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SECHSTES KAPITEL.

DOMDECHANT UND STIFTSSYNDIKUS.

Sabine Warnkauf hatte einige Tage das Zimmer hüten müssen. Die Flucht Hildegardens, der sie doch so innig zugethan war, machte die gutherzige Schwester des Domdechanten vollkommen krank. Sie begriff nicht, wie man in so früher Jugend schon so undankbar sein und mit so großer Meisterschaft die Kunst der Verstellung üben konnte. Aengstigte nun Sabine das Schicksal des schutzlos in die Welt hineingelaufenen Mädchens, so wunderte sie sich noch mehr über die Gleichgültigkeit des Försters, der kein Wort von sich hören ließ und auch den von ihrem Bruder abgesandten Boten nicht einmal zurückschickte.

Der ganze erste Tag verging so unter bangem Harren. Es ward Abend und Nacht, und noch immer lief keine Antwort aus dem Forsthause auf der Dechanei ein. Warnkauf nahm deshalb an, Förster Frei möge wohl gar nicht zu Hause gewesen sein; weil aber der Bote, dem er strengen Befehl gegeben hatte, auf Antwort zu warten, nicht ohne eine solche sich auf der Dechanei wolle sehen lassen, werde er vorgezogen haben, die Rückkunft des Försters abzuwarten.

Der Prälat war indeß nicht müßig. Die seiner Obhut empfohlene Hildegarde lag ihm zu sehr am Herzen, und gewissermaßen mußte er ja auch für sie und ihr Wohl einstehen. Das begabte, nur eigensinnige und durch verkehrte Erziehung auf gefahrvolle Bahnen geleitete Mädchen war ihm anvertraut worden, damit er es geistig und sittlich erziehen solle. In dem Vertrauen, das man ihm schenkte, lag die schönste Anerkennung seines Wirkens als Mensch und Priester. Es konnte ihm ein glänzenderes Zeugniß seiner humanen, milden Gesinnung, seiner unbefangenen Weltanschauung kaum ausgestellt werden. Ihm, dem katholischen Geistlichen, vertraute ein zum Protestantismus sich bekennender Vater sein einziges Kind an, weil er die feste Ueberzeugung in sich trug, es sei nirgends besser aufgehoben. Er fürchtete nicht den Einfluß katholischer Dogmen, nicht den bestechenden, am leichtesten junge Herzen berückenden Glanz des katholischen Ritus. Der vertrauensstarke Förster wollte sein Kind nur gesichert wissen vor den Verlockungen der Welt und verderbter Menschen. Sein Wunsch und Wille war, es möge dem von allen Vorurtheilenfreien Manne der Kirche, den keine Familiensorgen drückten, gelingen, eine bereits auf Irrpfade gerathene Seele durch Wort und Beispiel zur Einsicht ihres Irrthums zu bringen und sie später geheilt dem Vater wieder zuführen.

Warnkauf bezichtigte sich selbst schwerer Nachlässigkeit. Weil er glaubte, der Förster habe volles Recht ihn verantwortlich zu machen für das Geschehene, ließ er nichts unversucht, um die Spur der Entflohenen zu entdecken. Noch während der Nacht sendete er Boten aus, die Hildegarde zu suchen Auftrag hatten. Aber die Nacht war finster, der Regen goß in Strömen herab und der Weststurm brauste durch die Wipfel der hohen Tannen im nahen Grenzwalde. In solchem Wetter, in so tiefer Finsterniß einen Flüchtling aufzufinden, dessen erste Aufgabe es sein mußte, sich seinen Verfolgern zu entziehen, gehörte fast zu den unmöglichen Dingen. Die Suchenden waren genöthigt, Laternen mitzunehmen, um die Fußtapfen der Geflüchteten zu erspähen, und der Schein ihrer Lichter verrieth sie ja dieser von fern. Es ward also weiter nichts durch Entsendung der Boten erreicht, als daß man die ungefähre Richtung ermittelte, welche Hildegarde, nachdem sie den Garten der Dechanei verlassen, eingeschlagen hatte. Die aufgefundenen Spuren verloren sich im Moos des Grenzwaldes.

Aus manchem Gespräche mit Hildegarde hatte der Domdechant die Ueberzeugung gewonnen, daß sie mit zäher Festigkeit der übel berufenen Baronin von Kaltenstein anhänge. Seit vielen Tagen schon konnte er nicht mehr an der Absicht des jungen Mädchens zweifeln, ein Zusammentreffen mit dieser Frau herbeizuführen, und seit der Prälat die beiden Briefe Hildegardens gelesen, die deren eigener Vater ihm mittheilte, begriff er vollkommen die Nothwendigkeit, den Einfluß dieser gefährlichen Frau auf seine Pflegebefohlene gänzlich zu paralysiren.

