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SECHSTES KAPITEL.

ADOLAR UND DER POLNISCHE FÜRST.

Solange das Glück der Waffen dem hoffnungsmuthigen Volk der Polen treu blieb und noch nicht alle Aussichten auf Unterstützung desselben durch mächtige Freunde verloren gegangen waren, sympathisirte die große Mehrzahl mit demselben. Vor allen begeisterte sich die männliche Jugend für den im Osten Europas entbrannten Kampf. Es gab kaum eine Vereinigung junger Leute, auch wenn sie nur dem Vergnügen, geselliger Zerstreuung und harmloser Unterhaltung diente, in welcher nicht der polnischrussische Krieg besprochen wurde. Für Rußland Partei zu ergreifen, konnte im glücklichsten Falle die Verweisung eines so Unvorsichtigen aus der Gesellschaft zur Folge haben; denn es gab eigentlich nur Eine Meinung, der alle beipflichteten, und diese war von Anfang an für Polen und für dessen Berechtigung zu dem Kampfe, den es, auf seine eigene Kraft und auf seine Begeisterung für nationale Unabhängigkeit gestützt, mit dem übermächtigen Nachbar begonnen hatte.

Diese Ansicht war auch allgemein verbreitet in den Kreisen, welche der einstige Erbe von Kaltenstein zu besuchen pflegte. Dieser junge Mann, den wir eine Zeit lang aus den Augen verloren haben, war nach erfolgter Rückkehr auf die Akademie seiner nicht gerade sehr empfehlenswerthen Lebensweise treu geblieben.

Zu dem, was er Studiren nannte, bequemte er sich nur, wenn er von Vergnügen aller Art ermattet, den zu lange geschlürften Becher der Lust mit jenem unerquicklichen Gefühle vertauschen mußte, das der Student ›moralischen Katzenjammer‹ nennt. Gar zu oft hatte sich Adolar über diese fatale Stimmung nicht zu beklagen, denn er besaß eine vortreffliche Natur, der sich schon etwas bieten ließ, und seine Börse war leider immer zu gut gefüllt. Sein Adoptivvater knauserte in keiner Weise, theils weil er von Jugend auf an Sparsamkeit nicht gewöhnt war, theils auch, weil er es nicht für gut hielt, junge Leute seines Standes zu Einschränkungen, welche lästig werden können, zu nöthigen. Moralische Gründe übten auf die Entschließungen des Barons eigentlich keinen Einfluß, er handelte mehr instinctmäßig, wobei er zuweilen wohl auch das Richtige traf.

Daß Adolar auf der Akademie einen Begriff von dem erhalten müsse, was er später einmal als Lebensaufgabe betrachten sollte, leuchtete dem Baron ein. Nur aus diesem Grunde sollte er einige Jahre auf der weit und breit berühmten Bildungsanstalt verweilen, was er aber vorzugsweise daselbst trieb, war dem fernen Landedelmanne höchst gleichgültig. Eins nur hatte er dem Sohne wiederholt streng anbefohlen, er sollte keine Schulden machen!

»Hast du nichts mehr, so melde dich!« lautete fast jeder Brief, den er an Adolar richtete, was viermal des Jahres zu geschehen pflegte, wenn nicht unvorhergesehene Vorfälle ihn öfters die Feder zu ergreifen zwangen.

Adolar befolgte diese Weisung des Vaters merkwürdig streng, weshalb er denn mit Geld jederzeit hinlänglich versehen war. Bis kurz vor Weihnachten hatten dem Baron jene Zettelchen des Sohnes, die eine Anweisung auf seine Geldkiste zu enthalten pflegten, den Humor nicht verdorben. Sie wurden ohne Widerrede angenommen und honorirt. Anfang Februar aber, als der Sohn schon wieder meldete, daß seine Börse bedenkliche Symptome der Auszehrung zu zeigen beginnen, fand er sich doch veranlaßt, sein Ausgabebuch nachzuschlagen und die Zahlen zu überfliegen, die hier als die Summe verzeichnet standen, welche er der geistigen Ausbildung seines Sohnes widmete.

Diese Einsicht zog dem Baron von Kaltenstein die Stirne etwas kraus. Zwar schlug er das Gesuch Adolar’s nicht ab, weil er sich sagen mußte, eine einfache Geldverweigerung könne sehr nachtheilige Folgen haben, aber er legte der verlangten Summe einen unfreundlich abgefaßten Brief bei, der über alles Erwarten lang gerieth.

