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FÜNFTES KAPITEL.

UNTER GESCHWISTERN.

Baron von Kaltenstein war doch überrascht, als ihn Zerline begrüßte. Die merkwürdige Unbefangenheit dieses blutjungen Mädchens, das auf den wirren Lebenswegen ihres sorglosen Vaters mehr Erfahrungen gesammelt hatte als manche funfzigjährige Dame, imponirte und konnte unter Umständen sogar bestechen. Zerline’s Vorsatz, einen guten Eindruck auf den Onkel zu machen, mochte mit dazu beitragen, daß sie sich zusammennahm und das Weibliche in ihr die Oberhand über die ihr zur andern Gewohnheit gewordene männliche Derbheit gewann. Mit einem Worte, Zerline gefiel dem Baron, und im ersten Augenblick vergaß er vollständig das eben mit deren Vater getroffene, förmliche Abkommen. Geldern entging dieser wohlgefällige Eindruck nicht, und berechnend, wie er war, suchte er auf der Stelle Vortheil für sich daraus zu ziehen.

»Nicht wahr, Alterchen,« sagte er, seinen Arm vertraulich auf des Barons Schultern legend, »das Mädel ist nicht aus der Art geschlagen? Man kann sich sehen lassen mit dem Kinde? Enfin, es wäre so übel nicht, darauf eine tüchtige Spekulation zu gründen?«

Der Baron duldete, daß Zerline ihn küßte. Ihre Lippen waren weich und voll.

»Ich bin entzückt, den gnädigen Herrn Onkel endlich kennen zu lernen,« sagte Zerline, und einen Blick durchs Fenster werfend setzte sie harmlos hinzu: »Hier ist’s allerliebst! Da möchte ich gleich mein ganzes Leben lang bleiben!«

»Das Wünschen hast du umsonst,« sprach Geldern, »damit aber wirst du dich auch begnügen müssen. Wünsche dir also soviel du magst, denn morgen schon geht die Herrlichkeit hier zu Ende.«

»Schnickschnack!« fiel Zerline mit dem köstlichsten Stirnrunzeln dem Vater ins Wort. »Ich verklage dich gleich beim Onkel, wenn du mir nicht einmal Zeit lassen willst hier zu Athem zu kommen! Man ist froh, unter guten, lieben Menschen zu sein nach dem ewigen Leben in Gasthäusern! Nicht wahr, Herzensonkel, Sie geben nicht zu, daß der Vater seinen Kopf aufsetzt und schon morgen wieder weiterreist? Bitte, stehen Sie mir bei! Ich möchte gar so gern dem Vater gegenüber recht behalten!«

Ehe Baron von Kaltenstein noch antworten konnte, hatte Zerline schon beide Arme um seinen Hals geschlungen, drückte ihn fest an sich und war durchaus nicht karg im Austheilen von Küssen.

»Teufelshexe!« grinste Geldern vor innerlichem Vergnügen. »Das Mädel ist ein unbezahlbares Geschöpf, ohne das ich längst schon verhungert wäre, oder mir das Gehirn mit ein paar Loth Pulver zum ewigen Schlafe hätte auspolstern müssen.«

Der Baron ließ geschehen, was er nicht hindern konnte, hütete sich aber doch, seiner naiv zudringlichen Nichte eine bestimmte Zusage zu geben.

»Darüber wird sich sprechen lassen, mein Kind,« sagte er, »wenn du dich mit der Tante verständigt hast. Folge mir jetzt zu ihr; sie ist begierig, dich zusehen. Deinen mexicanischen Ueberwurf aber kannst du einstweilen hier lassen.«

Zerline warf ohne jegliche Ziererei den Poncho ab und präsentirte sich jetzt in einem Kleidchen, das dürftig genug aussah und dazu gemacht zu sein schien, die feingerundeten Formen des jungen Mädchens in das vortheilhafteste Licht zu stellen. Den Baron überraschte die schöne, halbenthüllte Büste der Kleinen, an der er ungeheucheltes Wohlgefallen fand; aber er mußte sich doch sagen, daß Zerline in solcher Tracht bei Clotilde leicht Anstoß erregen kannte. Denn die Baronin hielt streng auf Anstand, wenn schon sie durchaus keine Kopfhängerin war. Zum Glück befand sich Baron von Kaltenstein im Besitze eines sehr schönen Longshawls, der ursprünglich für Hildegarde bestimmt gewesen war. Diesen holte er hervor und warf ihn über Zerline’s runde, glänzend weiße, nur gar zu stark entblößte Schultern.

