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NEUNTES KAPITEL.

VATER UND TOCHTER.

Unter schützendem Zeltdach ruhte Sandomir Geldern bequem in einem niedrigen Gartenstuhle. Seine Stellung war mehr die eines Liegenden als eines Sitzenden. Er sah recht heiter aus, obwohl die Schmerzen, welche ihm die nur langsam heilende Wunde verursacht hatte, die Spuren der Verlebtheit, die er ohnehin nicht immer ganz verdecken konnte, deutlicher als früher hervortreten ließen.

Vor ihm auf dem Tische lag ein Zeitungsblatt, in dem der ehemalige Militär gelesen hatte. Jetzt gab er sich beschaulicher Ruhe und allerhand Betrachtungen hin, indem er dem Spiel der Insekten, deren schattige Umrisse der helle Sonnenschein durch das Segeltuch erkennen ließ, zusah und dabei recht als Genußmensch eine der beliebten Manilla rauchte.

Eine geraume Zeit hatte Geldern fast regungslos so im süßen Nichtsthun verbracht, als Zerline leichtfüßig über den röthlichen Grant tänzelte und sich hinter den Vater schlich. Dennoch vernahm dieser das Nahen seines Kindes oder die Ahnung verrieth es ihm.

»Was bringst du Neues, Gazelle?« sprach er die Tochter an, noch ehe diese den wieder genesenen Vater begrüßen konnte. »Hat deine liebenswürdige Tante ihren guten Tag oder will sie sich wieder einmal mit aller Gewalt ihr schönes Haar abscheren und als Büßende barbeinig zum Gespött der Bauerjungen und losen schandmäuligen Bengel, die schon seit Jahren Hofdienste thun, durchs Dorf laufen? Eins sag’ ich dir, Kind: Es würde mich sehr verdrießen, machtest du zu unrechter Zeit einen faux pas, enterben aber thäte ich dich ohne Gnade, wenn du natürlicher Leichtfertigkeiten wegen in deinem mit großer Sorgfalt geformten niedlichen Hirnkasten dir das Licht der ewigen Lampe, die man gemeinhin Vernunft nennt, ausgehen ließest.«

»Lieb Tante schläft, Papachen,« erwiderte Zerline, dem Vater die Hand küssend und ihm wohlgefällig mit ihren runden hübschen Augen betrachtend. »Du kannst ungestört laut denken, belauschen wird dich außer deinem thörichten Kinde niemand. Was Neues aber habe ich doch für dich mitgebracht.«

»Dann erzähle!«

»Onkelchen ist wieder da.«

»Wie lange war er fort?«

»Vier Tage und einen halben.«

»Genau gerechnet?«»Bis auf die Minute.«»Hast du ihn schon begrüßt?«»Noch nicht, ich habe auch keine Lust dazu.«»Sieht er mürrisch aus?«»Ich würde lieber sagen närrisch.«»Ein neuer Beweis, ein wie großer Uebelstand die Ehe ist! Alle ehelichen Leiden wirken auf diejenigen, welche sie vereint tragen müssen, ansteckend. Das war ein Hauptbeweggrund für mich, niemals zu heirathen. Hätte ich es gethan, wie leicht, ja wie wahrscheinlich wäre es dann gewesen, daß ich dem Beispiel deiner Mutter gefolgt und wie sie vor Hunger und Kummer gestorben wäre! Denke dich recht tief in ein solches Unglück hinein, und du kannst dadurch veranlaßt werden, einen kurzen Anhang zu dem tiefsinnigen Buche der Weisheit Salomonis zu schreiben. Aber was kann meinem lieben Herrn Schwager denn fehlen? Er besitzt ja mehr, als er braucht, und die Sorgen der Verwaltung Kaltensteins ruhen schon seit einigen Monaten auf den kräftigen Schultern seines Sohns, der auch viel besser dazu paßt als sein Herr Vater.«

Zerline legte sich schmeichelnd vor dem Vater nieder und lachte ihn so bestechend an, daß Geldern in herzliches Lachen ausbrach.

»Wenn du keinen Geliebten bekommst, der dir ein halbes Fürstenthum schenkt, so verzweifle ich an der Welt,« sagte er, sich die Thränen, welche das Lachen ihm ausgepreßt hatte, abwischend. »Wäre ich nicht eine Respectsperson für dich, so würde ich wahrscheinlich respectvoll vor dir, du infame Hexe, mich beugen!«

Geldern berührte die sammtene Backe seiner Tochter mit leichter Hand, worauf diese wieder aufstand, das Zeitungsblatt ergriff und ihre Augen darüber hingleiten ließ, ohne wirklich zu lesen.

