Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

ZWEITES KAPITEL.

EIN GEBEUGTER MANN.

Als der Förster die Baronin erblickte, schritt er auf sie zu, reichte ihr die Hand und sprach:

»Nehmen Sie den aufrichtigsten Dank eines tiefgebeugten Mannes, Frau Baronin, für Ihre liebevolle Theilnahme!«

Dann trat er rasch an das Bett der Verstorbenen, betrachtete geraume Zeit die Züge Corneliens und brach endlich, vom Schmerze überwältigt, in die Worte aus:

»Vergib mir, du Selige, und sei mein Fürsprecher in jener Welt!«

Ein paar Thränen rieselten über die gefurchten Wangen des erschütterten Mannes, der nun erst am Lager niederkniete, die Hand der Todten erfaßte und sie wiederholt an seine Lippen drückte.

Schweigend sahen dieser Scene Hildegarde, die Baronin und Kathrine zu. Letztere war, als fürchte sie sich vor der Verstorbenen, mit Lampe und Schlüssel an der Thür stehen geblieben, ohne äußerlich irgendwelche Theilnahme zu zeigen. Ihr von den Pocken furchtbar zerrissenes Gesicht hatte etwas Dämonisches, obwohl es nicht gerade häßlich zu nennen war. Nur die funkelnden grauen Augen der langen, hagern Person glitten unruhig von einem Gegenstande zum andern, ruhten aber am häufigsten feindselig auf der vornehmen Gestalt der Baronin, welche die jugendliche Hildegarde wie schirmend mit ihrem linken Arm umschlungen hielt.

Förster Frei erhob sich wieder und trat jetzt von dem Sterbelager seiner Frau zurück, um sich der Baronin zu nähern. Es schien, als bemerke er Hildegarde gar nicht.

»Hatte die Selige lange zu kämpfen, ehe sie verschied?« fragte er die Beschützerin seiner Tochter, den Hut auf die Lehne eines der alten Stühle stülpend, die längs der Wände standen, und seine lange, knochige Gestalt unter lautem Seufzen darauf niederlassend. »Es schmerzt mich unendlich, daß es so hat kommen müssen, und ich fühle es jetzt schon, die frohen Stunden meines fernem Lebens werden von heute an gezählt sein. Kathrine, bring’ mir ein Glas Wein! Ich bin matt und müde zum Umsinken!«

Kathrine entfernte sich, um das Verlangte zu holen. Ebenso rasch sprang der Förster auf und trat wie verwandelt zur Baronin. –

»Vergebung, gnädige Frau!« sprach er. »Ich konnte in Gegenwart meiner Schwester kein Wort mehr über die Lippen bringen. – Verlangte Cornelie nach mir? Schied sie in Unmuth?«

»Förster Frei,« versetzte die Baronin, »Sie haben sich vielfach gegen meine Freundin vergangen. Still! Ich weiß, was Sie sagen wollen, und ich bin weit entfernt, Sie anzuklagen oder Ihnen jetzt, nun sich doch nichts mehr ändern läßt, Vorwürfe zu machen. Ihre Gattin besaß ein edles Gemüth, ein Herz, das lieber duldete und litt, als andern unrecht that. Sie hat Ihnen jederzeit volle Gerechtigkeit widerfahren lassen. Auch im Tode noch gedachte sie Ihrer mit Liebe und Zärtlichkeit. Daß ihren brechenden Augen Thränen entquollen, weil sie in den letzten Augenblicken ihres Lebens den Gatten und Vater vermißte, war ihr doch wohl zu verzeihen.«

»Ich bin ein Unmensch!« rief der Förster aufgeregt und schlug beide Hände über sein Gesicht.

»Das sind Sie nicht, Förster Frei, Sie verkennen sich nur selbst, weil Unwürdige mehr Gewalt über Sie haben, als zu wünschen ist,« versetzte die Baronin. »Ihre unvergeßliche Frau hat mir, weil sie überzeugt war, daß mit ihrem Tode vieles in diesem Hause anders werden könne, aufgetragen, Ihnen eine Bitte, die letzte Bitte einer Sterbenden ans Herz zu legen.«

»Sprechen Sie, gnädige Frau, und ich schwöre Ihnen zu bei allem, was mir heilig ist –«

»Keinen Schwur, Förster Frei!« fiel die Baronin ein. »Sie sollen zu nichts überredet oder gezwungen werden, ein freier Entschluß allein soll Ihr Führer sein! Auch möchte mir das, was Ihnen heilig ist, ebenso wenig dafür gelten, wie Ihrer verstorbenen Frau.«

