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SECHSTES KAPITEL.

UNVERMUTHETE KATASTROPHE.

Cornelie, der es im Umgange mit Clotilde nie an Unterhaltung fehlte, vermißte ihren Mann eigentlich nicht, dennoch aber mußte es ihr auffallen, daß Andreas sich fast gar nicht mehr sehen ließ. Kam er wirklich zu ihr, so war er meistens still, ohne doch verstimmt zu sein.

Er schien immer in Nachdenken versunken, was Cornelie aus seinen Antworten abnahm, die häufig nicht passen wollten. Auch war seines Bleibens selten lange. Namentlich beeilte er sich wieder fortzukommen, wenn die Baronin bei Cornelie weilte oder, was nicht selten der Fall war, wenn Mutter und Tochter ein classisches Drama zusammen laut vorlasen. Angeblich, um nicht zu stören, da er an solcher Unterhaltung theilzunehmen sich nicht entschließen konnte, verließ dann Andreas gewöhnlich sehr bald Zimmer und Haus, und Cornelie hörte ihn regelmäßig erst spät nach Mitternacht wieder heimkehren.

Obwohl die vornehme Försterin kein Recht hatte, sich über die Vernachlässigung ihres Mannes zu beklagen, fühlte sie sich doch empfindlich dadurch beleidigt. Sie ließ Andreas dies merken, der seinerseits wieder nicht weniger verletzt sich zeigte. Da beide Eheleute sich aber nie offen gegeneinander aussprachen und der Verstimmung, die sich dauernd ihrer zu bemächtigen drohte, auf den Grund gingen, so ward das Verhältniß immer peinlicher, immer gespannter.

Wenige Monate genügten, Cornelie und Andreas einander geistig und gemüthlich völlig zu entfremden. Die Frau war oft so gereizt, daß sie bei jedem Worte, welches Andreas an sie richtete, mit einer so nonchalanten Miene widersprach, daß ziemlich viel Selbstbeherrschung erforderlich war, um ein so ungehöriges Benehmen zu ertragen. Andreas aber schwieg, um die Dinge nicht noch schlimmer zu machen und den ohnehin schon genugsam gestörten Hausfrieden völlig aufzuheben. Allein in demselben Verhältniß, wie Cornelie sich gegen ihn unachtsam betrug, trat er kühl und unzugänglich gegen die Frau auf. Er war nicht mehr aufmerksam, nicht mehr gefällig. Auf Wünsche und Bitten achtete er nur selten noch und häufig strafte er Cornelie dadurch, daß er gerade das Gegentheil von dem that, was sie wünschte oder begehrte.

Für die haßerfüllte Kathrine war dies traurige Zerfallen einer ursprünglich glücklichen gegenseitigen Neigung ein Hochgenuß. Sie schürte das um sich fressende Feuer der Zwietracht, statt, was wohl in ihrer Macht gestanden hätte, es zu löschen, ohne die Folgen zu bedenken, die daraus entstehen konnten.

Um das Treiben ihres Bruders machte sich Kathrine keine Sorgen. Er war ja ein starker, kräftiger Mann, den die Natur mit gesundem praktischen Verstande begabt hatte, er mußte mithin sich über sein Thun selbst Rechenschaft ablegen können. Daß er sich aber mit ungewöhnlichen Dingen abgab, bemerkte die scharf beobachtende Schwester doch frühzeitig. Sein Aussehen veränderte sich, seit er so oft des Nachts außer dem Hause weilte, auffällig. Er ward hagerer, sein Gang unsicher. Gebückt, als drücke ihn eine schwere Last, schritt er, scheue, forschende Blicke nach allen Seiten entsendend, durch den Forst. Sein Auge war nie frei; es blickte scheinbar mehr nach innen als nach außen oder starrte düster vor sich hin ins Leere. Die von Natur scharfen Züge seines Gesichts mit der großen Adlernase traten noch schärfer hervor und gaben ihm, namentlich im Zwielicht, etwas Geierartiges.

