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VIERTES KAPITEL.

VORBEREITUNGEN.

Die wiederholten Besprechungen im Forsthause, deren bereits gedacht würde, hatten auch eine regelmäßige Einkehr des Abbé auf Schloß Kaltenstein zur Folge.

Die Anwesenheit eines Mannes, der unter dem priesterlichen Gewande ein Herz voll Liebe trug, und der nicht ohne die bittersten Schmerzen nach langem Ringen einen Sieg über sich selbst und seine Leidenschaften erkämpft hatte, war hier nicht überflüssig. Adolar machte seinem Verwandten sogar den Vorschlag, eine längere Zeit ganz Wohnung im Schlosse zu nehmen. Anfangs trug der Abbé Bedenken, darauf einzugehen, ein Gespräch mit dem Arzte aber, welcher die schwer leidende Baronin behandelte, machte ihn andern Sinns. Er nahm das Anerbieten seines Vetters an und bezog ein paar stille Zimmer auf Kaltenstein.

Auf Ansuchen und mit Bewilligung des Arztes kam nun Abbé Kasimir mit Clotilde täglich zusammen. Es geschah dies infolge einer Aeußerung, welche der Baronin unwillkürlich entschlüpfte. Der Arzt faßte diese als ein Symptom auf, das zum Heilmittel sich umgestalten könnte, und kam den heimlichen Wünschen der mehr geistig als körperlich Kranken durch Zuführung des Abbé entgegen.

Die ersten Zusammenkünfte Kasimir’s mit Clotilde versprachen wenig Gutes. Sie führten zu so furchtbaren Scenen der Aufregung, daß sich der Abbé mehr denn einmal ebenso sehr vor der Leidenschaft seiner unglücklichen Verwandten wie vor den Andeutungen entsetzte, welche der Vergangenheit galten.

Abbé Kasimir litt ungemein unter diesen Eindrücken, seine Pflicht aber, verbunden mit dem heißen Verlangen, den Geheimnissen auf die Spur zu kommen, die sich um das Leben seiner verschollenen Tante Berenice woben, hielten ihn aufrecht. Er begegnete der Leidenden nie hart, auch dann nicht, wenn sie ihm die härtesten und beleidigendsten Dinge sagte. Er hörte sie immer ruhig an und sprach Worte des Trostes zu ihr, sobald den gewaltigen Aufregungen Stunden der Hinfälligkeit folgten.

So gewann Abbé Kasimir nach und nach das Vertrauen Clotildens. Bald wechselten Vorwürfe mit Klagen und Thränen ab, und je mehr ein wirklich tiefer Schmerz von ihr Besitz nahm, desto lebhafter ward auch das Bedürfniß der Mittheilung. Wie der todeswürdige Verbrecher sich in der Regel der menschlichen Gesellschaft, gegen die er frevelte, wieder verwandter fühlt, sobald er ein offenes Geständniß abgelegt hat, so gestaltete sich auch der Zustand der Baronin ruhiger, nachdem sie es über sich gewonnen hatte, das Schweigen zu brechen. Zwar waren es nur zusammenhangslose Bruchstücke, die, stets unter Vorwürfen und den wildesten Selbstanklagen, über Clotildens Lippen kamen, Abbé Kasimir aber halfen diese Bruchstücke, die zusammen doch ein Ganzes bildeten, ein ziemlich vollständiges und klares Lebensbild sich daraus zusammenzustellen. Was darin noch lückenhaft war, das ließ sich durch Mittheilungen ausfüllen, die ihm von anderer Seite zuflossen.

