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VIERZEHNTES KAPITEL.

MITTHEILUNG AUF DER JAGD.

Baron von Kaltenstein kam dem Wunsche seines Försters bereitwilligst entgegen. Die Einladung des Domdechanten zur Jagd erfolgte in den freundlichsten Ausdrücken und Hildegarde ließ es sich gern gefallen, für ihren gescheidten Einfall von dem geistlichen Herrn gelobt zu werden.

Sabine lachte zu der ganzen lustigen Geschichte und nannte ihre Pflegebefohlene einmal über das andere einen gefährlichen Schalk.

»Wenn du einmal heirathest,« sagte sie, »wirst du deinem Mann, im Fall er nicht sehr klug ist, bös zu schaffen machen!«

»Ich heirathe nie,« versetzte Hildegarde, die Lippe aufwerfend. »Ein Mädchen, das heirathet, muß sich fügen, und das will ich nicht. Meine selige Mutter hat es mir oft genug erzählt, wie ihr dies so viele Stunden ihres Lebens verbittert hat!«

»Das war sehr thöricht von deiner Mutter, liebes Kind,« sagte der Domdechant in sanft verweisendem Tone. »Nach Gottes heiligem Willen und seinen Vorschriften soll die Frau dem Willen des Mannes sich fügen und ihm unterthan sein. Eine Frau, welche dies nicht thut, versündigt sich, die Sünde aber zieht immer, wenn auch bisweilen erst spät, Strafe nach sich. Ist es also Gottes Wille, so wirst auch du, mein Kind, einst einem dir bestimmten Mann folgen, und diesem in Liebe und Ergebenheit unterthan sein.«

Hildegarde schwieg, ihr stolzes, eigenwilliges Herz aber lehnte sich gegen dies Gebot Gottes auf, obwohl die Gestalt eines jungen schlanken Mannes an dem Spiegel ihrer Seele lockend vorüberschwebte.

Am festgesetzten Tage trafen die Geladenen auf Kaltenstein ein. Einige der entfernter Wohnenden kamen zu Pferde, andere zu Wagen, nur die nächsten Nachbarn hatten die kurze Strecke nach dem Stammsitze des Barons zu Fuße zurückgelegt.

Der Tag war heiter. Es hatte stark gereift und bei Sonnenaufgang stieg grauer Nebel aus den Thälern auf.

Baron von Kaltenstein empfing seine Gäste auf der Rampe, die zu dem altfränkisch angelegten Park, gewöhnlich Irrgarten genannt, hinabführte. Ein frugales Frühstück war schon aufgetragen und wurde von den Jagdgästen mit Appetit verzehrt. Man beeilte sich dabei, um keine Zeit zu verlieren. Clotilde hatte sich während dieses Imbisses nicht sehen lassen.

»Halten sich Hochwürden nur immer zu mir,« sagte Frei zu dem Domdechanten, der sein kurzsichtiges Auge mit einer Brille bewaffnet hatte, eine vortreffliche Büchse führte, und ein ihn ganz gut kleidendes Jägercostüm trug. Den geistlichen Herrn sah dem jovialen Mann nur ein sehr geübtes Auge an.

Es lag dem Förster alles daran, eine Zeit lang ungestört mit dem Domdechanten sprechen zu können. Er hatte sich gut vorbereitet und war einig mit sich selbst.

Da die Aufstellung der Jäger großentheils von Andreas abhing, fiel es ihm leicht, sich und seinem geistlichen Gefährten einen Platz aufzusuchen, wie er ihn wünschte. Es war eine Stelle, an der, seiner Berechnung nach, wenig Wild vorüberkommen konnte. Ein großer Feldstein, dem alte verwitterte Wappen eingegraben waren – von wem und zu welchem Zwecke wußte niemand – lag zwischen niedrigem Gebüsch und gewährte ein sicheres Versteck. Dahin führte der Förster den Domdechanten, als er an dem verhallenden Hallo vernahm, daß die Jagd in der Entfernung vorüberging.