Man konnte es dem Förster ansehen, daß er nicht glücklich war. Einzelne kannten die Ursache seines Kummers, die meisten aber, die ihm ferner standen, konnten nicht begreifen, weshalb der so gutsituirte Förster, der Freund und Kumpan des noch immer lebenslustigen und abenteuersüchtigen Barons, vor der Zeit so mürrisch, verschlossen, menschenscheu und infolge dessen alt werde.

Was aber trieb Andreas? wird man fragen. Um dies zu erfahren, müssen wir ihn auf seinen nächtlichen Gängen begleiten. Diese führten ihn mit jenem bereits erwähnten Wilddiebe, einem höchst verwegenen Menschen, dem man alles zutrauen durfte, und einem gewesenen Förster, der jedermann Furcht einflößte, bei dem Landvolke aber als Hexenmeister in großem Ansehen stand, zusammen. Die beiden letztern nahmen ihren Schüler an einer schwer zugänglichen Stelle des tiefsten Forstes in Empfang, geleiteten ihn auf Schleichwegen tiefer in das Gebirge und rasteten hier in der Höhle eines phantastischen Sandsteinfelsens, dem Schalksteine. Da störte die drei Männer niemand in ihren Gesprächen und Beschäftigungen, und hier unterrichteten die Wissenden den unglücklichen Förster in allerhand ihm noch unbekannten Weidmannskünsten.

Andreas war ein gelehriger Schüler. Er begriff leicht und that es binnen kurzem seinen unheimlichen Meistern gleich. Es war aber bei all den Kunstgriffen, welche diese ihm beibrachten, eine sehr fatale Bedingung, der sich der Förster fügen mußte, wenn er überhaupt etwas erfahren wollte. Die Freikugeln, die er in einer schauerlichen Sturmnacht goß, durfte er nur dann gebrauchen, wenn seine Büchse mit den gewöhnlichen Kugeln während eines ganzen Jagdtags kein einziges Wild erlegte. Ebenso war es mit dem Ringe, den der alte Förster Zacharias im Winkel ihm einhändigte, und welcher die Eigenschaft besitzen sollte, ihm verborgene Stellen im Walde kenntlich zu machen, wo von alters her Geld und Geldeswerth vergraben liege. Andreas mußte einen haarsträubenden Eid schwören, daß er mit diesem Ringe nur dann zur Zeit des Neumonds den Wald von West nach Ost durchschreiten wolle, wenn wirkliche Noth ihn dazu zwinge, und zwar zwischen elf und eins, ohne je einem frommen Gedanken oder guten Wunsche sich hinzugeben.

Diese und andere ebenso wunderliche als geheimnißvolle Dinge theilten die beiden unheimlichen Menschen dem armen Andreas mit. Ob der Förster wirklich daran glaubte, wissen wir nicht. Jedenfalls war er der Ansicht, es könne nicht schaden, wenn man mit Geheimnissen, welche andern der Sage nach Vortheil gebracht hätten, ebenfalls vertraut sei. Er schwur daher die verlangten schrecklichen Eide, versah sich mit den angeblich nie fehlenden Freikugeln, verwahrte den noch kostbarern Zauberring, der die Stelle einer Wünschelruthe vertreten sollte, sorgfältig und schaffte sich, ebenfalls nach Anweisung seiner Lehrmeister, diejenigen Schriften an, deren genaues Studium ihn vollends in allem Nöthigen unterweisen sollte.

In diesen Schriften las er fleißig, wenn er daheim blieb. Kathrine lachte heimlich darüber, denn sie gehörte zu den starken Geistern, die gar nichts glauben. Aber sie hütete sich wohl, den Bruder durch ihre Bemerkungen schwankend zu machen. Warum sollte Andreas nicht auch ein Steckenpferd haben, da doch Frau und Tochter die ihrigen so wacker tummelten? Uebrigens errieth sie alsbald richtig den eigentlichen Zweck der Studien ihres Bruders, und zuckte darüber halb mitleidig, halb wegwerfend die Achseln.

