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NEUNTES KAPITEL.

DER STAMMBAUM.

Mehrere Tage schon hatte Graf von Serbillon mit Durchsicht der bestäubten Documente zugebracht, welche ihm bei Erwerbung des alten Schlosses Hammerburg zugefallen waren. Diese Beschäftigung raubte ihm viel Zeit, indem sie ihn zugleich unterhielt und belehrte. Es erschloß sich dem Grafen die Vergangenheit eines ehemals berühmten und einflußreichen Geschlechts, das bedeutende Verbindungen gehabt und wiederholt auch eine politische Rolle gespielt hatte. Nur wenige Besitzer von Hammerburg waren nicht kriegerische Naturen gewesen. Bei weitem die meisten hatten auf den blutigsten Schlachtfeldern Europas mitgefochten, doch schien fast alle ein abenteuerlicher Hang nach Ruhm beherrscht zu haben. Treue Diener eines bestimmten Herrn konnte man sie nicht nennen. Vielleicht mochten einzelne für eine Idee gekämpft haben, eigentliche Opfer für Durchführung eines großen Gedanken hatte, namentlich unter den ältern Baronen, kein einziger gebracht.

Erst bei den letzten Sprößlingen des alten Geschlechts trat ein edleres, auf bestimmte Zwecke gerichtetes Streben deutlicher hervor. Es war dies eine entschiedene Hinneigung zu jenen, dem Schose der Zeit entkeimenden Ideen, aus denen sich später jene ungeheuere Bewegung der Geister entwickelte, die ihren Höhepunkt in der Französischen Revolution erreichte. Die letzten drei Herren von Hammerburg waren gleichsam geborene Revolutionäre.

Am weitesten war der Vorgänger des Grafen in dieser Richtung gegangen. Es fanden sich Papiere vor, aus denen Achilles von Serbillon vermuthete, daß Charles von Hammerburg eine Zeit lang den Verfechtern des Terrorismus in Frankreich nicht fremd gewesen sei. Er mußte – darauf deutete vieles hin – mit den Häuptern der Bergpartei in sehr nahen Beziehungen gestanden haben. Den Principien dieser Partei hatte er den größten Theil seines Vermögens geopfert. Mit dem Sturze derselben trat Charles eine Zeit lang in völlige Dunkelheit zurück. Wahrscheinlich war er später, um nicht in eine schiefe Stellung zu gerathen oder Verfolgungen ausgesetzt zu sein, ins Ausland gegangen. In diese Zeit des Interregnums fiel, wie sich leicht nachweisen ließ, der Verfall seines Stammsitzes. Das ursprünglich große Vermögen schmolz immer mehr zusammen, und als Charles wieder handelnd auftrat, waren seine Besitzungen bereits tief verschuldet.

Von dieser Epoche datirte dessen Betheiligung an den kriegerischen Unternehmungen der damaligen Zeit. Mit der Vergangenheit brechend, schloß sich Charles mit Eifer den Kriegern Napoleon’s an, dem er gern und aus Ueberzeugung huldigte.

Diese Hingabe an die Ideen des gewaltigen Kaisers brachte dem letzten unvermählten und kinderlosen Sprossen von Hammerburg Ruhm und Ehren, nicht aber den Glanz der Vergangenheit zurück. Die letzten Documente, welche Graf von Serbillon vorfand, bezogen sich auf die Stellung Charles’ zum Kaiser. Sonst vermochte der Graf nichts zu entdecken, was ihn über die Person des Fremdlings unter den Porträts im Ahnensaale der Hammerburg Aufschluß hätte geben können.

Schon wollte sich bei ihm die Lust zu weitern Nachforschungen verlieren, als sich ein Architekt auf dem Schlosse einstellte, mit welchem der Graf wegen Restauration des Ahnensaals Rücksprache zu nehmen gedachte. Dieser Besuch des verständigen, noch jungen Mannes war ihm sehr angenehm. Architekt Morwaldt ward zuvorkommend aufgenommen und nach kurzem Gespräch in den Saal geleitet, der nach dem Wunsch des Grafen anders decorirt werden sollte.

»Es wäre mir lieb, Herr Morwaldt,« sagte Graf von Serbillon zu dem Architekten, »wenn es sich so einrichten ließe, daß diese Porträts der frühern Besitzer von Hammerburg neben den Gemälden meiner eigenen Familie hier verbleiben könnten.«

Morwaldt erkundigte sich nach Zahl und Größe der unterzubringenden Gemälde, maß dann den Raum des Saales aus und machte seinen Ueberschlag.

