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FÜNFTES KAPITEL.

MITTHEILUNGEN AUF DEMKRANKENLAGER.

Sandomir Geldern lag mit geschlossenen Augen auf seinem Lager. Zerline’s geschickter Hand war es mit Unterstützung des vertrauten Bedienten des Barons von Kaltenstein, der in frühern Jahren in den Anfangsgründen der Chirurgie Unterricht genossen hatte, gelungen, die Kugel aus der Schulter ihres Vaters zu entfernen und darauf die Wunde leidlich gut zu verbinden. Aerztliche Hülfe zu beanspruchen schien so lange bedenklich, als zwischen den einander feindlich gesinnten Verwandten nicht eine Versöhnung stattgefunden oder doch eine Art Compromiß geschlossen worden war.

Ohne das Bewußtsein völlig zu verlieren, umgaukelten den raffinirten Glücksritter doch eine Menge phantastischer Gestalten, die er zu verscheuchen keine Kraft besaß. Er verfiel in einen Zustand, welcher der Bewußtlosigkeit nahe kam, ihm aber doch nicht die Fähigkeit raubte, andere sprechen zu hören. In diesem traumhaften Zustande, in dem sich Wahres und Falsches durcheinander wirkte, verging dem Verwundeten die Nacht. Gegen Morgen trat mehr Ruhe ein und mit dieser kehrte ihm auch die Denkkraft wieder zurück.

Er rief Zerline und fragte diese ohne die Augen zu öffnen:

»Sehe ich sehr schlecht aus, mein Kind?«

Zerline suchte den Vater über sein Aussehen zu beruhigen.

»Bei alledem fühle ich mich matt und ich weiß nicht, ob mein Herr Schwager durch die Unsicherheit seiner Hand nicht eine große Dummheit begangen hat. Es wäre mir lieb, wenn der Baron mir die Ehre einer Unterredung schenken wollte.«

Zerline unterrichtete den Vater von dem Weggange des Barons und von dem Eintritt Adolar’s in das Hauptgebäude des weitläufigen Schlosses.

»Ein guter und entschlossener Junge, dein Cousin,« sagte Sandomir, die Augen fortwährend fest geschlossen haltend. »Er hätte nur die Pistolen nicht mit auf die Reise nehmen sollen ... Ich kenne die Natur dieser Handbüchsen ... sie gehen gewöhnlich zur Unzeit los, und dann treffen sie immer schlecht ... Viele Leute schon haben das Unglück gehabt, Unschuldige mit Pistolen zu erschießen. Es ließen sich interessante Geschichten darüber erzählen.«

Sandomir lächelte so verschmitzt, daß Zerline, die ihres Vaters Neigungen ebenso genau kannte wie dessen unsichere, ganz und gar auf den Zufall gestellte Lebenslage, den Schluß daraus zog, er stehe im Begriff, ihr eine vertrauliche Mittheilung von Wichtigkeit zu machen. Daß er dies nie unaufgefordert thue, wußte sie, nur nahm sie Anstand, eine Frage an ihn zu richten, weil sie fürchtete, anhaltendes Sprechen könne den Verwundeten zu sehr aufregen und ihm einen gefährlichen Fieberzustand zuziehen.

»Ruhe würde dir alsbald Genesung verschaffen,« sprach die kluge Tochter.

Sandomir Geldern lächelte wieder.

»Ich will und werde Ruhe haben,« versetzte er. »Geh’ und sieh zu, was der unbändige Wildling im Schlosse will. Wünscht er mich zu sprechen, so führe ihn zu mir ... Er kann noch mancherlei von mir lernen.«

Zerline ging, um sich von dem Verbleiben Adolar’s Gewißheit zu verschaffen. Als sie dem schwachen Vater meldete, daß sich der Cousin nach den Gemächern der Baronin verfügt habe, überglänzte ein Strahl der Freude sein leidendes Antlitz.