Ein sonderbarer Blick des Försters traf bei dieser Bemerkung das Auge der Baronin. Diese legte jedoch kein Gewicht darauf, sondern fuhr fort:

»Es war der Wunsch Corneliens, daß Sie von jetzt an mehr denn früher sich Ihrer einzigen Tochter annehmen möchten! Hildegarde ist gut, sie liebt Sie, sie bittet vereint mit ihrer seligen Mutter: seien Sie von jetzt an ihr im vollsten Sinne des Wortes Vater, Beschützer, Erzieher!«

»Erzieher!« wiederholte Frei. »Und auf dem Todbette wünschte dies Cornelie?«

»Hildegarde hat es mit eigenen Ohren gehört.«

Der Förster ging mit großen Schritten durchs Zimmer und blieb dann vor seiner Tochter stehen, an die er bisher noch kein einziges Wort gerichtet hatte.

»Ist es auch dein Wunsch, Hildegarde,« sprach er bewegt, »daß ich für deine fernere Erziehung Sorge tragen soll?«

»Ich habe keinen andern Wunsch als den meiner verstorbenen Mutter,« versetzte mit zitternder Stimme das junge Mädchen.

Der Förster seufzte und machte abermals einen Gang durchs Zimmer.

»Sie scheinen sich nicht zu freuen über diesen Wunsch Ihrer seligen Frau,« sagte die Baronin beunruhigt.

»Freuen?« versetzte der Förster. »Wie soll ich mich über den Auftrag einer Sterbenden freuen, der im vollsten Widerspruche steht mit allem, was sie während ihres Lebens that? Duldete denn etwa Cornelie, daß ich mich der Erziehung meines Kindes annehmen durfte? – Nie, nie wollte sie dies zugeben, und daher, gnädige Frau Baronin, daher schrieb sich die Verstimmung, die uns so oft einander entfremdete; daher rührte der Zwiespalt in meinem Hause!«

»Sie werden heftig, Förster Frei, und in Ihrer Heftigkeit ungerecht,« versetzte die Baronin. »Der wahre Grund Ihrer Verstimmung wie des Zwiespaltes in Ihrem Hause lag ganz wo anders.«

»Gnädige Frau Baronin meinen, meine Schwester sei schuld daran gewesen?«

»Sie wissen das sehr genau, Förster Frei.«

»In die Erziehung Hildegardens wenigstens hatte Kathrine nicht zu reden,« erwiderte der Fürst. »Ueberhaupt besitzt meine Schwester nicht einen solchen Einfluß, wie die gnädige Frau anzunehmen scheinen. Kathrine ist wenig mehr als meine Haushälterin, und ich glaube beinahe, daß ich ihr deshalb zu Dank verpflichtet bin. Cornelie war brav, grundbrav, eine liebevolle Gattin, eine fast zu zärtliche Mutter, den Haushalt aber pflegte sie gern andern zu überlassen.«

»Wir wollen das nicht weiter untersuchen, Förster Frei,« versetzte die Baronin. »Die Erziehung eines jungen, noch ganz unerfahrenen Mädchens ist jedenfalls von größerer Wichtigkeit als die Führung eines einfachen Hausstandes. Sollte man aber keine andere Wahl haben als zwischen dem einen und dem andern, so kann die Entscheidung doch wohl nicht schwer fallen.«

Der Förster stellte sich hoch aufgerichtet vor die Baronin. Er war ein Mann von übergewöhnlicher Größe, was man jedoch, da er gern stark gebückt ging, nicht immer bemerkte. Seinen Arm sanft um den Nacken Hildegardens legend, gab er zur Antwort:

»Um den letzten Wunsch eines Herzens zu erfüllen, das ich stets mit Liebe umfangen und wenigstens absichtlich nie gekränkt habe, will ich von jetzt an die Erziehung meiner Tochter nach bestem Wissen und Gewissen überwachen. Nur muß ich mir dabei ausbedingen, daß kein anderer mir dreinredet! Wo ich handle, handle ich aus Ueberzeugung und nach Grundsätzen. Beide habe ich mir in einem bewegten Leben zu eigen gemacht, und deshalb lasse ich mich durch Einreden anderer nicht leicht beirren. Sie werden also einsehen, daß auch Sie, gnädige Frau Baronin, unter Umständen mein Wort für maßgebend und entscheidend in Bezug auf meine Tochter werden erachten müssen.«

»Was hoffentlich kein Hinderniß sein wird,« fiel die Baronin ein, »daß ich ebenfalls unter Umständen nach Corneliens Wunsche Mutterstelle bei Hildegarde vertrete.«