»Ihr Wunsch, Herr Graf,« versetzte er darauf, »wird sich realisiren lassen, wenn Sie mir gestatten, daß ich die vorhandenen Gemälde zum Theil umhängen darf.«

Er führte weiter aus, weshalb dies nothwendig sei, und wies einleuchtend nach, daß durch ein neues Arrangement die interessantern Ahnenbilder des Grafen eine vortheilhafte Stelle erhielten und in besseres Licht gerückt würden.

»Abnehmen müssen wir doch sämmtliche Bilder,« fuhr der Architekt in seinem Eifer fort, »es ist deshalb wohl einerlei, ob ich gleich jetzt ein oder das andere verrücke. Ohnehin möchte ich mich gern von der Beschaffenheit der Wände überzeugen, um zu wissen, ob es zur Erhaltung dieser Schätze nicht zweckmäßig wäre, denselben einen neuen Mantel von gut trocknendem Material zu geben. Hier dies Porträt ist so recht bequem zur Hand,« fuhr er fort, sich dem Brustbilde Sigismund’s nähernd. »Sie erlauben, Herr Graf?«

Dieser hielt den jungen Mann nicht zurück. Morwaldt faßte den Rahmen des Bildes mit beiden Händen, drückte und rückte daran und hob es glücklich ab. Der Rahmen mußte jedoch nicht gut zusammengefügt gewesen sein, denn er löste sich auf der einen Seite, sodaß der Architekt über den Schaden, den er unabsichtlich angerichtet hatte, erschrak. Indeß gelang es durch rasches Zugreifen des Grafen, das Bild unverletzt auf den Boden zu stellen und gegen die Wand zu lehnen. Zugleich glitt ein zusammengerolltes Papier hinter demselben nieder, das, wie sich bei näherer Besichtigung des Gemäldes zeigte, in der Rückseite zwischen dem Rahmen lose eingefügt gewesen war.

Der Graf hob die dünne, sehr gebräunte, mit Staub dick bedeckte Rolle erstaunt auf und entfaltete sie erwartungsvoll. Sie enthielt die altmodische Zeichnung einer Stammtafel in Gestalt eines wirklichen Baums, dessen Blätter großentheils mit Namen beschrieben waren.

Dieser unerwartete Fund war eine Entdeckung, welche dem Grafen um große Summen nicht feil gewesen sein würde. Die Erzählung des Obersten Malachowsky, der noch auf Hammerburg weilte, bestätigte sich durch denselben als vollkommen wahr. Das letzte Blatt am Baume der Stammtafel trug den Namen, ›Sigismund Geldern, † den 7. December 1821‹. Zwei Blätter über demselben waren ohne Namen. Ohne Zweifel hätten diese die Namen der Aeltern des Ulanenrittmeisters enthalten sollen. Diese aber schienen dem Verstorbenen bis an seinen auf fremder Erde erfolgten Tod unbekannt geblieben zu sein.

Graf von Serbillon betrachtete den so zufällig gemachten Fund mit steigendem Interesse, während Architekt Morwaldt noch einige andere Gemälde abhob, die zum Theil vermorschten Tapeten hinter denselben löste und den Zustand der Mauer sorgfältig untersuchte.

Kein Zweifel, dem erstaunten Grafen war der Stammbaum des altpolnischen Wojwodengeschlechts der Ludomirsky, von denen mehrere die einflußreiche Stellung von Landboten eingenommen hatten, in die Hände gefallen. Freilich konnte er persönlich nicht wissen, ob dieser Stammbaum auch echt sei. Diese Ungewißheit ließ sich aber bald heben. Es lebten ja drei Personen auf Hammerburg, welche die genauesten Kenntnisse der polnischen Adelsfamilien besaßen. Seine eigene Gattin Diana rühmte sich, wohl damit vertraut zu sein, und ein Gleiches konnte man von dem alten Obersten wie von Abbé Kasimir erwarten.

Geraume Zeit betrachtete der Graf das interessante Papier. Es leuchtete ihm ein, daß dasselbe für den Abbé wichtig werden könne. Nur war er sich nicht klar, ob er den stillen, sinnigen Priester von seiner Entdeckung unterrichten solle, oder ob es besser sei, ihm dieselbe so lange geheim zu halten, bis sich durch fernere Nachforschungen feststellen ließ, wer dieser Verstorbene Sigismund Geldern gewesen und ob derselbe den Ludomirsky verwandt sei.

