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ZWEITES KAPITEL.

HILDEGARDENS EINTRITT INSVATERHAUS.

Auf ihrem harten Sitze ausruhend, vertiefte sich Kathrine noch einmal in die Gedanken, denen sie lange schon nachgehangen hatte. Uebereilt pflegte sie nicht zu handeln, wohl aber veranlaßte sie nicht eben selten der Eigensinn, dessen sie nie ganz Herr werden konnte, zu gemeinschädlichem Thun. Sie recapitulirte alles in ihrem Geiste, was sie auszuführen entschlossen war, und da sie nichts daran zu ändern oder zu verbessern fand, so sah sie dem Kommenden mit großer Seelenruhe entgegen.

Von dem Bruder hatte Kathrine erfahren, daß seine Tochter jedenfalls noch vor Mittag in ihr Geburtshaus einziehen werde. Demnach war es jetzt hohe Zeit für die gealterte Jungfrau, nunmehr, nachdem sie so lange nur für andere gesorgt, auch endlich einmal an sich selbst zu denken.

Mit scharfer Stimme der Magd noch ein paar Aufträge ertheilend, fing sie mit vielem Geschick einige Fliegen, welche die Wärme des Herdes in ziemlicher Anzahl nach der Küche gelockt hatte, und fütterte mit den zwischen ihren spitzen und harten Fingern zappelnden lebendigen Schlachtopfern ihre Lieblinge in der Putzecke. Sie lachte vergnügt über das Zugreifen der Spinnen und fand offenbar Vergnügen an der Raubund Mordlust der häßlichen Thiere.

»Wir wollen sehen, wir wollen sehen, wie sie sich macht!« sagte sie dann, den Zeigefinger der rechten Hand steif ausstreckend und damit in die Luft drohend. »Zeigt sie sich willig und duckt sie ungeheißen unter, so soll sie eine freundliche Tante in mir finden, sitzt ihr aber der Hochmuth noch immer im Nacken, und die Kniegelenke sind und bleiben ihr steif, dann hilft es nichts; ich muß dann meine Cur mit dem in Grund und Boden verdorbenen Kinde anfangen, damit sich es dem Bruder, der Welt und dem Himmel rette. Das vornehme Volk, fürcht’ ich, versteht doch nichts Rechtes von einer tüchtigen bürgerlichen Erziehung!«

Damit stieg Kathrine die Treppe hinauf und ging in ihre Kammer, um sich ›in Staat zu werfen‹, wie sie sich ausdrückte. Dies schwierige Geschäft raubte der Eigensinnigen jedesmal viel Zeit. Jegliches Kleidungsstück, das sie anlegen wollte, mußte nämlich ebenso vorsichtig entfaltet werden, als sie es vielleicht vor Monaten zusammengefaltet hatte. Dann ward wieder jede einzelne Falte mit einer Sammtbürste ausgestrichen und das so präparirte Gewand, ohne daß es sich drückte, über eine Stuhllehne gehangen. Sechs Stühle wurden erst zu Kleiderhaltern umgewandelt, ehe bei Kathrine das eigentliche Ankleidungsgeschäft seinen Anfang nahm ... Um ihrer heimkehrenden Nichte zu zeigen, daß sie diesem Tage eine seltene Wichtigkeit beilegte, entnahm Kathrine dem gewaltigen Schranke von Nußbaumholz ihre beste seidene Robe. Dies noch wie neu anzuschauende Kleidungsstück von schwerem Damast zählte gerade so viele Jahre wie Hildegarde. Die Tante hatte es am Tauftage derselben zum erstenmal getragen. Damals war die Robe wirklich modern gewesen, jetzt aber – konnte sie vielleicht eines Tages wieder modern werden! Das kümmerte jedoch die in ihren Entschlüssen nicht leicht wankend zu machende Kathrine in keiner Weise. Sie war überzeugt von der ausgezeichneten Güte des Stoffes; sie hatte das Kleid, damit es nicht gleich aufschleisse, nur dreimal getragen, es war mithin so gut wie neu. Und dann, wenn sie es trug, so war es auch modern, und hätten alle Modistinnen von Paris behauptet, nur Vogelscheuchen könnten sich in so geschnittene Gewänder hüllen.

