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VIERTES KAPITEL.

ZERLINE’S SIEG.

»Zerline,« sprach Adolar in leisestem Flüstertone, »wie lebt dein Vater? Wird er genesen?«

Das Mädchen bejahte durch leichtes Kopfnicken.

»Hast du meiner ... meiner Mutter eine Mittheilung zu machen?«

»Schläft sie?« unterbrach ihn Zerline.

»Sie wacht; ich habe sie verletzt und erbittert!«

»Das gerade ist die rechte Stimmung für den Auftrag, der mir geworden ist,« versetzte mit leichtfertigem Lächeln die Tochter Sandomir’s. »Bleibe bei mir und sei Zeuge, wie leicht es mir wird, mit meiner vornehmen Tante in eine lebhafte Unterhaltung zu kommen.«

Diese letzten nicht mehr ganz leise gesprochenen Worte hatte die Baronin, welche das Gesicht der Wand zukehrte, vernommen. Sie glaubte, die Zofe sei eingetreten und richte bescheiden eine Frage an sie.

Ohne die Augen zu öffnen, rief Clotilde die Erwartete mit Namen, indem sie in leidendem Tone hinzufügte:

»Reiche mir die Limonade! ... Ich habe einen brennenden Durst ... Das Geschwätz dieses rohen Studenten, dem es Vergnügen zu machen scheint, mich leiden zu sehen, hat mich entsetzlich angegriffen ... Ist der Baron ausgeritten? ... Ich vernahm vor kurzem Pferdegewieher ...«

Zerline bedeutete Adolar durch einen Wink, daß er sich still verhalten möge. Dann schwebte sie sylphenleicht auf den Zehen über den Teppich, ergriff das Wasserglas, schüttete eins der auf dem Tische befindlichen Limonadenpulver in das zierliche Gefäß und goß aus der Krystallflasche eine genügende Quantität Wasser dazu. Als Clotilde das Klirren des silbernen Löffels im Glase vernahm, richtete sie sich auf, tastete mit der linken Hand nach dem Glase, das Zerline ihr reichte, und hielt die Rechte, tief aufseuzend, über die Augen, indem sie sich langsam umwendete.

Das Glas erfassend, ließ die Baronin die Hand sinken und ihr Blick traf Zerline, die tückisch wie ein Kobold zu kichern begann.

Entsetzt über diesen völlig unerwarteten Anblick ließ Clotilde das Glas fallen, dessen Inhalt auf den Teppich ausströmte.

»Fort, Dirne! Aus meinen Augen!« rief sie röchelnd, beide Hände gegen die feingegliederte Gestalt der Tochter Sandomir’s ausstreckend. »Fort! ... Elender Bube! ...«

Der letzte Ausruf galt Adolar, der einige Schritte hinter seiner Cousine die Wirkung dieses Erkennens kaltblütig belauschte.

Zerline war jedoch so leicht weder abzuweisen noch einem einmal gefaßten Entschlusse untreu zu machen.

Ohne die Entrüstung der Baronin zu bemerken, ließ sie sich vor der Chaiselongue auf ein Knie nieder, erhaschte die Hand Clotildens, die vor Aufregung, Angst und verhaltener Wuth zitterte, drückte einen Kuß auf die sammtweichen Finger und sagte:

»Gnädige Tante, mein Vater läßt Ihnen einen glücklichern Morgen wünschen, als er selbst erlebt hat!«

Clotilde stieß die Nichte mit Abscheu zurück und nahm eine sitzende Stellung an. Zerline war sogleich bei der Hand, der verwöhnten Frau die weichen Morgenschuhe auf die Füße zu streifen, noch ehe diese es hindern konnte.

»Papa ist sehr schwach, gnädige Frau Tante,« fuhr das Mädchen fort, als habe sie weder die haßerfüllten Blicke noch die Bewegungen der Baronin gewahrt. »Der Blutverlust hat ihn sehr angegriffen, und da er nicht selbst Ihnen, wie es sich wohl für ihn schickte, seinen respectvollen Morgengruß überbringen kann, hat der liebe herzige Papa mich mit diesem Aufträge beehrt. Du bist doch nicht von bösen Träumen beunruhigt worden, Tante?«

In Ermangelung eines Taschentuchs, das sie nicht gleich finden konnte, begann Clotilde ihrer Gewohnheit nach an dem Shawl zu zupfen und zu zerren, der ihr als Hülle diente. Dabei irrte ihr zornfunkelndes Auge von der knienden Sirene auf den verächtlich und stolz zu ihr niederblickenden Sohn.

