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SIEBENTES KAPITEL.

DER LOCKVOGEL.

In einem Schenkhause der Vorstadt lag Zerline auf dem schlecht gepolsterten Sofa eines dürftig möblirten Zimmers und rauchte eine Papiercigarre. Das Feuer im gußeisernen Ofen war längst schon ausgegangen und an den trüben Scheiben der Fenster wuchsen die schönsten Eisgewächse von tropischer Pflanzenformation. Trotz der gar zu niedrigen Temperatur, welche in dem wenig einladenden Zimmer herrschte, strahlte das Gesicht des jungen Mädchens doch vor Freude, und als wolle sie sich recht gemüthlich in glückliche Gedanken einlullen, zog sie den Poncho fester um Brust und Schulter, welchen sie in Ermangelung eines zweckmäßigern Kleidungsstückes jetzt als Hauskleid benutzte.

Die Cigarre war ziemlich aufgeraucht, als Zerline’s Vater im blauen Frack mit gelben Knöpfen, um den Hals einen dicken rothen Shawl gewunden, eintrat und einen halb ärgerlichen, halb spöttischen Blick auf die rauchende Tochter warf.

Zerline veränderte ihre Lage durchaus nicht, während sie den Vater mit der hastigen Frage gleichsam anfiel.

»Nun Papachen, was ausgerichtet?«

Der ehemalige Militär und Ritter machte ein grimmiges Gesicht, riß erst den Shawl ab, knöpfte dann den Frack auf und zeigte auf seine schöne Weste von meergrünem Sammt.

»Lies hier die Antwort,« versetzte er mit komischem Pathos. »Man muß sich immer zu helfen wissen.«

»Gewiß, Papachen, und eben weil ich bis jetzt diese deine hochherzige Lehre stets rechtzeitig beachtet habe, sind wir auch immer ehrlich und lustig zugleich durch die Welt gekommen. Sieh’ hier!«

Zerline zog ein Billet unter dem Poncho hervor und zeigte es dem Vater.

»Von wem?« fragte dieser, ohne besondere Neugierde zu verrathen.

»Ich habe einen guten Fang gemacht, das heißt wenn ich will,« fuhr Zerline fort. »Mein Scharfsinn und mein loses Mündchen haben ihn herausgelockt aus seinem Bau. Der Fuchs geht in die Falle!«

»Laß die Possen, Kind, und sprich verständig,« unterbrach sie der Vater. »Unsere Zeit ist kostbar, und weil wir Geld aus ihr münzen müssen, dürfen wir keine unnützen Allotria treiben! Du hast in den letzten vierzehn Tagen abscheuliche Summen todtgeschlagen.«

»Sie sollen wieder aufgeweckt werden, mein Herr und Meister,« erwiderte Zerline, die kirschrothen Lippen wie schmollend aufwerfend. »Dies Billet hier ist von Ihm!«

»Von wem? Kann ich wissen, wie viele Er du kennst?«

»Von dem hübschen Juden im langen Roquelaux, der so schlecht den jüdischen Jargon sprach.«

»Der mich in schlechtem Punsch ersäufen wollte?« rief Sandomir Geldern.

»Der gute Junge meinte, Alter schütze vor Thorheit nicht,« sprach lächelnd die noch immer gemüthlich fortrauchende Zerline.

»Ich habe dir viel zu viel Freiheit gelassen,« fuhr der Vater fort. »Ein Kind, das seinem eigenen Vater das Alter vorwirft, wenn er eben dem Ende der Vierzig mit vollen Segeln zusteuert, ist schlecht erzogen und verdiente eigentlich die Ruthe.«

»Man sieht dir diese Jugend nicht an, Papachen, du nimmst dich viel, viel ehrwürdiger aus,« erwiderte die unverbesserliche, leichtfertige Tochter. »Aber Spaß beiseite, der gute Junge beißt an.«