»Das thörichte Kind hat sich nach Kaltenstein gewendet,« sprach Warnkauf zu seiner Schwester. »Morgen am Tage werde ich sie dort suchen lassen und ihre Zurücklieferung mit Nachdruck verlangen. Es ist möglich, daß man diese beanstandet unter allerhand nichtigen Vorwänden; lange indeß wird die Baronin sich nicht sträuben können.«

Sabine ließ sich von ihrem weisern Bruder gern trösten und sah dem nächsten Morgen ziemlich gefaßt entgegen. Ehe jedoch nach dem Schlosse geschickt werden konnte, traf auf der Dechanei die Meldung von dem im Walde vorgefallenen Morde ein. Gleichzeitig erfuhr der Domdechant von zwei seiner in der Nacht entsendeten Boten, die mit ihren Laternen ziemlich tief in den Grenzforst eingedrungen waren, daß sie in der Richtung, wo man später den Kreuz-Matthes fand, einen Schuß hatten fallen hören. Es mochte gegen Mitternacht gewesen sein. Etwa eine halbe Stunde später war den Suchenden ein Wagen begegnet, mit einer Plane überspannt, wie sie im Gebirge gebräuchlich sind. Ein böhmischer Knecht hatte das leichte Fuhrwerk gelenkt, das von zwei Personen, einem schon bejahrten Herrn und einem noch sehr jungen Mädchen, eingenommen ward. Das neugierige Beleuchten der Insassen dieses Wagens seitens der Suchenden hatte diesen noch einige unhöfliche Bemerkungen eingetragen. Außerdem wollten die Boten des Domdechanten scheltende Stimmen im Dickicht des Waldes vernommen haben. Was die Zankenden sprachen, konnten sie nicht hören, sie glaubten aber behaupten zu können, daß den vernommenen Stimmen nach zu urtheilen wenigstens drei Personen, und zwar nur Männer, so laut und heftig miteinander gesprochen hätten.

Die Sorge um Hildegarde und die Verantwortung, die den Domdechanten treffen mußte, ließ ihn abends nach einem in großer Aufregung durchlebten Tage doch keine Ruhe mehr. Er gab Befehl, seinen Wagen anzuspannen, um in Person den Förster zu besuchen. Ehe dieser aber ausgeführt werden konnte, hielt ein anderer Wagen vor dem Portal der Dechanei, dem der Stiftssyndikus Liebner entstieg.

Warnkauf eilte dem langjährigen Freunde entgegen und hieß ihn mit dreifachem Kusse willkommen. Liebner war so bewegt, daß seine Lippen bebten und die gewöhnlich so vergnüglich blickenden Augen sich mit Thränen füllten. Wir wissen schon, daß der genußsüchtige alte Hagestolz von diesem Thränenerguß nichts wußte; er war ihm, vielleicht durch vieles Weintrinken, zur andern Gewohnheit geworden. Liebner weinte bei jeder Gelegenheit, mochte sie eine freudige oder traurige sein. Daher konnte er einem längere Zeit nicht mehr gesehenen Freunde ohne einige Thränen weder die Hand reichen noch guten Tag sagen.

»Ein seltener Besuch,« sprach der Domdechant, in dem Auge des Stiftssyndikus nach der Veranlassung desselben forschend; denn er setzte voraus, daß nur die Flucht Hildegardens diesen die Bequemlichkeit liebenden Mann zu so ungewohnter Stunde zu ihm führe.

»Weniger selten als seltsam,« versetzte Liebner, an der Seite des Domdechanten die Treppe hinaufsteigend. »Ich komme aus dem Forsthause.«

Warnkauf führte den Gast in sein Studirzimmer.

»Demnach sind Sie bereits unterrichtet,« sagte der Prälat, seine goldene Dose dem Stiftssyndikus präsentirend. »Sie erscheinen im Auftrage des Försters?«

»Nein! Nein!« versetzte Liebner. »Cousin Frei sendet mich nicht, er weiß nicht einmal, daß ich hier bin. Ich komme aus eigenem Antriebe.«

»Noch haben sich leider keine Spuren von dem verblendeten Kinde auffinden lassen!« sprach Warnkauf betrübt. »Ich bin recht niedergeschlagen ob dieses ganz unvorhergesehenen Ereignisses, um so mehr, als ich fast ganz rathlos dastehe.«

»Es ist eine fatale Geschichte, allerdings,« erwiderte der Stiftssyndikus, »aber die Sache wird sich hoffentlich wieder repariren lassen. Das Mädchen ist uns allen leider über den Kopf gewachsen; sie hat uns getäuscht, betrogen. Nun, das ist andern Leuten auch schon passirt, und eigentlich sollte jeder, wenn er mit Weiblichkeiten zu thun hat, sich auf dergleichen Dinge gefaßt machen! Indeß, quälen wir uns deshalb nicht! Meine niedliche Cousine ist zu klug, um mehr als einen dummen Streich in einem Athemzuge zu machen. Ins Wasser springt sie gewiß nicht. Also läßt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, daß sie entweder sehr bald die Tollheit ihres Unternehmens einsieht und von selbst wieder bei Ihnen um Einlaß bittet, oder daß sie eine Mittelsperson als Fürsprecherin zu Ihnen sendet.«

»Meinen Sie?« fragte mit ungläubigem Stirnrunzeln der Domdechant, »und theilt Förster Frei Ihre Ansicht?«

Der Stiftssyndikus seufzte und zwischen seinen etwas angegriffenen Augenlidern zeigten sich wieder ein paar Thränen.

»Der Förster!« sagte er. »Haben Sie nichts gehört?«

»Vom Förster?«

»Von dem Vorfall im Grenzwalde, im Klosterforst?«

Der Domdechant erinnerte sich der Erzählung der Boten.

»So, so!« sagte er. »Also darum war der Förster nicht aufzufinden! Holte er Sie in Person zu dem Todten ab?«

Der Stiftssyndikus trocknete sich die schon wieder feucht gewordenen Augen und faßte die Hand des ihm befreundeten Prälaten.