»Mein Vater ist so unglücklich,« fuhr Zerline fort. »Er fürchtet, die letzte Stunde könne ihn plötzlich ereilen, und die Besorgniß vor der Möglichkeit eines so schrecklichen Ereignisses beunruhigt, ja quält sein menschenfreundliches Herz!«

Das kniende Mädchen, dem der Poncho halb von der Schulter glitt, die alabasterweiß aus dem schwarzen Kleide sah, das sie trug, begann zu weinen und zwar so natürlich, daß die Baronin von dem Schmerz Zerline’s augenblicklich entwaffnet wurde.

Die herabträufelnden Thränen schnell abtrocknend, fuhr sie fort:

»Ich soll Ihnen eine Mittheilung machen, gnädige Tante. Mein alter Vater will sich mit Ihnen versöhnen.«

»Nein, nein, nein!« fuhr Clotilde heftig auf. »Ich will es nicht, ich dulde es nicht! ... Ereilt den Schändlichen der Tod, so soll sein Geist unversöhnt hinüberschweben ins Jenseits!«

Zerline umfaßte die Knie der Baronin und brach in tiefes Schluchzen aus. Adolar, von dem untadeligen Teint seiner Cousine mehr vielleicht angezogen, als von der grausamen Härte seiner lieblosen Mutter gereizt, legte seine Hand auf das Haupt der Knienden und sprach:

»Entwürdige dich nicht, Cousine. In verwüsteten Herzen wohnt kein Erbarmen!«

»Also verabredet habt ihr euch?« fiel argwöhnisch Clotilde ein. »Nun ich hoffe, daß ich euch diese Schändlichkeiten, mit denen ich Wehrlose überhäuft werde, eines Tags gebührend werde zurückzahlen können!«

Adolar bemühte sich, die kniende Zerline aufzuheben.

»Laß ab mit Weinen und spare jede Bitte, Cousine,« sprach er. »Hast du aber irgendeinen bestimmten Auftrag von deinem Vater erhalten, so entledige dich desselben ohne alle beschönigenden Redensarten. Ich werde dich beschützen.«

In Zerline’s Augen zuckte es freudig auf. Sie dankte ihrem Cousin für die erhaltene Zusage, legte den Poncho wieder um die volle glänzende Schulter und sagte dann ganz so kühl und resolut, wie der routinirteste Geschäftsmann.

»Papa will Frieden mit dir schließen, Tante, Frieden auf ewige Zeiten, wie die großen Potentaten, wenn sie sich gegenseitig das übermüthig schäumende Blut abgezapft und dadurch argen Schaden zugefügt haben. Ich komme als Friedensparlamentär mit weißer Fahne in der Hand, und wenn du mir nur zuhören willst, werden wir uns über die Bedingungen bald einigen. Papa stellt die annehmbarsten; sie werden ihn beruhigen, dich aber frei und glücklich machen. Erlaubst du, daß ich mich des Nähern erklären darf?«

Zerline hob das Glas auf, welches vorhin der Hand Clotildens entglitten war, schüttete ein Limonadenpulver ein, goß Wasser auf und trank die liebliche Mischung mit der ungenirtesten Miene von der Welt.

»Deine Limonade ist vortrefflich, Tante,« sprach sie, die letzten Tropfen ausschlürfend. »Von wem beziehst du sie? Wenn wir Handels einig werden, kannst du mir eine Empfehlung an deinen Lieferanten mitgeben.«

Clotilde schwieg noch immer, da sie wirklich zu einem bestimmten Entschlusse nicht kommen konnte. Dies Schweigen legte sich Zerline zu ihren Gunsten aus. Sie fuhr, das geleerte Glas auf den Tisch stellend, fort zu plaudern, als wolle sie die Baronin mit lauter nichtssagenden Dingen unterhalten.

»Wenn der Onkel Baron mein Mann wäre, weißt du, was ich dann begönne, Tante? ... Nein? Du weißt es nicht? ... Ich trennte mich von ihm! ... Gewiß, Tante! Verdient hat er es schon längst. Auch bist du gar nicht seine Frau, sagt Papa ... «

Die Baronin stand auf und legte ihre Hand auf den rosigen Mund der Schwätzerin.

