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SECHSTES KAPITEL.

VATER UND SOHN.

Gerade unter dem Portal der großen Schloßhalle, wo noch immer der geschossene Rehbock unberührt lag, begegneten sich Vater und Sohn. Ein paar Secunden lang maßen sich beide mit unheimlichen Blicken, ohne sich Wort und Gruß zu gönnen. Dann erhob der Baron seinen mit dem handfesten Stock bewehrten Arm und deutete über den Schloßhof hinweg nach dem Thorwege, indem er gebieterisch die Worte herausstieß:

»Fort mit dir, Bursche! Im Forsthause sprechen wir uns wieder!«

Adolar würde in frühern Zeiten einem Befehl seines Vaters, auch wenn er ihn für ungerechtfertigt, ja für thöricht gehalten hätte, nicht widersprochen haben, jetzt aber lächelte er und versetzte in gereiztem, drohendem Tone.

»Wenn der Herr Vater mir Gesellschaft leisten will, werde ich dem Förster Frei gern meine Aufwartung machen.«

»Dir Gesellschaft leisten!« fuhr der Baron verächtlichbrutal und unbeschreiblich hochmüthig den Sohn an. »Einem Bastard Gesellschaft leisten, den ich nur aus Commiseration zu mir emporgehoben habe, um zu spät meine unzeitige Theilnahme zu bereuen! Danke es Gott und meiner Nachsicht, wenn ich dich wegen deines schändlichen Ueberfalls von gestern Abend nicht dem Gericht überantworte!«

Adolar erblaßte zwar bei den Worten des Vaters, der ihm den Makel seiner Geburt, den der Baron doch ganz allein verschuldet hatte, in seinem adelichen Hochmuthe ungerechterweise zum Vorwurf machte; von blindem Zorne ließ er sich aber nicht fortreißen. Er wußte, daß er eine Waffe bei sich trug, gegen welche der erbitterte Vater sich nicht vertheidigen konnte. Hoch aufgerichtet blieb er auf der Freitreppe vor dem Baron stehen und erwiderte:

»Ich möchte Sie bitten, Herr Vater, Ihre Drohung wahr zu machen. Wir könnten dabei am sichersten Gelegenheit finden, einander wett zu werden.«

Ueber das zornige Auge des Barons flog ein Schatten, dennoch legte er der Bemerkung Adolar’s keinen Werth bei.

»Macht Platz!« rief er, den Stock drohend emporhebend. »Ich mag die Hand nicht streifen, die sich mit einem Morde beflecken wollte!«

»Dann will ich es thun,« sprach Adolar entschlossen, indem er den Arm seines Vaters ergriff, ehe dieser es hindern konnte.

Der Baron war nicht in der Stimmung, von dem Sohne, den er in diesem Augenblick lieber bis ans Ende der Welt gewünscht hätte, sich irgend etwas gefallen zu lassen. Auch würde es ihm leicht geworden sein, den jungen Menschen trotz seiner Gewandtheit zu überwältigen, nur das Erscheinen einiger Knechte im Schloßhofe hielt ihn von einem Act der väterlichen Gewalt zurück.

Adolar benutzte diesen günstigen Moment.

»Vater,« sprach er, die Hand des erbitterten Barons fester umschlingend, »wollen wir den Dienstboten ein Schauspiel bereiten, das uns für immer zum Stichblatt verleumderischer Bemerkungen machen und allen Respect für immer untergraben würde? Wer bürgt uns dafür, daß sie nicht längst schon Schlimmes vermuthen! ... Sie wollen mich verbannen, wie mich dünkt, und weisen mir einstweilen das Forsthaus zum Aufenthalt an. Ich will Ihren Wünschen mich fügen, nicht aber gezwungen, sondern aus freiem Entschlusse, doch verlange ich, daß Sie mich begleiten!«

Der Baron wußte sich diese Keckheit des Sohnes nicht zu deuten, er sah aber ein, daß der gemachte Vorschlag seine eigene Ehre wahre, und deshalb widersprach er wenigstens nicht.

Adolar schob jetzt seinen Arm in den des Vaters und zog ihn mit sich die Treppe hinab. Die Dienstboten gingen grüßend vorüber und verschwanden, die einen in den Wirthschaftsgebäuden, die andern in den Ställen.

Vater und Sohn standen allein mitten im Hofe. Die Sonne neigte sich hinter die Dächer und brach, den Himmel mit blutigem Roth überstrahlend, durch die Wolken.