Oberst Malachowsky hatte nach seiner Rückkehr ins Vaterland nicht unterlassen, Erkundigungen über die Familie Ludomirsky einzuziehen, wobei er besonders Werth auf die Verbindungen legte, in denen dieselbe um die Zeit der ersten Theilung Polens sowohl mit entfernten Verwandten wie namentlich auch mit solchen Personen gestanden hatte, deren politischer Charakter bei allen Patrioten reinsten Wassers für unzuverlässig galt. Des redlichen Mannes Bestrebungen blieben nicht ohne Resultat. Er erhielt Winke, die ihm bedeutungsvoll schienen, und indem er gewissenhaft alles sammelte, was ihm überbracht wurde, konnte er kurz vor dem letzten traurigen Entscheidungskampfe, der sich im Angesicht der Hauptstadt um Sein oder Nichtsein Polens entspann, dem damals schon längere Zeit in unmittelbarer Nähe von Kaltenstein weilenden Abbé ein ganzes Convolut interessanter Details übersenden. Diese Zusendung erreichte den letzten Ludomirsky freilich etwas spät, da sie den weiten Umweg über Hammerburg machen mußte, wo Graf von Serbillon seit mehreren Wochen sehr einsiedlerisch lebte.

Wichtiger noch als diese anekdotenhaften Bruchstücke war ein Brief des Fürsten Bulabicki an Adolar. Dieser enthielt in zusammenhängender Darstellung eine Erzählung, die man für die glückliche Erfindung eines begabten Novellisten gehalten haben würde, hätte der Fürst nicht auf das heiligste versichert, alles darin sei bittere Wahrheit. Er habe, was er dem Freunde hier erzähle, aus dem Munde eines in der Schlacht von Ostrolenka schwer Verwundeten vernommen, und er fühle sich gedrungen, den Freund davon in Kenntniß zu setzen, weil der Name Geldern eine so große Rolle in dieser traurigen Geschichte spiele, und er sich der Bemerkung erinnere, daß, sein eigener verstorbener Vater ebenfalls diesen Namen geführt habe. Der Fürst schloß seinen Brief mit der aufrichtig gemeinten Versicherung, er wünsche, der Geldern in seiner Erzählung möge so wenig mit Adolar verwandt sein wie mit ihm selbst, nur bitte er, ihn dereinst wissen zu lassen, was er davon halte. Dann werde er ja wohl auch erfahren, was aus der schönen Unheiligen geworden sei, die auf Schloß Hammerburg ihm mehr Noth gemacht als die Sorgen um das Geschick seines so hart bedrängten Vaterlandes.

Eine Zusammenstellung dieser Nachrichten, denen sich noch die Ermittelungen Joseph’s am Ort zugesellten, führte zu einer genügenden Aufklärung aller Verhältnisse der Familie Ludomirsky. Von größter Wichtigkeit erwies sich auch die Entdeckung Joseph’s, welche dieser fast ganz zufällig durch die vertrauensvollen Erzählungen des alten Ritters von der Dub machte.

Nach dem plötzlich erfolgten Tode dieses sonderbaren Greises, in dessen Geiste sich die Vergangenheit so eigenthümlich gestaltete, nahm Joseph am Ort das Porträt Berenice’s an sich und übersendete dasselbe mit einem Briefe, dem er diesmal seinen Namen beifügte, an den Stiftssyndikus Liebner. Diese Mittheilung mit den von Joseph hinzugefügten Nachweisen gelangte zu sehr gelegener Stunde in die Hände des Rechtsgelehrten. Sie fiel zusammen mit der ersten Unterredung, die Liebner mit den Besitzern von Schloß Hammerburg und Abbé Kasimir hatte. Letzterer war beim ersten Erblicken des Miniaturbildes überzeugt, daß dasselbe seine verschollene Tante darstelle. Was er von dem Zustande der Baronin hörte, die er sich ebenfalls durch verwandtschaftliche Bande eng verknüpft hielt, veranlaßte ihn, jenen entscheidenden Schritt in Vorschlag zu bringen, den Liebner billigte und, wie wir gesehen haben, in Person ausführte.

Von allen spätern Vorgängen auf Kaltenstein ward Joseph am Ort theils durch den Abbé, theils durch den Stiftssyndikus benachrichtigt. So gestaltete sich der Briefwechsel zwischen diesen drei Personen ziemlich lebhaft, und da der Inspector, von Kasimir dazu wiederholt aufgefordert, auch in seinem mit Moder bestäubten Schatzkästlein frühester Erinnerungen zu suchen begann und dabei manches entdeckte, was er früher nie beachtet hatte, so trugen auch diese allerdings ziemlich dürftigen Andeutungen zur Ergänzung des vorhandenen Materials wesentlich bei.