»Adolar,« sagte sie mit aller ihr zu Gebote stehenden Würde, »wenn ich dich nicht verachten und verleugnen soll, so schütze mich vor dieser Landstreicherin!«

»Die Wahrheit schmeckt gewöhnlich bitter,« versetzte Clotildens Sohn, »wer sich aber davon nicht abschrecken läßt, der gewinnt für sich und andere. Erweiterung unserer Kenntnisse kann uns drei Personen, die wir durch Bande des Bluts einander so innig verbunden sind, nur Vortheil bringen.«

Die Baronin fiel wie gelähmt zurück auf die Chaiselongue; Zerline aber, welche die Miene annahm, als sei das Ganze nichts weiter als ein harmloser Scherz, nahm ihren unterbrochenen Vortrag lächelnd von neuem auf.

»Bitte, gnädige Tante, sei mir nicht böse, wenn ich bisweilen nicht die feinsten Ausdrücke, die passendsten Worte finde,« fuhr sie fort. »Ich ward nie nach einer Methode unterrichtet. Was ich lernte, eignete ich mir meistentheils blos so nebenbei an, oder ich schnappte es von Fremden auf, mit denen Papa häufig verkehrte. O, Papa hatte stets den besten Umgang bis vor wenigen Jahren, wo uns mit dem Gelde auch die gute Gesellschaft ausging. Das war kein Wunder. Dagegen fällt es mir auf, daß der Onkel Baron, der ja Geld die Hülle und Fülle besitzt, auch nicht die Besten zu seinem Umgange sich zu erküren scheint. Wie elegant, wie vornehm, wie zart bist du dagegen, Herzenstante! Und deshalb paßt ihr eigentlich gar nicht zu einander.«

Clotilde seufzte und versuchte, durch die Finger schielend, die weitern Absichten Zerline’s in deren Augen zu lesen; denn daß sich hinter dieser scheinbar leichtfertigen Art der kecken Nichte eine sehr bestimmte Absicht verberge, leuchtete der Baronin bald ein. Da Zerline auch auf ihre Aeußerung einer Antwort nicht gewürdigt ward, beugte sie ihren hübschen Kopf mehr vor und sagte mit schalkhaftem Gesichtsausdruck:

»Papa weiß, wie Sie es anfangen müssen, Tante, um dem Onkel Baron nicht ferner Gesellschaft leisten zu dürfen.«

Diese Worte fielen zündend in die Seele Clotildens und Adolar’s. Dieser blickte die schelmische Cousine düster, die Baronin neugierig kalt an. Beide aber schwiegen auch jetzt noch.

»Wenn Sie mir versprechen wollen, Tante, von jetzt an für mich zu sorgen, als wäre ich ihre eigene Tochter, und wenn Sie gleichzeitig sich verpflichten, Papa gegen jeglichen Mangel zu schützen, sobald er wieder vollständig genesen ist, kann ich Ihnen mit drei oder vier Worten das Geheimniß mittheilen, das Ihnen volle Freiheit gibt.«

War es nun Zufall oder ein sympathischer Zug verwandter Seelen, genug, wie von dem zwingenden Willen einer unsichtbaren Macht geleitet, begegneten sich jetzt die Blicke von Mutter und Sohn. Es war nicht Liebe, nicht einmal Theilnahme, die in diesem Augengruße lag. Beide aber verstanden sich sofort und beide waren einig in ihrem Wollen. Es bedurfte zwischen den sonst geistig Geschiedenen keiner Frage, keiner Antwort, um ein gemeinsames Verständniß herbeizuführen. Die Baronin, fühlend, daß Adolar ihr Verfahren vollkommen billigen werde, wickelte die Hand aus ihrem Shawl, legte die Fingerspitzen derselben in die Rechte Zerline’s und sagte leidenschaftslos:

»Wenn ich deinen Vorschlag annehmbar finde, geschieht für dich und deinen Vater, was du wünschest.«

Adolar trat näher, während Zerline mit lächelndem Munde sich zum Ohr der Baronin herabbeugte und dieser ganz langsam und halblaut einige Worte zuraunte, die jedoch Adolar ebenfalls hören konnte.

Die Wirkung dieser Worte war für Mutter und Sohn eine furchtbare. Der Gesichtsausdruck Clotildens ward furienartig, Adolar erstarrte das Blut in den Adern. Er taumelte, wie vom Schlage getroffen, und lallte, die zitternde Hand ohnmächtig ballend: »Waffen! Waffen!«

»Beweise!« stotterte die Baronin, sich die Haare aus dem verzerrten Gesicht streichend. »Beweise, und ich will – Mutterstelle bei dir vertreten!«

Zerline behielt ihre lächelnde Miene bei. Sie ergriff die Wassercaraffe, füllte zur Hälfte das Krystallglas und credenzte es mit zierlicher Anmuth der Baronin.