Eines Tags im Spätsommer war Cornelie mit Hildegarde nach Kaltenstein gefahren, während Andreas im Forste weilte. Kathrine, trotz des directen Verbots, das ihr diesmal die Schwägerin noch an der Hausthür zurief, drang in das Wohnzimmer der Försterin, und that sich im Aufräumen und Abbürsten eine rechte Güte. Sie öffnete dabei alle Fenster, da nicht wenig Staubwolken aufstiegen. Mochte es nun Cornelie auf Kaltenstein nicht behagt haben, weil sie ein paar alte, häßliche, auf ihren Stammbaum lächerlich stolze, adeliche Fräulein, entfernte Verwandte Clotildens, vorfand, die sie kaum über die Achsel ansahen, oder hatte sie eine Ahnung von Kathrinens Vorhaben; genug, sie kehrte, und zwar zu Fuß – weil die alten Fräulein die Equipage der Baronin in Anspruch nahmen – viel früher, als Kathrine erwartete, in die Försterei zurück. Geärgert und von ungewohntem Gehen stark erhitzt, gerieth Cornelie beim Anblick der offenen Fenster ihres Zimmers, aus denen Staubwolken quollen und die kreischende Commandostimme ihrer fegenden Schwägerin ihr entgegenschallte, in den heftigsten Zorn.

Hildegarde bemühte sich vergeblich, die Mutter zurückzuhalten. Cornelie eilte in das Forsthaus, lief die Treppe hinan und stand keuchend auf der Schwelle, ehe Kathrine eine Ahnung von der Rückkehr ihrer Schwägerin hatte. Es folgte nun ein Auftritt, der alle frühern Zwistigkeiten der beiden Schwägerinnen an Heftigkeit weit übertraf. Die vornehme Gelassenheit, mit welcher Cornelie die laut keifende Kathrine gewöhnlich noch mehr in Harnisch brachte, machte diesmal einem Schwall erbitterter Worte Platz. Die Schwägerin blieb der Zürnenden nichts schuldig, und so endigte denn der unerquickliche Auftritt zuletzt mit gänzlicher Erschöpfung Corneliens, der eine lange nicht simulirte Ohnmacht folgte.

Als Andreas spät abends nach Hause kam, war er verwundert, Hildegarde seiner harrend zu finden. Das Mädchen hatte geweint und war sehr bewegt. Sie erzählte dem Vater das Vorgefallene und bat im Namen und Auftrage ihrer entsetzlich angegriffenen Mutter, er möge der so ganz rücksichtslosen Tante den fernern Aufenthalt in der Försterei, wo sie doch immer von neuem Zwietracht stifte, nicht mehr gestatten.«

Der Förster blieb, wie immer, sehr kühl bei diesen Eröffnungen. Mit der trockenen Bemerkung, er wolle sich die Sache überlegen, und ehe er einen Entschluß fasse, auch die Tante hören, wies er Hildegarde ab. Diese eröffnete jetzt dem Vater, daß die Mutter sehr leidend sei und ihn zu sprechen wünsche.

»Morgen,« versetzte der Förster, und stellte Büchse und Weidtasche in den Gewehrschrank.

»Die Mutter war ohnmächtig,« sprach Hildegarde schüchtern.

