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ELFTES KAPITEL.

ZWEI HERZEN FINDEN SICH.

Andreas war nicht zu Hause. Adolar hatte dies vermuthet, da er wußte, daß es im Forste zu thun gab. Seine Frage, ob er Fräulein Hildegarde in einer dringenden Angelegenheit sprechen könne, wußte die ihn einlassende Magd nicht zu beantworten.

»Melde mich dem Fräulein!« befahl der junge Baron, schlang die Arme in einander und ging sporenklirrend durch die Hausflur bis an die Treppe, die ins obere Gestock des Hauses führte. Ehe jedoch die Magd den Befehl des Herrn von Kaltenstein der Tochter vom Hause noch überbringen konnte, vernahm dieser schon den gewichtigen Tritt Tante Kathrinens, die Zeuge seines Einlenkens in den Hof des Forsthauses gewesen war. Von der obersten Stufe der Treppe rief ihm die Schwester Frei’s wenig ehrerbietig zu:

»Der Förster ist im Walde, mein Herr Baron, und ich habe keine Zeit mich mit dem gnädigen Herrn zu unterhalten. Es taugt nichts, wenn zwei Köpfe auf einmal regieren wollen!«

»Mademoiselle Frei,« versetzte Adolar auf diese höchst verständlich gegebene Verweisung aus dem Hause, »ich komme nicht, um Sie zu belästigen oder Sie in Ihren jedenfalls sehr wichtigen und unaufschiebbaren Geschäften zu stören. Den Förster suche ich jedoch auch nicht ...«

»Nicht?« unterbrach ihn Kathrine, die offenbar sehr aufgeregt war. »Wen belieben denn der Herr Baron sonst noch in unserer Rumpelkammer mit dero schätzbarem Besuche beehren zu wollen?«

»Wenn Sie gütigst erlauben, so möchte ich Fräulein Hildegarde meine Aufwartung machen.«

»Das Mädchen hat Kopfschmerzen.«

»Bedauere ich von Herzen! Uebrigens pflegen gerade derartige Leiden, die gewöhnlich in den Nerven ihren Sitz haben, sich durch erheiternde Unterhaltung zu verlieren.«

»Bei Hildegarde ist das nicht der Fall, mein werther Herr Baron! Ich habe sie schon tüchtig unterhalten, besser aber ist ihr dabei nicht geworden.«

»Ah, Sie! ... Verzeihen Sie, Mademoiselle ... «

»Der Herr Baron meinen wohl, meine Unterhaltung sei einem jungen Mädchen weniger angenehm als die eines schmucken Cavaliers mit Sporen an den Stiefeln? Gehorsamer Diener, Herr Baron! Man weiß auch, was sich schickt, und wenn ein junges Ding immer dumm thut und nie nicht ein Einsehen haben will, so müssen verständige Personen solchen Wirrkopf zurecht setzen, und sollte es noch dreimal mehr Kopfschmerz abgeben!«

Adolar hatte während dieses seltsamen Zwiegesprächs die Treppe langsam erstiegen und war jetzt nur noch einige Stufen von Kathrine entfernt. Aergerlich über die rechthaberische, harte Person, wollte er schon eine heftige Antwort geben, als er den sanft bittenden Klang von Hildegardens Stimme vernahm.

»Zürnen Sie nicht, Herr Baron,« sagte die Tochter des Försters, »die Arme weiß wirklich nicht, was sie will und thut!«

Diese Milde, in der für Kathrine freilich eine schwere Anklage lag, brachte die Tante nur noch mehr auf, während sie den jugendlichen Herrn von Kaltenstein entzückte. Der Schmähworte Kathrinens nicht achtend, welche diese über ihre Nichte ausschüttete, eilte er Hildegarde freudig gehoben entgegen und begrüßte sie wie eine Dame hohen Ranges.

Hildegarde hatte geweint. Noch zitterten ein paar Thränen an ihren langen zarten Wimpern, der Anblick Adolar’s aber machte auf ihr Gesicht ungefähr die Wirkung eines belebenden Sonnenstrahls, welcher durch finster rollendes Sturmgewölk plötzlich auf eine im grünen Schmuck des Lenzes prangende Landschaft fällt. Alles Leid, das sie erduldet, aller Kummer, der sie drückte, war vergessen. Sie lebte neu auf in der sonnigen Gegenwart des Jugendfreundes, und streckte ihm in der frohen Aufwallung ihres Herzens beide Hände wie eine Schwester entgegen.

