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ZWEITES KAPITEL.

AUFSCHLÜSSE UND ANTRÄGE.

Nach dem Diner, das durch heitere Gespräche gewürzt ward, verabschiedeten sich die geistlichen Herren aus der Nachbarschaft sehr bald. Warnkauf ließ den Kaffee hinter der Dechanei in einer wohlgepflegten, von blühendem Geisblatt umrankten Laube des geräumigen Gartens serviren und sah sich bald mit seinem juristischen Freunde allein.

»Danken Sie Gott, daß Sie sich nicht haben verleiten lassen, den Verlockungen zu folgen, die Justinian anzuwenden pflegt, um sich ehrbegierige Anhänger zu verschaffen,« hob Liebner an. »Es hapert mit den Ehren, die er verheißt, schon längere Zeit, und wenn die Mediciner darüber Klage führen, daß sie Herr Galen unverantwortlich an der Nase herumführe, indem er der Mehrzahl statt Reichthümern nur Mühen und Lasten aufbürde, so können wir armen geplagten Juristen noch mit weit besserm Recht uns über das Ausbleiben der Ehren beschweren, die doch unser aller Erbtheil sein sollen. Ich habe eine Woche gehabt, an die ich denken werde! Besuche über Besuche, aber lauter unangenehme, vertrauliche Mittheilungen von der einen, halbverrückte von der andern Seite. Alle wollen recht und zugleich Hülfe haben, und wenn man nicht selbst zum Narren werden und halbwegs auch seine Pflicht thun will, so ist man genöthigt, gegen alle höflich zu bleiben, ja gerade zu jedem nach dem Munde zu sprechen. Ich sage Ihnen, lieber, hochwürdiger Freund, hätten Sie mich in voriger Woche besucht, für einen Pagoden würden Sie mich angesehen haben, so mechanisch wackelte mein Kopf bald links, bald rechts, bald vorwärts.«

»Bei alledem halte ich die Wirksamkeit eines gesuchten Juristen, der, wie Sie, einen bedeutenden Posten bekleidet, für äußerst lehrreich,« versetzte der Domdechant. »Schon das Vertrauen, das Ihnen Fremde schenken und schenken müssen, wenn sie Ihren Rath, Ihre Hülfe beanspruchen, läßt Sie Blicke in die verschiedensten Verhältnisse thun, die jedem andern gänzlich verborgen bleiben, und gerade das Kennenlernen der verwickeltsten Zustände, der sonderbarsten Schicksalsfügungen läßt den Juristen Schätze sammeln, die gar nicht zu taxiren sind.«

»Aber gerade diese Familienverhältnisse, diese Ehestandsmisèren, diese – wie Sie zu sagen belieben – Schicksalsfügungen machen einem Juristen von Gefühl Kopf und Herz so heiß, daß er bisweilen sich aus Ende der Welt flüchten möchte, um nur ja die ihm zuströmenden untaxirbaren Schätze von psychologischen Räthseln und menschenentwürdigenden Enthüllungen nicht mehr anschwellen zu sehen. Baron von Kaltenstein hat mich drei Tage lang förmlich belagert, und noch muß ich jede Stunde eines neuen Angriffs von ihm gewärtig sein; denn der Teufel ist’s, unter dessen Commando er steht.«

»Macht dem Herrn das Unwohlsein seiner Gemahlin so großes Herzeleid?« fragte Warnkauf. »Ich hielt ihn immer für einen ziemlich starknervigen Mann, der sich so leicht von nichts anfechten lasse. Auch habe ich nicht geglaubt, daß etwa Herzensangelegenheiten und was dahin gehört, ihm die Stimmung verderben könnten.«

Der Stiftssyndikus bewegte den Kopf, als wollte er sich selbst Beifall zunicken.

»Ja, ja, ja, so ist’s!« fuhr er zerstreut fort, die Bemerkung des Domdechanten nicht weiter beachtend.