Außer einigen derben Zurechtweisungen, welche dem jungen Verschwender galten, und der kategorischen Erklärung, daß vor Ablauf des Quartals kein Pfennig mehr nachgeliefert werde, enthielt dieser Brief eine Menge Klagen, wie Adolar sie von dem Vater noch nie vernommen hatte. Es war dem Baron nichts recht, und wenn er nicht an Hypochondrie litt, so mußte er wirklich sehr böse Erfahrungen gemacht haben und in äußerst unangenehme Affairen verwickelt worden sein. Da war von unerwartet angelangtem Besuche die Rede, der nur durch gebrachte Opfer wieder entfernt werden konnte. Dann drückten den Baron Sorgen anderer Art, von denen der Sohn gar keine Ahnung haben sollte. Am meisten Kummer aber, hieß es, mache ihm der Zustand des Försters Frei, der zwar wieder seine Stelle angetreten habe, allein sehr wenig umgänglich sei.

Adolar las dies ungnädige Schreiben nur oberflächlich und ohne große Aufmerksamkeit durch. Für ihn war die Hauptsache, daß der Vater seinem Verlangen entsprochen hatte. Was sonst daheim vorging, ob die Mutter dem Vater zu schaffen machte, ob dieser mit dem Försters schlimme Tage verleben müsse oder welche Fatalitäten ihm außerdem noch nahe träten, lag außerhalb seines Gesichtskreises. Wichtig für ihn waren dagegen die Worte, die von seinem starken Geldverbrauch sprachen, und diese zog er sich auch nur zu Gemüthe.

»Verdammte Geschichte!« rief er aus, den väterlichen Brief zusammenknitternd und ihn in ein Fach seines Sekretärs werfend. »Wenn er sich selber Wort hält, sitze ich in der Patsche! ... Die andern Kerls brauchen zu viel und doch kann ich sie nicht im Stiche lassen ... Der Comment schon erlaubt es nicht, wenn auch die Sache sich auf andere Weise unterstützen ließ! ... Der Fürst Bulabicki ist auch gar zu amusant; er versteht es, wie keiner, mit seinem Johanniskopf Eroberungen für Herz und Vaterland zu machen, und wenn sein famoser Schnurrbart noch drei Zoll weiter auf jeder Seite von seinem blühenden Gesicht abstände, ich glaube, die Zahl der schönen Mädchen und jungen Frauen, die für diesen Adonis aus den volhynischen Wäldern schwärmen, würde sich um noch einige vermehren! Und endlich ist er ein entfernter Verwandter der heldenmüthigen schönen Gräfin, die in Muth und Tapferkeit es den meisten gleich und manchem vielleicht zuvorthut. Ein so wackerer Cavalier, ein so göttlicher Lebemann und unermüdlicher Jäger, Fechter, Reiter und Spieler darf auch momentan nie aufs Trockene gerathen, selbst dann nicht, wenn Polen doch verloren wäre, ein Gedanke, der mir bisweilen gerade in unsern lustigsten Augenblicken schmerzhaft durch den Kopf fährt.«

Adolar warf sich nachlässig aufs Sofa, das am untern Ende durch die Sporen des jungen Mannes einige stark schadhaft gewordene Stellen aufzuweisen hatte. Sein großer, weißer Pudel Ophelia, der dies für eine Aufforderung hielt, theilzunehmen an dem Nichtsthun seines Herrn, sprang sogleich über die Lehne und machte es sich auf der andern Hälfte bequem. Da Adolar aber nicht in der Stimmung war, dem Thiere zu schmeicheln, zauste er es an den Ohren, daß es laut aufjaulend seinen Platz unter dem Sofa wieder aufsuchte.

»Bulabicki läßt heute lange auf sich warten,« fuhr der junge Kaltenstein fort. »Schade, jammerschade! Die Schlittenbahn bis Dornbach muß köstlich sein; von da zum Oberförster haben wir noch eine kleine halbe Stunde, und der alte gemüthliche Herr hat es mir letzthin zugesagt, daß die ausgelassensten Gäste und die besten Schützen ihm die liebsten sein sollten. Wir kommen zu spät und haben höchstens noch den Abhub der Freude mitzugenießen!«

Auf der breiten Steintreppe des Hauses, in welchem Adolar seine Wohnung aufgeschlagen hatte, ließen sich jetzt klirrende Tritte hören. Der Pudel horchte auf, streckte den Kopf unter dem Sofa hervor und knurrte. Nun läutete die Schelle auf dem Corridor, ein kaum merkliches Klopfen an der Thür ward vernehmbar und der Erwartete trat ein.