»Kein Gang – ich versichere Sie, werther Freund – kein Gang ist mir jemals so schwer geworden, als mein heutiger Besuch im Forsthause! ... Urtheilen Sie selbst! ... Im Walde liegt der Kreuz-Matthes, dieser Schuft aller Schufte. Eine Kugel hat ihm das Lebenslicht ausgeblasen ... Ein paar Schritte davon im Tannicht hängt der Kugelbeutel des Försters Frei, daneben eine Heherfeder von seinem Hute! ... Die Kugel im Körper des Todten paßt in des Försters Büchse ... er selbst erkennt sie als ihm zugehörig an, und er hat den Schuß fallen hören, der den Bleidieb niederstreckte!«

»Er wird sein Alibi beweisen oder sich sonst rechtfertigen können,« sagte Warnkauf. »Was Sie mir da eben erzählt haben, klingt so völlig unglaublich, daß ich darüber lachen würde, hörte ich es nicht eben von Ihnen. Was halten Sie selbst davon?«

»Die Pflicht gebot mir, den eigenen Vetter zu arretiren.«

»Andreas Frei ist unschuldig!« sprach der Domdechant zuversichtlich. »Ich habe ihn immer nur als einen streng rechtlichen Mann kennen gelernt. Er ist unfähig, ein Verbrechen zu begehen, und nun vollends einen Mord! ... Ein früherer Spießgeselle des Kreuz-Matthes wird Rache für erduldete Unbill an dem Elenden genommen haben.«

»Ehrlich war mein Cousin,« sagte der Stiftssyndikus, »zu den guten Menschen, wie die christliche Religion und Kirche den Begriff ‹gut› faßt, gehörte er aber schon lange nicht mehr. Andreas Frei ging, wie jetzt sein beklagenswerthes Kind, wie vor ihrem Tode meine Nichte, wie die verbissene Beschließerin im Forsthause, krumme Wege schon lange. Er ist wie seine Tochter eine verirrte Seele. Diese Irrenden auf den rechten Weg zu leiten, wäre eine schöne Aufgabe für Sie und Ihresgleichen, nur müßten Sie das subjektive Bekenntniß dabei aus dem Spiele lassen.«

»Ich kann’s nicht begreifen!« rief der Domdechant. »Blieb der unglückliche Mann denn ruhig bei dem Gewicht der gegen ihn zeugenden Thatsachen?«

»Wenn er nicht unschuldig sein sollte, würde ich glauben, der Teufel besitze ihn. Die Flucht Hildegardens drückt ihn weit schwerer als der Verdacht, der ihn zum Mörder des Kreuz-Matthes stempelt.«

»Hat sich Frei über diese Flucht ausgesprochen? Zürnt er mir?«

»Ich habe ihm versprechen müssen, kein Mittel unversucht zu lassen, das zur Entdeckung seines verblendeten Kindes führen kann. Auf Schloß Kaltenstein habe ich bereits Nachfrage gehalten. Dort hat sich Hildegarde noch nicht sehen lassen. Die Baronin, mag sie auch die Gabe der Verstellung besitzen, erschrak zu natürlich, als ich ziemlich unsanft mit meiner Neuigkeit herausplatzte. Ich habe alle Arten des Erschreckens bei Frauen von jedem Alter gründlich studirt, und weiß genau, wo die Natur aufhört und die Verstellung anfängt. An der Flucht Hildegardens ist die Frau Baronin von Kaltenstein unschuldig; auch weiß sie zuversichtlich nicht, wo das Mädchen geblieben ist.«

»Ein schweres, schweres Unglück!« rief der Domdechant. »Wenn die Unbesonnene, Leichtsinnige in der Nacht nun gewissenlosen Schurken in die Hände gefallen ist? ... Ich mag’s nicht denken!«

»Anfangs beunruhigte mich dieser Gedanke ebenfalls,« fuhr der Stiftssyndikus fort, »ich habe mich desselben aber bald entschlagen. Hildegarde hat einen hochfahrenden Geist, ihre Sinnlichkeit ist noch nicht erregt, und so wird sie wenig zu befürchten haben.«

»Wenn aber das entsetzliche Wetter ihre Kräfte aufrieb?« fiel Warnkauf ein. »Wenn sie ermattet, ohnmächtig zusammenbrach? Wenn die Schrecken der Einbildungskraft im Dickicht des Waldes Feuerflammen in ihre Seele schleuderten? ... O, sie ist verloren, die Arme, wenn nicht Gott und die heilige, gebenedeite Jungfrau gnädiglich über sie wachten!«

»Gott und alle Heiligen werden über eine Verirrte, eine Irrende gewacht haben,« sprach Liebner zuversichtlich. »Ich halte fest an diesem Glauben. Uebrigens scheint es mir, als sähe ich die Hand Gottes in allen diesen Vorgängen.«

Der Domdechant bog lauschend den Kopf gegen Liebner vor, als wünsche er eine nähere Begründung dieser Annahme zu hören.