Eins nur verschwieg Joseph am Ort noch wochenlang – die Belauschung des Gesprächs zwischen dem Baron und Nicanor im Winkel. Je zweifelloser ihm seine Verwandtschaft mit dem Standesherrn von Kaltenstein ward, desto mehr schreckte er vor dem Gedanken zurück, den ältesten Träger dieses Namens als Verbrecher zu denunciren. Wahrscheinlich hätte er niemals aus freiem Entschlusse dies nur ihm allein bekannt gewordene Geheimniß verrathen, wäre nicht der Stiftssyndikus später beim Ordnen seiner Actenfascikel auf ein Papier gestoßen, das eine Correspondenz mit dem Inspector folgerichtig veranlassen mußte.

Nicanor im Winkel, jener Mann, der vor mehr als zwei Jahrzehnden des Barons von Kaltenstein vertrauter Freund und unzertrennlicher Gefährte gewesen war, bis der gotteslästerlich freche Spielabend in Genf beide anscheinend für immer trennte, galt dem Stiftssyndikus unter dem Gewimmel theils wirklich noch lebender, theils künstlich zum Leben erweckter Individuen für eine mythische Person. Sie schien ihm auch nicht besonders wichtig zu sein, da sie mit allen in die Geschichte der Doppelfamilie Ludomirskygeldern verwickelten Persönlichkeiten gegenwärtig außer Zusammenhang stand. Erst die anonymen Zeilen, durch welche der auf dem Förster Frei ruhende Verdacht des Mordes von diesem ab und auf eine dritte Person hingelenkt wurde, und in denen er jetzt die Schriftzüge Joseph’s am Ort wiedererkannte, führten zu Nachfragen, deren sich dieser nicht lange durch bloßes Schweigen zu entziehen vermochte.

Ein fortgesetzter Briefwechsel konnte, ging ein solches Blatt bei den mangelhaften Postverbindungen zwischen den zerstreut auf den Berglehnen und in Thälern liegenden kleinen Ortschaften verloren, äußerst nachtheilige Folgen haben. Aus diesem Grunde zog es Liebner vor, den Inspector in seinem Wohnort zu überraschen. Ein solcher Besuch hatte nichts Auffälliges, mußte aber, verstand nur der Stiftssyndikus seine Zeit und die Fäden, die er bereits fest in Händen hielt, geschickt zu benutzen, rasch zum Ziele führen.

Joseph am Ort, welcher die geheime Absicht des Juristen sogleich ahnte, erschrak, als er dem freundlich lächelnden Herrn mit den leicht thränenden Augen gewahrte, sein Schreck war aber eine schlechte Waffe gegen Liebner’s feine Angriffe. Der Stiftssyndikus trieb den Inspector, sobald er sich überzeugt hatte, daß er mehr wisse, als er zu sagen Lust habe, durch Fragen dergestalt in die Enge, daß sich Joseph am Ort endlich dem überlegenen Gegner auf Gnade und Ungnade ergab.

»Nun sind wir erst völlig im Klaren,« sagte der Stiftssyndikus, als er dem eingeschüchterten Inspector jedes kleinste Geheimniß durch seine inquisitorische Fragestellung glücklich entrissen hatte. »Sie hätten zu Ihrer eigenen Beruhigung gern früher schon sprechen können, ohne sich selbst dadurch zu compromittiren. Ich weiß jetzt, was ich brauche, und wenn nicht abermals eine ungeschickt abgefeuerte Freikugel meine fernern Anordnungen zu Schanden macht, so denke ich mir durch Schlichtung dieser uralten Familienzwistigkeiten den aufrichtigen Dank zweier Nationalitäten zu verdienen.«

Joseph am Ort mußte dem Stiftssyndikus das Versprechen geben, einer Einladung sei’s in seine eigene Behausung, sei’s nach Kaltenstein, sobald ihn eine solche erreiche, auch wirklich Folge zu geben. Dagegen gelobte Liebner dem Inspector seinerseits unbedingte Schweigsamkeit.