Es war ein schlank aufgeschossener junger Mann von etwa 28 Jahren, in der nationalpolnischen, reich mit feinem Pelzwerk verbrämten Kurtka, dem die karmoisinrothe Conföderatka auf dem vollen lockigen blonden Haar, das ungekürzt um beide Wangen fächelte, ein auffallend ideales Ansehen verlieh, ohne den geistig belebten Ausdruck seiner Züge durch zu große Weichheit zu verwischen. Nur der ungewöhnlich starke und große Schnurrbart, auf dessen Besitz der junge Pole stolz zu schein schien und den er mit außergewöhnlicher Sorgfalt pflegte, gab ihm etwas Wildes und Uneuropäisches. Einen unabhängigen Fürsten der Steppe mochte man sich wohl so vorstellen können, in den eleganten Salons civilisirter Städtebewohner des zahmen, maßhaltenden Deutschland dagegen mußte eine solche Gestalt entweder Schrecken erregen oder durch ihre Fremdartigkeit alle bezaubern.

Fürst Bulabicki trug feingearbeitete fest an die Waden anschließende Stiefeln von hellgelbem Leder, die ebenfalls mit theuerm Pelzwerk eingefaßt waren. Schwere goldene Sporen blitzten an den Absätzen seiner mädchenhaft kleinen Füße, und höchst wahrscheinlich würde auch ein krummer Säbel in reicher, vielleicht mit Edelsteinen geschmückter Scheide nicht gefehlt haben, hätte die Polizei das Tragen einer solchen Waffe dem ohnehin schon nur zu auffallenden Sarmaten gestattet.

Adolar empfing den jungen Polen mit vertraulichem Gruße.

»Du kommst spät,« sagte er, »das Vergnügen wird für uns kaum ein halbes werden.«

Der Fürst warf seine Conföderatka auf den ersten besten Stuhl, zerrte den liebkosend an ihm emporspringenden Pudel bei den Ohren, was ebenfalls eine Liebkosung bedeuten sollte, und erwiderte lachend:

»Lassen wir heute den besprochenen Besuch! Mir ist was Besseres eingefallen, das uns mehr Spaß machen wird. Der Maskenball –«

»Im Volksgarten?« fiel Adolar ein.

»Ich glaube, so heißt der Ort.«

»Lebhaft wird es da freilich zugehen, allein –«

»Nun, quälen dich Bedenken?«

»Es gibt da wenig oder gar keine Noblesse, Freund!«

»Um so besser!« sagte Bulabicki. »Leute in unsern Jahren amusiren sich auf Maskenbällen, wo sich das Volk versammelt, ungleich besser als auf solchen, zu denen man vierzehn Tage vorher durch besonders lithographirte Karten förmlich eingeladen wird. Ich habe nun einmal Lust, heute ein wenig toll zu sein, wenn du willst, mich auf heimatliche Manier zu vergnügen. Ich bedarf einer Zerstreuung, denn – ich will es dir offen gestehen

– die neuesten Nachrichten von meinen Freunden lauten nicht gut. Mein Aufenthalt hier geht zu Ende, fürcht’ ich, weil ich unserer Sache schwerlich noch etwas nützen kann. Die angeknüpften Unterhandlungen zerschlagen sich, man überläßt uns uns selbst, das heißt der Vernichtung.«

»Welche unzeitige melancholische Betrachtungen!« rief Adolar aus.

»Du magst recht haben, sie melancholisch zu nennen,« fuhr der Fürst fort, »unzeitig aber dürften sie nicht sein. Paskewitsch, der Eroberer von Eriman ist der glücklichste Feldherr der Russen, zugleich der ehrgeizigste aller Generale, hat den Oberbefehl unserer Gegner übernommen. Was das bedeuten will, verheimlicht sich kein Pole. Aber eben, weil uns trübe Tage bevorstehen, will ich vorher den Becher der Lust noch in langen Zügen ausschlürfen, mich müde rasen im Genusse und dann die noch heiß klopfende Brust in wilder bacchantischer Begeisterung dem erbarmungslosen Feinde entgegen werfen!«