»Ohne die Flucht Hildegardens,« fuhr der Stiftssyndikus fort, »würde Förster Frei augenblicklich unter dem Verdacht, der sich ausschließlich auf ihn wendet, die Hand vielleicht gegen sich selbst kehren. Jetzt kümmert ihn das eigene Schicksal weniger als das seiner Tochter. All sein Denken ist nur auf Hildegarde gerichtet. Er wird nicht ruhen, bis er weiß, was aus ihr geworden ist, mag sie leben oder umgekommen sein. Und diese Gleichgültigkeit gegen sich selbst erleichtert mir wieder die Untersuchung. Winkelzüge, unwahre Angaben habe ich von dem Förster nicht zu befürchten. Nur ganz im Anfange besorgte ich, er könne möglicherweise absichtlich mit der Wahrheit zurückhalten. Jetzt bin ich anderer Meinung und halte mehr an der Ansicht fest, daß er persönlich an der Tödtung des verschmitzten Diebes keinen Antheil hat. Aber die Kugel, die Kugel macht mir noch Sorgen!«

»Ich habe oft gehört, daß Weidmänner bisweilen Kugeln untereinander tauschen,« sagte der Domdechant. »Sollte dieser Fall nicht auch bei Förster Frei denkbar sein?«

»Es fiel nur ein Schuß!«

»Wer hörte ihn?«

»Der Förster selbst!«

»Würde er so ehrlich sein, dies zu sagen, wenn er sich schuldig wüßte? Sie theilten mir früher schon, als wir Hildegardens wegen unterhandelten, mit, daß Sie Ihrem Cousin in bester Absicht jene unter unchristlichen Zaubersprüchen gegossenen Kugeln, zu denen gerade der nunmehr getödtete Kreuz-Matthes das Material lieferte, abnahmen. Was fingen Sie mit diesen Kugeln an?«

Der Stiftssyndikus sprang auf.

»Sie haben recht, Sie haben recht!« sprach er aufgeregt. »Ich danke Ihnen aufrichtig, daß Sie meinem Gedächtnisse, das doch etwas schwach zu werden beginnt, so vortrefflich auf die Sprünge helfen! ... Warten Sie ... Wo ließ ich doch die albernen Freikugeln! ... «

»Vielleicht warfen Sie dieselben absichtlich weg, es fand sie irgend jemand, und dieser Unbekannte erschoß schließlich mit einer derselben den Dieb, durch dessen Umgang mit Frei dieser selbst in übeln Leumund kam!«

»Ich weiß es, wo ich sie ließ,« fiel Liebner dem Prälaten ins Wort. »Ich nahm die Kugeln alle – es waren im ganzen dreizehn Stück – alle mit in meine Wohnung. Etwa eine Woche, oder wohl auch einige Tage später besuchte mich der Baron von Kaltenstein mit seinem Adoptivsohn Adolar –«

»Den ihm aber doch wohl die Frau Baronin geboren hat,« warf der Prälat ein. »Es gibt noch viele Geheimnisse auf Schloß Kaltenstein zu erforschen!«

»Letzterm,« fuhr der Stiftssyndikus fort, »gefielen die Kugeln. Er fragte mich, wie ich dazu komme, da ich doch seines Wissens weniger das Vergnügen der Jagd als die schmackhaften Ergebnisse derselben liebe, und bat schließlich, ich möge ihm ein Geschenk damit machen.«

»Sie willfahrten dem Wunsche des jungen Herrn?«

»Ich wollte ihn ängstigen, und bedeutete ihm, daß es Freikugeln seien, die ich von Amts wegen confiscirt hätte. Zugleich machte ich eine grausenhafte Beschreibung von der Wirksamkeit derselben. Adolar fand meine Schilderung, die allerdings stark übertrieben war, köstlich – er hatte erst vor kurzem die berühmte Oper Weber’s: ›Der Freischütz‹, in der Residenz aufführen sehen – und er that scherzend die Aeußerung, daß er gelegentlich doch einmal die Kraft dieser Zauberkugeln erproben wolle.«

»Nun, und das Ende?«

»Der Baron mischte sich schließlich in unser Gespräch, nahm die Kugeln in die Hand, klapperte damit, wir kamen auf andere Gegenstände zu sprechen und siehe da, zuletzt vergaß ich die Kugeln ganz. Da ich sie später vermißte, so bin ich überzeugt, der Baron von Kaltenstein oder dessen Adoptivsohn Adolar hat sämmtliche dreizehn Freikugeln an sich genommen.«

»Falls Ihr Gedächtniß Sie nicht irrt,« versetzte der Domdechant, »würden Sie dann nicht berechtigt sein sich bei dem Herrn Baron nach dem fernern Schicksal der Ihnen abhanden gekommenen Freikugeln zu erkundigen?«

»Es ist und bleibt eine ärgerliche Geschichte,« sagte Liebner. »So ein dummer Schuß, mitten in finsterster Nacht, bei Regen und Sturm ins Blaue hinein abgefeuert, verdirbt einem den Appetit auf Tage! ... Ich wollte, der nichtswürdige Kerl wäre in eine unzugängliche Schlucht gestürzt und hätte dort zwanzig, dreißig Jahre lang verborgen gelegen. Kein Hahn hätte darüber gekräht, denn um das Verbleiben des entsprungenen Kreuz-Matthes kümmerte sich sicherlich niemand! ... Dem Baron kann ich nicht beweisen, daß er mir die Kugeln entführte. Und dann eine solche Frage unter solchen Umständen! ... Man könnte ja das größte Unglück damit anrichten!«