»Kennst du seinen Namen, seinen Stand?«

»Er ist ein Bruder Studio wie ich, und Studenten verlassen einander nie in der Noth, solange sie noch pumpen oder etwas verklopfen können. Ich kenne ihn seit einer Stunde.«

»Hat er dich besucht?«

»Noch nicht, aber er soll bald kommen, morgen, heute Abend, wenn es dir recht ist. Es hängt das ganz von meinem liebenswürdigen Commando ab.«

»Nenne mir den Namen und du sollst meinen Willen erfahren!«

»Damit mir die Cigarre nicht dabei ausgeht, bemühe dich gütigst, mit eigenen Augen diese Zeilen durchzustudiren.«

Geldern ergriff das Billet, entfaltete es und las nur die Unterschrift.

»Adolar, Baron von Kaltenstein?« sprach er überrascht.

»Mein leiblicher Cousin, Papachen, wenn der echten oder unechten Kaltenstein nicht etwa verschiedene in der Welt herumlaufen,« erwiderte Zerline. »Halb und halb vermuthete ich den jungen Herrn in der Maske des Schacherjuden, der so lustige Bonbons verkaufte. Ich wollte nur recht sicher gehen und deshalb spielte ich die Rolle der stolzen Gräfin, wie ich glaube, mit leidlichem Glücke fort. Die Plater muß unter Männern, weß Glaubens sie auch sind, immer Enthusiasmus erregen. Der Jude ward bezaubert. Ich erlaubte ihm, unter gewissen Chiffren sich in der gelesensten Zeitung nach mir zu erkundigen, sicherte ihm Antwort zu und verlangte dann die Niederlegung eines ebenfalls bechifferten Briefs auf der Post, natürlich poste restante. Während du ausgingst, um Angeln nach Gold auszuwerfen, setzte ich meine Füße ebenfalls in Bewegung. Inzwischen ging dort im Ofen das Feuer aus und ich fand bereits leichtgeblümte Fensterscheiben bei meiner Zurückkunft. Aber der Brief war da, der Vetter wird uns besuchen, und wenn sich bis heute Abend oder morgen früh meine Augen nicht in ein paar Austern verwandeln, will ich aus den Patschhändchen des verliebten Barönchens die ergiebigsten Goldgruben für uns machen. Voilà tout!«

Der routinirte Glücksritter, zu dessen hervorragenden Eigenschaften grenzenlose Leichtfertigkeit gehörte, ward von dieser Mittheilung seines klugen Kindes, von dessen glücklichen Einfällen er zum Theil lebte, höchlichst entzückt.

»Du bist und bleibst mein Goldfink, Zerlinchen,« sagte er, das feine Köpfchen der Tochter mit beiden Händen fassend und sie trotz ihres Sträubens tüchtig abküssend. »Singen, kirren, liebäugeln, wahrlich, das sind drei inhaltsschwere Worte, deren Deutung kein lebendes Wesen besser versteht als du! Was kümmert’s mich, daß mein tombackener Chronometer mit dem goldenen Ueberzuge sich jetzt von seiner nie rastenden langweiligen Arbeit, der dummen Narrenwelt das Zeitmaß vorzuticken, einige Wochen lang ausruhen kann? Dem Glücklichen schlägt keine Stunde, sagt der Dichter, und ich denke, wir beide, die wir uns den Vernünftigsten und Einsichtsvollsten aller jetzt lebenden Menschen beizählen, werden uns nicht schlechter stehen, wenn wir uns auch dann und wann ein wenig in der Zeit irren. Aber nun laß vor allem hören, du kluges Kind einer höchst unklugen Mutter, was gedenkst du eigentlich mit dem Bürschchen aufzustellen? Die Gesellschaft, in der wir ihn kennen lernten, war – ich sage das ohne alle Anzüglichkeit – nicht die beste; sein Anhang schien mir etwas anrüchiger Natur zu sein, indeß amusant auf Taille! Das zigeunerhafte Geschleuder um ihn herum duftete stark nach Spiritus und lachte etwas zu viel und zu laut, um noch bon ton zu sein. Und sein Begleiter mit dem diabolischen Schnurrbart, sollte das wohl ein Baschkire gewesen sein, der im moralischen Deutschland seine ersten Culturstudien machen will?«

»Handeln, mein gewandtes Papachen, handeln ist besser als reden,« erwiderte Zerline, sich dichter in ihren Poncho hüllend.