»Tröste dich mit mir, Freund und Bruder,« versetzte Adolar. »Du quälst dich um Dinge, die dich als Person doch im Grunde nicht berühren können, denn gesetzt auch, das Glück der Waffen wendet euch den Rücken, dich selbst als Fürst kann der Feind nicht zu einer ernstlichen Verantwortung stehen.«

»Du bist kein Pole,« sagte Bulabicki kühl, »mithin verstehst du meine Gefühle nicht. Ueber diesen Punkt werden wir immer und ewig abweichend denken; darum ist es besser, wir sprechen überhaupt gar nicht darüber. Die kurze Zeit, welche ich noch hier zu verleben habe, will ich auch nur genießender Mensch sein und mein Vaterland und dessen Geschick im Genusse vergessen. Vielleicht heißt es, wenn ich mich müde fühle: àpres nous le déluge! Wer diese Flut nicht erlebt, mag sich glücklich preisen! Aber wie steht’s mit deinen Finanzen?«

»Vortrefflich!« erwiderte Adolar, indem er dem Freunde eine Anweisung seines Vaters zu ansehnlichem Betrage zeigte, ihm zugleich aber auch dessen Brief reichte. »Die Silberlinge sind leider von Worten begleitet, die sich eigentlich nur in Champagner würdig ersäufen lassen,« setzte er hinzu. »Da lies die Litanei und singe dazu. Kyrie eleison! Es ist ein Meisterstück, das meinem Alten verdammt viel Zeit und nicht wenig Kopfzerbrechen gekostet haben mag.«

»Stehen keine Geheimnisse darin?« fragte Bulabicki.

»Keine, die ich dir zu verbergen hätte.«

Während der Fürst den Brief des Barons durchlas, beschäftigte sich Adolar mit seinem gelehrigen Pudel, den er allerhand Kunststücke machen ließ. »Nun, wie gefällt dir diese Melodie?« fragte er lachend, als der Pole ihm das zerknitterte Schreiben zurückgab. »Ist’s nicht wirklich eine Moral, die man auf Noten setzen, und zu Nutz und Frommen aller flotten Burschen vor jeder studentischen Kneipe von Bänkelsängern ableiern lassen müßte?«

Der Pole schien den Brief doch etwas ernster aufzufassen.

»Ich habe zwar nicht die Ehre, deinen Herrn Vater zu kennen,« gab er zur Antwort, »aber es kommt mir vor, als werde er von recht schweren Sorgen umlagert. Da wird ja einer unheimlichen Mordthat Erwähnung gethan, die, wie der Herr Baron sich ausdrückt, ihm noch in den Gliedern liegt. Ferner spricht dein Vater von stattgehabtem Mädchenraub, wodurch ein Förster – sein ehedem liebster Freund –, heißt es in dem Schreiben – nahe daran sei, den Verstand zu verlieren, und endlich beschuldigt er deine eigene Mutter der Mitwissenschaft bei diesem Raube. Erlaube mir, Freund, eine einzige Bemerkung zu diesem allen. Wenn die Dinge so liegen, wie der Brief sie nur andeutet, so kann das deinem Vater allerdings Kopfweh verursachen, denn zwischen den Zeilen wird jeder Jurist, wenn er nicht ganz auf den Kopf gefallen ist oder absichtlich blind sein will, die Motive zu einer im Hintergrunde lauernden, seinem Hause drohenden Criminaluntersuchung herausklauben.«

»Das wäre der Teufels,« rief Adolar, den Brief jetzt noch einmal mit Aufmerksamkeit durchlesend.

»Findest du nicht?« fragte der Fürst, als dieser die Lectüre endigte.

»Die Geschichte ist dumm, sehr dumm,« erwiderte der junge Kaltenstein, »aber sie sieht der Frau Baronin ganz ähnlich.«

»Hattest du früher schon Kenntniß davon?« fragte Bulabicki weiter. »Die mir völlig unverständliche Angelegenheit scheint schon einige Monate zu spielen. Was hat es denn für eine Bewandtniß mit diesem Förster und mit dessen Tochter, die deine Mutter ohne Wissen und Willen selbst deines Vaters verschwinden läßt?«

»Vorerst mußt du wissen,« versetzte Adolar, »daß meine Mutter nicht meine Mutter und mein Vater auch nicht mein rechter Vater ist. Baron und Baronin haben mich als ihr eigenes Kind angenommen und mich adoptirt. Mein Vater war ein Cousin der Frau Baronin und hieß Geldern.«

»Geldern?« wiederholte Bulabicki.