»Ich wüßte Rath,« versetzte der Domdechant. »Eine Pflicht der Seelsorge nöthigt mich, in diesen Tagen nach Schloß Kaltenstein zu gehen. Ich habe nämlich erfahren, daß der Reitknecht des Herrn Barons Katholik ist und einem Mädchen meines Sprengels die Ehe versprochen hat. Das arme Geschöpf vertraut ruhig dem Worte des Menschen, bis sie hört, daß er in Kaltenstein ebenfalls eine Braut haben soll. Nähere Erkundigungen bestätigen das Gerücht. Mein Beichtkind macht sich nun nach dem Schlosse auf den Weg. Der Reitknecht leugnet nicht, dafür erklärt er der Bethörten kurz und bündig, er gäbe ihr jetzt sein früheres Versprechen zurück, weil er gesonnen sei, nunmehr die neue Geliebte vor den Altar zu führen. In ihrer Herzensangst hat die Verlassene mir ihren Kummer geklagt und ich habe ihr mein Wort gegeben, dem leichtsinnigen Menschen ins Gewissen zu reden. Wenn ich also nach Kaltenstein fahre, begleiten Sie mich. Es wird sich dann schon eine Gelegenheit finden, das Gespräch auch auf die Freikugeln zu dringen. Der Baron ist im Grunde auch ein gutmüthiger Mann, nur äußerst lax in seinen Grundsätzen. Hinter dem Berge aber pflegt er nicht zu halten. Nahm er also die Kugeln wirklich mit, so wird er es schwerlich leugnen.«

Dieser Vorschlag gefiel dem Stiftssyndikus, weshalb er ohne Zaudern darauf einging.

»Ich begleite Sie,« sagte er, dem Domdechanten die Hand drückend und eine schon wieder hervorbrechende Thräne von seinen Wimpern streifend. »Wie gut, daß Sie mich an die Freikugeln erinnern mußten. Es mindert dies um vieles meine Sorge um den Förster, und läßt mich meine Gedanken mehr auf die kleine, tolle Hildegarde richten, zu deren Ausstattung wir zusammen uns verbinden und gemeinsame Schritte thun müssen. Und nun, mein verehrter Freund, lassen Sie uns die ganze dumme Geschichte vergessen! Ich dränge mich Ihnen heute sans façon zum Gaste auf und bleibe auch die Nacht bei Ihnen.

Die alte Dechanei wird wohl ein Kämmerchen aufzuweisen haben, wo ein alter Junggeselle unterducken kann ... Ihre vortreffliche Schwester! Versichern Sie diese verehrte Person meiner innigsten Theilnahme! ... Sie werden ihre geschickte Hand, da sie so leidend ist, arg vermissen; denn ich kenne gar keinen Menschen, der eine so vorzügliche Knoblauchsauce zu Rindfleisch und so köstliche Fastenspeisen zu bereiten versteht wie Mademoiselle Sabine Warnkauf!«

Der Prälat, der auch kein Verächter einer gutbesetzten Tafel war, versprach lächelnd, den wohlgemeinten Gruß des Stiftssyndikus zu bestellen, schellte dann der Hausköchin und trug dieser auf, für einen guten Abendimbiß zu sorgen.

Während dieser vorbereitet wurde, ließ der Domdechant eine Flasche Hochheimer und zwei grüne Römergläser bringen, und lud den Stiftssyndikus zu einer Partie Schlagdame ein. Die Römer voll gießend und mit dem jetzt wieder materiellen Genüssen zugänglich gewordenen Liebner anstoßend, sprach er:

»Auf gutes Glück, auf baldige Entdeckung eines Schuldigen und auf heiligende Errettung verirrter Seelen!«

Der Stiftssyndikus that gern Bescheid. Der Wein war vorzüglich. Dem Auge des leichtgerührten Mannes entfiel aber doch, während er ihn behaglich ausschlürfte, eine Thräne.

Bürgstein ist ein in höchst romantischer Gegend gelegenes Dorf Böhmens. Außer dem sehenswerthen gewaltigen Sandsteinfelsen, in dessen Innern sich eine Menge künstlich ausgehauener Gemächer, ja selbst eine kleine Kirche und eine Menge Gänge befinden, zeichnet sich der gewerbreiche Ort durch seine Glaswaarenfabriken und besonders durch eine der größten Spiegelschleifereien des Königreichs aus.

Kurz vor Weihnachten, als eine Anzahl Arbeiter die Fabrik mittags verließen, begegnete ihnen der Factor derselben, ein ernster Mann von guter Erziehung und tüchtigen Kenntnissen in seinem Fache. Joseph am Ort war mehrere Jahre in Konstantinopel gewesen, wo er der großen Niederlage vorstand, welche die Besitzer der böhmischen Spiegel- und Glasfabriken daselbst halten; denn namentlich sind die künstlich geschliffenen Gläser ein im ganzen Orient stark gesuchter Artikel. Seit einem Jahre erst war Joseph am Ort aus Konstantinopel zurückberufen worden und seitdem stand die Spiegelfabrik unter seiner ausschließlichen Leitung.

Die Arbeiter grüßten den stillen Mann, der vom nahe gelegenen Schlosse kam, in dem er wohnte.