»Laß ihn, Kind,« sagte er, sie näher zu sich winkend. »Wenn Mutter und Sohn sich gegen einander aussprechen, kann es Tag werden, und bricht dieser Tag an, so geht auch über unsern Häuptern die Sonne eines neuen Daseins auf.«

Eine Zeit lang blieb Sandomir Geldern nach dieser hingeworfenen Bemerkung regungslos liegen. Er athmete regelmäßig, wie ein Schlafender; Zerline aber wußte, daß ihr Vater wachte und daß er tief über etwas nachdachte.

Nach einer längern Pause sagte er:

»Zerline, hast du mich lieb?«

»Könnte ich es dir doch durch eine recht in die Augen springende That beweisen!« rief das Mädchen.

»Ich will dir Gelegenheit dazu geben, kleiner Unhold,« fuhr der Verwundete fort. »Höre, was ich dir sage, und richte es so ein, daß du alles deiner lieben Tante beibringst. Kann dies geschehen in Gegenwart deines Cousins, so ist es noch besser, vermagst du es aber nicht, den in deinen Teint und dein Geplauder verschossenen Jungen, der dir, wie du ja weißt, vollkommen ebenbürtig ist, festzuhalten, so mußt du sehen, wie du mit meiner vornehmen Schwester unter vier Augen fertig wirst.«

Zerline gelobte, ihre ganze Liebenswürdigkeit und all ihr Geschick aufzubieten, um dem Vater zu genügen. Darauf erzählte Sandomir der aufmerksamen Tochter in kurzen, abgebrochenen Sätzen, ohne während seiner Erzählung auch nur eine Secunde lang die Augen zu öffnen, ein Begegniß aus frühern Tagen, und schloß mit den wenigen Worten, die wie ein Zauberspruch auf Clotilde und Adolar wirkten, und beide einander die Hände zu reichen zwangen.

Sandomir Geldern hatte während der Abwesenheit seiner Tochter Zeit, sich in die Vergangenheit zu vertiefen. Gern that er dies nicht, denn zwischen vielen heitern Erinnerungszeichen stieß er auf gar manchen düstern Punkt, dem er am liebsten weit aus dem Wege gegangen wäre. Sein Zustand aber ließ ihm nicht volle Freiheit im Denken und Wollen. Er fühlte, daß es schnell mit ihm zu Ende gehen könne, und obwohl er sich fast nie um ideale Güter Sorgen gemacht, noch weniger aber je ernstlich an das Sein nach dem Tode gedacht hatte, ward ihm jetzt, wo diese verschlossene Pforte sich ihm aufthun zu wollen schien, doch momentan recht unheimlich. Hatte er das Ende seines Lebens wirklich erreicht, so konnte ihm aus gewissen Enthüllungen, die er ganz allein zu geben im Stande war, kein Nachtheil erwachsen, wohl aber war es möglich, daß Zerline Nutzen daraus zu ziehen vermochte.

Die Zeit ward ihm, wie er so einsam und still grübelnd dalag und die Wunde immer empfindlicher zu brennen begann, unendlich lang. Er wünschte, ein wohlthätiger Schlummer möge sich auf seine Augen senken; allein er flehte vergebens um diese Wohlthat der Natur.

Endlich – das Ausbleiben Zerline’s dünkte ihm eine Ewigkeit – vernahm er Schritte, die Thür that sich leise auf, und er gewahrte durch schnelles Blinzeln die Schwester mit den erschöpften, von Angst und Gewissensqualen verzerrten Zügen, geführt von Zerline und Adolar. Er triumphirte über den glücklichen Einfall, ließ sich aber durchaus nicht merken, daß er etwas höre. Um seinen Zweck ganz zu erreichen, war es nöthig, nach eine Zeit lang zu heucheln und sich zu stellen, als könne er in jeder Minute seinen Geist aushauchen.

Zerline beugte sich über den scheinbar Schlummernden und gewahrte sogleich, daß er wache und alles höre, was um ihn vorgehe. Sie rief ihn zärtlich mit Namen, worauf Sandomir zusammenzuckte und die Augen verwundert aufschlug. Wer jetzt den matten Blick des Verwundeten auffing, konnte leicht zu dem Glauben verleitet werden, es gehe derselbe seiner Auflösung entgegen.