Kathrine war aber nicht nur eigensinnig, sondern auch verschämt wie ein sechzehnjähriges Mädchen. Sie erröthete tief und blieb stundenlang bestürzt, wenn es ihr passirte, was wirklich zufällig ein paar mal vorgekommen war, daß Andreas sie in bloßem Halse – was nämlich Kathrine bloß nannte – gesehen hatte. Den Nacken bis an die Schulter entblößt zu tragen, was die verhaßte Baronin immer that, nannte die Tante Hildegardens unverschämt, gemein, sündhaft. Nach ihrer Ansicht durften die Männer gar nicht wissen, wie ein Mädchen- oder Frauennacken beschaffen ist. Darum trug sie stets dicht an den Hals anschließende Kleider, und wenn sie große Toilette machte, so verriegelte und verschloß sie die Thür ihrer Kammer von innen, und gab nicht einmal zu, daß ihr die Magd eine Hand beim Zuheften des Kleides helfe. Gerade dies consequente Verschmähen jeder Hülfe war Ursache, daß Kathrine zum Ankleiden immer ungewöhnlich lange Zeit brauchte.

Heute dauerte es noch etwas länger als sonst, weil die Eigensinnige auch noch Schmuck anlegte. Endlich fand sie nichts mehr an sich zu bessern, und nun ging sie, ihres Sieges und der Bewunderung aller gewiß, die sie kannten, hinunter in das Wohnzimmer, um der Erwarteten ruhig zu harren.

Kathrine hatte die Zeit gut berechnet. Der jüngste Jägerbursche – nach Adolar’s Antritt der Herrschaft war dem Förster ein zweiter Gehülfe gegeben worden – meldete, daß eine Kutsche von der Landstraße her gerade auf das Forsthaus zukomme. Die Geputzte nickte nur mit dem Kopfe, strich behutsam einige Falten in dem steifen Kleide glatt und stellte sich dann unter die Hausthür.

Nach einigen Minuten hielt die Kutsche vor dem bekränzten Thorwege, der nur schmalen Wagen die Einfahrt in den Hofraum des Forsthauses gestattete.

Andreas, welcher neben dem Kutscher Platz genommen hatte, stieg zuerst ab und öffnete rasch den Schlag, um der Gräfin beim Aussteigen behülflich zu sein. Dieser folgte der Stiftssyndikus, dann glitt der Abbé aus dem dunkeln Innern hervor, und zuletzt gewahrte die scharf ausblickende Tante ihre Nichte, welcher der polnische Geistliche sofort den Arm reichte.

Während der Stiftssyndikus die Gräfin durch die Pforte über den Hofraum nach dem Forsthause geleitete, ergriff Andreas die schlaff herabhängende, mit einem feinen schwarzen Handschuh bekleidete Rechte seiner Tochter, hielt diese fest und führte sie so zugleich mit dem Abbé dem Hause zu.

Es war gut, daß Kathrine ihren Platz mitten unter der Hausthür aufgeben mußte, um die Gräfin an sich vorbeizulassen, sonst würde sie ihre Nichte gewiß nicht ungedemüthigt über die Schwelle haben schreiten lassen. Jägerburschen und Magd vermutheten irgendeine interessante Begrüßung, denn alle drei standen nur wenige Schritte hinter Kathrine in der halbdunkeln Flur.

Das vornehme und doch so herablassende, sanfte Wesen der Gräfin von Serbillon imponirte der Schwester des Försters so sehr, daß sie sich von dieser Erscheinung in ihrem Vorhaben unangenehm gestört fühlte. Dennoch behielt sie eine möglichst freundliche Miene bei, weil Diana’s versöhnender Blick sie schon entwaffnete. Sie trat zurück, faßte die äußersten Streifen ihrer altmodischen Robe mit beiden Händen und machte ihren tiefsten und feierlichsten Knicks.

»Willkommen, gnädigste Frau Gräfin!« sprach sie. »Willkommen in dem Hause, wo heute der König der Ehren einziehen soll!«

Sie schwenkte sich links zur Seite, um die Gräfin vorüberzulassen, indem sie nach dem Zimmer deutete, dessen Thür die Magd eben ungestüm aufriß.

»Bitte, sich nicht zu geniren!« fuhr sie etwas dringlicher fort. »Werde mir gleich die Ehre geben, dero Gnaden gebührend aufzuwarten!«

Der Stiftssyndikus erhielt keinen Blick von der schmollenden Jungfrau, die sich jetzt abermals kehrte und ihren verlassenen Posten wieder einnehmen wollte. Andreas und Abbé Kasimir mit Hildegarde waren nur noch wenige Schritte von der Thür entfernt.