»Sehr wahr, mein kluges Kind, doch ehe man handelt, muß man denken, und das Gedachte in Worte fassen, um sich andern verständlich zu machen, ist auch nicht überflüssig, denn es befördert vorsichtiges Handeln.«

»Ich habe Lust, unserm schönen Vetter eine kleine Fâte zu geben,« sagte Zerline.

» Parbleu, eine Fâte!« rief Geldern aus. »Und woher, wenn ich fragen darf, willst du die allerhand wohlschmeckenden consistenten und flüssigen Kleinigkeiten nehmen, welche den Hauptbestandtheil eines solchen Zungen- und Gaumenamusement bilden?«

»Von den thörichten Leuten, die ihre Lebensaufgabe darin finden, dergleichen Nichtigkeiten andern zu verkaufen.«

»Gegen baar oder auf – Credit?«

»Letzteres finde ich nobler, Papachen.«

»Ich auch, Töchterchen, nur weiß ich nicht genau –«

»Ob man uns für zahlungsfähig halten wird?«

»Philister sind phantasielose Kerls, Töchter der Luft und der höhern Speculation,« sagte Geldern mit Würde, »und Menschen ohne die Göttergabe der Phantasie verstehen selten die Wünsche und Gedanken schöpferischer Genies.«

»Eben deshalb müssen wir für einen guten Bürgen Sorge tragen,« versetzte Zerline, das Näschen rümpfend, »und dieser Bürge soll und darf nur der junge, galante Herr Cousin sein.«

»Pompös und wirklich beinahe genial das!« rief Geldern, sich die Hände reibend. »Wir arrangiren ein lucullisches Mahl lassen ’was Rechtes draufgehen, sind die liebenswürdigsten Wirthe und schließlich erhält der Gast den Küchenzettel in Zahlen umgeschrieben, die er wieder auslöschen kann, sobald darunter steht: Dankend empfangen!«

»Ich finde, wir thun, was die Verhältnisse uns erlauben,« meinte mit der ruhigsten Weisheitsmiene von der Welt die längst mit sich einig gewordene Zerline.

»Gewiß, mein Püppchen,« bekräftigte der Vater, »und wo soll diese Fâte stattfinden? In diesem Zimmer – Raum möchte ich nicht sagen – läßt sich ein Baron nicht wohl empfangen.«

»Dann stimme ich dir nun wieder vollkommen bei,« erwiderte Zerline. »Darum habe ich beschlossen, den jungen vornehmen Cousin in einem der ersten Hotels gebührend zu empfangen. Das Hotel de Pologne ist, höre ich, en vogue, namentlich bei jungen, lebenslustigen Herren. Mein Cousin, der weder weiß, wie ich heiße, noch wer ich bin, noch welche Farbe meine Augen haben oder wie mein Mund geschnitten ist, mein Cousin soll auf mein ausdrückliches Verlangen in eigener Person das Lokal miethen, in dem wir uns treffen und näher kennen lernen wollen. Es ist dies die einzige Bedingung, unter der ich mich überhaupt dazu verstehe, die Maske zu lüften, um ihm den Beweis zu liefern, daß ich mehr Aehnlichkeit mit einer gewissen Berenice als mit einer Xantippe habe.«

»Ich höre diesen Namen nicht gern,« bemerkte Geldern, die Stirn runzelnd. Ohne darauf zu achten, fuhr Zerline fort:

