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SECHSTES BUCH.

ERSTES KAPITEL.

FESTLICHE VORBEREITUNGEN.

Es war starker Reif in der Nacht gefallen. Bei Sonnenaufgang blitzten Wiesen, Feld und Wald in dem funkelnden Schmucke, den ihnen der Winter bei erstem eiligen Vorüberwandeln zugeworfen hatte. Viele Landbewohner hielten diesen ersten Nachtfrost für einen Wink, vorsichtig und besonders nicht säumig zu sein. Ueberall zeigte sich eine große Geschäftigkeit vor den Thüren oder kleinen Hofräumen freiliegender Häuser. Hier wurde Stroh in Bündel zusammengebunden, dort trockenes Laub in Menge herbeigeschafft. Auch die gedörrten Stengel und Blätter der Kartoffel holten Verschiedene aus Schuppen und geschützten Plätzen herbei, um die Außenwände der aus Holzbohlen erbauten Häuser gegen die Einwirkung von Kälte und hohem Schnee fest damit zu umbauen. Das ganze Land war an diesem schönen, frischen Herbstmorgen, wie man es heißt, mit dem ›Versetzen‹ der Häuser beschäftigt.

Eine Ausnahme machten nur die Wohlhabendern, deren Häuser an sich schon fester gebaut waren und die deshalb eines künstlichen Schutzes nicht bedurften. Zu diesen nicht eben gerade sehr zahlreichen Wohnungen gehörte auch trotz seines Alters das am Waldsaume gelegene Forsthaus. Dennoch ging es hier nicht weniger lebhaft zu wie drüben im weitgestreckten Dorfe, wo heute alle Schornsteine bald dunkelblauen, bald schmuzig gelben Rauch in die glänzend helle Luft entsendeten, je nachdem die Bewohner trockenes Holz oder ein aus sehr verschiedenen Bestandtheilen zusammengetragenes Gemisch meist feuchter Gegenstände als Brennmaterial benützten.

Zu beiden Seiten des aus plumpen steinernen Säulen bestehenden Eingangsthors, die ein gewölbter Kragstein in Rundbogenform miteinander verband, welcher das ebenfalls in Stein gehauene Wappen der Barone von Kaltenstein, von Greifen gehalten, umschloß, lehnten zwei Leitern. Auf jeder derselben stand ein Jägerbursche, und beide mühten sich ab, eine außerordentlich dicke Guirlande von Eichenlaub über dem Thore zu befestigen. Ein paar mal glaubten sie schon am Ziele angelangt zu sein, immer aber mußten sie das fertige Werk ihrer Hände wieder einreißen. Denn Kathrine Frei stand, einen alten, mit sehr zerrissenem Marderpelz besetzten kleinen Mantel, den sie Schlappertuschel nannte, um ihre kantigen Schultern geschlagen und die Beine mit abgelegten Wasserstiefeln ihres Bruders bekleidet, um gegen den äußerst scharfen Morgenwind geschützt zu sein, vor dem Thore und musterte mit kritischem Auge das Schaffen der Jägerburschen.

Gewöhnt an Mäkeln und Schelten, und von der Ueberzeugung durchdrungen, daß sie unbedingt alles, was sie angreife, besser mache als andere Leute, hatte sie fortwährend zu tadeln. Bald hing der an sich entschieden geschmacklose Schmuck – Kathrine hatte die Guirlande ganz allein selbst gewunden und volle zwei Tage darüber zugebracht – zu niedrig, bald machte er über der Wölbung des Thors nicht die begehrte kühne Schwingung, die Kathrine für besonders malerisch erachtete, bald endlich war eins der zu beiden Seiten herabhängenden Enden länger als das andere.

Wie vorauszusehen, endigte die ganze Verzierungsarbeit mit einem lebhaften Wortwechsel, welcher die beiden Jägerburschen veranlaßte, die Guirlande in der ihr zuletzt gegebenen Lage zu lassen. Diese schandbare Widersetzlichkeit der groben Bengel, wie Kathrine die Davongehenden so laut nannte, daß sie den ihnen nachgerufenen Ehrentitel noch bequem mitnehmen konnten, führte die entschlossene Jungfrau selbst erst auf die eine, dann auf die andere Leiter, und wirklich rückte und zerrte sie so lange an dem Gewinde herum, bis es so ziemlich saß, wie sie es wünschte.