»Meinst du wirklich, Papa,« hob sie in scherzhaftem Tone an zu plaudern, »daß unser Schicksal, wie du dich seit einiger Zeit nach Prophetenart auszudrücken pflegst, sich nächstens erfüllen wird? Verstehe ich dich nämlich recht, so willst du damit eine Wendung zum Bessern für uns beide andeuten, womit ich allerdings sehr zufrieden wäre, obwohl uns augenblicklich hier eigentlich nichts abgeht.«

»Habe ich nicht immer Wahrheit gesprochen, mein Kind?«

»So oft sie eintraf, immer!«

»Schelmenauge! Meine Prophezeiung wird diesmal auch wieder eintreffen.«

»Was hast du denn prophezeit?«

»Das weißt du nicht?«

»Nicht genau, Papa, weil ich die Gedanken anderer, auch derer, die ich ganz durchschaue, nicht immer deutlich hören kann. Außerdem liegt Kaltenstein hoch und es ist hier überall sehr zugig. Da werden denn oft die allerschönsten Gedanken vom Luftzuge über alle Berge fortgeweht.«

»Du wirst an diesen Herrlichkeiten still genießend mit theilnehmen, bis du des Scherzens müde geworden, die Lachmaske mit der des ewigen Schweigens vertauschest. Adolar ist, wie ich immer gesagt habe, ein höchst respectabler Verwandter, der Sinn hat für das Schickliche. Er kennt unser Schicksal wie sein eigenes, und da ihn die Erfahrung lehrt, wie gefährlich es ist, ein Schicksal eigensinnig und einseitig abändern zu wollen, so wird er sich hüten, diesen Fehler zu begehen. Wärst du zufrieden, wenn wir, an diesen Sockel des Schicksals gelehnt, hier für immer Hütten, das heißt comfortable eingerichtete, bauten?«

»Zufrieden wäre ich, Papa, aber Glauben an die Erfüllung dieser Prophezeiung habe ich nicht.«

»Weshalb nicht, Ungläubige?«

»Weil ich das Gesicht des heimgekehrten Oheims sah.«

Jetzt erst veränderte Sandomir Geldern seine Stellung und nahm Zerline das Zeitungsblatt aus der Hand.

»Der Herr Baron ist also sehr verstimmt?« sagte er, seine Blicke auf die Zeitung heftend. »Wenn ich wüßte ... «

»Wolltest du ihn sprechen?«

»Es wird eines Tags geschehen müssen, denn unsere bisherige Art des Verkehrs hat viel Störendes. Man hört nur, was der andere spricht oder sprechen will, was er denkt bleibt auch dem Klügsten und Mistrauischsten mehr als zur Hälfte verborgen.«

»Ich werde nicht zugeben, daß du den guten Onkel sprichst,« erwiderte Zerline, »so wenig ich einer Zusammenkunft mit der wehmüthig gestimmten Tante das Wort rede. Weit lieber wäre es mir, du folgtest dem Rathe des gelehrten Juristen, der die Eigenthümlichkeit hat, jeden delicaten Bissen, der seine Speicheldrüsen in besonders angenehme Bewegung setzt, mit Thränen anzufeuchten. Ich habe immer gewünscht, das beschauliche Leben im Hause eines frommen Geistlichen kennen zu lernen. Böse Zungen und selbst der feine Mund meines gütigen Papa sagen, ich ginge dem Himmel verloren, wenn der heilige Petrus mir nicht das Zeichen seines Schlüssels zwischen die Schultern drückte, damit er mich unter den leichtfertigen Sünderinnen besser herausfinden könne. Nun bitte ich, Papachen, kann es behufs dieser hochheiligen Brandmarkung für mich einen geeignetern Aufenthaltsort geben, solange hier die Luft nicht reiner wird, als das stille Haus eines Domdechanten?«

Geldern ließ das Zeitungsblatt, in dem er gelesen hatte, sinken. Der spöttisch lächelnde Zug um seinen Mund, der etwas Abstoßendes hatte, war plötzlich verschwunden, was Zerline sogleich gewahrte. Auch ihr rosiges Gesichtchen überschattete sich leicht mit einer Wolke.