»Jetzt haben wir keine Zeugen als Gott,« sprach Adolar, einen weiten Blick ringsum werfend. Sie schritten dem Eingangsthore zu. »Vater,« fuhr er fort, »eine Entdeckung, die meine Gedanken fast bis zum Wahnsinn verwirrte, hat mich zu einer unüberlegten That fortgerissen. Ich bedauere dies jetzt und bitte Sie deshalb um Verzeihung. Ein Mörder aber wäre ich auch dann nicht gewesen, wenn die unter Flüchen und Zaubersprüchen gegossene Kugel Ihr Herz durchbohrt hätte. Ein Mörder tritt seinem auserwählten Opfer nicht offen, nicht im Angesicht von Zeugen entgegen, ein Mörder schleicht auf verborgenem finstern Pfade dem verhaßten Gegner nach, oder er dingt, um jeden Verdacht von sich abzulenken, einen feilen Banditen, drückt ihm heimlich die Mordwaffe in die Hand und stellt ihn um Mitternacht, bei Sturm und Regen hinter einen Busch, nur zu lauern, bis das bezeichnete Opfer sich naht! ... Dann im Aufruhr der Elemente, wenn die Windsbraut Bäume entwurzelt, kracht plötzlich ein Schuß, und ohne daß die Welt jemals erfährt, von wessen Hand die tödtende Kugel abgesandt wurde, wälzt das bezeichnete Opfer sich in seinem Blute!«

Baron von Kaltenstein stieß den Arm Adolar’s von sich.

»Was soll das Geschwätz!« versetzte er. »Kann ein unreifer Bursche Männer belehren?«

»Ich will niemand belehren, nur eine Geschichte möchte ich Ihnen erzählen, gnädiger Herr Papa,« fuhr Adolar fort. »Es ist nicht gar lange her, da schrieben Sie mir von dem betrübenden Vorfalle, welcher den armen Förster Frei ins Gefängniß brachte. In vergangener Nacht bin ich zufällig über die Stätte gefahren, wo Kreuz-Matthes damals auf so unerklärliche Weise seinen Tod fand ... Es ist sonderbar, aber ein Beweis von Gottes Gerechtigkeit, daß die Berührung jener blutbefleckten Stelle auf einmal Licht in das schreckliche Dunkel zu bringen verspricht.«

Der Baron hemmte seine Schritte und stützte sich schwer auf den Stock, den er noch immer trug. Mit verächtlichem Lächeln sprach er:

»Ist dir etwa der Geist des Wilddiebes im Walde begegnet und hat dir das Unerforschliche mitgetheilt?«

»Es ist mir ein Papier in die Hände gefallen,« versetzte Adolar, »das zwar von keinem Geiste herrührt, aber doch wie eine Geisterstimme zu mir gesprochen hat. Im Försterhause mag Frei uns dieses merkwürdige Papier vorlesen.«

»Gib es her!« rief der Baron befehlshaberisch. »Noch ist es hell genug, um Geschriebenes lesen zu können!«

»Wenn die Luft ganz still wäre und kein Schnee läge, würde ich Ihrem Wunsche gern entsprechen; Winde aber haben oft räuberische Gelüste, und auf beschneitem Felde ist ein verwehtes Blatt weißes Papier, besonders im Abenddunkel, schwer wiederzufinden.«

»Im Walde kannst du den Wisch nicht gefunden haben!« sagte der Baron.

»Wäre das so unmöglich?«

»Ja!«

»Weshalb?«

»Es ist unmöglich,« wiederholte Baron von Kaltenstein, »nach den Gründen hat niemand zu fragen.«

»Außer etwa meine gnädige Frau Mama und mein von deiner Kugel verwundeter Oheim!«

»Daß der Elende lebt!« rief, von Zorn überwältigt, der Baron aus.

Adolar legte seine Hand wieder auf den Arm des Vaters.

»Im Forsthause werde ich Ihnen das verrätherische Papier vorzeigen und es Ihnen dann aufmerksam vorlesen,« sagte er. »Wollen Sie, gnädiger Herr Vater, diese Bedingung eingehen, so braucht der Förster von dem Inhalt dieses Schreibens nichts zu erfahren. Er ist ja freigesprochen von aller Schuld, seine Ehre vor der Welt vollständig wiederhergestellt. Und Kreuz-Matthes kann nicht sprechen!«

Der Baron erwiderte kein Wort. Er ließ es geschehen, daß Adolar ihn führte. Inzwischen begann es zu dämmern und der Wind erhob sich wieder.

Nach einer Pause, die beiden, Vater und Sohn, sehr lang dünkte, nahm Adolar wieder das Wort.

»Gnädiger Herr Vater,« sagte er, »wenn ich an die vergangenen letzten vierundzwanzig Stunden zurückdenke, überläuft mich ein Schauder. Ich habe unrecht, lieblos, unkindlich gehandelt. Aber die Leidenschaft beherrschte mich und der Wunsch, begangenes Unrecht zu strafen.

So bin ich selbst straffällig geworden ... Aber auch Sie können sich nicht freisprechen von Schuld. Ich ward von Ihnen beleidigt, ohne daß ich es ahnte, und wegen dieser Beleidigung, die mich ja meines Namens zu berauben dachte, wollte ich Sie zur Rechenschaft ziehen. Wenn ich nun jetzt hoch und heilig verspreche, daß alles in früherer Zeit Geschehene gar nicht vorhanden sein soll, daß ich nichts davon wissen will, werden Sie dann auch mir verzeihen?«

»Erst will ich den Inhalt deines unheimlichen Papiers kennen lernen, und dann will ich mich besinnen.«

»Es wäre besser, wir versöhnten uns, ehe das Forsthaus uns aufnimmt. Auch dort gehen Geister um!«

Der Baron brach in verächtliches Lachen aus.