Zufrieden sich selbst Beifall zunickend, sagte sie:

»Das muß man kennen!« ging in den Hof, wo ein verdeckter Korb stand, entnahm diesem einige grüne und weiße Bänder, erstieg mit diesen noch einmal die Leitern, und brachte sie an den Enden der Guirlanden, zu Schleifen verschlungen, an.

»So!« sprach sie. »Jetzt ist’s eine Ehrenpforte, daß sich kein Potentat schämen dürfte, darunter durchzureiten. Ich thu’ es aber auch blos den andern Halunken zum Tort, weil ich doch meinen Willen zuletzt durchgesetzt habe!«

Den Korb mit noch einigen nicht verbrauchten Bandresten aufnehmend, zog sich Kathrine hierauf in das Forsthaus zurück. Sie rief die Magd und trug ihr auf, die beiden noch am Thorweg lehnenden Leitern abzunehmen und sie im Schuppen unterzubringen.

»Dem groben Mannsvolk mag ich nicht zum zweiten male ein gutes Wort geben,« setzte sie zur Entschuldigung, daß sie die Magd mit einer solchen Aufforderung behellige, hinzu.

Im Forsthause herrschte heute eine musterhafte Ordnung und Reinlichkeit. Es mußte Zeit und Mühe gekostet haben, alles in solchen Glanz zusetzen. Kathrine Frei ließ aber auch ihre Augen mit unverhohlenem Wohlgefallen von seinem Gegenstande zum andern gleiten, um zuletzt wie der Weltschöpfer sich zurufen zu können: es ist alles sehr gut!

Nach den vielen Anordnungen sich endlich einige Zeit ausruhend, verlor Kathrine bedeutend an Frische und Munterkeit. Sobald die gern rastlos Thätige nicht arbeitete, machten sich die Spuren der Jahre und die Folgen langer, im verborgenen getragener Sorgen gar sehr bemerkbar. Ihr Auge umschleierte sich, das so arg von den Pocken zerrissene Gesicht, grau und schlaff, legte sich um die Backenknochen in hohle Falten. Mit ihrem Haar hatte Kathrine nie Staat machen können, obwohl sie die dunkelblonde Farbe gern pries, jetzt aber konnten Freundinnen ihr nur zu dessen Verbergung rathen. Es war dünn und grau geworden, und selbst künstliche Mittel würden schwerlich im Stande gewesen sein, die Sprödigkeit und unfügsame Härte desselben ganz zubrechen.

Die schweren, unbequemen Wasserstiefeln von sich schlenkernd und in ihren Pantoffeln fahrend, warf sich Kathrine auf den Schemel, der ihr stets zum Ausruhen diente. Sie hätte sich wohl einen Stuhl genommen, wäre damit nicht allen Hausgenossen ein Zeichen gegeben worden, sich gelegentlich dieselbe Freiheit zu nehmen. Auch hätte sie dann über die grauen Leinwandpolster Ueberzüge stülpen müssen, und das zu thun ohne dringende Noth hielt sie für Luxus und sündhafte Verschwendung.

Das ganze Forsthaus war vom obersten Dachboden bis hinunter in den Milchkeller gereinigt, aber gründlich gereinigt. Auch ausgeräuchert war es worden, in den obern feuergefährlichen Räumen mit trockenen Wachholderbeeren, die Kathrine eigenhändig auf eine alte erhitzte Schaufel warf und sie hier verdunklen ließ. Weiter unten, auch in den Zimmern des ersten Stocks verbrannte man ganze Büsche von Wachholderreisig.

Am schwersten fiel der überreinlichen Schwester des Försters die gänzliche Vertilgung der Spinnen. Als Freundin der Ordnung mußte sie diese von ihr geliebten Thiere entfernen, das unterlag gar keinem Zweifel, aber wenn sie die Verfolgung mancher andern Thiere, denen man ungern den Aufenthalt im Hause gestattet, mit wollüstiger Grausamkeit betrieb, behandelte sie die Spinnen mit der liebevollsten Zuvorkommenheit. Getödtet ward mit Kathrinens Willen keine einzige. Sie öffnete ihnen bereitwillig Fenster und Thüren, und erlaubte sich nur, ihnen in Bezug auf die zu nehmende Richtung ihres Rückzugs mittels eines Stäbchens behülflich zu sein.