»Alle diese eben angedeuteten Wünsche werde ich dem Herrn Cousin schriftlich ans Herz legen. Ich werde ferner Tag und Zeit bestimmen, wann wir der Ehre theilhaftig werden wollen, ihn zu einem exquisiten Souper bei uns zu sehen. Wir werden – denn sonst würde es unschicklich sein – die von ihm für uns bestellten Räume vor ihm betreten, damit wir die Honneurs machen können. Im übrigen bleiben wir ganz unter uns, ein schönes Collegium, bestehend aus drei einander eng verwandten Menschen, die sich einander noch enger, vielleicht auf Lebenszeit verbinden wollen. Leuchtet dir nun ein, Papachen, daß die Gedanken deiner Tochter mit den glücklichsten Einfällen, welche je die Noth dir zuraunte, rivalisiren können, so gib mir jetzt deinen väterlichen Segen, und ich verspreche dir, die Zukunft bringt uns bessere Tage. Es wäre sogar möglich, daß meine hochfahrende Tante auf Schloß Kaltenstein sich noch einmal herabließe, mich bittweise zu sich einzuladen, damit ich ihr die Thränen von ihren schönen Augen küsse, und die kleinen unsichtbaren Geister, die an ihrem verwitterten Herzen nagen, mit meinem harmlosen Geplauder verscheuche.«

Geldern machte ein tiefes Compliment vor seiner Tochter, indem er sagte:

»Ich erkenne in dir meinen Meister! Thue, wozu deine Schlauheit dich treibt. Mein Geist sagt mir, daß der galante Cousin dieser feingelegten Falle nicht entgehen kann. Ist er erst glücklich hineingeschlüpft, so soll er gerupft werden, bis der blutige Angstschweiß ihm aus allen Poren träuft! Ich denke, meine liebreiche Frau Schwester, die den Teufel sich lieber zum cavaliere servente engagiren, als mir aus freiem Antriebe die Hand reichen würde, und mein Schwager, der Baron, werden nach diesem glücklich beendigten Souper zu drei uns öffentlich für ihre lieben, theuern, nur zu lange vermißten Verwandten erklären.«

Zerline erhob sich jetzt, ergriff das von Adolar erhaltene Billet, nickte dem Vater mit vielsagendem Blicke zu und setzte sich an den Tisch, um ihre Antwort, verbunden mit der besprochenen Einladung, zu schreiben. Der Glücksritter erniedrigte sich während dieser Beschäftigung seiner Tochter zum Aschenbrödel, indem er vor dem Ofen niederkauerte und mit Hülfe einer Hand voll Papierschnitzel blasend und pustend, ein hellflackerndes Feuer wieder anzuzünden sich bemühte. Er war eben mit dieser unerquicklichen Arbeit zu Stande gekommen, als Zerline die Feder ausspritzte.

»So!« sprach sie. »Das wäre denn, will das Glück uns wohl, die erste Staffel zu unserer gesellschaftlichen Erhöhung und zu behaglichem Wohlstande. Sieh zu, Papachen, ob ich auch nicht zu unanständige Fehler gegen die Rechtschreibekunst gemacht habe!«

Geldern überlas den Brief der Tochter, billigte ihn seinem ganzen Inhalte nach, verbesserte einige Schnitzer mit leichter Hand und gab ihn dann Zerline zurück.

»Er ist vortrefflich und du bist die gefährlichste Person unter allen, die jemals lange Kleider und bloße Schultern getragen haben! Jetzt lege Mundlack vor, hänge dem Lockvogel die Adresse an und laß ihn fliegen. Ich will inzwischen sehen, ob ich keinen Menschen auffinde, dem ich bei der Pflege seines sterblichen Leibes ein theilnehmender Freund sein kann.«

Zerline that, wie ihr Vater sagte, und als sie ausging, um den Brief zur Post zu tragen, warf Geldern sich etwas mehr in die Brust, machte Toilette vor dem Spiegel, legte die heiterste Miene an, über die er gebieten kannte, und ging so gerüstet auf Raub aus, um Zunge und Gaumen genügend zu letzen.


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