»Sie ist die Tochter eines einfachen Jägersmannes,« sagte der Förster mit Nachdruck. »Ich habe ihr nichts mitzugeben fürs Leben als einen ehrlichen Namen. Güter dieser Welt besaß ich nie, werde sie wohl auch niemals besitzen. Für vornehme, elegante Cirkel also, für ein Leben in Lust und Glanz kann und soll mein Kind durch mich nicht erzogen werden.«

»Man könnte glauben, Sie wären der Meinung, Ihre selige Frau hätte gerade darauf besondern Werth in ihrer Erziehungsmethode gelegt,« warf die Baronin etwas kühl ein, »oder Sie hielten dafür, ich könnte mich wohl veranlaßt fühlen, meiner kleinen Schützlingin für dergleichen Annehmlichkeiten die Augen zu öffnen.«

»Ich erlaubte mir nur, als Vater, der sich eben bereit erklärt hat, die Erziehung seines Kindes aus der Hand einer Sterbenden zu übernehmen, meine Meinung über Erziehung überhaupt auszusprechen,« erwiderte der Förster. »Sie wissen jetzt, wie ich davon denke und was mich zwingt, so zu denken. Wir wollen nun sehen, inwiefern Sie, gnädige Frau, inskünftige mir beipflichten werden. Kathrine – das darf ich Ihnen versprechen – soll über Hildegarde keine Gewalt bekommen. Sie wird aber bei mir bleiben und haushalten. Je länger dies geschieht, desto weniger wird die Erziehung Hildegardens dadurch gestört.«

Die Baronin wollte noch einiges erwidern, die Rückkunft Kathrinens aber, die aus eigenem Antriebe ein paar Gläser Glühwein bereitet hatte, ließ sie schweigen.

»Nimm, Bruder, und trinke gelassen,« sprach die Schwester des Försters. »Es wird dir gutthun nach so vielen Strapazen und Aufregungen.«

Sie reichte ihrem Bruder ein volles Glas des heißen, würzigen Getränks. Dann erst präsentirte sie der Baronin das verbogene Theebret mit dem zweiten kleinern Glase.

»Ist’s gefällig, meine Gnädige?« sagte sie mit ihrer scharfen, harten Stimme. »Der Wein ist gut und auch bezahlt, und vergiftet ward er nicht, weder durch Worte noch durch Blicke. Ich würde es mir zur besondern Ehre schützen, wenn die gnädige Frau Baronin sich an meinem sorgsam bereiteten Getränke erlaben und die Einwirkung der kühlen Nachtluft dadurch abschwächen wollten.«

Kathrine machte einen steifen Knicks, die Baronin aber ergriff das dargereichte Glas, benetzte die Lippen mit dem Weine und sagte:

»Ihr Wohl, Mademoiselle Frei! Dieser Wunsch kommt mir so tief aus dem Herzen, wie Sie mir diesen Labetrunk gern reichen!«

Des Försters Schwester antwortete durch eine abermalige, womöglich noch steifere Verbeugung und kehrte dann augenblicklich der Baronin den Rücken.

Aus der Entfernung hörte man das Rollen eines Wagens, der sich schnell näherte.

»Ich werde abgeholt, Förster Frei,« sprach die Baronin, noch einmal bescheiden von dem Glühwein nippend. »Möge der Himmel Ihnen Trost und Ruhe schenken und Sie den Verlust als wahrer Christ in Geduld und Demuth ertragen lassen. Bedürfen Sie eines freundschaftlichen Rathes, so wissen Sie, daß meine Thür jedem Hülfsbedürftigen stets offen steht.«

Wenige Minuten später verließ die Baronin, von dem Förster, dessen Tochter und Schwester bis an die Thür geleitet, das Haus, um zu Wagen auf ihr Rittergut zurückzukehren.

Das Gewitter war vorübergezogen, die Sterne blitzten am wolkenlosen Himmel, und aus dem nahen Forste wehte ein angenehmer Harzduft durch die laue Nacht.

Kathrine verschloß zweimal die Hausthür und steckte dann den Schlüssel in ihren Gürtel. Sie sprach nicht, ihre funkelnden Augen aber, die jetzt noch unheimlicher als gewöhnlich leuchteten, sagten ihrem sehr niedergeschlagenen Bruder, daß sie willens sei, in energischer Weise das Hausregiment zu führen, vielleicht sogar gewissen Persönlichkeiten fortan den Eintritt in die Försterei gar nicht mehr zu gestatten.


 << zurück weiter >>