Ganz jedoch alle Spinnen zu entfernen, zu einer so heroischen That konnte sich Kathrine Frei nicht entschließen. In zwei Winkeln der Küche, ja sogar in einer Ecke des Speisegewölbes, die sie nie benutzte und die sie mit besonderer Vorsicht überwachte, behielt und pflegte sie ihre Lieblinge. Hier richtete sie ihnen gleichsam eine Putzstube ein, die von keinem Uneingeweihten ohne ihre Bewilligung berührt werden durfte. Wo Kathrine ihre Spinnen wartete und fütterte, da war ganz allein ihr Reich.

Es war aber nicht blos eine seltsame Vorliebe für die Spinnen überhaupt, welche Kathrine diese Anordnung treffen ließ, es versteckte sich dahinter auch eine geheime Absicht, die wir später kennen lernen werden.

So schwere Prüfungen das vergangene Jahr auch über die Bewohner des Forsthauses verhängt hatte, mit den weniger lauten, gerade deshalb aber weit mehr in die Tiefe dringenden Erschütterungen der jüngsten Vergangenheit ließen sich dieselben nicht vergleichen. Namentlich waren die letzten beiden Monate unter aufreibenden Gemüthsbewegungen verstrichen, denen selbst die eiserne Gesundheit Kathrinens und deren große Willenskraft oder – wie andere behaupteten – ihr bodenloser Eigensinn nicht dauernd gewachsen blieb.

Auf Kaltenstein waren schreckliche Scenen vorgekommen, von denen Kathrine allerdings nur hörte, die aber leider auf die Verhältnisse ihres Bruders nicht ohne Einfluß blieben. Eine Zeit lang mußte die Baronin wie eine Gefangene behandelt werden, ja es ward behauptet, man sei genöthigt gewesen, zu peinigenden Gewaltmitteln seine Zuflucht zu nehmen, um die unglückliche Frau gegen sich selbst zu schützen. Seit einigen Tagen erst war in den krankhaften Verstimmungen und Ueberreizungen

– diesen Namen gaben die herbeigerufenen Aerzte den Leiden der Baronin – eine große Aenderung eingetreten. Ihre bis zur Tobsucht sich steigernde Heftigkeit war einer tiefen, stillen Trauer gewichen. Es hieß, die noch vor Jahresfrist so intriguante und stolze Dame sei weich und folgsam geworden wie ein Kind. Stundenlang sollte sie dem Gerüchte nach in Thränen schwimmen. Einzelne wollten sogar wissen, sie bete viel und verlange, immer nur mit Geistlichen umzugehn. Dies Gerücht ward jedoch von niemand geglaubt. Jedenfalls bedurfte es noch sehr der Bestätigung, ehe es rathlich war, es weiter zu verbreiten.

Nicht ganz so stürmisch im allgemeinen, aber auch wenig ruhiger vergingen die Tage im Forsthause. Weil man aus Gründen, die auch Kathrine nicht erfuhr, das Schloß für keinen zu Berathungen und gewöhnlich stundenlang dauernden Unterhandlungen geeigneten Ort hielt, sah das Forsthaus jetzt mehr Besuch, als die Schwester Frei’s während ihres ganzen langjährigen Aufenthalts darin hatte aus- und eingehen sehen. Diese Besuche trugen aber nicht zur Erheiterung des geprüften Geschwisterpaares bei, sondern hinterließen immer von neuem eine Last von Sorgen, denen der Förster beinahe erlag.

Am meisten beunruhigte den gutmüthigen, willensschwachen und zu Entschlüssen schwer zu bewegenden Andreas der alte Baron. Dieser schmiegte sich dem Förster so fest an, als müsse Andreas Frei seine Stütze sein unter allen Verhältnissen. Gerade dieses Anschmiegen aber ängstigte diesen, weil er die Veranlassung desselben sehr wohl kannte und doch seiner Stellung wegen diese niemand mitzutheilen wagte. Auch verlangte der Baron von Andreas, daß er schweigen solle. Nur in dem Falle, daß ein zweites mal seine Freiheit ernstlich gefährdet werden könne, hatte der immer mehr in wüstes Leben sich verlierende Baron dem Förster unter gewissen Vorbehalten gestattet, einiges von dem, was er als quälendes Geheimniß mit sich herumtrage, dem Stiftssyndikus und dem Abbé Kasimir mitzutheilen.

