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SECHSTES KAPITEL.

FINGERZEIGE.

Ehe noch der Bewohner der Hütte sich nach dem Namen des späten Besuchers erkundigen konnte, war dieser schon eingetreten und dem dunkel brennenden Lichte zugeschritten, das auf einem fichtenen Tische zwischen allerhand Jägergeräth stand. Jetzt erst kehrte er sich um und die Blicke beider Männer begegneten sich.

»Dachte ich’s doch, man hat mich getäuscht!« rief Baron von Kaltenstein. »Es ist ein Hinterhalt, den mir dieser verschlagene Abenteuerer legen will!«

»Wollten Sie nicht zu mir?« fragte der Bewohner der Hütte mit großer Gleichgültigkeit. »Ich dränge mich niemand auf, und wer mir kein Vertrauen schenken will, den hindere ich nicht am Gehen.«

»Sie nennen sich Herr im Winkel?« fragte der geärgerte Baron herrisch.

»Ich hätte das Recht dazu, mich so zu nennen,« erwiderte der Bewohner der Hütte, »wo aber nichts darauf ankommt, pflege ich es nicht zu thun. Als Zacharias haben die Leute, an deren Achtung oder Gunst mir etwas gelegen ist, mehr Respect vor mir.«

Der Baron kämpfte sichtlich mit sich selbst, um zu einem Entschlusse zu kommen. Nach einer Weile sagte er:

»Ihr habt früher Umgang mit dem Förster Frei von Kaltenstein gehabt ... «

»Oder der Förster mit mir,« fiel der einäugige Zacharias verbessernd ein.

»Gleichviel,« fuhr der Baron fort. »Dieser Umgang, den Ihr zugesteht, hat den Förster einer sehr traurigen Lage entrissen ... «

»Wenn ich mir darauf etwas einbilde, wäre das wohl unrecht?«

»Im Gegentheil, ich selbst bin Euch dafür dankbar.«

»Sie sind, wie ich daraus abnehmen kann, der Herr von Kaltenstein,« unterbrach Zacharias den Baron.

»Der ältere Kaltenstein,« bestätigte dieser. »Seit einigen Monaten hat mein Sohn die Herrschaft übernommen.«

»In so frühen Jahren wollen der Herr Baron sich schon zur Ruhe setzen?«

»Ich habe die Absicht, meinen Wohnort zu verändern. Vielleicht kaufe ich mich anderswo, etwa am Rhein oder in der Schweiz an.«

»Daran thun Sie recht, Herr Baron! An der Grenze oben, in so entlegener Gegend ist das Leben zu einförmig, wogegen es am Rhein oder in der Schweiz immer unterhaltende Gesellschaft gibt.«

»Wohl möglich,« unterbrach der Baron den Einäugigen. »Ehe ich jedoch einen bestimmten Entschluß fasse, bin ich es mir selbst und meinen Angehörigen schuldig, gewisse Angelegenheiten zu ordnen und in helleres Licht zu setzen. Wie schon bemerkt, hat Förster Frei Euch seine Freiheit zu verdanken.«

»Ich habe nur die Wahrheit gesagt, als man mich fragte.«

»Ihr kanntet den Kreuz-Matthes?«

»So gut wie den, der ihn erschoß.«

Der Baron heftete einen langen Blick auf den Einäugigen.

»Kennt Ihr auch dessen Namen?«

»Ich will’s nicht leugnen.«

»Diesen verlange ich jetzt von Euch zu erfahren,« sprach der Baron befehlshaberisch, indem er mit dem silbernen Knopf seiner Reitpeitsche hart auf den Tisch schlug.

»Herr Baron, zwingen lasse ich mich nicht,« erwiderte mit eiserner Ruhe der Einäugige. »Ich that schon mehr, als man von mir verlangen konnte, wie ich den Beweis führte, daß nicht Ihr Förster, sondern ein anderer dem entsprungenen Wilderer das Lebenslicht ausblies.«

»War dieser andere ein Feind des Getödteten?«

»Ich weiß es nicht.«

»Ihr habt Verwandte?«

»Ziemlich viele.«

»Einer derselben, der wohl etwas jünger sein mag als Ihr, heißt Nicanor im Winkel?«

»Ein schlauer Geselle, ein Spieler ... «

»Euer Bruder!« rief der Baron.

Zacharias lachte hell auf.

»In meinem Leben habe ich keinen Bruder gekannt,« sagte er, »der Vettern aber, die im Winkel heißen und von denen Nicanor der Klügste und Ausgelassenste schon als Knabe war, lebten mir allerdings mehrere. Im Auftrage dieses Vetters schrieb ich Ihnen.«

»Kein anderer als dieser verruchte Nicanor erschoß den Kreuz-Matthes!« rief der Baron.

»Und hätte er’s gethan und ich beschwör’ es vor Gericht, er ginge dennoch straflos aus, wenn eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet würde!«

»Wißt Ihr das so genau?«

Zacharias bog sich über den sitzenden Baron.