»Ein Gespenst von Fleisch und Bein hält darin Wache, das ist wahr,« versetzte er. »Wenn man aber die Trude schelten und schimpfen läßt, ohne sie durch Entgegnungen zu erhitzen, ist sie ungefährlich.«

»Ich meine die Mutter Hildegardens, Hildegardens, die man dem Vater wider Willen entrissen hat, und die ich dem schuldlos einer Mordthat Bezichtigten wiedergeben will!«

Eine solche Wendung des Gesprächs hatte Baron von Kaltenstein nicht erwartet. Er gedachte des Versprechens, das Andreas ihm ans Herz gelegt, und die Schwierigkeiten, welche der Erfüllung desselben im Wege standen, machten ihn nachdenklich. Zugleich aber glaubte er in dem Wunsche Adolar’s einen Fingerzeig zu entdecken, der ihm behülflich werden könne, dem Förster doch schließlich Wort zu halten.

»Du mußt dich an die Baronin wenden, wenn dir viel daran gelegen ist, das Versteck dieser verzogenen Waldnymphe zu entdecken,« versetzte er. »Ich habe mich nie damit abgegeben, jungen Mädchen nachzulaufen. Deine Mutter wird es bestätigen, daß ich die Wahrheit sage.«

»Die Frau Baronin von Kaltenstein, geborene Geldern,« erwiderte Adolar mit kühler Gelassenheit, »hat mich gewürdigt, mich anzuhören. Was ich ihr mittheilte, waren Reminiscenzen aus der Vergangenheit und Erfahrungen aus dem Leben des Onkels Sandomir Geldern, mit denen mich derselbe während der Reise unaufgefordert unterhielt.«

»Ich will ... das Papier lesen,« flüsterte der Baron, den Arm des Sohnes krampfhaft umschlingend, »und wenn ich sehe, daß ... völliges Schweigen ... beruhigend wirken kann, ... will ich ... dir dein ... Attentat ... auf mein Leben ... verzeihen! ... «

An dem Stottern und Zittern der Stimme erkannte Adolar, wie schwer es seinem Vater ward, zu dieser Bedingung sich zu verstehen. Zugleich stieg auch das Schreiben seines Onkels, in das er nur einige flüchtige Blicke zu werfen Zeit gehabt, für ihn im Werthe und um keinen Preis würde er das wichtige Papier je wieder aus der Hand gegeben haben.

»Dank, besten Dank, gnädiger Herr Vater!« sprach er, erfreut, seinem Ziele um einen bedeutenden Schritt näher gekommen zu sein. »Da liegt das Forsthaus! ... Andreas empfängt uns mit offenen Armen, und haben wir uns erst vollkommen gegeneinander ausgesprochen und uns in jeder Beziehung geeinigt, so werde ich gern bei dem Förster bleiben, bis die Verhältnisse mir erlauben, auf die Akademie zurückzukehren, die ich in etwas allzu großer Eile verließ, um sagen zu können, daß ich nicht noch verschiedene Verbindlichkeiten zu erfüllen hätte.«

Die wachsamen Dachshunde des Försters zeigten den Bewohnern des Hauses durch Knurren und Bellen bereits an, daß ein Unbekannter sich der Schwelle desselben nähere.

Kathrine horchte neugierig und verwundert zugleich auf, als sie dies ungewohnte Bellen der so gut dressirten Hunde ihres Bruders vernahm. Seit Monaten war etwas Aehnliches nicht vorgekommen. Besuch vermuthend, trat sie eilig vor den kleinen Spiegel, den sie in außerordentlichen Fällen zu Rathe zog, schob die Mütze zurecht, glättete ihr narbenreiches Gesicht, so gut sie es vermochte, und schritt dann gemessen, Lampe und Schlüssel in der Hand, der Hausthür zu. Der Klopfer fiel gerade hart auf die Eisenplatte, als sie den so eifrig bewachten Eingang des Hauses erreichte. Sie öffnete, wich aber erschreckt zurück, da sie heute zum zweiten mal den Baron und diesem auf dem Fuße folgend dessen Sohn, beide in unverkennbarer Aufregung, ungenirt ins Haus treten sah.

Der Baron achtete nicht auf die ihm unangenehme Person, Adolar dagegen grüßte und zwar so galant, daß Kathrine nicht umhin konnte, durch ihren besten Knicks für so unerwartete Ehre gebührend zu danken. Auch richtete er die Frage an sie, ob der Herr Förster Frei zu sprechen sei, eine Frage, welche die alte Jungfrau, abermals wie ein Uhrwerk knicksend, durch ein freundliches Ja beantworten.


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