»Der Herr hat einen heimlichen Kummer,« sagte Watzmann, der Oberschleifer, zu seinem jüngern Gefährten Polzau. »Er verfällt ja sichtlich und aus seinem früher so frischen Gesicht ist alle Farbe gewichen. Was kann ihm wohl begegnet sein?«

»Seine Muhme ist ja gestorben,« erwiderte Polzau, »und der hing er an, als wär’s seine eigene Mutter.«

»Um die alte harthörige Frau wird sich der Joseph nicht zu Schanden grämen,« sagte Watzmann. »Solange sie lebte, hatte er doch blos Noth mit ihr, weil sie eigensinnig war und ihn keine Stunde von sich ließ, die er außerhalb der Fabrik zubrachte. Und überdies ist er durch den Tod gerade dieser Muhme zu etwas Vermögen gekommen. So eine hübsche Erbschaft macht die Augen eines jungen Mannes nicht trüb. Ich habe meine eigenen Gedanken über sein düsteres Wesen.«

Polzau sah den Gefährten fragend an. Watzmann blieb stehen und blickte nach dem alten Schlosse, dessen hohe Fenster im Sonnenschein funkelten.

»Was fällt dir auf an dem alten Bau?« fragte Polzau.

»Ich habe bemerkt, daß dort in dem Erkerzimmer seit einigen Wochen die ganze Nacht Licht brennt,« versetzte Watzmann. »Früher war es da immer finster.«

»Der Schloßverwalter, der halbblinde Ritter von der Dub, der sein Lebtage kaum das Schloß verlassen, wird sein Winterquartier dort bezogen haben,« meinte Polzau. »Es ist ja bekannt, daß der alte Narr ununterbrochen im Schlosse herumzieht, um die Zimmer gleichmäßig in wohnlichem Stande zu erhalten.«

»Du hast recht, Narr genug dazu ist er,« versetzte Watzmann, »in dem Erkerzimmer aber wohnt Ritter von der Dub nicht. Das Licht, das dort brennt, wird von andern angezündet.«

»Was kümmert das uns?«

»Nichts, Polzau, ich glaube aber einen zu kennen, den es kümmert, und der heißt mit seinem ganzen Namen Joseph am Ort.«

»Was du dir einbildest!«

»Ich bin, Gott sei Dank, nicht so blind wie der Ritter,« fuhr Watzmann fort, »ich sehe sogar des Nachts wie die Katzen und da ist mir denn was vorgekommen, das meine Augen jetzt immer wieder nach dem Erkerzimmer blicken macht.«

»Darfst du nicht darüber sprechen?«

»Warum nicht? Es kommt blos darauf an, ob mein Zuhörer auch reinen Mund halten kann.«

»Ich bin keine Plaudertasche.«

»Hand drauf!«

Polzau schlug kräftig ein.

»Weißt du dich noch der Nacht zu entsinnen, in welcher der Sturm das Dach der Fabrik so stark beschädigte, daß sie einige Tage feiern mußte?«

»Ganz genau. Die Beschädigung wäre nicht so arg geworden, hätte man früher darauf geachtet.«

»Herr Joseph am Ort war damals gerade im Auftrage der Compagnie verreist.«

»Nach Sachsen und Schlesien, ich weiß es. Er blieb zwei Tage über die festgesetzte Zeit aus.«

»Am letzten October sollte er wieder eintreffen, und erst am späten Abend des 2. November hörten wir, daß er angekommen sei!«

»Das böse Wetter und die schlechten Wege waren schuld an seinem längern Ausbleiben.«

»Herr Joseph am Ort behauptete das, und es gab keinen einzigen, der seine Behauptung bestritt.«

»Hast du etwa Lust, dies nach so vielen Wochen zu thun?« fragte Polzau.

»So etwas soll und wird mir niemals in den Sinn kommen,« erwiderte Watzmann, »denn der Herr Factor ist ein Mann, vor dem man Respect haben muß, und der jeden nach Verdienst behandelt. Ich weiß nur, daß der gute Herr seit jener Zeit sehr zerstreut, so still und so merkwürdig elend geworden ist, und daß es genau seit dem 3. November im Erkerzimmer des alten Schlosses leuchtet!«

Polzau lachte.

»Jetzt weiß ich, was dem Factor fehlt,« sagte er. »Auf seinen Reisen in der Türkei ist er mit allerhand wunderlichem Volk zusammengekommen, hat Juden und Heiden kennen gelernt, und gesehen, daß sie die seltsamsten Kunststücke zu machen verstehen. Zeigte er mir doch schon im Sommer einmal einen Stein, der gar sonderbar glühte. Er sah gerade aus wie brennendes Blut. Wenn du die Finger gegen die Sonne hältst, da haben sie ungefähr die nämliche Farbe. Eigentlich überraschte ich den Herrn Joseph bei Betrachtung seines Steins, und es war ihm offenbar nicht lieb, daß ich ihn störte. Weil er sich aber nicht verstellen oder sich nicht den Schein mir gegenüber geben wollte, als treibe er Heimlichkeiten, so ließ er mich durch den Stein blicken. Einen Karfunkel nannte er ihn, und von einem Derwisch der Wüste – ich ließ mir das Wort von ihm aufschreiben – wollte er ihn für vieles Geld erkauft haben. Er ist unbezahlbar! fügte er geheimnißvoll hinzu. Das machte mich nun neugierig. Ich lag ihn mit Fragen an, und da hat er mir was offenbart.«

Jetzt war es Watzmann, dessen Auge fragend an Polzau’s Munde hing.

»Ich denke, du vertraust mir, ebenso viel wie ich dir,« sprach er.