»Der Baron soll mir nicht entkommen,« setzte er hinzu, »und daß Nicanor im Winkel nicht etwa als lebendig gewordenes Schicksal sich auf Kaltenstein einschleicht, dafür soll ebenfalls Sorge getragen werden. Es ist mir höchst angenehm, daß ich diese verwickelte Geschichte noch in meiner vollen Geisteskraft erlebe. Hätte mir ein erkenntlicher Client – was freilich in unsern selbstsüchtigen Tagen nicht mehr vorkommt – ein Landhaus oder einen hübschen Garten geschenkt oder mir ein paar Oxhoft der besten Weine, wie sie meiner schwachen Constitution zusagen, kostenfrei in meinen Keller prakticirt, ich würde mich nicht so gefreut haben! So recht in den Mittelpunkt eines verwickelten Rechtsstreits oder verbrecherischer Lebenswege sich einzufressen, wie ein Wurm in den Kern einer saftreichen Frucht, gewährt dem Juristen von echtem Schrot und Korn ein unbeschreibliches Vergnügen! Gott beschütze Sie, mein werther Herr, dem ich die Freimachung meines etwas zu unselbständigen Cousins verdanke. Lassen Sie die Vergangenheit vollends bis auf den letzten Schatten im Lethestrom versinken, und vertrauen Sie der Thätigkeit aufrichtiger Freunde, unter denen ich, weiß Gott, nicht der schlechteste bin! Nur versäumen Sie nicht zu hören, wenn ich rufe! ... «

»Ich werde sehr aufmerksam sein, Herr Stiftssyndikus,« versetzte Joseph am Ort, »wenn schon ich keinen Drang in mir fühle, Schloß Kaltenstein zu betreten.«

»Aber das alte Forsthaus, nicht wahr?« warf Liebner ein, mit seinen gerötheten Augen blinzelnd. »Ich habe da von den vornehmen Herren aus Belgien ein Liedchen singen hören, das trotz seiner in Moll übersetzenden Variationen doch ursprünglich auf Dur gehen mag. Wenn ich zu einem Duett gratuliren dürfte ... «

»Brechen wir von diesem Thema ab,« fiel der Inspector dem Stiftssyndikus ins Wort, indem eine tiefe Melancholie aus seinen dunkeln Augen sprach. »Die Erzählungen des alten Ritters von der Dub und die Schmerzen, die seinen Geist manchmal schwärmen machten, werden mir stets unvergeßlich bleiben. Ich möchte nicht Aehnliches erfahren, weil ich fühle, daß ich es nicht so gleichmüthig und so christlich in den Willen Gottes ergeben tragen würde!«

Der Stiftssyndikus gewahrte, daß bei den letzten Worten die Augen Joseph’s fast so unheimlich glühten wie bei Adolar und Abbé Kasimir, wenn ein Gedanke sie ungewöhnlich lebhaft beschäftigte. Dieser bei allen drei Männern fast völlig gleiche finstere Glanz ihrer dunkeln Augen verlieh ihnen momentan auch jene allerdings nur sehr entfernte Aehnlichkeit, die sich oft zwischen Verwandten auch in entferntern Gliedern noch vorfindet.

»Wie dem auch sei, lieber Herr am Ort,« versetzte Liebner, »ich wünsche Ihnen eine recht glückliche Zukunft, und weil ich an der Hoffnung festhalte, es könne auf Schloß Kaltenstein doch auch für Sie noch etwas Gutes kommen, wiederhole ich zum letzten male, ehe ich Sie verlasse, die Aufforderung: Folgen Sie meinem Rufe, sobald Sie ihn vernehmen!«

Der Stiftssyndikus ließ sich, ehe er seinen Wagen wieder bestieg, von Joseph am Ort noch durch das alte Schloß der Dub führen, wo er ziemlich lange in den beiden Erkerzimmern verweilte, von denen das eine Hildegarde Frei einige Wochen bewohnt hatte, das andere die Reliquien Berenice’s von Ludomirska enthielt, die Ritter von der Dub bis zu seinem schmerzlos erfolgten Tode mit so rührender Inbrunst betrachtete.


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