Onkels, der durch den Misbrauch seines Wissens sich und seiner Tochter am sichersten und kürzesten Vermögen zu erpressen hoffte; endlich die mühevollen Nachforschungen, die wir gerade vor dem Oheim geheim halten mußten, wenn sie irgend etwas fruchten sollten, hielten uns fremdes Leid fern. Ihrer aber, theuere Hildegarde, Ihrer habe ich doch niemals in all meinem Gram vergessen!«

Adolar erfaßte die Hand des schönen Mädchens und bemühte sich, auch den Blicken desselben zu begegnen. Hildegarde aber hielt die Augen gesenkt, entzog jedoch nicht dem Besitzer von Kaltenstein ihre Hand.

»Sie sind nicht glücklich, Hildegarde,« fuhr Adolar fort. »Das Haus Ihres Vaters ist noch keine Stätte des Friedens für Sie geworden?«

Er fühlte den Druck seiner Hand sanft erwidert, und auch der Blick Hildegardens berührte ihn.

»Meine Tante!« sprach sie, als fürchte sie, auch nur den Namen derselben zu nennen. »Schwerlich haben Sie je gehört, wie sonderbar geartet, wie eigensinnig, wie rechthaberisch die immer nur sich selbst und ihr Thun lobpreisende Schwester meines Vaters ist!«

»Gehört habe ich wohl von Mademoiselle Kathrine,« erwiderte Adolar, »doch hielt ich das Meiste, was man ihr nachsagte, für arg übertrieben. Sie ist nicht liebenswürdig, und weil sie dies selbst weiß, sucht sie sich durch übertriebene Unliebenswürdigkeit in Respect zu setzen.«

»Die Unliebenswürdigkeit Tante Kathrinens,« entgegnete Hildegarde, »würde für mich zu ertragen sein. Mich peinigt mehr ihre Nähe und das Bedürfniß, sich mir von ihrer liebenswürdigsten Seite darzustellen. Ich begreife, daß Ihnen diese Behauptung unwahrscheinlich vorkommt, und dennoch übertreibe ich nicht. Solange meine Mutter lebte und die Frau Baronin uns häufig besuchte, fand zwischen uns und meiner Tante ein entschieden feindliches Verhältniß statt. Es war ein fortwährender Kriegszustand in unserm Hause, und je rücksichtsloser von beiden Seiten der bis zu offener Feindseligkeit getriebene Widerwille sich kund gab, desto unerträglicher ward ein ungetrenntes Zusammenleben. Damals glaubte ich den eigentlichen Grund unsers häuslichen Unglücks ganz allein in Tante Kathrine suchen zu müssen. Was ich hörte und um mich vorgehen sah, bestärkte mich in dieser Ansicht und brachte mich gegen die Tante auf. Ich sehe jetzt ein, daß ich irrte. Das Gebaren Kathrinens war gewiß nicht zu billigen, gewissermaßen aber zwangen sie die Umstände dazu. Wollte sie nicht unterliegen, so mußte sie hart, eisern, kalt, lieblos auftreten. Nach meiner guten Mutter frühem Hingange, der uns alle überraschte, traten jene traurigen Verirrungen ein, in denen Sie ein weises Walten der Vorsehung erblicken wollen ... Ich wünschte diese trübe Zeit vergessen zu können, obwohl ich von ihr gelernt habe. Als ich nach vielfachen Demüthigungen, die ich nur deshalb weniger schmerzlich empfand, weil die liebende Hand einer wahrhaft mütterlichen Freundin, die von mir hochverehrte Gräfin von Serbillon sie mir auferlegte, voll der bangsten Ahnungen in das Haus meines Vaters zurückkehrte, geschah es mit dem festen Vorsatze, der Tante mit aufrichtiger Freundlichkeit entgegenzukommen. Der Stolz, der sich von früher her in meinem Herzen eingenistet hatte, war gebrochen. Ich wollte mich mit der Tante versöhnen, denn ich fühlte das Bedürfniß, fortan im stillen Frieden zu leben und mich für die Zukunft zu stählen. Nur unwürdig vor mir selbst konnte ich der Tante gegenüber nicht erscheinen. Zu meinem schmerzlichsten Bedauern scheiterte mein Vorsatz an der unantastbaren Härte Kathrinens, die in ihrem hochmüthigen Dünkel mich vor allem als winselnde Büßerin, die nur um Verzeihung, um Gnade zu bitten habe, solle ihr großmüthig wieder ein bescheidenes Plätzchen am väterlichen Herdfeuer angewiesen werden, zu ihren Füßen liegen zu sehen wünschte und die ganz veränderten Verhältnisse völlig unberücksichtigt ließ.«

Neu hervorbrechende Thränen hinderten Hildegarde einige Minuten, in ihrer Erzählung fortzufahren.