»So, Kindchen,« sagte er, »jetzt kannst du dich vor der Tante sehen lassen. Ich selbst werde dich ihr zuführen.«

Er bot Zerline den Arm, die ihn lachend annahm und sich mit vielem Handküssen fürs das schöne Geschenk gebührend bedankte. Geldern trat vor den Spiegel, zupfte die zerknitterten Vatermörder zurecht, rückte an dem ehemals fein gewesenen Busenstreifen und der Weste von großgeblümtem schweren Seidendamast, die auch bereits Spuren ihres Alters zeigte, bürstete sorglich die wenigen weißgrauen Haare an den Schläfen so zurecht, daß sie vornehm genial abstanden, und zog endlich ein paar gelbe Handschuhe an, deren einem jedoch der Daumen fast ganz ausgerissen war. Der alte Spieler besaß aber ein ganz eigenthümliches Geschick, diese Wunde so zu verdecken, daß sie nicht sogleich bemerkbar ward. Eine kurze, vertrauliche Verbeugung zeigte dem Baron an, daß er nun vollkommen gerüstet sei, der vornehm gewordenen Schwester seine Aufwartung zu machen.

Clotilde hatte es nicht für nöthig gehalten, des unerwarteten und ihr noch dazu sehr unangenehmen Besuchs wegen sich besonders zu putzen. Nur ihr noch sehr schönes, volles Haar, auf dessen Pflege sie von jeher große Sorgfalt verwendet hatte, ließ sie sich nochmals von dem Kammermädchen ordnen und bedeckte es dann mit einem sehr kleidsamen Häubchen. So erwartete sie gespannt, innerlich aber geärgert und eigentlich voll Zorn den liederlichen Bruder und, wie sie stillschweigend voraussetzte, dessen leichtfertige natürliche Tochter, für deren sittliche und geistige Erziehung soviel wie gar nichts geschehen war.

Sandomir Geldern, der vor längerer Zeit einige Jahre als Offizier in französischen Diensten gestanden und sich durch seine Bravour ein Ordenskreuz erworden hatte, begrüßte seine Schwester mit solcher Herzlichkeit, daß Clotilde nicht umhin konnte, freundlich zu erscheinen. Sie duldete Sandomir’s etwas stürmische Umarmung und war gnädig genug, Zerline, der sie nur einen einzigen flüchtigen Blick zuwarf, ihre wohlgepflegte Hand zum Kusse zu reichen. Zerline verstand diese Handbewegung und beugte ihr leicht erröthendes Gesicht sehr devot über die schöne Hand der vornehmen Tante.

»Habe Geduld mit ihr, Schwester,« sagte Geldern. »Es fehlt dem Kinde noch Tournure; aber sie hat Anlagen, vortreffliche Anlagen! Wolltest du sie einige Zeit unter deine Flügel und in deine Schule nehmen, gewiß, Schwester, Zerline würde dir Ehre machen. Ich finde überhaupt, daß sie dir merkwürdig ähnlich ist in ihrem Thun, ihren Wünschen, ihren Neigungen. Die Männer läßt sie ablaufen, daß man darüber erstaunen muß, und steht ihr das Köpfchen gerade recht, so weiß sie wieder so wunderbar süß zu girren, daß auch die Rauhesten und Stolzesten willig unterducken. Wie vortrefflich aber du das verstandest, Clotildchen, damals ... am Rhein ... weißt du noch, wo dein jetziger gestrenger Herr Gemahl zuerst an die ausgeworfene Angel biß, dessen wirst du dich wenigstens noch dunkel erinnern können.«

»Es ist angerichtet,« meldete der Bediente, die Thür zum Speisezimmer öffnend.

