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VIERTES BUCH.

ERSTES KAPITEL.

EIN HERZ VOLL WIDERSPRÜCHE.

Seit der Freilassung ihres Bruders entfaltete Kathrine Frei eine Sorgsamkeit, die man früher nicht an ihr gekannt hatte. Sie machte Andreas keinen Vorwurf, wozu sich doch Gründe genug auffinden ließen. Ueberzeugt von seiner Schuldlosigkeit, empfand sie tief den Gram und Kummer des wochenlang gefangen Gehaltenen, durch peinliche Verhöre Geplagten, und sie hielt es daher für ihre Pflicht, dem so schwer Gekränkten das Erduldete durch liebevolle Pflege und schwesterliche Theilnahme einigermaßen vergessen zu machen.

Es ward Kathrinen bisweilen schwer, gar nicht von der Vergangenheit zu sprechen, dennoch hielt sie willenskräftig an sich, und nur ihren schmerzlich zuckenden Lippen und den feucht werdenden Augen war es anzusehen, daß sie schwer trug an den Bekümmernissen des Bruders. Wußte sie sich gar nicht mehr zu fassen, so klopfte sie mit ihrer von vielen groben Arbeiten hart gewordenen, knochigen und stets heißen Hand Andreas auf die gefurchte Wange und verließ ihn mit den zwischen den Lippen in aufkeimendem Schluchzen zerdrückten Worten.

»Bist gut!«

Häufig aber war Kathrine auch wieder sehr unzufrieden mit dem Förster. Andreas hatte nämlich jetzt noch weniger Ruhe in seinem Hause als früher, weshalb er eigentlich nur des Nachts darin verweilte. Am Tage hielten ihn wirkliche oder doch angebliche Berufsgeschäfte meistentheils im Freien fest, oder eine Einladung, ein Befehl des Barons rief ihn nach Kaltenstein. Diese Besuche aus dem Schlosse verwandelten sich sehr bald in einen fast bleibenden Aufenthalt daselbst, und diese neue Wandelung im Leben des Försters gefiel der streng ordentlichen Kathrine durchaus nicht.

Leider besaß sie kein Mittel, Andreas bei sich festzuhalten, und auf der andern Seite forderte der Baron den Umgang mit Frei wieder so bestimmt, daß Kathrine am wenigsten Einwendungen dagegen machen konnte. Die Meinung des reichen Landedelmanns war jedenfalls gut; er wollte seinem Förster die Trübsal vergessen machen, die er schuldloserweise hatte erdulden müssen, und seinen Gutsangehörigen durch den vertrauten Umgang mit Frei darthun, wie hoch er seinen Beamten achte und liebe.

Seufzend gewahrte nun Kathrine, daß Andreas von Kaltenstein selten ganz nüchtern nach Hause kam, und gerade diese Wahrnehmung betrübte sie tief. Auch die Zeit kümmerte den unordentlichen Mann wenig. Ob Mitternacht herankam oder die Hähne bereits krähten, wenn er den alten, schweren Klopfer mit unsicherer Hand erfaßte, um ihn gegen die verschlossene Hausthür fallen zu lassen, war dem Förster ganz gleichgültig. Er verlachte Kathrinens Bitten, und wagte sie scheltende Worte auszustoßen, so schnippste Andreas in seiner Weinlaune, wo er sich stets gutmüthig zeigte, der Schwester gegen ihre spitzige Nase, daß sie nur in schleuniger Flucht Rettung vor dem ungalanten Bruder fand.

Die immerwährende Einsamkeit in dem alten Forsthause, die vielen ruhelosen und sorgenvollen Nächte, die ihr der ungeordnete Lebenswandel des Försters verursachte, übten einen nachtheiligen Einfluß auf Kathrine. Sie machte die Bemerkung, daß sie schreckhaft ward, und zum ersten mal in ihrem Leben überfiel sie eine Ahnung von dem Leiden, das sie so oft, namentlich auch von ihrer verstorbenen Schwägerin, Nervenschwäche hatte nennen hören.

»Es wäre entsetzlich!« rief sie sich schaudernd zu und begann noch eifriger als gewöhnlich zu arbeiten.

Am Tage gelang es ihr auch, den bösen Feind, der von ihr Besitz nehmen wollte, im Zaume zu halten, abends aber, wenn der nie ruhenden, alternden Person die müden Hände in den Schos fielen und die brennenden Augen sich doch nicht schließen wollten, erhob er sich ungerufen und begann seine mitleidslosen Vexationen.