Der letztere wohnte in der Stadt, kam aber wöchentlich ein paar mal mit der Grafen von Serbillon, die ebenfalls daselbst Wohnung genommen hatte, ins Forsthaus, wo dann jedesmal auch der junge Baron eintraf.

Den Verhandlungen, welche im ehemaligen Wohnzimmer Corneliens gehalten wurden, blieb Kathrine persönlich fern, da ihr Andreas auf das heiligste versicherte, es sei darin nie weder von ihr noch von Hildegarde die Rede, sondern nur von den verwickelten Verhältnissen der Familie von Kaltenstein, die man zu ordnen beflissen sein müsse.

Kathrine kannte ihren Bruder zur Genüge, um einer so feierlich gegebenen Versicherung auch Glauben zu schenken. So schwieg sie denn; murrend aber ließ sie es geschehen, daß ihr mit so großer Sorgfalt stets rein gehaltenes Haus so oft von Fremden betreten wurde, die auf ihre Ordnungsliebe nicht im mindesten Rücksicht nahmen.

Schon daß sich Personen polnischer Abkunft unter diesen Besuchern befanden, war für Kathrine ein Stein des Anstoßes. Polen und Schmuz waren für die reinliche Schwester des Försters correlate Begriffe. Sie dachte dabei natürlich immer nur an die polnischen Juden, vor denen ihr vor längern Jahren einige besonders ausgezeichnet schmuzige Exemplare zu Gesicht gekommen waren.

Ungeachtet des Widerwillens, von welchem Kathrine gleichsam den Fremden gegenüber besessen war, flößte ihr die Gräfin von Serbillon doch Respect ein. Es erging ihr ganz wie Hildegarde. Die Atmosphäre angeborener und anerzogener Vornehmheit, welche die Gräfin umgab, machte auf die alternde Jungfrau einen Eindruck, dem sie sich nicht entziehen konnte. Wenn Kathrine Clotilde von Kaltenstein immer Malicen sagte, wenn sie den Baron mit rücksichtsloser Grobheit behandelte, obwohl sie wußte, daß ihr eigener Bruder darunter leiden konnte und die Rückwirkungen eines möglichen Bruches auch auf sie zurückfallen mußten, so hielt sie sich Diana von Serbillon gegenüber stets und ohne daß es ihr schwer zu werden schien, in den Grenzen, die ein natürliches Schicklichkeitsgefühl ihr vorzeichnete.

An Kummer, Sorgen und hunderterlei Bedenken fehlte es aber Kathrine doch nicht. Das Räumen, Besen und Kehren hatte nun gar kein Ende mehr, und aufgegeben konnte es ja nicht werden, da sonst das alte Forsthaus ausgesehen haben, würde wie eine Mördergrube. Natürlich hörte das Arbeiten Tag und Nacht kaum auf, und da Kathrine immer dabei sein und selbst mit Hand anlegen wußte, wenn die Arbeit ordentlich gethan werden sollte, so lag auf ihr die größte Last.

Zu diesen vielen mehr, äußerlichen Frivolitäten gesellte sich ein wirkliches Seelenleiden, das Kathrine weit mehr angriff, als selbst Andreas erwartet hatte. Es war dies ihre Sorge um Hildegarde und deren Zukunft.