»Hier können wir ein wenig verschnaufen,« sprach Andreas, die Büsche auseinander biegend und nach dem Steine zeigend. »In einer Viertelstunde werden die Treiber südwärts aus dem Walde brechen, das Wild nach dem Wasser jagen, das da im Osten über Kiesgeschiebe plätschert, und wenn es von dort durch entgegenkommende Treiber hier durch Moor und Gestrüpp nach dem freien Felde ausbricht, kommt es uns gerade in den Schuß.«

Dem Domdechanten leuchtete dies ein. Auch war ihm eine kurze Rast ganz erwünscht, denn Frei hatte ihn bereits durch dick und dünn geführt, und ihn absichtlich nicht geschont. Warnkauf lehnte sich vergnügt an den großen, seltsamen Stein und stöhnte gewaltig.

»Man merkt doch, daß man alt wird, Förster,« sagte er, noch immer tief Athem holend. »Vor zehn Jahren wußte ich nichts von einer acht- bis zehnstündigen Jagd, und nun bleibt mir die Luft schon nach anderthalbstündigem Laufen aus!«

»Daran ist nicht das Alter schuld, sondern die Entwöhnung, Hochwürden,« versetzte Andreas. »Ich bin schwerlich viel jünger und kenne doch keine Ermüdung, selbst wenn ich einmal die Nacht mit zum Tage schlage.«

»Was Förster Frei öfters thun soll, wie man sagt,« fügte der Domdechant lächelnd hinzu. »Na, weshalb auch nicht! Wir sind alle Menschen und haben alle unsere kleinen Schwächen und Liebhabereien.«

»Ich hoffe, Hochwürden, daß meine im Freien zugebrachten Nächte mich dereinst nicht vor Gott verklagen werden,« sagte Andreas ernst. »Mein Kind –«

»Ich weiß, ich weiß, Förster,« fiel Warnkauf ein, »und das Mädchen verdient es auch, daß man sich ihretwegen müht und sorgt.«

Der Förster seufzte.

»Ach ja, sorgen!« sprach er. »Der Himmel weiß, daß Hildegarde mir Sorgen macht! Gefällt sie Ihnen?

»So gut, daß ich Sie um das Glück beneiden möchte, ihr Vater zu sein.«

»Man kann sich auch manchmal irren, Hochwürden, und Kinder, namentlich Mädchen, sind schwer zu erziehen. Hildegarde war von Jugend auf ein gar eigenes Kind.«

»Glaub’s gern,« erwiderte Warnkauf. »Wo viel Licht ist, da fehlt auch nicht der Schatten. Und Ihre Tochter hat es hinter den Ohren. Man muß gut aufpassen, sonst dreht sie einem unter keckem Lachen eine Nase.«

»Haben Hochwürden diese Erfahrung bereits gemacht?«

»Zwei- bis dreimal, aber ich lasse der Schelmin diese Unarten nicht durch.«

»Das Kind hat, will mich bedünken, einen traurigen Hang, sich zu verstellen,« sagte Andreas. »Mir ist da erst ganz kürzlich etwas passirt, was mich erschreckt hat und ernstlich beunruhigt. Kennen Hochwürden den Brief, den mir das Kind schrieb und worin sie die Zeichnungen ihrer verstorbenen Mutter von mir forderte?«

»Ich weiß nur, daß Hildegarde an Sie schreiben wollte,« erwiderte der Domdechant. »Was ist’s, das Sie so beunruhigt?«

Der Förster reichte dem Geistlichen den letzten Brief Hildegardens.

»Lesen Hochwürden gefälligst,« sprach er, »und wenn ich bitten darf, mit größter Aufmerksamkeit.«

Warnkauf kam dem Wunsche des Försters nach.

Als er geendigt hatte, gab er den Brief wieder zurück.

»Beunruhigt Sie dies Schreiben?« fragte er.

»Es verräth sich darin Talent und ein aufgeweckter Kopf.«

»Talent findet sich wohl auch in diesem zweiten, sechs Wochen früher geschriebenen Briefe,« erwiderte Andreas, das Blatt dem Domdechanten reichend, welches sich zwischen die Zeichnungen Corneliens geschoben hatte.

Während Warnkauf sich mit dem Inhalte desselben ebenfalls bekannt machte, vernahm man aus beträchtlicher Ferne die jetzt wieder näher kommende Jagd. Andreas untersuchte seine Büchse und nahm die Stellung eines lauschenden Jägers an.