»Wie lieb das ist, Herr Baron!« sagte sie, durch Thränen lächelnd. »Wie konnte ich auch so kleinmüthig und verzagt sein!«

Adolar war in das frühere Wohngemach Corneliens getreten. Er hatte erwartet, daß Kathrine ihm folgen werde, weshalb er die Thür hinter sich offenstehen ließ. Die geärgerte Tante klapperte aber, immerfort keifend, sehr vernehmbar die Treppe hinunter und ließ ihren Verdruß in der Hausflur durch Stoßen und Werfen aus.

»Man tyrannisirt Sie, bestes Fräulein!« sagte Adolar indignirt, indem er die Thür schloß. »Bisher glaubte ich immer, Ihre Tante sei nur launenhaft, eigensinnig, etwas stark sonderbar, jetzt aber sehe ich mit Erstaunen, ja beinahe kann ich sagen, mit Entsetzen, daß die Behandlung, welche sich dieselbe gegen Sie, theuerstes Fräulein, erlaubt, an Barbarei grenzt!«

Hildegarde nöthigte den Baron zum Niedersetzen. Sie lächelte und trocknete sich dazwischen wiederholt die immer von neuem wieder hervorbrechenden Thränen ab.

Adolar fesselte die sanfte Duldermiene des in ihrem Schmerz doppelt liebreizenden Mädchens. Er folgte ihren Bewegungen, in denen Rhythmus, Harmonie und Grazie sich eigenthümlich vereinigten. Nirgends war eine Härte, etwas Scharfes, Kantiges zu bemerken. Der Schmerz und das Bewußtsein, sich durch ihr früheres Auftreten gegen viele wohlwollende Menschen vergangen zu haben, und der feste Wille, einem edlern Ziele, nachdem sie zur Erkenntniß ihres Irrthums gekommen, zuzustreben, hatten der Tochter Frei’s diese Beherrschung der Form auch im Aeußern verliehen.«

Das Zimmer sprach Adolar so freundlich an, daß er sich am liebsten gleich ganz daselbst niedergelassen hätte. Ein Geist der Ordnung und bewußten Schönheitssinns war selbst in Kleinigkeiten zu erkennen. Den Stuhl dankend annehmend, welchen Hildegarde ihm bot, wollte er sich eben darauf niederlassen, als ihn der Anblick einer ausgesucht großen und recht häßlichen Winkelspinne, eine von den allerlangbeinigsten, wirklich erschreckte. Auch Adolar haßte die Spinnen, ohne ihre Nutzbarkeit zu leugnen, und jede Spur derselben aus den Zimmern zu entfernen, schärfte er seinen Dienstboten wiederholt ein.

»Verzeihen Sie, liebstes Fräulein,« sprach er, den Stuhl ein paar Schritte vom Tisch abrückend, »ich habe eine so große Aversion vor allen Spinnen, daß mir ihr bloßer Anblick schon immer Schauder erregt! Ein ganz abscheuliches Thier!«

Jetzt erst brach Hildegarde in lautes Schluchzen aus. Dann, als es ihr gelungen war, sich wieder zu fassen, versetzte sie:

»Fast bin ich genöthigt, Ihnen, Herr Baron, in Bezug auf meine bedauernswerthe Tante recht zu geben. Ja, Kathrine ist grausam gegen mich, sobald sie mit mir unzufrieden sein zu müssen sich einredet. Sie kennt meine Abneigung gegen die Spinnen, ihre eigenen Lieblingsthiere, die ich mit meiner seligen Mutter gemein habe, und gerade deshalb quält sie mich mit denselben. Nun weiß ich, was sie veranlaßte, alle Bücher einzeln zu berühren und sie verächtlich wieder hinzuwerfen! Es geschah nur, um ein paar ihrer Pfleglinge mir auf den Tisch zu prakticiren, damit sie die freudige Genugthuung habe, mich plötzlich laut aufschreien zu hören. Dann stellt sie sich immer ein, sieht sich verwundert um, und wenn sie den Grund meines Erschreckens erfahren hat, schilt sie mich kindisch, hält einen langen Sermon über die Nützlichkeit der Spinnen, über ihre vortrefflichen Eigenschaften und macht mich vollends bis zur Krampfhaftigkeit erbeben durch die Liebkosungen, welche die seltsame Person den behaglich eingefangenen widerwärtigen Thieren in meiner Gegenwart zu Theil werden läßt.«