»Gib ihr kaltes Wasser, das stärkt! Sie trinkt ohnehin zu viel Thee.«

»Sollten wir nicht lieber zum Arzt schicken?«

»Die Natur hilft sich immer von selbst. Gute Nacht! Ich bin müde und bedarf der Ruhe.«

So endigte die kurze Unterredung der Tochter mit dem Vater. Andreas meinte es ganz so, wie er sprach. Er kannte die vornehmen Launen seiner Frau und glaubte durchaus nicht, daß sie wirklich krank sei. Cornelie dagegen, die sich ungewöhnlich echauffirt hatte, und später in der Aufregung und während des lange anhaltenden Streits mit Kathrine nicht auf die Zugluft achtete, die durch Fenster und Thüren strich, lag in heftigem Fieber. Es war ihr, schutzlos, wie sie sich fühlte, jetzt wirklich Bedürfniß, ihr Leid dem Gatten zu klagen, von dem allein sie ja nur Schutz erhalten konnte. Sie brach daher in die bittersten Thränen aus, als die beunruhigte Hildegarde ihr die abweisende kalte Antwort des Vaters überbrachte.

Auch Hildegarde litt, weil sie die Mutter leiden sah. Dem unerfahrenen Mädchen, das immer nur in Zerstreuungen und heitern Bildern lebte, ward bange, als die Fiebernde zu phantasiren begann. Wie gern hätte sie den Vater gerufen, aber sie durfte es nicht wagen. Er konnte sie ja noch kühler von sich weisen als das erste mal!

So blieb denn Hildegarde wachend am Bette der fiebernden Mutter sitzen, bis der Morgen dämmerte und die bekannten festen Schritte der rüstigen Tante sich hören ließen, die mit lauter Stimme die Dienstboten weckte.

Andreas hatte ruhig geschlafen. Seine Gedanken schweif ten in dem Gestrüpp umher am Fuße des Hieronymusfelsen, wo der Volkssage nach viel Geld vergraben liegen sollte. Es war das Vermögen einer Kirche, das man im Siebenjährigen Kriege, als die Heerscharen des Großen Friedrich Sachsen überschwemmten, auf diese Weise zu sichern glaubte. Es wäre nicht nöthig gewesen, denn die gefürchteten Krieger kamen nicht in diese Gegend, das Vermögen blieb aber seitdem verschwunden. Die bis dahin sehr reich gewesene Kirche war jetzt notorisch eine der ärmsten in der ganzen Umgegend. Es ließ sich deshalb nur annehmen, daß die beim Vergraben des Schatzes Betheiligten vor dem Heben desselben gestorben seien oder daß sie die Stelle, wo sie ihn der Erde anvertrauten, selbst nicht wiederfanden.

Auf diese mit dichtem Buschwerk, Kiefern und Tannen, und namentlich mit hohem Heidel- und Preiselbeerkraut bewachsene Stelle war jetzt vorzugsweise das Augenmerk des Försters Frei gerichtet. Es verging selten ein Tag, wo er nicht in dieser Gegend herumstrich. Er kannte hier jeden Fuß Erde, jeden Strauch, jede Gruppe hochgewachsener Tüpfelfarrn. Mehr als eine Stelle, wo man offenbar ehedem in der Erde gewühlt hatte, schien ihm beachtenswerth und er unterließ nicht, sie zu bezeichnen. Trat, wie er vermuthete, in nicht gar langer Frist der Zeitpunkt ein, wo er größerer Mittel bedürftig sein würde, dann wollte er, den geheimnißvollen Ring am Finger, dieser Gegend sich zuwenden, um das vergrabene Geld zu heben, damit er seine verzogene Tochter standesgemäß ausstatten könne.

Als Andreas erwachte, hatte er den Besuch Hildegardens und deren Mittheilung ganz und gar vergessen. Auch Kathrine schwieg, als sie dem Bruder das Frühstück brachte. Sie war wie immer, weder gesprächiger noch verschlossenen. Nur auf das Büchlein, das vor dem Bruder lag, und das sich ›Weidmannsheil‹ nannte, warf sie im Vorübergehen einen spöttischen Blick.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß der Förster sich gar nicht nach Corneliens Befinden erkundigt hätte, wäre Hildegarde nicht als bleicher, mahnender Bote zu ihm getreten. Andreas konnte, ohne höchst lieblos zu erscheinen, diesen zweiten Ruf nicht unerhört lassen. Er begleitete also die Tochter ans Bett der kranken Mutter.