»Es ist dir ein unangenehmer Gedanke in die Quere gekommen, Papa,« sagte sie. »Kann ich ihn verscheuchen, so sag’ es, »und ich will mich aufblasen wie ein Laubfrosch, um ihn mit vollen Backen in die Flucht zu schlagen.«

»Du kannst recht haben, Schelm,« erwiderte Geldern, seine gewöhnliche heitere Gesichtsmaske wieder anlegend. »Betrachtet man die jetzige Welt mit deinen Augen und besitzt man soviel Mutterwitz wie du, so muß man finden, daß du nirgends mehr am Platze sein wirst als bei einem mildgesinnten Prälaten. Wie sehr ich schon seit Jahr und Tag daran denke, dich anständig unterzubringen, ohne dir gerade ein Frauenhäubchen auf dein wirklich sehr schönes Haar zu stülpen, kann dir selbst bei deinen guten Anlagen nicht entgangen sein. Unterm Krummstab ist gut zu wohnen! sagt ein altes Sprichwort; versuchen wir’s einmal, ob sich dasselbe auch in unserer frivolen Zeit noch bewährt. Für mich wäre es sehr trostreich, wüßte ich dich in guter Gesellschaft. Du würdest dann gewiß bald so wohl erzogen dich zeigen, daß du deinen vornehmen Verwandten, die vielleicht zahlreicher sind als wir wünschen, wahrhaft Ehre machtest.«

»Und was willst du alsdann beginnen, Papachen?« entgegnete Zerline. »Meine Absicht war, mich und dich zugleich sicher zu stellen, wenn die Grundfesten dieses Schlosses etwa zufällig ins Wanken kommen sollten.«

»Damit dies eben nicht geschieht, mein kluges Kind, schlage ich eine rechtzeitige Trennung vor,« sagte Geldern. »Ich bin zwar kein Atlas, und wenn Erde und Himmel ins Taumeln gerathen, so schließe ich mich dem allgemeinen Schwindel jedenfalls lieber an, als daß ich den Versuch mache, ihn aufhalten zu wollen. Hier aber wäre es doch möglich, daß ich durch bloßes Stopfen und Kleistern einen bereits sichtbar werdenden Riß wieder glücklich überpinselte.«

»Diese Bilder entbehren zu sehr bestimmter Farben, um sie meinem Auge gefällig erscheinen zu lassen.«

»Es geht mir genau ebenso und doch muß ich mich dieser verwässerten Farben bedienen. Hast du diese Zeitung hier gelesen oder sie nur mit zerstreuten Blicken überflogen?«

»Alles Lesen ist mir langweilig.«

»Sehr wahr, mein Kind, aber es belehrt und macht uns zuweilen klug.«

»Oder unruhig!«

»Auch das, du Nichtgebenedeite unter den Unverheiratheten. Mich zum Beispiel hat das Lesen eines einzigen Satzes klug und unruhig zugleich gemacht. Willst du als gutes gehorsames Kind an den gemischten Gefühlen deines stets aufmerksamen Vaters participiren, so strenge deine schelmischen Augen zwei Secunden lang an, setze dich in den Besitz der Weisheit dieser wenigen Zeilen hier, und wenn sich dann die romantischen Grübchen in deinen Wangen nicht verlieren, erkläre ich dich für fähig, die Befehlshaberstelle der weiblichen Leibgarde Seiner Majestät des Königs von Siam zu jeder Stunde antreten zu können.«

Zerline folgte der Aufforderung ihres Vaters und las mit Aufmerksamkeit die Zeilen, auf welche der Finger Geldern’s zeigte. Die rundlichen Wangen des jungen Mädchens wurden dabei schlaffer und die Grübchen verschwanden wirklich.

»Siehst du,« fuhr Geldern fort, die Zeitung wieder zu sich nehmend, »es gibt also doch für dich einen Punkt, wo deine auf das absolute Nichts gestellte Courage zu Grunde geht. Wie behagt dir dieser Spaß?«

»Es kann ein bloßes Gerücht sein,« meinte Zerline.

»Besser wär’ es, du sagtest: es könnte sein! Leider bin ich in dieser Beziehung mehr Wissender als mir lieb ist. Von deinem bösen Großvater weiß ich, daß diese Verzweigung vorhanden war. Deine Großmama ist eigentlich daran gestorben.«

Zerline warf die Lippen keck auf und lachte dem Vater ins Gesicht.