»Kennst du vielleicht die Familie?« fragte mit schlauem Gesichtsausdrucke, dem sich ein frivoler Zug um den Mund beimischte, Adolar. »Meine sehr vornehme, sehr stolze und exclusive Frau Mama gehört diesem respectabeln Geschlechte ebenfalls an. Es hat sehr, sehr viele Seitenzweige und verbreitet sich über eine Menge Länder und Völker.«

»In der That?«

»Auf Ehre! Die gelehrtesten Forscher würden unendlich viel zu thun haben, wollten Sie alle Seitenlinien des Geschlechts meiner jetzigen respectabeln Frau Mama auf ihren wahren Ursprung zurückführen.«

Bulabicki verstand den jungen Baron offenbar nicht ganz, da ihm aber mehr daran gelegen war, über den Mädchenraub etwas von seinem Freunde zu erfahren, so forschte er nicht weiter, sondern wiederholte seine vorige Frage.

»Ueber die Entführung dieser Nymphe, die unter uns gesagt eine seltene Schönheit ist,« nahm Adolar das Wort, »bin ich meiner Frau Mama, wie ich die Baronin, seit ich denken kann, zu nennen mich gewöhnt habe, von Grund meines Herzens böse. Hildegarde war meine Gespielin; wir wuchsen in fröhlicher Wildheit zusammen auf und ich habe sie, solange ich auf Kaltenstein lebte, stets wie eine Schwester behandelt. Im vergangenen Sommer erst sah ich sie wieder und zwar bei der Beerdigung ihrer Mutter, die ebenfalls eine schöne, gebildete Dame von guter Familie und die intimste Freundin der Baronin war. Kein Mädchen hat mich je so gefesselt, wie die trauernde Hildegarde, die zur Jungfrau erblüht, nach jahrelanger Abwesenheit plötzlich wieder vor mir stand! Welche Augen hatte das Försterkind bekommen! Welche Sehnsucht, welche Glut, welche entzückend holde Mädchenhaftigkeit verbarg sich in diesen mit Thränengewölk umflorten Sternen! – Ich verschlang sie fast mit meinen Blicken, und sie fühlte, was sich in mir regte; denn ein köstliches Erröthen färbte ihre vollen zarten Wangen. Seitdem schwärmte ich für die Schöne, und was mir die Wirklichkeit nicht gewährte, schenkte mir zuweilen der Gott des Traums. Eines solchen Traums gedenke ich noch heute mit Lust. Er führte mich in den Park von Kaltenstein, wo unter Platanen ziemlich versteckt ein schöner stiller Weiher liegt. An diesen freundlichen Teich entrückte mich der Traum, und hier sah ich, auf blendender Muschel ruhend, die Tochter des Försters, nicht aber in Trauergewandung, sondern im Costüm der Leda, wie sie mit dem Schwane sich schnäbelt. Ich war Thor genug, mein Traumgesicht auszuplaudern, und meine sehr wohlanständige Frau Mama, die nichts höher schätzt als Tugend und Moral, entsetzte sich über die heidnische Sündhaftigkeit meiner Gedanken dergestalt, daß sie mich, was sie vortrefflich einzuleiten verstand, sehr bald aus ihrer ungnädigen Nähe verbannte. So ging mir denn der fernere Anblick Hildegardens verloren. Indeß habe ich mich als Philosoph getröstet und mich dadurch zu entschädigen gesucht, daß ich mich der Welt in die Arme warf, den schönen Spruch des Mephistopheles befolgend, in lustiger Gesellschaft die Kunst zu lernen, wie leicht sich’s leben läßt. Was später auf Kaltenstein und im Försterhause vorgekommen sein mag, ist mir bis jetzt nicht völlig bekannt geworden. Ich weiß nur, daß Hildegarde aus dem Hause kam, und zwar gegen den Willen der Baronin, daß dadurch eine Verstimmung zwischen meiner Mama und dem Förster entstand, die auch der Vermittelung meines Vaters nicht weichen wollte. Plötzlich hieß es, Hildegarde sei verschwunden, entführt! Der Verdacht fiel auf die Baronin, die zwar hartnäckig leugnete, sich jedoch nicht völlig von dem auf ihr ruhenden Verdachte reinigen konnte. Wahrscheinlich hätte dies Verschwinden des jungen Mädchens unangenehmere Folgen für die Baronin gehabt, wäre nicht ein viel schwerer wiegendes Ereigniß dazwischen oder, wie viele annehmen, mit Hildegardens Entführung zusammengefallen. Es war dies der Mord eines verrufenen Mannes, eines berüchtigten Diebes und Wildschützen, mit welchem Förster Frei in Verbindung stand, der mit einer Kugel des Försters hinterrücks an einem Kreuzwege mitten im Walde erschossen gefunden ward. Mehrere andere Umstände verdächtigten den Förster dergestalt, daß er verhaftet und in Untersuchung genommen werden mußte. Während derselben wurde sogar der Baron, ja ich selbst vor Gericht geladen, um einige Fragen zu beantworten. Daß wir beide mit Ehren bestanden haben, brauche ich wohl kaum anzuführen. Nach mehrwöchentlicher Untersuchungshaft des Försters traten unerwartet abermals Umstände ein, welche plötzlich dessen völlige Unschuld ans Licht brachten oder gebracht haben sollen, ohne daß jedoch der wirkliche Thäter dadurch ermittelt wurde. Der Förster erhielt seine Freiheit, nicht aber sein verschwundenes Kind wieder, und ich vermuthe nun, daß die hartnäckige Weigerung der Baronin, den Versteck Hildegardens zu nennen, den sie persönlich zu kennen seit kurzem nicht mehr in Abrede stellt, neuerdings ernste Drohwolken über den alten Giebeln von Schloß Kaltenstein zusammenzieht.«