Der Baron nahm sogleich wieder den Arm seiner Nichte, während Geldern seine Schwester zu Tische führen wollte. Clotilde aber warf stolz den Kopf zurück, erhob sich vornehm gelassen, zupfte ungeduldig an ihrem gestickten Taschentuche, und folgte, ohne den Bruder eines Blickes zu würdigen, ihrem mit der leichtfertigen Nichte vorangegangenen Gatten.

»Habe ich ausgezeichnet gemacht!« rief Geldern sich zu, die schadhaften Handschuhe schnell abstreifend. »Sie weiß jetzt, daß ich aus ihrer Vergangenheit kein Geheimniß zu machen fest entschlossen bin, sie muß deshalb auch annehmen, daß Zerline bereits in alle Familienverhältnisse eingeweiht ist, und sie kann bei ihrer Klugheit voraussehen, wie wenig ich mich auf Rücksichtsnahmen einlassen werde. Soll ich schweigen, so muß sie zuvor höflich gegen mich werden und sich mit mir verständigen. Bereit dazu bin ich, aber nur gegen baare Zahlung. Sie ist im Besitze, ich habe nichts, mithin wäre ich ein Thor, benutzte ich nicht die günstige Gelegenheit! ... Am Hierbleiben liegt mir wenig, mir persönlich wäre es sogar lieber, wenn unser Aufenthalt nicht länger als einen Tag und eine Nacht dauerte. Geld jedoch muß ich erst einsacken, ehe ich mit meinem Zaubermädel weiter ziehe, und Geld soll die liebe Schwester so viel herausrücken, daß ich Zerlinchen als Köder für leichtsinnige reiche Herren von Stande damit herrlich herausputzen kann.«

Bei Tische beobachtete die Baronin ihre Nichte sehr aufmerksam und richtete auch verschiedene Fragen an sie, die von Zerline schnell, bestimmt und immer treffend beantwortet wurden. Es leuchtete Clotilde ein, daß dies aufgeweckte Kind wohl einer bessern Erziehung werth sei, und momentan fühlte sie fast Mitleid mit dem so jungen, hübschen Geschöpf, das möglicherweise mit schnellen Schritten tiefer moralischer Verwilderung entgegenging. Sie verglich Zerline mit Hildegarde, deren Schicksal sie so schwer beunruhigte, und sie mußte sich sagen, daß der Lebensgang beider Mädchen mancherlei Aehnlichkeit habe.

Geldern war überaus gesprächig. Er erzählte fortwährend, indem er seine Rede bald an den Baron, bald an Clotilde richtete. Bisweilen fragte er auch Zerline oder rief sie gleichsam zum Zeugen auf. Er legte bei allen diesen Erzählungen eine Rücksichtslosigkeit an den Tag, daß Clotilde einmal über das andere erröthet sein würde, hätte die schützende Schminke sie nicht vor solchem Unglück bewahrt. Sie kam sich vor, als lebe sie unter Verbrechern, und sie dankte Gott wirklich von ganzem Herzen, daß Hildegarde nicht auf Kaltenstein weilte!

Auch dem Baron war es widerwärtig, in Gegenwart eines jungen Mädchens, das vor den sie umgebenden Personen doch Respect haben sollte, Vorgänge berühren zu hören, die man schon aus Klugheit gewöhnlich verschweigt, und es überrieselte ihn einigemal ein Schauder, als er die entsetzliche Bemerkung machen mußte, daß Zerline in alles vollkommen eingeweiht sei. Ihr Benehmen war dabei so unbefangen, daß Baron von Kaltenstein nicht recht wußte, ob er mehr die Naivetät der Lebensanschauung Zerline’s bewundern, oder sich über eine so frühe gänzliche Verwilderung des hübschen, vielfach verführerischen Geschöpfs entsetzen sollte.