»Laß es so sein, wie du fürchtest,« erwiderte sie, »was können wir darunter leiden? Das Glück bildete ja vor und nach meiner Geburt die einzigen liegenden Gründe, von deren Ertrage wir uns ernährten. Kann uns dies unveräußerliche, nicht einmal greifbare Kapital irgendjemand rauben? Nie und nimmer, Papa! Und so denk’ ich, könnte das Wiederfinden verschollener Verwandter, an deren Existenz bisher kaum irgendjemand glaubte, uns Kindern der Luft und des Glücks eher nützen als schaden.«

»Ein Mund ist kein Grab,« sagte Geldern, »und auch der verschwiegenste Mensch fühlt sich bisweilen gedrungen zu sprechen, wenn er sich von der Schwäche der Natur so weit fortreißen läßt, Gewissensbisse unausstehlicher zu finden als Zahnschmerzen. Stünde mein Wissen aus nur einem Augenpaare, dann würde ich heute noch meinem lieben Schwager einen Satz geben, wobei ich jedes Butterbrot als besondere Delice mit Hundertthalerscheinen belegte. Aber, aber! ... Horch, was ist das?«

Vater und Tochter lauschten dem aus dem Innern des Schlosses zu ihnen dringenden Geräusch. Ueber die Entstehung desselben konnten sie weniger in Zweifel sein als über die Veranlassung, die es hervorgerufen haben mochte. Beide vernahmen deutlich die Stimme des Barons, der offenbar heftig mit jemand schalt.

»Mich dünkt,« sprach Geldern, »dein liebenswürdiger Oheim steht im Begriff, seinen Park inspiciren zu wollen. Ich habe es stets so weit thunlich zu vermeiden gesucht, mit heftig erregten Menschen zusammenzutreffen. Entweder man stört oder man wird gestört, und beides ist wieder störend. Laß uns also lustwandelnd die verschwiegenen Bosquets aufsuchen, wo wir uns im schlimmsten Falle den Blicken des heftigen Mannes entziehen können. Wenn ich nur wüßte, wo er sich in den letzten Tagen herumgetrieben hat! ... Das wäre so eine Aufgabe für deine Zuckerbrotlippe, Gazelle! ... Umsonst warf er sich nicht auf seinen Goldfuchs. Es lag diesem Ausfluge eine Veranlassung von tiefer Bedeutung zu Grunde.«

»Sollte Förster Frei nicht darum wissen?« meinte Zerline. »Der Mann mit seiner Geiernase und dem mädchenhaft verschämten Blicke ist ja das tägliche Brot im Schlosse, und thut ebenso vertraut mit dem Onkel wie mit dem Cousin.«

»Förster Frei?« erwiderte Geldern. »Ich fühle kein Bedürfniß, mich diesem Nimrod anzuvertrauen. Leute, die auf zwei Achseln tragen, sind stets zweideutige Charaktere. Da lob’ ich uns beiden! Wir wissen, was wir wollen, und wenn der eine lacht, der andere weint, so liegt darin Sinn, wie in dem duftigen Alphabet eines Selam. Also, du verlorene Tochter der naschhaften Eva, deren Appetit nach dem verbotenen Apfel mir immer sehr natürlich vorgekommen ist – weshalb ich über den Sündenfall etwas andern Ansichten huldige als die großen Kirchenlichter diesseit und jenseit der Berge – lege dir ein paar Dutzend recht verführerische Phrasen, Fragen und Schmeichelreden zurecht, und schiebe sie mit deiner pfeilartigen Zungenspitze dem Onkel Baron durch die fest zugekniffenen Lippen so tief ins Herz, daß es ihm vor Wonne überläuft, und du dich in dem Gedankenergusse, der dieser Wonne folgt, ganz gemüthlich baden kannst!«

Zerline machte keine Einwendungen mehr. Sie führte ihren etwas unsicher auftretenden Vater nach den entlegensten Gängen des Parks, unterhielt ihn vortrefflich durch ihr Geplauder, dem sich die neckischsten Einfälle beimischten, und als nach längerm Umherwandeln sie sich dem Zelt vor dem Austritte aus dem Schlosse wieder näherten, herrschte die frühere Ruhe hinter den niedergelassenen Rouleaux. Kein Laut, viel weniger ein starkes Geräusch war zu vernehmen.

Friedlich flogen die Schwalben auf und nieder, um ihre junge Brut in den Nestern zu füttern, und eine Anzahl gurrender Tauben lief trippelnd um Tisch und Stühle, um die wenigen im Sand zerstreuten Brosamen aufzusammeln.


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