»Komm der Mensch erst ins Stolpern, so bedarf’s nicht viel, um ihn vollends ganz zu Falle zu bringen! ... Und dann hat mich der Förster besessen und der junge Herr, der eigentlich auf Kaltenstein jetzt zu befehlen hat?«

»Der Sohn des Herrn Baron?«

»Nun ja, der junge Mann, der seine Studien vergangene Ostern absolvirte. Das ist einer von den Brauseköpfen, die alle Wände durchrennen wollen, ohne zuvor erst zu fragen, ob sie aus bloßem Lehm zusammengekleistert sind, wie die Hütten unserer Lohnweber, oder aus Granitstein. Und ich sage Ihnen, verehrter Freund, solchen ungestümen Menschen Vernunft beizubringen, damit sie in der Hitze nicht lauter dummes Zeug machen, das ist ein Stück Arbeit, das nicht wenig Schweiß kostet! Und zuletzt kann man immer noch mit dem Römer seufzen müssen: Oleum et operam perdidi!«

»Wenn ich Ihre Andeutungen recht verstehe,« sprach Warnkauf, »so muß es zu Misverhältnissen zwischen Vater und Sohn gekommen sein, und nun beanspruchen beide Ihre Vermittelung.«

Der Stiftssyndikus ergriff die goldene Dose seines geistlichen Freundes und nahm sich eine Prise.

»Wir gehen unruhigen Zeiten entgegen,« erwiderte er, »nicht in Bezug auf die politischen Verhältnisse – denn um diese lasse ich mir zu denen, die ich schon habe, kein neues graues Haar mehr wachsen – sondern in Bezug auf unsere allernächste Umgebung. Was der Förster, mein Cousin, mir anvertraut, was Adolar von Kaltenstein mir unter furienartigem Augenverdrehen erzählt, was endlich der Baron mir vorgeklagt und vorgeflucht hat: das zu schlichten ohne Ach und Weh mag einem Gott möglich sein, ein Jurist kann es nicht, und wenn er alle Gesetze der Welt auswendig wüßte und in deren Auslegung so gewandt wäre wie die Jesuiten im Wortverdrehen! Pardon, Hochwürden! Ich mein’ es nicht schlimmer, als ich’s sage, und Sie sind ein Mann, der Gott und Menschen wohl gefallen muß.«

Warnkauf war weit entfernt, die Aeußerung des Stiftssyndikus, dessen Art und Weise er hinlänglich kannte, übel zu deuten. Er sagte auf die Auslassungen Liebner’s nur:

»Daß solche Verwirrungen auf Kaltenstein ausbrechen würden, hätte ich doch nicht für möglich gehalten. Wohl wollte mir manches nicht gefallen, auch bin ich immer der Meinung gewesen, daß vor des Barons im Auslande vollzogener Vermählung mancherlei stürmische Auftritte zwischen ihm und seiner Gattin vorgekommen sein mögen, ich glaubte aber, diese anfänglichen Trübungen ihrer Ehe, die mir die wahre Quelle der verleumderischens Gerüchte zu sein schienen, mit denen sich das Volk trug, hätte das Zusammenleben schon längst völlig beseitigt.«

»Künstlich geheilte Wunden fressen gern unter sich,« erwiderte der Stiftssyndikus, »bei den Herren von Kaltenstein gibt es aber solcher Wunden gar viele. Jetzt, wo sich das Alter bereits meldet, brechen sie auf, und nun möchte der zu Rathe gezogene Arzt Wunder thun. Was hielten Sie von meiner so schnell verstorbenen Cousine?«

Der Domdechant konnte die Mutter Hildegardens mit gutem Gewissen als eine Frau bezeichnen, welche nach ihrer Meinung nur Gutes gewollt habe. »Daß die brave Dame dennoch mit dem Förster nicht immer gut harmonirte, war nicht allein ihre Schuld,« setzte er hinzu. »Wo der Fehler lag, wissen wir ja beide.«

»So schien es und so glaubten wir,« sagte der Stiftssyndikus, »jetzt sind die Dinge ganz ohne unser Zuthun, wie die Glasstückchen in einem Kaleidoskop, in andere Beleuchtung gerückt worden, und nun stellen sie sich auch mir ganz anders dar. Die Baronin von Kaltenstein ist, wie ich genau weiß, die erste und eigentlich auch die alleinige Veranlassung zu der Entfremdung gewesen, die Cornelien so vieles Leid verursachte, Andreas von ihr entfernte und das unglückliche Kind beider vom Herzen des Vaters ablöste.«

»Das haben Sie erfahren und jetzt?« sprach Warnkauf erstaunt. »Wie kommen Sie zu dieser späten oder eigentlich verspäteten Entdeckung, die, hätte man sie früher gemacht, mehr als einer Person viel Herzeleid erspart haben würde.«