Auf Adolar’s Zügen malte sich ein lebhaftes Mitgefühl. Mit einem großen, tiefen Blicke umfing er gleichsam die ganze Gestalt Hildegardens, und indem er ihr den Brief der Gräfin überreichte, sagte er entschlossen:

»Sie sollen erlöst werden, liebe Hildegarde! Sobald Ihr Vater aus dem Forste zurückkommt, werde ich mit ihm sprechen.«

Hildegarde berührte den Brief Diana’s mit den Lippen, gab dem Baron zutraulich die Hand und versetzte abermals:

»Sie sind lieb, sehr lieb, meiner armen Tante – aber dürfen Sie doch nichts Böses wünschen.«

»Das will ich auch nicht,« sagte Adolar, »nur von ihrer unmenschlichen Tyrannei sollen Sie, die so sanft und gut sind, befreit werden!«

Er drückte die Hand Hildegardens und fühlte, daß sie leis in der seinigen bebte. Den Brief der Gräfin öffnend, begann sie zu lesen, ohne Adolar ihre Hand zu entziehen. Dann reichte sie dem Baron das Schreiben mit freiem, hellem Blick.

»Darf ich?« fragte Adolar.

»Wenn Sie mich so ritterlich vertheidigen wollen, müssen Sie auch erfahren, ob ich Ihres Schutzes würdig bin,« versetzte Hildegarde mit einem Anfluge von Schalkheit. »Sie wagen sich an ein gar schwieriges Unternehmen, Herr Baron! Die Tante ist allmächtig in diesem Hause, würden wir sonst wohl diesen Augenblick erlebt haben?«

»Für dieses Glück, für diesen Hochgenuß müßte ich demnach Tante Kathrine danken,« bemerkte Adolar, über den Brief der Gräfin zu Hildegarde hinüberblickend, die über das rasche Wort erschrocken erröthete, das ihren Lippen entfallen war. »Hildegarde, theuerste Hildegarde!« fuhr er fort, das Schreiben ungelesen auf den Tisch legend und jetzt seinerseits beide Hände des jungen Mädchens erfassend. »Ein sonderbares Schicksal hat unsere Aeltern in Beziehungen gebracht, die unser aller Glück eine Zeit lang zu vernichten drohten! Aber es kam anders als wir ahnten und fürchteten! Noch war der Engel nicht von uns gewichen, der nach einer schönen Legende jedem strebenden Menschen, auch wenn er irrt, zum Begleiter gegeben ist. Dieser Schutzengel verläßt erst dann den Gefallenen, wenn er in sündhaftem Hochmuth jeder rettenden geistigen Kraft spottet. – Ich, theuerste Hildegarde, ich habe kein Recht, mich zu überheben! Wenn ich zurückblicke auf die letzten Monate, wenn ich derer gedenke, die mir die Nächsten im Leben sein sollten, die ich lieben, verehren müßte, um mich den wahrhaft Glücklichen beizählen zu dürfen; o, Hildegarde, vermögen Sie nachzufühlen, wie schwer ich dann leide? Wie erniedrigt, wie tief unter die niedrigst Geborenen ich mich herabgedrückt fühle? ... Und doch preist die Menge mich glücklich, weil ein Zufall, das scheue Kind der Furcht und heimlicher Gewissensqualen, mir einen Besitz zugeworfen hat, an den aller Wahrscheinlichkeit nach viele Verwünschungen sich knüpfen! ... Mich drängt es, Uebelthaten der Vergangenheit zu sühnen, altes Unrecht auszugleichen, diejenigen, die Grund haben dürften, denen zu fluchen, deren Sohn ich heiße, durch Handlungen, welchen dereinst Segen entsprießen kann, die zürnenden Lippen zu schließen. Ob mein Vorsatz gelingen, ob mein Entschluß ausführbar sein wird, wer mag es wissen! Ein ernster Wille indeß vermag Großes, und wenn zwei Gleichdenkende sich zu edelm Thun innig, aus freiem Antriebe verbinden, dann sind sie meistentheils des Siegs gewiß ... Wollen, können Sie sich zu solchem Zwecke mir verbinden, Hildegarde?«

Die Tochter Frei’s verstand Adolar’s mit warmem, seelenvollem Tone gesprochenen Worte. Sie war davon beglückt, aber unfähig, auch nur eine Silbe darauf zu erwidern. Einige Augenblicke wartete der Baron, daß Hildegarde ihm antworten solle. Dann riß er sie mit leidenschaftlicher Heftigkeit an sich und die Lippen beider begegneten sich in heißem Kusse.