Polzau fuhr fort:

»Mit Hülfe dieses Karfunkelsteins, behauptete der Factor, kann man Schätze finden. Es kann aber nur geschehen zur Zeit des Neumonds und in stürmischer Nacht beim Glockenschlage zwölf. Dann leuchtet der Karfunkel, als träufle Blut auf den Punkt, wo der Schatz liegt. Zeigt sich dies wunderbare blutige Glühen, so muß der Besitzer im Namen des Bösen sogleich zu graben beginnen, und läßt er sich von den Fratzen, die ihn während der schweren Arbeiten umtanzen und zu entmuthigen suchen, nicht erschrecken, und nimmt kein frommer Gedanke während der Zeit Besitz von seiner Seele, so fällt der Schatz punkt 1 Uhr in seine Hände, und er ist ein gemachter Mann. Herr Joseph steckte den Karfunkelstein zu sich, als er in der letzten Hälfte des October seine Reise antrat.«

»Hm, hm, hm!« brummte Watzmann ungläubig. »Meinst du, Herr Joseph am Ort habe einen Schatz gehoben unterwegs und zähle ihn seitdem in dem erleuchteten Erkerzimmer?«

»Ritter von der Dub stört ihn nicht,« sagte Polzau.

»Gewiß nicht, denn der ist ebenso gut wie blind, mir sind aber andere Gedanken aufgestiegen.«

»Es wird dennoch so sein, wie ich sage,« meinte Polzau. »Der Herr Factor wird den Schatz schon haben, wenigstens einen guten Part davon; er hat sich aber beim Graben desselben vor des Teufels Puppenspiel dergestalt entsetzt, daß ihm der Schrecken in den Gliedern sitzen geblieben ist. Darum wird er nun elend und immer elender, bis er zuletzt ganz und gar hinsiecht. Er könnte mir jetzt eine ganze Hand voll Gold schenken wollen, ich nähm’ sie nicht! Meine Gesundheit ist mir doch lieber.«

»An Geld fehlt’s dem Herrn Factor freilich nicht,« sagte Watzmann. »Er geht auch nicht sauber damit um, denn aller Augenblicke ruft er einen hausirenden Juden an und kauft ihm allerhand Tändelkram ab. Sein Geld aber hat er sich unter Türken und Heiden verdient, die mit Edelsteinen – hab’ ich mir sagen lassen – herumwerfen wie wir mit weißen Bachkieseln. Wie nun kommt es denn, daß Herr Joseph sich meistens nur Weiberkram anschafft? Weißt du das? Hat er etwa eine Braut?«

»Ich wüßte nicht,« erwiderte Polzau, dessen Latein stark zu Ende ging; doch setzte er gleich hinzu: »Ist ja gar nicht möglich! Die Herrschaften machten es von jeher zur Bedingung, daß der Factor, solange er der Fabrik vorstände, unverheirathet bleiben müsse. Herr Joseph am Ort ist diese Bedingung ebenfalls eingegangen.«

»So ist es!« bestätigte Watzmann, »und just weil es so ist, hängt unser Factor den Kopf.«

»Hältst du ihn für verliebt?«

»Für verliebt, für versprochen, für verheirathet, ganz wie du willst, Kamerad. Und seine Braut oder Frau steckt bei ihm, und dort im Erker hält er sie verborgen!«

»Du sprichst dich ums Brot, Watzmann, wenn du das laut werden läßt!«

»Wenn ich’s dir sage, weiß es keiner. Du bist ja verschwiegen,« fuhr Watzmann fort. »Verlaß dich auf meine Katzenaugen. Acht Tage sind’s jetzt her, daß ich mich aus purer Theilnahme für den Herrn auf die Lauer lege. Es vergeht keine Nacht, in der er nicht seine Wohnung im Schlosse verläßt, an dem ausgetrockneten Schloßgraben fortschleicht, über die schadhafte Zugbrücke, deren Ketten der Rost immer mehr zerfrißt, klettert, und die Seitenpforte erschließt, die nach dem östlichen Flügel führt, welcher eine besondere Abtheilung von den übrigen Schloßräumen bildet. Ist die Luft still, so hört man dann wohl sprechen, selbst Weinen und Schreien glaub’ ich vernommen zu haben. Das dauert eine Stande, wohl auch etwas darüber. Dann geht die Thür wieder auf und Herr Joseph am Ort rennt, als hätte er Gespenster gesehen, bleich, verstört, einem Verrückten ähnlich, zurück nach seiner Wohnung. Meinst du, es habe das nichts zu bedeuten? Und glaubst du nicht, ein solches Leben zwischen Furcht und Hoffnung, unter dem ewigen Gejammer einer Frau oder einer Geliebten, die nicht wie eine Gefangene, sondern wie eine Edeldame leben, will, greife die Gesundheit nicht an?«

»Darf ich dich begleiten, wenn du wieder den Aufpasser spielst?« fragte Polzau.

»In nächster Nacht schon.«

»Wo treffen wir uns?«

»In der Radkammer. Ich habe dort zu thun.«

»Zu welcher Stunde?«

»Wenn die Schleifmaschinen gestellt werden.«

»Also gegen 9 Uhr?«

»Vor zehn müssen wir unser Versteck zunächst der Zugbrücke eingenommen haben.«

»Ich werde pünktlich sein,« sprach Polzau. »Sieh nur zu, daß kein anderer von unserm Vorhaben etwas erfährt!«

»Wir beiden genügen, um uns gegenseitig zu nützen,« erwiderte Watzmann. »Ich habe mir etwas ausgedacht. Gelingt mir das, so ist unser beider Glück gemacht. Du sollst es erfahren, wenn du erst einmal Zeuge der nächtlichen Wanderungen Herrn Joseph’s am Ort gewesen sein wirst.«

Die Arbeiter trennten sich, um abends an der bezeichneten Stelle in der Schleiferei wieder zusammenzukommen. Als sie sich hier getroffen hatten, sprach Watzmann:

»Herr Joseph am Ort war heute noch viel niedergeschlagener als sonst. Wenn meine Vermuthung sich bestätigt, dann blüht unser Weizen. Komm, laß uns eilen! Die Nacht ist zum Spioniren wie gemacht! Es herrscht eine Finsterniß, die nur für Augen, wie ich sie besitze, durchdringbar ist.«

Beide verließen darauf die Fabrik, um sich ihrem Versteck zu nähern.