»Sie erinnern sich gewiß noch des Allerseelentages vom vorigen Jahre,« fuhr Liebner fort, »Hildegarde, die damals anscheinend zufrieden und heiter gestimmt hier bei Ihnen weilte, erwartete, wie Sie wissen, die Baronin. Das Nichterscheinen dieser Frau ließ das leidenschaftliche Mädchen jenen unbesonnenen Schritt thun, welcher alle spätern Verwickelungen, die sich jetzt über Kaltenstein zu einer blitzschwangern Wetterwolke zusammenballen, herbeiführte. Die Flucht Hildegardens aus diesem Asyl des Friedens fiel zusammen mit dem Tode des Kreuz-Matthes, den mein armer Cousin durchaus erschossen haben sollte.«

»Alle Welt weiß jetzt, daß der Förster unschuldig ist,« meinte Warnkauf.

»Eine Meinung, zu der ich hoffentlich mein bescheiden Theil mit beigetragen habe. Das Zeugniß des Einäugigen, seine Aussagen, die Beweise, welche er mir in die Hände lieferte, endlich der Hinweis auf den wirklichen Thäter, machten mir möglich, den unglücklichen Mann, der sein einziges Kind zugleich mit seiner bürgerlichen Ehre verlieren zusollen schien, zu retten und seine Ehre in integrum zu restituiren.«

»Man wunderte sich, daß Sie den so scharf gekennzeichneten Thäter nicht verfolgen ließen.«

»So? Wunderte man sich wirklich?«

»Es gab sogar einzelne, die sich schlechte Aeußerungen über dies Verfahren erlaubten!«

»Ach ja,« fiel giftig lachend der Stiftssyndikus ein, »die gedankenlose Canaille, die sich immer selbst für die Blüte der Menschheit hält, meinte, ich hätte mich bestechen oder von Rücksichten abhalten lassen. Haben Sie, hochwürdiger Herr, kein besseres Zutrauen zu mir?«

»Eine entschuldigende Antwort auf diese Frage würde für Sie eine Beleidigung sein,« sagte der Domdechant. »Für all Ihr Thun trau’ ich Ihnen immer gewichtige Gründe zu.«

»Die Geständnisse des einäugigen Jägers bezeichneten eine Person, aber keinen Namen. Eine Person ohne Namen läßt sich aber schwer greifen, zumal auf einem Terrain, über welches die Grenze läuft. Jetzt weiß ich vielleicht den Namen des nächtlichen Schützen, der mit von meinem Vetter und dem Einäugigen gegossenen Kugeln schoß.«

»Sie kennen den Namen und ... und ...«

»Ich kenne den Namen vielleicht, sage ich,« fiel der Stiftssyndikus wieder ein, »aber ich nenne ihn nicht, auch nicht Ihnen, mein hochwürdiger Freund.«

»Aber weshalb erschoß dieser Ungenannte den Kreuz-Matthes?«

»Das ist just das punctum saliens,« sprach Liebner, »und gerade deshalb habe ich mich heute gewissermaßen in Lebensgefahr begeben. Es ist ganz genau ermittelt, daß der Kreuz-Matthes schießen wollte; er mußte es aber wohl bleiben lassen, weil er zu früh selbst erschossen ward. Der andere dagegen, der Ungenannte, dessen Kugel dem schlechten Kerl das Lebenslicht ausblies, war sehr unschuldig an der Tödtung desselben.«

»Wenn er ihn erschoß?«

»Gewiß! Er hatte nicht die Absicht, den entsprungenen Wilddieb zu tödten, er ging auf ein ganz anderes, auf ein viel edleres Wild pirschen, und beide, den Kreuz-Matthes und den Ungenannten, hatte, daß ich es kurz mache, der Baron von Kaltenstein auf den Anstand geschickt!«

Die Hand des Domdechanten legte sich fest auf den Mund des Stiftssyndikus, da sich die Stimme Sabine’s an der nach dem Garten führenden Thür vernehmen ließ.

»Um Gottes willen, was sprechen Sie!« rief er, den maliciös lächelnden Juristen mit entsetzten Blicken messend.