Kathrine ward unruhig, ängstlich, furchtsam. Wenn draußen eine Krähe schrie, zuckte sie zusammen, als habe sie den Ruf des Todtenvogels vernommen; wenn eine Maus im Getäfel nagte, glaubte sie das schlürfende Rauschen der langen, schweren Seidenkleider zu hören, die Hildegardens verstorbene Mutter so gern getragen hatte. Im trüben Flackerschein der Oellampe, deren Docht Kathrine aus Sparsamkeit nicht sehr ausspreitete, gewahrte sie dann wohl auch einen fliegenden Schatten durchs Zimmer schweben, und ein bleiches, thränenfeuchtes Gesicht starrte sie halb traurig, halb zürnend an!

Es half nichts, daß Kathrine mit wildem Blick gegen dies Phantasiegebild vorschritt; es blieb stehen und wich nicht einmal dem Ruf oder einem Schlage der Entsetzten. Sogar sprechen, unheimlich, geisterhaft flüstern hörte sie die todte Schwägerin.

»Wo ist meine Tochter? ... Gib mir Hildegarde zurück! ...«

So lauteten die Worte der schattenhaften Gestalt, die beinahe allabendlich, wenn die Dienstboten sich zur Ruhe begeben hatten, Kathrinens entsetzlicher Gefährte war.

Obwohl die Tante Hildegardens einen heftigen Widerwillen gegen die Gegenstände empfand, welche ihre Schwägerin bei ihrem Tode hinterlassen hatte, zog sie dennoch öfters eine unwiderstehliche Macht nach dem Zimmer, wo Cornelie gestorben war. Auch heute, wo der Schneesturm an den Fensterladen rüttelte und breite Wälle schimmernder Krystalle um die Försterwohnung ausschüttete, litt es Kathrine weder im Wohnzimmer noch in der Küche. Die Magd war am Herde eingeschlafen, knirschte mit den Zähnen und sprach im Schlafe. Das alles verdroß Kathrine, weil es die Unheimlichkeit im Hause steigerte. Mit scheltenden Worten trieb sie das ermüdete Geschöpf in ihre Kammer, probirte noch ein paar mal das Thürschloß, um sich zu überzeugen, daß ohne ihr Wissen sich niemand ins Haus schleichen könnte, und erstieg dann, den Hausschlüssel in der rechten, die Lampe in der linken Hand, die Treppe.

Pfeifend schwirrte der Wind die Breitseite des Hauses entlang und klapperte mit den alten Scheiben, die von manchem Königsschusse des verstorbenen Försters her als Schmuck an den Außenwänden hingen. Oft klang das Geräusch des vom Sturme aufgewirbelten Schnees, wenn er Wände und Fenster traf, wie Sand, der zwischen dünnen Metallplatten herabrieselt.

Kathrine blieb horchend stehen, schirmte die Augen eine Zeit lang mit der Hand und heftete ihre Blicke starr auf die Thür, die sie zu verschließen gekommen war. Hinter dieser regte sich nichts, und so trat denn die Blatternnarbige entschlossen ein.

Die Lampe über ihr ergrautes Haupt emporhebend, dessen spärliche Flechten sie alter Gewohnheit nach mit einem ausgewaschenen baumwollenen Tuche umwunden hatte, ließ sie den matten Schein des Lichts nach allen Seiten hin spielen, ehe sie weiter ging. Es war alles still und in schönster Ordnung.

Nun leuchtete Kathrine die Wand entlang, gebückt vorwärts schlürfend, bis sie das Sterbelager Corneliens erreichte. Hier stellte sie die Lampe auf ein kleines Tabouret, zog die Vorhänge des alten Himmelbettes auseinander und blickte sich mit ihrem hagern Leibe, die dunkeln tief liegenden Augen doppelt anstrengend, über die glänzend weißen Bettlaken.

»Sie hat es mir angethan die böse Schwägerin!« sagte sie flüsternd, die Vorhänge wieder zuziehend und mit krampfhaft geschlossenen Fingern sie festhaltend. »Sie nimmt Rache an mir ... weil der Aufenthalt der Seligen ihr verschlossen bleibt! Ohne Buße und Beichte ging sie hinüber ... und ihr Fluch traf sterbend ... mein Herz! ... Nun höre ich die Unselige immer winseln und stöhnen, wie in jener Nacht, ... wo sie ... so plötzlich starb! ... Ich muß zum Bett ... ich kann es nicht lassen ... Es ist leer ... es muß ja leer sein, ich weiß es, aber ich bin doch erst ruhig, wenn ich unter die Vorhänge ... und unter die Decke ... gesehen habe ...«

Kathrine nahm die Lampe wieder auf und ging nach dem Secretär, den Cornelie immer nur für sich allein besessen und dessen sich nach dem Tode der Mutter Hildegarde bedient hatte. Der Schlüssel steckte – Andreas mußte vergessen haben, ihn abzuziehen; denn nach der Tochter hatte der Vater Besitz von dem Möbel genommen.