»Erst stärke dich, gnädigste Tante,« sprach sie, wieder in ihren vertraulichen Ton fallend, mit dem sie willkürlich abwechselte. »Die Beweise besitzt Papa. Willst du sie kennen lernen, so leihe ich dir gern meinen Arm, um dich zu ihm zu geleiten, denn der Blutverlust von voriger Nacht macht ihm das Gehen unmöglich. Cousin Adolar ist gewiß so freundlich, dich ebenfalls zu unterstützen.«

Adolar lauschte mit größter Spannung jedem Worte Zerline’s. Es erschien ihm jetzt vieles in einem ganz andern, hellern Lichte. Er begriff manches, was ihm bis dahin dunkel oder völlig unverständlich gewesen war. Namentlich konnte er sich die seit vorigem Herbst auffallend veränderte Stimmung seines Vaters erklären.

»Er ist nicht im Schlosse,« sprach er grollend und mit einem Entschlusse ringend. »Wenn er zurückkehrt ... «

»Werde ich den Baron empfangen,« fiel Clotilde ein.

Sie stand auf, warf den Shawl ab, der ihr bis dahin als Hülle gedient hatte, und winkte Zerline, daß sie ihr einen Umwurf reichen solle, der über der Lehne eines großen Armstuhles hing.

Während die Tochter Sandomir’s behende dieser Aufforderung nachkam, zog Clotilde eins der Rouleaux vollends auf, trat vor ihre Toilette und unterwarf ihre Züge einer scharfen Prüfung. Die eitle Frau erschrak über ihr Aussehen. Die Vorgänge der letzten Nacht, die Schlaflosigkeit, an der sie später litt, endlich die heftigen Gemüthsaufregungen, die sie infolge der Unterredung mit ihrem erbitterten Sohne und mit der ewig lächelnden, stets zu Scherzen geneigten Zerline erlebte, hatten Verwüstungen angerichtet, die selbst die vollendetste Toilettenkunst nicht völlig zu verdecken vermocht haben würde.

Zu jeder andern Zeit würde Clotilde eine solche Wahrnehmung sehr unglücklich gemacht haben. Heute entlockte sie ihr ein Lächeln. Ihr kluger Verstand sagte der berechnenden Frau, die an einem neuen, vielleicht dem letzten und entscheidendsten Wendepunkte ihres Schicksals stand, daß eine recht leidensvolle Miene, die nicht erkünstelt war, ihrer Absicht nur förderlich sein könne.

Sie begnügte sich, mittels eines Schildkrotkammes ihre verworrenen Haare nothdürftig zu ordnen und sie mit einer reichen Spitzenhaube zu bedecken. Darauf ließ sie einige Tropfen Eau de Cologne auf ihr gesticktes Taschentuch träufeln und führte dies einigemale zur Nase, um den aromatischen Duft des angenehmen Parfüms behaglich einzufangen.

Dadurch gekräftigt, erhob sie sich, wendete sich vornehm um und sagte halb bittend, halb befehlend zu Adolar.

»Du wirst nichts ohne die Billigung deines unglücklichen Oheims unternehmen! ... Deine betrogene Mutter bittet dich darum ... O, daß ich diesen Tag erleben mußte! ...«

Sie drückte das duftende Taschentuch vor die Augen und schluchzte.

»Meine Mutter!« sprach Adolar, ihr den Arm reichend.

Clotilde ließ das Taschentuch sinken. Ein paar Thränen verschleierten ihre Augen.

»Ich werde von deinen Bitten mich erweichen lassen,« fuhr sie fort, »wenn dein Onkel halten kann, was er verspricht. Hildegarde wird zurückkehren und wieder Freude in das Haus des Försters bringen.«

Adolar beantwortete diese Zusage seiner Mutter durch einen leichten Händedruck.

Darauf legte die Baronin den linken Arm auf die Schulter der elfenartigen Zerline, ließ nochmals ihr großes Auge auf den Zügen ihres Sohnes ruhen und sagte dann entschlossen:

»Zum Krankenlager Sandomir’s! Ich will seine Beichte hören und prüfen, ob er die Wahrheit spricht!«


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