»Nicht mehr und nicht weniger, als was ich verantworten kann,« versetzte Liebner gelassen, legte seine dünnen Beine übereinander und bediente sich abermals der Dose seines geistlichen Freundes. »Von dem Besuche auf Kaltenstein haben Sie doch gehört?« fuhr er fort. »Nun sehen Sie, in diesem Besuche lebt eine weissagende Stimme, ein Orakel, das wahrhaft in Erstaunen setzt. Der kränkliche, aber geistig noch immer ganz rege alte Herr erhebt Ansprüche auf die Herrschaft, die er selbst durch die Uebertragung derselben auf Adolar nicht aufzugeben gesonnen ist.«

»Ich hörte davon,« sagte Warnkauf. »Er soll mit der Frau Baronin ziemlich nahe verwandt sein.«

»Er ist ihr leiblicher Bruder, ganz gewiß – ich habe die Papiere gesehen!«

»Man hat mir mitgetheilt, er sei Militär und decorirt.«

»Ein Bändchen trägt er im Knopfloch und eine militärische Charge hat er wohl auch einmal bekleidet, beides aber verdankt er schwerlich seinen kriegerischen Verdiensten. Dennoch ist er in seiner Art ein ausgezeichneter Mann. Gegen mich wenigstens hat er sich nobel benommen, und deshalb bin ich entschlossen, auch für ihn etwas zu thun. Er erkennt dies an und hat mich mit einem Auftrage beehrt. Dieser Auftrag führt mich zu Ihnen.«

»Zu mir?« sagte Warnkauf, fast erschrocken. »Ein stockfremder Mann, der mich nicht kennt, der nie von mir gehört haben kann, beauftragt einen dritten mit einer Mittheilung für mich!«

»So ist es, hochwürdiger Freund, und ich muß bekennen, daß mir dieser Auftrag für den Mann, der sonst manchen schlimmen Fehler haben mag, Achtung abnöthigt. Geldern – so heißt er – hat eine Tochter aus wilder Ehe, ein Kind, das voller seltsamer Talente steckt, nichts gelernt hat und doch entsetzlich viel weiß. Dieses Kind muß, soll es nicht ganz verwildern und dem Vater auf seine späten Tage noch mehr Herzeleid bereiten, als es ihm bis jetzt Sorgen gemacht und durch seine barocken Einfälle mitunter ergötzt haben mag, nachträglich eine Erziehung erhalten. Verstehen Sie mich jetzt, Verehrtester?«

Warnkauf stand auf und lehnte sich auf den Sessel.

»Sie vergessen, was ich an Hildegarde, der angeblich vornehm erzogenen Hildegarde erlebte,« sprach er. »Ich bin kein Educationsrath, meine Schwester ist keine Gouvernante, und die zahmen Tauben, deren Beaufsichtigung mir obliegt, würden schwerlich gewinnen, wenn sich urplötzlich eine wilde zu ihnen gesellte. Stehen Sie also ab von Ihrem Plane, lieber Freund, und ermitteln Sie für das Mädchen, wenn es auf Kaltenstein nicht gut aufgehoben sein oder nicht geduldet werden sollte, einanders Unterkommen.«

Dem Stiftssyndikus traten die Thränen in die Augen.

»Sie denken zu bescheiden von sich und zu niedrig von Zerline Geldern,« sagte er gerührt. »Dem siechen Lieutenant außer Diensten, dem ein paar alte Wunden aufgebrochen sind oder sein sollen, habe ich versprochen, was ich Ihnen mittheilte, und Sie wissen, ein Versprechen, das meinerseits ernsthaft gemeint ist, pflege ich stets zu halten.«

»Sie wollen mir doch wohl nicht gegen meinen Willen eine fremde Person aufnöthigen, für die ich gar keine Verpflichtungen habe?«

»Warum nicht, Hochwürden, wenn man damit Gutes stiften, wenn man ein paar Seelen dadurch retten kann?«

Der Domdechant ward nachdenklich.