»Nicht wahr, Sie Gute,« sprach Gräfin Diana in diesem Moment die seltsam Geputzte an, »Sie haben Mitleid mit dem armen Kinde? Ich bitte dringend, kommen Sie Hildegarde freundlich, mit recht versöhnlichem Herzen entgegen! Bitte, Sie Gute, Vortreffliche, thun Sie es mir zu Liebe! Ich werde Ihnen stets dafür dankbar bleiben.«

Diese Worte wirkten auf die eigensinnige Kathrine wie ein Zauber. Solange sie denken konnte, hatte überhaupt niemand jemals so freundlich, mild, bittend und – was noch mehr war – so anerkennend mit ihr gesprochen. Und jetzt ließ sich eine wirkliche Gräfin, eine vornehme und reiche Dame, die mit einem alten Königsgeschlecht verwandt und gleichsam ein Sprosse desselben war, herab, sie ohne Bedenken um etwas anzuflehen, sie vortrefflich zu nennen! Diese unerhörte Ehre überwog alles. Kathrine verbeugte sich mit unnachahmlich glücklichem Lächeln vor Diana und erwiderte ohne recht zu wissen, was sie sagte:

»Soll gewiß geschehen, gnädige Frau Gräfin! ... Sehr verbunden! ... Gehorsame Dienerin! ... «

Diana lächelte ebenfalls und nickte der Ueberraschten, die ganz aus ihrer mit Fleiß eingeübten Rolle fiel, beistimmend zu. Durch dies kurze Intermezzo gewann Hildegarde Zeit, die Schwelle zu überschreiten. Ihr eigener Vater drängte sie zur Tante hin, die plötzlich ihre Hand erfaßt und im nächsten Augenblicke ein warmes, zitterndes Lippenpaar darauf ruhen fühlte. Es war der Mund Hildegardens, die sich zu ihr herabgebeugt hatte und die Tante mit diesem stummen Gruße anredete.

Etwas zu schnell zwar, aber doch nicht ungestüm zog Kathrine ihre Hand zurück. Hildegarde richtete sich, auf des Abbé Arm gelehnt, wieder auf und ließ den Schleier fallen, als fürchte sie dem harten Auge ihrer Tante zu begegnen. Dieser kostete es große Ueberwindung, ihr der Gräfin soeben verpfändetes Wort zu halten. Sie wollte aber doch die Lobsprüche derselben verdienen, und so ließ sie es bei einem ebenfalls stillen Gruße bewenden. Um jedoch sich selbst auch treu bleiben, zu können, mußte sie eine Ableitung für den in ihr aufkeimenden Unmuth suchen. Als sei es vorausbestellt, schlug die Wanduhr oben auf der Diele gerade zwölf. Als pünktliche Haushälterin hielt Kathrine streng auf eine geregelte Mittagszeit und so nahm sie den Ruf der Uhr für eine Mahnung, ihrer Pflicht als Vertreterin der fehlenden Hausfrau nachzukommen.

Wieder richtete sie ihre Worte an die galante, ihre Vorzüge so willig anerkennende Gräfin.

»Haben die gnädige Frau Gräfin die Güte, sich ein wenig auszuruhen!« sprach sie. »In wenigen Minuten werde ich mir die Ehre geben, um Dero Gnaden Unterhaltung zu bitten!«

Die Gräfin schritt lächelnd weiter. Der Stiftssyndikus betupfte seine thränenden Augen und flüsterte der Abkömmlingin der Jagellonen zu:

»Eine deliciöse Person, meine charmante Cousine, nicht wahr, Frau Gräfin? Aber sie kocht vortrefflich, namentlich derbe Hausmannskost! – Wenn ich nur wissen sollte, ob das interessante Muster ihres Prachtgewandes zur Zeit der Pipine zuerst erfunden worden ist. Die Geschichte der Moden, die in der Weltgeschichte eine so wichtige Rolle spielen, könnte wesentlich durch eine solche Bereicherung profitiren!«

»Spötter!« lächelte Diana. »In ihrer Art ist Ihre interessante Cousine doch eine vortreffliche Person.«

»O sehr, sehr vortrefflich!« erwiderte, vor Rührung schluchzend der Stiftssyndikus. »Aber ich sündhafter Skeptiker kann mich immer des verruchten Gedankens nicht entschlagen, daß sie eine noch weit vortrefflichere Figur machen müßte, wenn sie ihre unzerreißbaren Staatsroben mit einem Paar jener gelbledernen Unaussprechlichen vertauschen könnte, die sich auf dem Sitz eines Kutscherbockes so stattlich ausnehmen.«

Ein leiser Druck der Hand Diana’s machte den Stiftssyndikus schweigen, an dem leichten Beben des ihn berührenden Armes der Gräfin gewahrte er aber, daß sie über seine boshafte Bemerkung herzlich lachen mußte. Erfreut, ihre Schutzbefohlene doch ohne Aufenthalt und ohne eine Scene hervorzurufen in das Haus des Vaters glücklich zurückgeführt zu haben, dachte sie nicht an das Nächstkommende. Mit mütterlicher Zärtlichkeit zog sie im Zimmer Hildegarde an ihre Brust, küßte sie zu wiederholten malen und flüsterte ihr ermuthigend zu:

»Beherrsche dich selbst, mein Kind, und hier, wo der Geist deiner seligen Mutter dich umschwebt, wirst du bald wieder frohe und glückliche Tage erleben!«


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