Den Händen des Domdechanten entglitt das Blatt. Er war blaß geworden und sein Auge blickte fragend gen Himmel.

»Wär’ es nicht besser, Hochwürden,« sagte der Förster mit zitternder Stimme, »das Kind verwandelte sich durch ein Wunder in ein gehetztes Reh und die sichere Kugel eines Jägers blies ihr unbemerkt das Lebenslicht aus?«

»Lästern Sie nicht, Förster Frei!« versetzte Warnkauf, den Brief wieder aufhebend und ihn dem betrübten Vater übergebend. »Es hat der Feind frühzeitig Unkraut gesäet in die Seele des armen Kindes, und diese Saat ist aufgegangen in schauerlicher Ueppigkeit! Es ist unsere Pflicht, sie auszujäten mit Vorsicht, damit wir nicht auch das Gute mit dem Schlechten vernichten!«

»Ich könnte blutige Thränen weinen über dieses Unglück!« rief Andreas aus. »Mein einziges Kind – und so muß es sich verwerfen! – O, könnt’ ich der Baronin dafür wenigstens ihre Sünden vorrücken!«

Die Erwähnung der Baronin von Kaltenstein machte den Domdechanten stutzen. Er reichte dem Förster seine feine, weiße Hand und warf die Büchse über die Schulter.

»Ich will Ihr Freund sein,« sprach er, »wenn Sie mir Vertrauen schenken wollen. Kommen Sie. Dort auf den kahlen Hügeln sehe ich die Jäger erscheinen. Wir wollen uns ihren Blicken entziehen und die Freuden der heutigen Jagd ihnen gönnen. Wir beiden, fürcht’ ich, werden kein Glück haben und wohl meistentheils unser Ziel fehlen. Lassen Sie uns auf andern Pfaden pirschen.«

Er zog den Förster mit sich fort tiefer in das Gebüsch und schritt lebhaft sprechend dem dichten Walde zu. Unterwegs erzählte er Andreas das Gespräch mit Hildegarde, welches der Aufsetzung des Briefes an den Vater vorangegangen war. Er verschwieg nichts, auch nicht die Veranlassung zu demselben.

Aus diesen Mittheilungen war zu errathen, daß das schlaue Mädchen sich mit einem nur ihr allein bekannten Plane trug, dessen Kern und Mittelpunkt das Zusammentreffen mit Clotilde von Kaltenstein sein mußte. Ihre Strategie war so fein, daß selbst der Vorsichtigste die Falle nicht bemerken konnte, die Hildegarde ohne Zweifel dem Domdechanten zu legen beabsichtigte.

Der Förster sah sich genöthigt, Warnkauf recht zugeben.

»Was thun! Was thun!« rief er wiederholt aus gepreßter Brust. »Armes, verblendetes Kind, wer rettet dich vom Verderben!«

Der Domdechant war rasch entschlossen. Er machte Andreas mit seinen Gedanken bekannt und fragte, ob dieselben seine Billigung fänden.

»Ich wüßte nichts Besseres vorzuschlagen,« erwiderte der Förster.

»Dann lassen Sie uns gegen jedermann Schweigen beobachten,« fuhr der Domdechant fort. »Die Frau Baronin mag mich vorläufig für einen etwas verbauerten Priester halten, wenn ich ihr unhöflich erscheine. Der guten Sache wegen darf man sich wohl ein wenig im Lichte stehen, ohne gerade die Regel des klugen Loyola buchstäblich zu befolgen. Hildegarde halte ich mit Scherzworten hin, ohne das bethörte Kind geradezu zu belügen. Und jetzt frohen Muths und heitern Auges den Jägern entgegen! Horch! Piff, Paff! Da bäumt und überschlägt sich ein Rehbock! – Wir müssen hier hinaus.«

Der Wald lichtete sich vor den Eilenden. Wie sie unter den leis rauschenden Tannen auf die weitgestreckte Waldwiese traten, bemerkten sie schon einige Jäger mit ihrer schweißenden Beute. Die Jagdgäste trafen von allen Seiten hier zusammen und unter fröhlichem Grüßen, Jubeln und Jauchzen beglückwünschten alle den heitern Baron zum guten Tage.


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