»Das Mädchen ist verwahrlost?« sagte er nach kurzem

Sinnen.«

»Nicht von der Natur, nur vom Leben.«

»Weiß sie um den Plan ihres Vaters?«

»Sie freut sich wie eine Pensionärin auf den ersten

Ball.«

»Und die Baronin?«

»Eine zärtliche Tante ist sie nicht.«

»Was aber soll denn aus dem Kinde werden?«

»Ein gebildetes, wohl erzogenes Mädchen,« sprach Liebner mit einem Ernst, der seines Eindrucks auf den Domdechanten nicht verfehlte. »Nach den Erfahrungen, die ich gemacht, nach der Einsicht, die ich in die Verhältnisse und die Vergangenheit der Familie Kaltenstein gewonnen habe, bin ich zu dem Entschlusse gekommen, als verschriener Jurist einmal so recht con amore den Menschenfreund, den Seelenretter, den Friedensapostel zu spielen! ... Das kommt Ihnen lächerlich, vielleicht gar närrisch vor, aber ich bleibe mir nichtsdestoweniger doch selbst treu. Was in Kaltenstein gefrevelt wurde, was durch des Barons und der Baronin Zuthun und Geschehenlassen dem Förster Frei Uebles zugefügt worden ist, was außerhalb der Försterei und des Schlosses an sündhaften Freveleien begangen, und später durch den blendenden Schimmer des Reichthums und schnöder Weltlust vor aller Augen verdeckt wurde: das alles ist mir jetzt kund und offenbar geworden. Ich müßte ein schlechter Mensch und ein dummer Jurist sein, wenn ich nach diesen Einblicken in moralisch furchtbar verwilderte Verhältnisse und entsetzensvolle Familientrübsale unthätig in meinem Lehnstuhle sitzen blieb. Es krähte kein Hahn danach, spräche ich: Geht, laßt mich in Ruhe! Ich mag weder von euern Schandthaten etwas wissen, noch euere Schmerzen, euere Gewissensbisse kennen lernen! Es würden’s gewiß viele thun an meiner Stelle, ich aber steife mich auf das Aparte, und darum bin ich hier! Sie aber haben mehr noch wie ich die Verpflichtung, Ihr Netz auszuwerfen, wenn auch der bischöfliche Fischerring Ihren priesterlichen Finger noch nicht schmückt. Lassen Sie uns gemeinschaftlich einen Zug thun! Wer weiß, ob es uns nicht gelingt, eine Anzahl Seelen zu retten, die schon lange nach Lebensluft schnappen. Ich meinestheils, der ich freilich ein sonderbarer Kauz bin, nebenbei aber auch eine Portion Eitelkeit und Ruhmsucht in mir beherberge, ich bilde mir ein, daß mein Vorhaben mir dereinst noch ein Monument einbringt. Was meinen Sie, theuerer Freund, müßten wir beide, in Stein gehauen, als Fischer dargestellt, uns nicht vortrefflich ausnehmen, und würden nicht alle Leute an unserm Grabe stehen bleiben und Thränen der Rührung vergießen über eine so seltene Freundschaft, die nur der gemeinsame Drang, dem Himmel Bewohner zuzuführen, zu schließen vermochte?«

Liebner konnte vor Rührung nicht weiter sprechen. Er hatte bei den letzten Worten die Hand des Domdechanten erfaßt, deren leiser Druck ihm sagte, daß der geistliche Herr seinem Vorschlage doch nicht mehr unbedingt abgeneigt sei.

Eben wollte Warnkauf dem gerührten Juristen antworten, da ward er durch das eilige Nahen seiner Schwester daran verhindert. Liebner trocknete sich schnell die Thränen, um einen Blick des Einverständnisses mit dem geistlichen Herrn zu wechseln.

Sabine war aufgeregt. Fast athemlos rief sie dem Bruder zu:

»Besuch! Besuch!«

»Nun wohl, ich komme,« sprach der Domdechant gemessen.

»Du entsetzest dich, wenn du ins Haus kommst!«

»Vor einem oder einigen Menschen?«

»Ich habe solch Gesicht noch nie gesehen!«

»Wer ist’s, der mich sprechen will?«

»Die alte ... die Tante ... die Schwester ...«

»Aber Sabine, so fasse dich doch!«

»Mamsell Frei!« sagte die Schwester des Domdechanten ganz erschöpft und ließ sich wie gebrochen auf den Stuhl gleiten, den ihr Bruder während der Unterredung mit dem Stiftssyndikus eingenommen hatte.

Liebner lächelte über die Bestürzung Sabine’s.

»Ich kenne die tapfere Jungfrau, die manchen Mann aus dem Sattel zu heben versteht,« sprach er. »Wenn Sie erlauben, gebe ich mir die Ehre, zugleich mit Ihnen die würdige Schwester meines Cousin zu begrüßen. Daß Kathrine Frei das Forsthaus verläßt, um einen stundenweiten Weg zu machen, hat etwas zu bedeuten.«

Der Domdechant forderte seine Schwester auf, sich ihm und seinem Gaste anzuschließen, Sabine aber verweigerte es, indem sie, noch immer nach Athem schnappend, erwiderte:

»Nachher! Nachher! Mir zittern alle Glieder!«


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