Es war mehr ein Gefühl des Aergers als der Neugierde, das Kathrine fast wider Willen zwang, den Schlüssel umzudrehen und den Secretair zu öffnen. Die Form des Möbels schon und die feine Arbeit hatten von jeher ihr Misfallen erregt und ihre Galle gereizt. Es gehörte das mit zu der Vornehmthuerei der verwöhnten Schweigerin, die Kathrine so energisch haßte.

»Könnte ich der Todten doch im Grabe einen Possen thun!« sprach der Ingrimm im Herzen der ruhelos gewordenen Kathrine. »Wenn sie unter den Unseligen weilt, wird sie des Bösen, das sie auf Erden gethan hat, schon eingedenk sein, und was eine Feindin, die noch lebt, ihr jetzt Schlimmes wünscht und thut, davon hat sie gewiß Kenntniß. Es gäbe ja sonst keine wirkliche Hölle im Jenseits! ...«

Kathrine lachte schadenfroh, daß die schmalen Lippen sich zu Linien verdünnten, während sie hastig und scheu, wie ein Dieb, die Schiebladen und Kästchen eine nach der andern auszog, um nach Reliquien von Cornelien zu suchen. Sie fand jedoch nichts, was sie besonders fesselte. Ein paar vergelbte Spitzenstreifen, ein leeres Briefcouvert, das von der Baronin herrührte, war alles, was Kathrine in die Augen fiel. Sie zerriß beides mit sichtbarer Wuth.

Darauf suchte sie weiter. Im obersten Fach, das eine Feder öffnete, entdeckte sie eine Mappe. Sie enthielt Zeichnungen von Hildegarde, auch einige Uebungsbücher im Schönschreiben, worin es die einzige Tochter des Försters noch vor ihrer Confirmation ziemlich weit gebracht hatte.

Wie Kathrine diese festen Züge, diese schönen Buchstaben erblickte, vermochte sie doch nicht, ihr Zerstörungswerk, zu dem sie ja ohnehin gar kein Recht hatte, fortzusetzen. Die Buchstaben fesselten sie, sie mußte die Schrift selbst schön finden und diejenige glücklich preisen, die es so weit durch zeitgemäßen Unterricht, glückliche Naturanlagen und eigenen Fleiß zu bringen vermochte.

»Darum verachtete mich das hochmüthige Ding!« sprach Kathrine, die blatterndurchfurchte Stirn finsterrunzelnd. »Ich war ihr immer zu schlecht, zu ordinär, zu bäuerisch! ... Darum hat sich die eingebildete Dirne auch der verruchten Baronin in die Arme geworfen! ... Aber sie soll dennoch herunter unter meine plumpen Füße, eher will ich nicht sterben können! ... Und diese meine Hände, die sie als Kind schon abscheulich fand, soll sie mir küssen, bis sie vor Angst umsinkt! ... Das soll die Strafe sein, die ich ihr auferlegen will, wenn Andreas die Flüchtige erst wieder aufgefunden hat! ... «

Mit ärgerlicher Heftigkeit schlug sie Blatt nach Blatt um, stets non neuem die Schrift mit ihren stechenden Augen Verschlingend. Da entglitten dem Heft eine Anzahl loser Papierstreifen und flatterten auf den Boden.

Zu anderer Zeit, in anderer Stimmung würde Kathrine keinen Finger gekrümmt haben, um verstreute Papiere aufzuheben, jetzt aber blickte sie sich, denn neben ihrem, doch eigentlich einem wohlwollenden und liebebedürftigen Herzen entquellenden Hasse gegen ihre sie in Geist und Bildung weit überragende Nichte war die weibliche Neugierde rege geworden.

Als nun Kathrine die losen Blättchen näher betrachtete, sah sie, daß alle beschrieben waren, und auf jedem einzelnen stand mit schönen englischen Lettern die Ueberschrift:

» Gedanken in der Einsamkeit.«

Kathrine lachte, daß die Fensterscheiben klirrten, und sprach dann, mit ihren harten Fingern die feinen Blätter betastend:

»Das dumme Ding will Gedanken haben, und noch dazu in der Einsamkeit! ... Ei, die werden sich gut ausnehmen, wenn ich sie begucke!«

Sie begann nun wirklich zu lesen und zwar mit einem Eifer, der nur das Interesse an dem Geschriebenen ihr einflößen konnte.

Hildegarde hatte in besonders bewegten Stunden die Empfindungen ihres Herzens ausgesprudelt und ihre Gedanken über die Tante und den eigenen Vater unverhohlen niedergeschrieben.