Zwei der untersten ausgefüllten Blätter des Stammbaums enthielten nebeneinander die Namen Veronika und Berenice. Der Graf mußte dieselben für Schwestern hatten. Ein drittes auf gleicher Linie stehendes, mit den beiden Blättern ebenfalls verbundenes, trug einen vermischten Namen, der sich nicht entziffern ließ. Dann folgten drei völlig leere Blätter. Unter diesen endlich mit zerrissenen Zweigen nach den obern deutenden Blättern gab es mehrere, die alle Fragezeichen enthielten, nur eins und zwar das letzte trug den Namen Sigismund Geldern ...

Die Schritte des Architekten, der sich jetzt dem Grafen wieder näherte, um diesem Bericht über das Ergebniß seiner Untersuchung abzustatten, veranlaßte den Eigenthümer des Schlosses, das Papier zu sich zu stecken. Er hörte nur zerstreut auf die Auseinandersetzungen Morwaldt’s, denen er in jeder Hinsicht beistimmte.

»Demnach möchte ich die ergebenste Frage an den Herrn Grafen richten, wann ich die Arbeiten in diesen Räumen beginnen lassen kann?« sagte er bescheiden.

Achilles von Serbillon mochte augenblicklich eine bestimmte Antwort nicht geben, denn er vermuthete, der aufgefundene Stammbaum könne ihn nöthigen, Hammerburg für unbestimmte Zeit verlassen zu müssen. Eine so wichtige Umgestaltung, wie die im Ahnensaale vorzunehmende, erforderte aber die Anwesenheit des Schloßherrn, sollte sie allen Anforderungen vollkommen entsprechen.

»Bei diesem harten Frostwetter,« versetzte er nach kurzem Ueberlegen, »halte ich es nicht für gut, arbeiten zu lassen. Ohnehin hat es ja nicht so große Eile. Ich denke also, wir lassen die Sache anstehen, bis der Winter vorüber ist.«

»Sehr wohl, Herr Graf,« erwiderte Morwaldt. »Wenn ich nur weiß, daß Sie mich nicht früher rufen lassen, bin ich mit dieser Verzögerung in der Vornahme des Baues ganz einverstanden. Ich kann um so freier über die Zwischenzeit verfügen.«

»Sind Sie stark beschäftigt?« warf der Graf ein.

»Für die nächsten Wochen wird mich die Ausarbeitung eines Risses in Anspruch nehmen, den ich für den Erbauer der Spiegelfabrik entwerfen soll.«

»Will der Mann noch mehr bauen?« fragte Graf von Serbillon.

»Versuchsweise, Herr Graf,« erwiderte Morwaldt. »Er erwartet die Ankunft eines Freundes, der in dieser Brauche für ausgezeichnet, gleichsam für eine Autorität gilt. Diesem, mit dem er in enger Verbindung steht, will er den Riß verlegen, und aus diesem Grunde würde er Ihnen, Herr Graf, gewiß sehr dankbar sein, wenn Sie mir erlauben wollten, den Riß für Ihren Pachter vorher auszuarbeiten.«

»Herzlich gern,« sagte Graf Serbillon. »Geniren Sie sich durchaus nicht, lieber Morwaldt. Vollenden Sie Ihren Riß, und wenn Sie frei über Ihre Zeit verfügen können, machen Sie mir Anzeige, damit ich mich gemächlich hier einrichten kann. Genehmigt der Freund meines unternehmenden Pachters Riß und Bau, so möchte ich den Mann wohl auch persönlich kennen lernen. Ich liebe es, mich von denkenden, urtheilsfähigen Menschen unterrichten zu lassen.«

Der Architekt verbeugte sich, warf nochmals einen Blick auf das Porträt des Ulanenrittmeisters und schritt, den Hut in der Hand, respectvoll neben dem Grafen durch den Saal. Als sie nur wenige Schritt noch von der Thür entfernt waren, trat ein Bedienter ein.

»Wünscht mich jemand zu sprechen?« rief ihm der Graf zu. »Es war mir, als hätte ich Schellengeläut vernommen.«

»Ein fremder Herr ist eben ausgestiegen,« versetzte der Bediente. »Der gnädige Herr Graf werden denselben im Empfangszimmer treffen.«

Graf von Serbillon verabschiedete den Diener durch einen Wink der Hand, während er sich noch einmal zu dem Architekten wandte.

»Vergessen Sie nicht, Morwaldt, mir Anzeige zu machen, wenn der Geschäftsfreund meines Pachters sich für Riß und Bau erklärt,« wiederholte er. »Ich will den Mann sprechen. Auf Wiedersehen!«

Morwaldt entfernte sich und der Graf ging über Treppen und durch gewundene Corridore in den comfortable eingerichteten Theil des Schlosses zurück, wo man sich während des Winters aufzuhalten pflegte.


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