»Sonderbar!« sagte Bulabicki. »Aber in gewisser Beziehung macht mir deine Mittheilung Vergnügen. Sie lehrt mich, daß auch in euerm gepriesenen humanen Deutschland, das man namentlich uns Slawen so gern als einen Musterstaat hinstellen möchte, doch bisweilen Dinge geschehen können, die sich weit besser in unsern endlosen Wäldern unter halbgebildeten Schlachtizen und moralisch verwilderten Bauern und Schenkjuden ausnehmen. Also Mord, Entführung können sich ereignen und dennoch hat das Gesetz keine Gewalt über diejenigen, die ihre Hand im Spiele haben, oder es besitzt nicht die Mittel, um kräftig einschreiten zu können. Ich bedauere nur, daß dir in der auf so seltsame Weise Entführten, wie es scheint, eine Flamme entrückt worden ist, an der du dir wohlthuend die allzu rasch gewachsenen Schwungfedern verbrannt haben würdest. Doch, lassen wir alles Grübeln sein! Heute und die nächsten Tage noch wollen wir nur der Gegenwart leben. Dann muß der nächste Kurier aus Warschau eintreffen, von dem ich erfahren werde, ob ich direct zurückkehren oder weiter nach Westen ziehen soll, um die dorthin entsendeten Emissare abzurufen oder ihnen weitere Instruction zu überbringen.«

»Es sei!« sprach Adolar, dem Freunde die Hand reichend. »Ich will mich deiner Führung überlassen, will, wenn du es wünschest, da du ja doch die Stelle eines Verführers mit vertrittst, dein Diener und Knecht sein. Hast du für Masken schon Sorge getragen?«

»Ich sah und prüfte,« erwiderte Bulabicki, »da ich aber nicht wußte, wie du beschlagen seist – meine eigenen Mittel fangen nämlich zur Zeit an, stark auf die Neige zu gehen – so wagte ich kein Angebot zu machen. Laß uns jetzt das Passende für uns auswählen, und vergiß dabei nicht, daß ich es vor allem auf Genuß abgesehen habe.

Lustig, wild, ja wenn es sein muß, kannibalisch will ich leben, wenn ich nur das Schlangenhaupt der Gorgo, das mir so oft sein entsetzliches Antlitz zeigt, im Lächeln eines Mädchengesichts vergessen kann, das mir willig die lebenswarme Lippe darreicht!«

Adolar legte den Arm um den Nacken des Sarmaten.

»Der Herr soll seinen Diener loben!« sprach er. »Ich müßte meine fünf Semester schlecht benutzt haben, wüßte ich nicht, wo die Blumen wachsen, die uns die kalte Winternacht in das Paradies der Moslem verwandeln sollen!«

Beide Freunde verließen Arm in Arm das Haus.


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