Mit richtigem Takt kürzte Clotilde die Tafel möglichst ab. Den Arm des Bruders, der sich ungemein behaglich zu fühlen schien, nahm sie auch jetzt nicht an; ebenso wenig duldete sie, daß Zerline ihr die Hand küßte.

»Erwarte unsere Rückkunft,« sprach sie befehlshaberisch zu ihrer Nichte, »ich und der Onkel, wir haben allein mit deinem Vater zu sprechen.«

Geldern blickte sie schlau lächelnd an, Clotildens Auge aber blieb kalt und streng.

»Jetzt gleich?« sagte er scherzend. »Um vernünftigen Gesundheitsvorschriften nachzuleben, müßte man sich lieber etwas Bewegung machen oder sanft der Ruhe pflegen.«

»Die Zeit drängt,« erwiderte Clotilde, »und ohnehin ist es unerläßlich, daß wir uns ein für allemal verständigen.«

»Auf meinem Zimmer,« sprach der Baron. »Dort liegt das Nöthige bereit. Es bedarf nur noch deiner Unterschrift.«

Geldern sah ein, daß unbedingte Fügsamkeit allein zum Ziele führen könne; er trat aber nicht mit so großer Zuversicht wie vor dem Mittagsmahle in das Wohngemach seines Schwagers. Letzterer legte ihm in einigen Rollen die verlangte Summe vor und unterbreitete ihm sodann den Revers. Geldern wog prüfend die Geldrollen, überlas aufmerksam die Schrift und legte sie vor sich hin, indem er sagte:

»Sehr schön, Alterchen; doch ehe ich mich mit unnützer Tintenkleckserei befasse, möchte ich aus Liebe zu meinem Kinde mit euch beiden, die ich stets wahrhaft geliebt und verehrt habe, noch ein paar Worte wechseln.«

Clotilde, die bisher sehr rasch und ihr Taschentuch drehend auf- und niedergegangen war, trat jetzt vor den Bruder. Ihre Augen flammten vor Aufregung und Zorn.

»Sandomir,« sprach sie, »ich wünschte, der Blitz hätte dich erschlagen!«

»Ein sehr unchristlicher Wunsch; liebe Schwester,« versetzte Geldern lächelnd. »Du würdest dann nie Carrière gemacht haben und nie Baronin von Kaltenstein geworden sein.«

»Daß jener feurige Strahl vom Himmel mich betäubte, es war ein Irrthum des Weltenlenkers!« fuhr Clotilde fort. »Warum wollte mich Gott, ich weiß es, warnen, vielleicht bekehren, wie er den Verfolger Saulus bekehrte, und ich würde den Ruf aus der Höhe vernommen und ihm nachgelebt haben, wärst du nicht am Leben geblieben!«

»Liebe Schwester,« versetzte Geldern, »du überhäufst mich da mit Vorwürfen, die ich gar nicht verdient habe. Bedanke dich lieber bei dem Baron, der sich so huldvoll deiner Unschuld annahm ... Auch kann ich wirklich gar nicht begreifen, weshalb du dich so schrecklich ereiferst, weil das Zusammentreffen verschiedener Ursachen die Wirkung hatte, daß du schließlich eine wohlangesehene Dame von Stande wurdest!«

»Laßt das Vergangene vergangen sein und haltet euch an die Gegenwart,« fiel der Baron ein. »Wir werden uns dabei alle wohl befinden und uns gegenseitig jeden Vorwurf ersparen.«

»Nein,« sprach Clotilde, »ich will und werde nicht schweigen! Deine Auslassungen bei Tische haben mein Innerstes empört! Du prahlst im Beisein eines geistig noch unreifen Mädchens mit Unternehmungen, deren jeder redliche, unbescholtene Mann sich schämt! Du forderst dies Kind auf, deine Erzählungen zu bestätigen, und dies arme, unglückliche Kind ist – deine eigene Tochter!«