Die mit dem Vater vollkommen einverstandene Tochter sagte diesem leise ins Ohr, daß die gute Tante Baronin und der liebreiche Cousin bereit seien ihn anzuhören.

Sandomir machte eine beistimmende Kopfbewegung, worauf Zerline die Baronin herbeiwinkte. Adolar schob zuvorkommend einen Stuhl an das Lager des Verwundeten und blieb zur Seite desselben voll Erwartung dessen, was er vernehmen werde, stehen.

»Hassest du mich noch, ... Clotilde?« redete Geldern seine Schwester mit matter, zitternder Stimme an. »Ich bin so unglücklich ... !«

Clotilde, von einer plötzlichen Theilnahme ergriffen, brach in ungekünsteltes Weinen aus. Der Verwundete blieb regungslos, immer mit verschlossenen Augen liegen.

»Hast du Zerline angehört?« fragte Sandomir nach einer Weile aufs neue.

»Ist es wahr ... Sandomir, ist es wahr?« schluchzte die Baronin.

Der Bruder hob die Hand empor, wie zum Schwure.

»Wir müssen, fürcht’ ich, scheiden, für immer scheiden,« fuhr er, stets in abgebrochenen Sätzen sprechend, fort. »Dein Gemahl ... «

»Schweig!« unterbrach ihn Clotilde. »Ich will nichts von ihm hören!«

Geldern kehrte sich aber nicht an diesen Befehl seiner Schwester. Er begann, als habe er gar nichts vernommen, von neuem:

»Dein Mann ... meinte es damals gut ... mit dir, vielleicht auch mit mir. Aber ich störte ihn. Wenn ich bei euch blieb, mußte er dich wieder ... verstoßen! ... Aus Liebe zu dir, Schwester, habe ich mich geopfert, und nun ... empfing ich den Lohn dafür.«

Er athmete matt, als greife ihn das Sprechen furchtbar an. Clotilde drückte ihr Taschentuch auf die Augen und wagte nicht aufzublicken.

»Verschiedene male – du wirst dich erinnern,« hob Sandomir nach einer Pause wieder an, »machte ich bald dir, bald dem Baron Vorschläge zu einer Wiedervereinigung. Ich erhielt nie eine Antwort! ... Endlich, als mich das Glück verließ und der Mangel meine Kräfte zu brechen drohte, mußte ich mich deutlicher erklären ... Du hast mich auch dann noch keiner Antwort werth geachtet, aber der Baron, dem mein Mahnruf unangenehm in die Ohren klang, ließ sich herab, mir zu schreiben. »O, diese Briefe! ... Diese theuern Briefe! ... Wie hab’ ich sie geherzt! Wie heilig sind sie mir gewesen! ... «

Bei diesen Worten schlug Geldern zum ersten mal seine Augen auf, um zu sehen, welche Wirkung sie auf Clotilde machen würden.

Diese ließ die Hand mit dem Tuche sinken und blickte den Bruder an wie eine Bezauberte.

Die Wimpern Sandomir’s senkten sich wieder, indem er fortfuhr.

»Ich habe sie mir aufbewahrt wie ein Vermächtniß, das uns herzinnige Liebe macht ... Ich trug sie stets bei mir ... bis zu dieser Stunde ...«

»Du willst mich täuschen!« flüsterte Clotilde.

»Adolar,« sagte Geldern, »lieber Neffe, reiche mir deine Hand, damit ich sie führe ... «

Adolar erfüllte den Wunsch des Onkels. Dieser ergriff die Hand seines Neffen und legte sie auf seine linke Brust.

»Hier,« sprach er noch leiser als zuvor, »hier, zunächst dem Herzen ... findest du die Briefe ... deines Vaters ... an mich ... und ein Schreiben von mir selbst. Ich gebe dir alles zum Angedenken ... !«

Mit schnellem Griffe entnahm der aufgeregte Jüngling ein nur ganz dünnes Packet der Brusttasche seines Onkels.

»Mir, mir gehören diese Briefe!« rief Clotilde.