Was Kathrine jetzt auf den zufällig in ihre Hände gerathenen Blättern las, empörte und entsetzte sie. Es war ein Glück für Hildegarde, daß sie der ergrimmten Tante unerreichbar blieb, der Haß der letztern gegen die rücksichtslose Nichte hätte sonst leicht in Wuth, die Wuth in Thätlichkeiten übergehen können; denn Kathrine pflegte, erzürnt, ihrer Natur freien Lauf zu lassen.

»Das abscheuliche, das widerwärtige Geschöpf!« rief sie aus. »Den Vater verhöhnt sie und mich nennt sie eine Xantippe! Und das alles, weil die hochfahrende Mutter sie verhätschelt und die schlechte Person, die hinter dem Zaune aufgelesene Baronin ihren Kopf mit lauter vornehmen Schlechtigkeiten vollgepfropft hatt ... Aber Andreas soll jetzt erfahren, wie man sein einziges Kind mit Absicht verdarb, um es ihm zu entreißen! ... Mit diesen Blättern in der Hand, den lauten Anklägern der Verderbtheit, welche die gewissenlose Baronin Hildegarde eingeimpft hat, soll er vor die heuchlerische Frau treten und die Tochter von ihr zurückfordern! ... Und ich will ihn unterstützen, ich! ... Wenn mir das Kind des einzigen Bruders auch zuwider ist wie Wermuth, ich will doch meine Pflicht thun. Das Geschöpf ist groß genug geworden, um mich verstehen zu können! ... Ich will deutlich sein, bei Gott, sehr deutlich! ... Was die saubere Baronin war, soll Hildegarde erfahren, und was man aus ihr machen will, werde ich ihr unverblümt zu hören geben! ... Aber ich will sprechen wie ein Richter ... Ich will sie niederdonnern, die Undankbare, daß sie um Erbarmen winselt! Abbitte soll sie mir thun und ihrem Vater, den sie so schmählich durch ihre höhnischen Worte verletzt!«

Sie raffte die gefundenen Blätter zusammen, legte sie wieder in das Heft, nahm es zu sich und schloß den Secretär. In diesem Augenblick ließen sich unsicher geführte Schläge des Klopfers an der Hausthür hören. Auf dem Vorplatze hob die große Schrankuhr auf Mitternacht aus.

»Da kommt Andreas,« fuhr Kathrine fort, die Henkellampe wieder ergreifend und den weggelegten Hausschlüssel in das Gelenk ihres linken Mittelfingers hängend. »Es ist gleich zwölf, draußen rast der Schneesturm und der wüst gewordene unglückliche Mann irrt in der Nacht umher ohne Freund, ohne Gefährten!«

Sie schüttelte wild die grauen Haare, das um den Kopf gewundene Tuch mehr aus der Stirn schiebend.

»Und was treibt ihn aus dem Hause?« setzte sie, das ehemalige Wohngemach Corneliens verlassend, hinzu. »Was wird ihn zuletzt ins Unglück stürzen? ... Die Baronin, die ihm die Seele des eigenen Kindes raubte! ... «

Der Klopfer fiel nochmals gegen die Thür, aber nur schwach, als fasse eine matt gewordene Hand daran.

Kathrine beschleunigte ihre Schritte, glitt gespenstisch die Treppe hinab, hob den vorgelegten Riegel von der Thür und stieß dann den Schlüssel ins Schloß, um es durch zweimaliges Umdrehen zu öffnen.

Mit stieren Augen, bleich und schwankend, schritt Andreas an der Schwester vorüber, ohne ihr laut guten Abend zu wünschen. Nur mit der Hand berührte der Förster die Krämpe seines beschneiten Hutes.

»Der Geist des Weins hat wieder Besitz von ihm genommen,« sprach Kathrine, die Thür schließend und dem Schwankenden folgend. »Wie soll das enden! ... Wenn er nun fiel im Schnee ... wenn der Wind ihn einwehte! ... Morgen am Tage hätten sie mir eine steif gefrorene Leiche ins Haus gebracht!«

Die Lampe hoch haltend, um dem Bruder die Hausflur besser zu erleuchten, folgte sie ihm in sein Zimmer und zündete hier ein bereit stehendes Licht an. Sie erkannte sogleich, daß Andreas augenblicklich nicht im Stande sei, eine Mittheilung von Wichtigkeit zufassen und richtig zu würdigen. Deshalb fiel es ihr auch nicht ein, den Berauschten damit behelligen zu wollen. Aber sie wünschte auch nicht, daß der vom langen Wandern im tiefen Schnee schwer Ermattete im kalten Zimmer einschlafe.

Deshalb ruhte sie nicht eher, als bis sie sich überzeugt hatte, daß er sein Lager aufgesucht habe. Nun erst begab sie sich selbst zur Ruhe, das Heft mit den gefundenen Papieren unter ihrem Kopfkissen verbergend.


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