»Es war nicht mein Wille, sehr tugendhafte gnädige Frau Schwester, daß auch ich des Glückes, Vaterfreuden zu genießen, theilhaftig werden sollte,« bemerkte der verwilderte Geldern. »Wenn du übrigens der Meinung bist, ich tauge wenig zum Erzieher junger Mädchen, eine Meinung, der ich mich anzuschließen gern geneigt bin, so könntest du ja nur ein gutes Werk stiften, wenn du dich der Armen, Verlassenen mit mütterlicher Zärtlichkeit liebevoll annehmen wolltest. Du selbst hast keine Kinder, also ... «

Die Baronin schleuderte Sandomir Geldern einen Blick voll Verachtung zu, der diesen momentan verstummen machte. Er faßte sich aber gleich wieder und fuhr fort:

»Wahrhaftig, Schwester, ich spreche im Ernst! Seit du so glücklich und so vornehm verheirathet wurdest, habe ich einen ganz unbegrenzten Respect vor dir. Ich schließe mich dem Glaubensbekenntniß der unverbesserlichen Weltkinder an, die fortwährend behaupten, Reichthum tilge jeden Flecken! Recht haben sie auch; denn wer ist jemals mehr geehrt und bewundert worden als jene gedankengroßen Menschen, die Länder raubten, Kronen stahlen und ihre lieben Brüder zu Tausenden hinschlachten ließen, um aus dem zusammengescharrten Raube sich später ein glanzvolles, wohnliches Haus zu erbauen? Wärest du weniger glücklich gewesen, wer weiß, hinter welchem Zaun du jetzt hocktest, einen Stecken in der abgemagerten Hand und einen Bettelsack auf der Schulter!«

»Du bist frech, gemein und lieblos!« rief Clotilde empört. »So frech und gemein wie das Gewerbe, von dem du dein elendes Leben fristest!«

Geldern machte eine spöttische Verbeugung vor seiner Schwester, indem er sagte:

»Du unterstütztest mich früher in diesem Gewerbe, und der Baron, gegenwärtig dein Gemahl, war in unserm Bunde der dritte!«

Clotilde traten Thränen der Wuth, vielleicht auch der Reue in die Augen.

»Ich habe dafür gebüßt!« rief sie aus. »Ich büße noch, ich will und werde büßen bis zum Tode, aber, gottlob! ich hoffe auch Stärke genug zu gewinnen, um aus der Buße Versöhnung zu schöpfen!«

»Wie rührend das ist!« sprach Geldern. »Du bist ein Weib nach der Schrift, Schwester! Ich erinnere mich, darin irgendwo einmal, als ich noch zur Schule ging, gelesen zu haben, es würden sich die Engel im Himmel mehr freuen über einen reuigen Sünder, welcher Buße thue, als über tausend Gerechte, die der Buße nicht bedürftig wären ... Was willst du denn eigentlich mehr? Die Engel im Himmel müssen sich, wenn sie dich einst unter Freudenjauchzen in Empfang nehmen, bei mir bedanken, daß ich den guten Seelen diesen erquickenden Spaß gemacht habe.«

Der Baron schob jetzt dem gefährlichen Schwager die Geldrollen zu und reichte ihm die Feder zum Unterzeichnen.

»Mach’ ein Ende!« sprach er gebieterisch. »Es ist nothwendig, daß wir uns alsbald für immer und auf Nimmerwiedersehen trennen.«

Geldern achtete indeß nicht darauf. Er ließ das Geld liegen und nahm auch die dargereichte Feder nicht.