»Armes Fräulein!« sprach Adolar theilnehmend und gefesselt von dem Zauber, mit welchem der tiefe Seelenschmerz des jungen Mädchens ihn umstrickte. »Beim ersten Schritt über die Schwelle des Vaterhauses begrüßten Sie aufs neue nur schnöde Worte, feindselige Blicke, demüthigende, Ihr Innerstes verletzende Forderungen!«

»Unsere erste Unterredung, wenn man unser ohne Zeugen stattfindendes Begegnen so nennen will,« fuhr Hildegarde fort, »war für uns beide eine Seelenfolter. Und doch, mich jammerte die Tante, denn ich erfuhr ja, freilich gegen ihren Wunsch, daß sie sehr, sehr unglücklich sei! Dies Erkennen machte mich sanfter, sodaß ich ihrem hartherzigen Verlangen entgegenkam. Wir reichten uns am Sterbebette meiner guten Mutter die Hand zur Versöhnung.«

Abermals machte Hildegarde eine Pause, die Adolar zu so lebhaften Betheuerungen seiner Theilnahme benutzte, daß die Tochter Frei’s, schon um diese niederzuhalten, gern bin ihren Mittheilungen fortfuhr.

»Nach jener Versöhnungsscene,« erzählte sie weiter,«kam eine heitere Ruhe über mich. Die ganze Vergangenheit mit ihren Aufregungen, ihren Stürmen, ihren Verirrungen und Leiden lag hinter mir in weiter Ferne. Alle, die ich gekränkt, verletzt hatte, waren mir versöhnt.

Ich wohnte wieder im Vaterhause und durfte auf die Achtung aller Anspruch machen, die in demselben ein- und ausgingen. Mein Vater äußerte den Wunsch, ich möge mich nunmehr bemühen, die Stelle meiner Mutter im Hauswesen einzunehmen. Kathrine – fügte der Vater hin zu – würde keine Einsprüche erheben. Sie fühle sich sehr angegriffen und habe wiederholt Worte fallen lassen, daß die fortgesetzte Anstrengung im Hause ihre Kräfte völlig aufreibe. Da ich nun bemerkte, daß die Tante nicht ohne Noth über körperliche Hinfälligkeit Klage führe, erinnerte ich mich des Wunsches meines Vaters und versuchte mit Vorsicht, um die auf ihre Hauseinrichtungen stolze und eifersüchtige Tante ja nicht zu reizen, mich des Hauswesens anzunehmen. Einige Tage ließ mich Kathrine ungestört gewähren, und dies Gehenlassen ermuthigte mich. In der wohlmeinenden Absicht, der bejahrten Tante, wie sie es früher so oft von mir verlangt hatte, an die Hand zu gehen, machte ich ihr bestimmte Vorschläge. Sie hörte mich zwar ruhig an, verließ mich aber ohne Antwort oder Erklärung. Von dieser Stunde an erinnert sich die gegen mich Aufgebrachte mit keiner Silbe mehr unserer Versöhnung. Ich bin ihr wie sonst ein Dorn im Auge. Sie spricht nie mit mir, zwingt mich aber, wenn ich Ruhe haben will, mich möglichst zurückgezogen zu halten, und wendet, um mich in mein Zimmer abzusperren, ganz die nämlichen Mittel an, die meiner leidenden Mutter Entsetzen verursachten.«

Adolar hätte seine Unterhaltung mit Hildegarde gern noch fortgesetzt, schon aber zeigte sich das waldumgrenzte Forsthaus in der Nähe, und da es nicht räthlich schien, Hildegarde mit von Weinen gerötheten Augen dasselbe betreten zu lassen, drang Adolar nicht weiter in sie. Nur der Druck seiner Hand sagte ihr, daß sie volles Verständniß bei dem jungen Edelmann gefunden, während in seinen sprechenden Augen, die in Farbe und Ausdruck eine unverkennbare Aehnlichkeit mit den Augen des Abbé Kasimir zeigten, eine Wärme des Gefühls sich kund gab, die Hildegardens Herz lebhafter klopfen machte.

Kathrine ließ sich nicht sehen, nur ihre scharfe Stimme vernahm Adolar zu verschiedenen malen. Die Aufwartung bei Tische hatte die Tante der Magd übertragen, deren Unbeholfenheit dem jungen Edelmanne mehr Vergnügen als Verdruß verursachte.

Adolar hielt sich ziemlich lange im Forsthause auf und verlebte im Gespräch mit Hildegarde und deren Vater einige sehr angenehme Stunden. Als er endlich aufbrach, verabschiedete er sich in der verbindlichsten Weise von beiden.

»Mein Vater,« sagte er, »hat mir versprochen, sich schon morgen über seine Plane gegen mich zu erklären. Ich vermuthe, daß er für einige Zeit verreisen wird. In diesem Falle behalte ich mir vor, ebenfalls eine Erklärung abzugeben, die Sie, Herr Förster, angeht und die Sie in nähere Erwägung ziehen wollen.«

Andreas sagte weder zu noch suchte er dem Ansinnen des jungen Barons durch eine ausweichende Antwort vorzubeugen. Seine grauen Augen nur hefteten sich mit ungewöhnlicher Schärfe auf Adolar, worauf er ihn mit den Worten entließ:

»Ich wünsche Ruhe, nichts als Ruhe! Nehmen Sie Gott zum Geleite!«


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