»Der Schütze lief mir nach dem Schusse wider Willen in die Hände,« sagte er mit gedämpfter Stimme. »Als wir uns gegenseitig ins Gesicht sahen, erkannten wir uns. Er war bestürzt und bat mich, ich solle ihn verbergen, retten! ... Seine Aufregung verrieth mir, daß er Grund gehabt haben müsse, die Büchse auf einen Menschen abzufeuern, und als er mich fragte, ob der Schändliche auch todt sei, suchte ich ihn zu beruhigen, indem ich die Bemerkung einfließen ließ, daß der Tod des Kreuz-Matthes sich schwerlich jemand ernstlich zu Herzen nehmen werde. Da erst erfuhr ich, daß der Schuß meines heftigen Vetters einem andern gegolten habe ... Nicanor ward krank, und im Fieber schwatzte er aus, was mich klug machte.«

»Ihr verhalft Euerm Vetter zur Flucht?«

Zacharias lächelte, indem er erwiderte:

»Ich verschaffte ihm nur eine sichere Zuflucht.«

»In der Nähe?«

»Zu finden weiß ich ihn, Herr Baron, ob es meinem Vetter aber erwünscht sein würde, unvorbereitet mit Ihnen zusammenzutreffen, kann ich nicht wissen.«

Das einzige Auge des alten Jägers ruhte mit stechender Glut auf dem Edelmann.

»Ich würde mich erkenntlich erweisen,« erwiderte der Baron, »wenn Ihr es so einzurichten verständet, daß ich Nicanor im Winkel begegnete. Ich verpfände mein Ehrenwort als Edelmann, daß ich diese Zusammenkunft mit Euerm Vetter in der redlichsten Absicht wünsche, ja ich knüpfe daran die Versicherung, ein Gespräch mit Nicanor im Winkel wird uns einander näher führen, vielleicht ein festes Band ehrlicher Freundschaft um uns schlingen; denn es würde dazu beitragen, uns gemeinsamer Rache an einem uns beiden verhaßten Feinde zu verbinden.«

Zacharias hatte nachdenklich zugehört. Jetzt hob er das graubehaarte Haupt mit dem stechend funkelnden Auge, streckte dem Baron seine Hand entgegen und sagte kurz:

»Geben Sie ein Pfand!«

»Was verlangt Ihr?«

Der Jäger sann wiederum einige Secunden nach.

»Ihre Namensunterschrift würde am besten sein,« sprach er zögernd.

Die Züge des Barons verfinsterten sich.

»Ich muß einen Scheffel Salz mit einem gegessen haben, dem ich meine Namensunterschrift zu beliebigem Gebrauche einhändige,« entgegnete er. »Nein, Zacharias im Winkel, sinnt auf etwas anderes.«

Der Einäugige ging in die hinterste Ecke des Zimmers, wo auf den Enden eines Hirschgeweihs seine Büchse nebst Jagdtasche und Kugelbeutel hing. In letztern senkte er seine Hand. Zurück an den Tisch tretend, zeigte er dem Baron eine Hand voll frischgegossener Kugeln.

»Von Ihrem Förster her werden Sie diese Kugeln kennen,« sagte er, während ein häßliches Lächeln seinen großen Mund noch größer machte, und die blendend weißen wolfsartigen Vorderzähne entblößte.

»Freikugeln!« sprach der Baron erbleichend. »Fort damit! ... Ich will sie nicht sehen!«

Der Jäger begann heiser zu lachen.

»Erlauben Sie, Herr Baron,« sagte er, »daß ich meinem Vetter eine einzige dieser Kugeln überbringen und dabei bemerken darf, daß ich dieselbe von Ihnen zu diesem Behufe erhalten habe?«

»Sie kennen die Geschichte dieser unseligen Kugeln nicht,« warf der Baron, noch immer unschlüssig, ein.

»Desto besser ist mir deren Entstehung bekannt. Uebrigens begreife ich nicht, was Sie an den Kugeln so entsetzen mag! Förster Frei hat ihnen allein Leben und Ehre zu danken!«

Der Baron sah noch eine Zeit lang schweigend vor sich hin, während Zacharias mit den Kugeln klapperte.

»Mein Vetter versteht den Wink gewiß,« sagte der alte Jäger lockend.

»Nun denn, so mag der Teufel noch einmal der Vermittler zwischen mir und ihm sein!« rief Baron von Kaltenstein entschlossen. »Wann und wo kann ich Euern Vetter sprechen?«

»Einen Tag muß ich mir ausbedingen,« erwiderte Zacharias. »Den Ort der Zusammenkunft mögen Sie selbst bestimmen.«

»Haben Sie gegen Bürgstein etwas einzuwenden?« fragte der Baron. »Ich bin dort unbekannt, und gerade deshalb schlage ich den Ort vor.«

»Nicanor wird nichts gegen Ihre Wahl zu erinnern haben. »Morgen Abend, wenn es dunkel wird, sollen Sie dort meinen Vetter treffen.«

»Nach Sonnenuntergang, am Fuße der Treppe, die zu den innern Gemächern der alten Felsenburg führt!«

Zacharias schüttelte zum Zeichen des Einverständnisses dem Edelmann die Hand.

»Sie sollen erfahren,« sprach er, »daß der verrufene Einäugige, den Hunderte für einen Missionär der Hölle halten, trotz seines schlechten Rufs doch ehrlicher ist als mancher vornehme Herr in Amt und Würden!«

Er geleitete den Baron aus der Hütte, band das Pferd von der Krippe und pfiff so gellend auf dem Finger, daß man es wohl eine halbe Stunde weit hören mußte. Alsbald zeigte sich Watzmann den Blicken des Edelmanns. Der Einäugige wünschte diesem glückliche Reise und verschloß sich wieder in seine unscheinbare Hütte.


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