Cornelie raffte alle Kraft zusammen, um dem Gatten, dem sie sich nach und nach selbst entfremdet hatte, ein lebhaftes Bild des zwischen ihr und Kathrine Vorgefallenen zu entwerfen. Andreas hörte zwar geduldig zu, doch glaubte er, seine Frau, die ihm ungewöhnlich aufgeregt vorkam, übertreibe. Sie war heftig, wie nie zuvor, unruhig, voller Leidenschaft. Daß die unglückliche Frau in einem bedenklichen Fieberzustande sich befinde, gewahrte der ziemlich unachtsame Mann leider nicht. Als Cornelie ihre Erzählung geendigt hatte, reichte er ihr die Hand, stand auf und verließ die Kranke mit den Worten:

»Ich werde mit Kathrine sprechen, und finde ich, daß sie in ihrem Eifer zu weit gegangen ist, so will ich ihr für die Zukunft mehr Vorsicht empfehlen, weil du – so – so nervös zu sein glaubst.«

Ein unaussprechliches Weh preßte Corneliens Herz krampfhaft zusammen. Sie legte ihre fieberheißen Hände über ihre Augen und schluchzte leise, um Hildegarde nicht zu sehr zu beunruhigen.

Andreas hatte gleich darauf mit seiner Schwester eine Unterredung. Kathrine leugnete das Vorgefallene durchaus nicht, gab selbst die Ohnmacht Corneliens zu, behauptete aber mit der in ihrem unbeugsamen Charakter liegenden Bestimmtheit, das gegenwärtige Leiden der Frau Schwägerin sei nichts als Verstellung. Sie wisse sehr wohl, welche Absicht sich hinter dieser Jammermiene verberge, sie sei aber auch fest entschlossen, nicht darauf zu achten, und möchte dem Bruder rathen, ein Gleiches zu thun. Wenn dann die verzogene Dame gewahr werde, daß ihre erheuchelte Krankheit nicht die beabsichtigte Wirkung habe, so werde sie früh genug wieder munter sein. Im Bett leide es sie sicherlich nicht länger, als bis ihre Verführerin, die saubere ›Gnädige‹ von Kaltenstein, mit ihren schnaubenden Apfelschimmeln vorfahre.

Auf diese Behauptung hin ging Andreas Frei unbekümmert seinen Tagesgeschäften nach, ohne einen Arzt für die Kranke rufen zu lassen. Wie fast immer, kam er auch an diesem Tage wieder spät nach Hause. Er fragte absichtlich nicht nach dem Befinden seiner Frau, und die Schwester, die ihm mit grinsendem Lächeln die Thür aufschloß, schwieg ebenfalls. Dies ließ ihn annehmen, Kathrine habe das Richtige getroffen.

Diesmal ließ Cornelie den erkalteten Gatten nicht zu sich rufen. Auch am nächsten Morgen erschien Hildegarde nicht, um dem Vater Bericht über das Befinden der Mutter abzustatten. Indeß fiel ihm die Ruhe in dem Wohnzimmer Corneliens auf, ebenso das behutsame leise Umherschlürfen der Dienstboten. Nur in den lauten, schallenden Befehlen seiner Schwester, die heute noch viel härter als sonst aussah, sprach sich nichts Ungewohntes aus.

»Ist Cornelie besser?« fragte er die an ihm ungestüm vorüberfahrende Kathrine.

»Hab’ mich seit gestern nicht um den vornehmen Eigensinn gekümmert,« lautete die brutale Antwort.

»Liegt sie noch zu Bett?«

»Gewiß! Sie wird auch nicht eher aufstehen, bis du ihr irgendein anziehendes Geschenk gemacht hast!«

Andreas seufzte und ging nach dem Zimmer, wo Frau und Tochter sich aufhielten. Er trat ein, ohne anzuklopfen. Hildegarde flog ihm mit leisem Wink entgegen und sah ihn flehend mit ihren großen sprechenden Augen an.