Da sie mit ihren Vorschlägen nicht durchdringen konnte und fremde Unterstützung ihr fehlte, so verzichtete Kathrine vorläufig auf Ausübung eines Einflusses, in der sie gleicherweise ein Recht wie eine Pflicht erkannte. Gewalt durfte sie nicht anwenden, mithin mußte sie ihre Zeit abwarten. Hildegarde, die es sie wiederzusehen drängte, zumeist, um den ganzen Groll ihres übervollen Herzens über die Frevlerin auszugießen, die nun doch schon das Leben und die Verhältnisse gebeugt hatten, war mit Genehmigung der zunächst Betheiligten durch die Vermittelung Liebner’s im Kloster untergebracht worden. Dieser Schritt hatte nichts Auffallendes, weil mit dem Kloster ein Jungfrauenstift verbunden war, dem eine besondere Stiftsdame vorstand, obwohl die Aebtissin eigentlich die Oberaufsicht führte. Hier fanden junge Mädchen beider Confessionen, wenn sie nur von einflußreichen Gönnern kräftig empfohlen wurden, Aufnahme. Gewöhnlich brachten auch diejenigen, welche später den Schleier zu nehmen entschlossen waren, ehe sie das eigentliche Noviziat antraten, ein paar Monate im Stift zu. Die darin lebenden Nichtkatholikinnen waren ohne Ausnahme behufs strengerer Beaufsichtigung im Stift, weshalb man dasselbe wie eine moralische Correctionsanstalt für vornehme Jungfrauen, die bei ihren Anverwandten nicht gutthun wollten, betrachtete.

Obwohl nun Kathrine, der es durchaus nicht an praktischem Verstande fehlte, dem Verfahren ihrer Gegner recht geben mußte, konnte sie doch nicht umhin, dieselben zu gelegener Zeit fühlen zu lassen, daß sie nur Frieden auf Zeit mit ihnen geschlossen habe.

Namentlich richtete sie ihre Geschosse auf den Stiftssyndikus, der, wie er selbst zugab, die ganze Intrigue geleitet und recht mit Lust gegen sie durchgeführt hatte. In Kathrinens Auge konnte dem alten Juristen eine starke Dosis Aerger nicht schaden, hätte sie ihm diese auch nur beibringen sollen, um dem unersättlichen Feinschmecker den Appetit dann und wann ein wenig zu verderben. Die vortreffliche Haushälterin des Försters verdroß es nämlich sehr, daß sie alle Wochen ein paar mal für Fremde ausgezeichnet kochen mußte, und daß unter diesen regelmäßig wiederkommenden Gästen ihres Bruders keiner mit solcher Kennermiene die aufgetragenen Speisen prüfte wie der stets mit vortrefflichem Appetit gesegnete Stiftssyndikus.

Mit der größten Seelenruhe würde die ärgerliche Jungfrau ein Gericht gründlich verdorben oder einer Sauce Substanzen beigemischt haben, die wenn auch keine schädlichen, doch unangenehme Folgen für gierig Essende haben konnten. Das aber erlaubte Kathrine ihr bis dahin tadellos gebliebener Ruf als vorzügliche Köchin nicht. Auf diesen Ruf war sie sehr stolz, und sie hielt nicht weniger darauf als auf die Reinlichkeit und Ordnung, die im Forsthause herrschte, und von der Verständige und Unverständige weit und breit sprachen. Gut und tadellos kochen also mußte die Vielgeplagte. Sie that es aus Egoismus und Pflichtgefühl, allein dem Herrn Cousin, der während jeder Mittagstafel mehr Thränen vergoß, als die männlich geartete Kathrine in einem ganzen Jahre ihren Augen entpressen konnte, mit Worten die Suppe zu versalzen und dadurch seinen Appetit abzuschwächen, hielt sie für vollkommen erlaubt.

Bisweilen erreichte die Unermüdliche, die zum Schmollen und Zanken jederzeit aufgelegt war, auch ihren Zweck, und wahrscheinlich würde der Stiftssyndikus öfter ohne Appetit bei seinem Cousin gegessen haben, wäre die schöne, vornehme Gräfin von Serbillon nicht des so hart angegriffenen Juristen hochverehrter Schild gewesen. Mochte die Schwester Frei’s auch noch so verbissen sein; mochte ihre Zunge von dem Gewicht der Worte, die sie balancirte, schon unwillkürlich sich bewegen, das milde und doch so gebieterische Auge Diana’s entwaffnete sie, und es blieb fast immer nur bei Bruchstücken, die sie halblaut dem schmunzelnden Stiftssyndikus ins Ohr zischeln konnte.