»Du bist übrigens sehr ungerecht, Schwester,«nahm er abermals das Wort, »ungerecht am meisten gegen dich selbst. Bedenke doch, welch genußreiches, unterhaltendes Leben du mit mir führtest, als du kaum das Alter Zerline’s erreicht hattest! In der Absicht, als Marketenderin dich zu ernähren, gingst du mit mir nach Spanien. Später führten uns die Kriegsereignisse nach unserm verlorenen Vaterlande, dem als selbständiger Staat doch in alle Ewigkeit verlorenen Polen. Es war ganz gescheidt von dir, Tildchen, daß du beim Zuge der großen Armee nach dem heiligen Rußland von dem unheiligen Gedanken erfaßt würdest, mich zu bereden, mit dem Rest der geplünderten Kriegskasse, den uns ein glücklicher Zufall in die Hände spielte, eine kleine Bank zu errichten, die sich unter dem dummen Bauernadel der Polackei, unsers schönen, sumpfreichen Vaterlandes zerrissenen Angedenkens, leidlich bezahlt machte ... Wir schlugen uns durch, Tildchen, redlich und ehrlich, wie’s gehen mochte ... Ich war nicht stolz und hochfahrend, ließ mir von unsern trunksüchtigen Landsleuten alles gefallen ... war heute ihr Narr, morgen ihr Factotum ... immer, um nur leben, aber möglichst gut leben zu können ... Und du, ach, wie hold und anschmiegsam war damals das liebe Schwesterchen! ... Weißt du noch, wie die alten beiden Starosten auf dem Schlosse Biczlowice in Masuren aus deinen Schuhen so lange Ungarwein tranken, bis sie alle beide besinnungslos unter den Tisch fielen, und die Wette, wer Sieger bleiben sollte, ein Röllchen mit funfzig vollwichtigen Pistolen, in unsere Tasche sich verlor, wir aber in tiefer Mitternacht das Weite suchten? ... Versuche es nicht, Tildchen, solche bedeutungsvolle Merktage im Leben trotzig mit deinem kleinen, von den Starosten bewunderten Füßchen in die Erde hineinstampfen zu wollen; es glückt dir doch nicht! ... Du warst damals sehr mit dem Ausgange dieser lustigen Wette zufrieden, und eigentlich die ganz alleinige Veranlassung dazu, weil du die Spröde gegen die alten Herren so meisterhaft spieltest und es nur duldetest, daß sie dir Dukaten ins Busentuch schieben durften ... «

Clotilde, längst schon zitternd, brach jetzt mit einem wilden Schreckensschrei zusammen. Der Baron fing sie in seinen Armen auf und ließ sie sanft in einen Lehnsessel nieder. Dann wandte er sich dem cynisch lächelnden Geldern zu.

»Kein Wort will ich mehr hören,« sprach er, »oder du zwingst mich, Leute herbeizurufen, die mich von deiner verhaßten Gegenwart befreien! ... Willst du der Mörder deiner eigenen Schwester werden?«

Geldern ließ sich auch durch diese Drohung seines Schwagers nicht stören.

»Ereifere dich nicht, Alterchen,« versetzte er mit seiner unerschütterlichen Ruhe und dem stereotypen Lächeln auf den verwüsteten Zügen, »wir kennen uns ja zu lange, um uns ernsthaft zu erzürnen. Deine Frau, das bemerke ich jetzt, wird alt, und ... nun, du kennst ja das Sprichwort von den jungen Sünderinnen! ... Ich will es nicht wörtlich anführen, um die Ohren Clotildens, die vielleicht noch hören, nicht gar zu sehr zu beleidigen. Auch aufbringen will ich mich euch nicht, obwohl ihr doch eigentlich nur durch mich ein so glückliches Paar geworden seid ... Ehe ich jedoch gehe, bin ich gezwungen, dir und auch meiner Schwester – die, wie ich zu meiner großen Freude bemerke, sich wieder zu regen beginnt – noch an die letzte schwere Nacht in Genf zu erinnern.«

Die Baronin schlug die Augen auf und erfaßte die Hand ihres Gatten.

»Karl!« sprach sie mit Mühe ... »Schütze mich ... vor ... diesem ... Menschen!«

»Das Spiel war zu Ende,« begann Geldern aufs neue, »ich hatte das letzte Geldstück verloren ... da sahst du ...«

»Halt ein, Wahnsinniger!« rief Clotilde und drückte aufspringend ihre Hand auf den Mund des schrecklichen Bruders. Dieser zog sie herab, lächelte sanft wie ein Mädchen und sagte geschmeidig:

»Es ist höchst unklug von dir, so abscheulich zu schreien! Die Bedienten hören es ja und müssen denken, wir wollen uns hier allesammt erwürgen. Ich kann sehr gut und sehr lange schweigen, aber ich muß dafür bezahlt werden.«

»Die verlangte Summe liegt vor dir,« sprach der Baron. »Nimm sie zu dir und unterschreibe!«

Er schob ihm nochmals das Papier zu nebst Tinte und Feder. Geldern steckte die Rollen gelassen ein.