»Wie geht’s der Mutter?« fragte der Förster verstimmt.

»Sie leidet sehr,« versetzte die Tochter, zum Bett der Kranken zurückgleitend.

»Aber was fehlt ihr denn eigentlich?« fragte Andreas weiter, ohne daß Theilnahme in dem Klange seiner Stimme lag.

Hildegarde blieb die Antwort auf diese Frage schuldig. Andreas setzte sich an das Lager Corneliens, erfaßte deren Hand und sagte etwas milder:

»Ist dir sehr unwohl, Cornelie?«

Die Kranke kehrte ihre matten Augen dem Förster zu und sah ihm geraume Zeit in die scharf geschnittenen Züge.

»Verlasse mich heute nicht, Andreas,« antwortete sie. »Ich fühle mich so matt und – und möchte nicht gern allein bleiben.«

»Die Frau Baronin wird dir sicherlich Gesellschaft leisten,« erwiderte der Förster. »Sie war gestern nicht hier. Mich rufen unaufschiebbare Geschäfte.«

»Unaufschiebbare?« sagte Cornelie zweifelnd. »O, wenn du wüßtest, Andreas –«

»Wie du mit deinem unzeitigen Klagen mich langweilst,« fiel der Förster ein, »so würdest du von mir nicht Dinge verlangen, die ich nun einmal nicht gewähren kann! Der Bursche mag sogleich nach Kaltenstein gehen,« fuhr er fort, »und deiner Freundin melden, daß du dich unwohl fühlst. Ihre Gegenwart wird dich erheitern, und wenn du sonst etwas auf dem Herzen hast, dessen Mittheilung an jemand dir Bedürfniß ist, so wird die Gnädige dir sicherlich Gehör schenken.«

»Du marterst mich, Andreas!« stammelte Cornelie. »Mir ist so angst, ich vermag kaum zu athmen – und alle Gegenstände tanzen vor meinen Augen.«

»Schließe sie und siehe zu, daß du schlafen kannst, dann wird dir’s besser werden,« versetzte mit gleichgültigem Tone der seiner Gattin entfremdete Mann.

»Willst du mich wirklich verlassen?« seufzte Cornelie.

»Ich muß! Heute Abend –«

»Heute Abend!« fiel ihm die Kranke ins Wort. »Bleibe nur nicht bis in die Nacht aus!«

»Ich will mich beeilen.«

»Lebe wohl, lieber Andreas!«

Cornelie streckte ihre heiße, zitternde Hand aus dem Bette, der Förster schritt schon der Thür zu. Er gab im Fortgehen nur Hildegarde noch einen Wink, bei der Mutter zu bleiben, ohne sich noch einmal nach der leise Wimmernden umzukehren.

»Ist sie nicht zum Tollwerden lamentabel?« sagte Kathrine, als der Bruder mürrischer denn je ihr die Hand zum Abschied reichte. »Es ist recht, daß du ihr zeigst, wie wenig sich vernünftige Menschen aus ihrem vornehmen Eigensinn machen.«

Andreas blieb der Schwester auf diese Bemerkung die Antwort schuldig. Er ging in den Forst, um die Holzschläge zu inspiciren. Später näherte er sich wieder dem Orte seiner Sehnsucht und Hoffnung, und zog sich erst, als die Wetterwolken sich drohend vom Westen her über das Gebirge erhoben und die Thiere des Waldes ihre sichern Schlupfwinkel aufsuchten, in tiefen Gedanken langsam zurück.

Bei seiner Heimkunft las er in den verhärteten Zügen seiner Schwester, daß sich während seiner Abwesenheit ein Unglück zugetragen haben müsse. Mit raschen Fragen entriß er der selbst Bestürzten die kalte schreckliche Wahrheit. Ein Herzschlag hatte dem Leben der vor wenigen Tagen noch so blühenden Frau unerwartet schnell ein Ende gemacht.


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