In ihren Absichten in Bezug auf Hildegarde vorerst geschlagen, errang sie auch jetzt im eigenen Hause nur einen kaum halben Sieg. Aber sie gab dennoch nicht nach. Wußte sie doch, daß ihre Zeit noch kommen müsse! –

Eines Tages zeigte Andreas der Schwester an, die so lange dauernden Unterhandlungen seien geschlossen, der ältere Baron von Kaltenstein werde schon im nächsten Frühjahre mit seiner Gattin eine längere Reise antreten. Die Anverwandten desselben, die noch immer im Schlosse wohnten, würden sich früher, wahrscheinlich noch vor Eintritt des Winters verabschieden, um nach Polen zu reisen. Dahin werde der Herr Abbé dieselben begleiten. Nur müsse man neuere Nachrichten aus jenem von blutigen Schlachten verwüsteten Lande abwarten; denn ehe nicht bis zu einem gewissen Grade ein Zustand der Ruhe und Ordnung dort eingetreten sei, würde eine solche Reise vielleicht mit mancherlei Gefahren, gewiß aber mit unausstehlichen Plackereien verbunden sein.

Zuvörderst, schloß Andreas seine Mitheilung an Kathrine – und dieser Punkt war für die Schwester der wichtigste – solle jetzt Hildegarde, die sich im Stift gut gehalten habe, in das väterliche Haus zurückkehren. Diesem Einzuge eines gedemüthigten Mädchenherzens wolle sowohl die Gräfin von Serbillon als Abbé Kasimir, denen das verirrte Kind ja doch vorzugsweise ihre Umkehr zu danken habe, beiwohnen. Er hoffte, fügte Andreas schließlich hinzu, seine Schwester werde dem Kinde das Geschehene großmüthig vergeben, und sie freundlich aufnehmen. Gewiß werde dann auch Hildegarde unaufgefordert und von ihrem eigenen Herzen getrieben die Tante um Verzeihung bitten und das bestimmte Versprechen geben, sie künftig nie mehr beleidigen zu wollen.

Kathrine nahm diese Eröffnung des Bruders mit scheinbarer Gleichgültigkeit hin und erwiderte weiter nichts als die Worte: »Ich werde gewissenhaft meine Pflicht thun.«

Darauf fragte sie, an welchem Tage ihre Nichte im Forsthause ankommen werde und ob die Frau Gräfin und der blasse polnische Abbé, der gar nicht polnisch aussehe, das arme Kind begleiteten.

»Unbedingt,« sagte Andreas.

»Dann muß ich mich einrichten,« meinte die Schwester, und nun begann jenes gründliche Reinigungsfest, das mit der Bekränzung des Thorweges schloß, die Kathrine soviel Mühe machte.

Lange vor Sonnenaufgang war Andreas an dem scharfkalten Septembermorgen aufgebrochen, um die Gräfin und den Abbé nebst dem Stiftssyndikus abzuholen. Er selbst wollte sich in einiger Entfernung von den Klostergebäuden halten, um Hildegarde, die er noch nicht gesprochen hatte, nicht vor vielen Zeugen begrüßen zu müssen. Er hatte der langentbehrten Tochter, deren Herz ihm nur zu sehr entfremdet worden war, unendlich viel zu sagen, so viel, daß dem schwachen gutherzigen Manne vielleicht mehr noch vor der erwarteten Zusammenkunft bangte als der schuldigen Tochter. Zu einer offenen, ehrlichen Aussprache, das fühlte Andreas, mußte es jetzt zwischen ihm und seinem Kinde kommen. Man mußte sich verständigen, sich versöhnen. Geschah dies nicht, dann wurde durch das Wiedersehen nur ein neuer Knoten in den Lebensfaden geschürzt, der beide, Vater und Tochter umschlang. Andreas nahm sich vor, mild und sanft zu sein, aber auch seine Meinung wollte er Hildegarde nicht verschweigen, damit die hochfahrende Tochter endlich einsehen lerne, daß ihr Vater wohl wisse, was er thue, und daß es an ihr sei, ihm für so großes ihm zugefügtes Herzeleid als reuiges Kind Abbitte zu thun oder sich doch dazu anzuschicken. Andreas war vollkommen zufrieden gestellt, wenn Hildegarde die Miene einer Büßerin annahm. Er war selbst viel zu weich gestimmt, um es bis zu einer wirklichen Abbitte kommen zu lassen.


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