»Das wäre für unser Abkommen,« fuhr er fort, »um aber meinen Mund stumm zu machen, mein leider sehr gutes Gedächtniß todt zu schlagen, und auch die Lust in mir für immer zu tödten, froh Erlebtes in heiterer Stimmung andern, blos zur Unterhaltung, mitzutheilen, begehre ich das Dreifache, und zwar entweder sogleich oder, solltest du zufällig nicht gut bei Kasse sein, in einer gültigen Sichtanweisung auf deinen Bankier. Schneide keine Gesichter, Baron, ich bin unterrichtet und weiß, daß du bei Moser und Comp. verschiedene Tausende deponirt hast! ... Machst du tausend Thaler gerade voll, so will ich die letzten hundert zur Equipirung meiner Tochter verwenden, und ihr Kleider anschaffen, wie sie der Nichte einer Baronin ziemen, und die ganz so anständig zugeschnitten sind, wie die Aristokratie der Geburt es liebt.«

»Unverschämter!« flüsterte Baron von Kaltenstein, über die bodenlose Frechheit des Spielers entrüstet.

»Befriedige ihn,« rief Clotilde, »befriedige ihn auf der Stelle! ... Ich lege noch ein goldenes Armband für das unglückliche Geschöpf zu, wenn ich mir mit diesen Opfern die Wohlthat der Entfernung von Vater und Tochter aus meinem Hause erkaufen kann!«

»Du siehst mich gerührt über solche Großmuth!« sprach Geldern und fuhr sich mit einem schadhaften seidenen Taschentuche über die pfiffig blinzelnden Augen. »Solch unbegrenzter Liebe kann ein Mann von Welt nicht widerstehen.«

Er ergriff die Feder und unterschrieb den Revers.

»Schreibe die Anweisung aus,« bat mit flehentlicher Geberde Clotilde ihren Gatten. »Ich hole inzwischen das Armband und lege es dem Mädchen an.«

» Enfin,« sprach Geldern, sich devot vor seiner Schwester verbeugend, »ich sehe ein, daß ihr Lebensart besitzt, und daß ein gutes Gedächtniß und die glückliche Naturgabe es passend anzuwenden, beinahe ebenso viel werth sind als Frauenschönheit. Es lassen sich damit die köstlichsten Eroberungen machen.«

Clotilde hatte sich schon entfernt. Der Baron schrieb seufzend die Anweisung auf seinen Bankier aus. Bald darauf trat Clotilde, die heitere Zerline führend, an deren Arme der schöne Schmuck blitzte, ein. Diese umarmte jubelnd den Onkel und erklärte unter fortwährendem Lachen, daß sie nie so glückliche Stunden verlebt habe. Sie wäre zwar am liebsten ganz oder doch noch recht lange auf Schloß Kaltenstein geblieben, weil sie aber der gnädigen Tante bei ihren nervösen Leiden beschwerlich fallen müsse, sei sie gern bereit, ihrem Vater zu folgen, wohin er sie führe.

»Du bist ein kluges Kind,« sagte Geldern,« möge Gott dir noch viele Freuden und ein recht langes Leben schenken! Der orthodoxeste Jude kann die Gebote nicht strenger halten als mein kluges, weißes Täubchen.«

Clotilde ließ es geschehen, daß Zerline ihr nochmals die Hand küßte, nur dem Bruder entzog sie dieselbe. Sie wendete sich zusammenschaudernd ab, als er ihr zärtlich Lebewohl wünschte. Der Baron aber begleitete Schwager und Nichte bis vor den Schloßhof, wo er den langsam Fortwandelnden so lange nachsah, bis sie seinen Blicken entschwanden.


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