»Und ich bin in ihrem Besitz!« sprach Adolar, das Packet fester umfassend. »Enthalten sie Beweise, bei meinem Ehrenwort, ich werde sie nicht vernichten!«

Clotilde streckte ihre Hände bittend nach dem Sohne aus. Auch in dem Blick ihrer Augen lag ein heißes Flehen, Adolar aber achtete nicht darauf. Ein ungeduldiger Wink nur forderte den Verwundeten auf, daß er in seinen Bekenntnissen fortfahren möge.

»Da du mir immer nur kurze Grüße durch den Schwager Baron sendetest,« sprach Geldern weiter, »mußte ich es aufgeben, dein Herz zu rühren. Der Baron schrieb mir, was er thue geschehe immer mit deiner schwesterlichen Genehmigung ... Ich will dir deshalb keine Vorwürfe machen, behüte! ... Eine gute Frau thut gern und willig, was ihr Mann wünscht. Und ich weiß ja, daß du es immer gut mit mir meintest! ... «

Hier mußte Sandomir Geldern husten, wobei ihm Thränen aus den mühsam geschlossenen Augen rannen. Zerline allein sah es den Zügen ihres Vaters an, daß er vor Freude innerlich triumphirte und daß er sich dem Ziele seines Strebens mit schnellen Schritten nähere.

»Der letzte Brief des Schwagers Baron – er liegt obenan in grünem Couvert, Adolar, und es wäre mir lieb, wenn du ihn jetzt gleich überflögest, damit du dich überzeugst, daß ich dir die reine Wahrheit sage – dieser letzte Brief machte mich stutzen. Stehen die Dinge in Wirklichkeit so, wie der gute Baron schreibt, so ist alles verloren ... Nicht verlassen wollte er mich – steht’s nicht so darin, Adolar? ... Und dann die Schlußworte – gib Acht, Adolar, ob mein Gedächtniß auch treu ist! – Sie heißen! Wärst du einer Kugel werth, ich könnte sie dir entgegenschicken, wenn ich nur wüßte ... «

»Genug, genug!« fiel Adolar dem Bruder seiner Mutter ins Wort, indem er den Brief Clotilde in die erkaltete Hand drückte. »Begehren Sie mehr noch zu erfahren, gnädige Mama, so lesen Sie selbst! Ich bitte jetzt um Erfüllung Ihrer Zusage!«

Sandomir Geldern hustete so stark, daß es klang, als könne er daran ersticken. Zerline kniete neben ihm nieder und trocknete ihm den Schweiß ab.

Die Baronin war festen Schrittes ans Fenster getreten, um hier den an Sandomir gerichteten Brief ihres Gatten vollends zu Ende zu lesen. Das Blatt entsank ihren zitternden Händen, als ein Blick ins Freie ihr den Baron zeigte, der eben durchs Thor in den Schloßhof schritt. Auch Adolar gewahrte den Vater und ein plötzlicher Gedanke tauchte in ihm auf.

»Mutter,« sprach er gepreßt zur Baronin, »da kommt der Mann, der mich als Kind verstieß. Ich bin entschlossen, mich mit größerer Liebe seiner anzunehmen ... Er darf nicht wissen, daß wir die dunkeln Wege kennen, die er ging, um ... um meiner gnädigen Frau Mama den heutigen Tag ersparen zu wollen.«

Das Lächeln des Sohnes, als dieser der Baronin leicht die Hand küßte, machte Clotilde das Blut gefrieren; den Sohn zu halten, hatte sie keine Kraft. Sie glitt auf den nächsten Sessel, als Adolar, den entfallenen Brief des Vaters wieder an sich reißend, das Zimmer verließ.

Vom Lager Sandomir’s klang es wie heiseres Lachen. Die Baronin aber glaubte, es sei das Brausen ihres Blutes im eigenen Ohr.

»Er ist doch noch in meiner Gewalt,« lispelte sie vor sich hin. »Der Baron kam gerade zur rechten Stunde! Sein Erscheinen hat ihn vergessen lassen, noch einmal mit ernster Frage in mich zu dringen ... Hildegardens Versteck wird mein Geheimniß bleiben.


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