»Hildegarde!« sprach jetzt eine tiefe Männerstimme. Mit glühendem Gesicht und freudig glänzenden Augen entrang die Gerufene sich den umschlingenden Armen Adolar’s, aber nur, um ihn noch zärtlicher, hingebender zu umfassen.

Förster Frei war unbemerkt ins Zimmer getreten. »Herr Baron!« sagte er stotternd.

»Mein lieber Förster Frei,« fiel ihm Adolar ins Wort,« verschließen Sie die Strafpredigt, die Sie mir zugedacht und die ich ohne Zweifel in reichem Maße verdient habe, vorläufig in Ihrem Herzen! Später will ich, wenn Sie es wünschen sollten, ohne zu athmen zuhören so lange, als es Ihnen Vergnügen macht mir vorzusprechen. Jetzt scheint es mir wichtiger zu sein, Ihnen eine Erklärung abzugeben über den Raub, den ich soeben hier begangen habe. Da ich auf frischer That ertappt worden bin, würde Leugnen mich nur lächerlich machen. Mein Raub wird jedoch keine bedenkliche Folgen haben, wollten Sie ihn nur großmüthig sanctioniren und mich dann ungestraft entlassen.«

Adolar hatte sich dem verwirrt dastehenden Förster mit Hildegarde genähert.

»Vater Frei,« fuhr er fort, »wir beide bitten um Ihren Segen! Wie gern Sie verzeihen, habe ich von Hildegarde erfahren. Das hat mir Muth gemacht, Sie noch einmal auf die Probe zu stellen ... Ihre Tochter ging von Ihnen als ein dem Vaterhause entfremdetes Kind, sie kehrte zu Ihnen zurück als ein von allen Schlacken und Flecken gereinigtes, zart und innig fühlendes Herz, und nun sehen Sie zwei Seelen vor sich, die nach vielem Suchen und Irren in dem gegenseitigen Besitz ihrer Herzen eine Heimat gefunden haben, die sie entschlossen sind, gegen alle Angriffe und Stürme der Welt, gegen die Schläge des Unglücks, gegen die gefährlichern Verlockungen des Glücks standhaft zu vertheidigen.«

Hildegarde stand gebeugten Hauptes vor dem Vater, ihren Arm aber schlang sie vertrauensvoll um den Nacken Adolar’s, der die Geliebte feurig an seine Brust drückte.

Es vergingen noch einige Secunden, ehe Andreas seiner Ueberraschung und einer derselben sogleich folgenden tiefen Rührung Meister werden konnte. Dann hob er seine rauhen Hände, die grauen Augen richteten sich gen Himmel, und die Stirnen der Liebenden mit den Fingerspitzen berührend, sprach er halbleise:

»Seliger Geist, der du von mir schiedest, als ich dich in wahnsinniger Verblendung verließ, siehe jetzt herab auf diese in Liebe und Glück Vereinigten, verzeihe mir meine Schwäche, und führe den Segen zurück in dies Haus, das so lange dem Unsegen, dem Unfrieden, dem Unheil verfallen war!«

Diese Worte des Försters vernahm außer den Liebenden auch noch Kathrine. Sie war dem Bruder leise gefolgt, um Zeuge des heftigen Auftritts zu sein, der, wie sie voraussetzte, dem Eintritt des Försters in das Wohnzimmer seiner Tochter unmittelbar folgen müsse. Des Bruders Bittrede aber, die einem tiefen Herzensbedürfniß entsprang, machte Kathrine erbleichen. Dennoch hatte sie nicht den Muth, die Glücklichen, denen sie sich in keiner Weise gewachsen sah, zu stören. Ebenso leise, wie sie dem Förster nachgegangen war, schlich sie wieder die Treppe hinunter, ging in die Küche und fing, fortwährend dumpf murmelnd, alle Fliegen, die sie entdecken konnte, um ihre hungerigen Spinnen damit zu füttern.

Als später Andreas seiner Schwester Adolar und Hildegarde als Verlobte vorstellte, warf sie verächtlich die Lippe auf und sagte, ihnen den Rücken zukehrend:

»Was sich neckt, das liebt sich, und was sich paart, das frißt sich. Wünsche beiderseits den besten Appetit, Klagen über allen Nachgeschmack aber verbitt’ ich mir!«


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