»Das alte Schloß, vor mehreren Jahrhunderten von einem von der Dub erbaut, lag etwa zwanzig Minuten von der Spiegelfabrik entfernt. Es lehnte sich an eine bewaldete Hügelreihe, die sich bis zu weiten, endlosen Waldungen fortzog. Durch diese noch wenig gelichteten Forste liefen eine Menge schlechter Wege meilenweit bis an die Grenze, sodaß man, je nach Belieben, wenn man die gewerbreichen Dörfer und Flecken in den fruchtbaren, von starken Bächen durchrauschten Thälern vermeiden wollte, immer im dichtesten Walde die einige Meilen weit entfernte Grenze erreichen konnte.«

Das Erkerzimmer im Ostende des Schlosses war von mattem Lichtschimmer erleuchtet.

»Siehst du’s?« fragte Watzmann seinen Begleiter. »So flimmert’s hinter den alten trüben Fensterscheiben seit dem 3. November.«

»Der Factor soll blechen!« sagte Polzau, »mag er nun in seinen Schätzen wühlen oder ein Schätzchen dort oben verborgen halten!«

»Hast ganz meine Gedanken,« versetzte Watzmann, »nur müssen wir ihn auf der That ertappen, sonst wird uns die Freude zu Wasser!«

»Aufpassen ist dafür das beste Mittel. Da klappern und klirren ja schon die alten Ketten der Zugbrücke!«

»Dieser Busch dort war bisher mein Wachthaus,« sagte Watzmann, auf einen vielästigen Fliederbaum zeigend, der vom ausgetrockneten Schloßgraben heraufragte und stark genug war, ein paar Menschen zu tragen. »Wir sitzen da so sicher wie in Abraham’s Schos.«

Vorsichtig gingen die Lauschenden den Graben entlang, bis sie die Fliederbüsche erreichten und hier ebenso vorsichtig Stellung nahmen. Der Erker mit den trüb schimmernden hohen und schmalen Fenstern lag gerade vor ihnen, und die schwanke, zum Theil schon völlig verwitterte Zugbrücke, die hier über den bedeutend breiten Schloßgraben führte, konnte von niemand überschritten werden, ohne daß er den Verborgenen zu Gesicht kommen mußte.

Unter leisen Gesprächen hatten sie hier wohl eine halbe Stunde gewartet, ohne daß sich weder im Innern des Schlosses noch außerhalb desselben irgendein auffallendes Geräusch vernehmen ließ. Der Lichtschimmer im Erkerzimmer blieb unverändert derselbe, aber es regte sich nichts Lebendiges. Polzau hielt deshalb seine Behauptung aufrecht, es brenne ununterbrochen, Tag und Nacht, eine Lampe in jenem niemand zugänglichen Raume, und wenn der Factor denselben betrete, so geschehe es nur, um die mit Hülfe des Karfunkels erlangten Schätze auch praktisch beim Scheine der nie erlöschenden Lampe auszubeuten.

»Aber das Schreien und Wimmern?« warf Watzmann ein. »Gold und Silber oder Edelstein flennt doch nicht wie betrübte Weibsleute?«

»Kannst du nicht wissen! An solchen mittels der schwarzen Kunst gehobenen Schätzen hängt immer ein Stück Teufelsschwanz und der kann – das hat mir schon vor Jahren der einäugige Zacharias gesagt – alle möglichen Töne nachmachen, wie er sie gerade braucht. Dadurch zwingt er die in seine Gewalt Gerathenen zu thun was er will.«

»Horch, jetzund klappert was!« flüsterte Watzmann seinem Gefährten zu.

Dieser verstummte und lauschte mit verdoppelter Aufmerksamkeit. Während Watzmann sein die Nacht durchdringendes Auge auf die Brücke und die Umgebung des Schloßgrabens richtete, beobachtete Polzau die Erkerfenster und die Thür der Pforte. Diese ward jetzt von innen geöffnet und ein kleines, hageres, gebücktes Männchen, das sich auf einen Krückstock lehnte, blieb unter derselben stehen.

»Ritter von der Dub!« flüsterte Polzau seinem Gefährten zu.

»Wie kommt der auf diese Seite des Schlosses?« versetzte Watzmann höchlichst erstaunt. »Sollte der auch aufpassen wollen?«

Er sah sich um und erkannte in dem einem Gnomen nicht unähnlichen Manne auf den ersten Blick den sonderbaren Schloßverwalter, der sich für den eigentlichen Herrn desselben hielt. Er trug langes, gelocktes Haar, das bis auf die Schultern herabhing, eine schwarze Mütze, mit aufwärts stehender viergetheilter Krämpe, kurze Beinkleider von kapergrünem Sammt, feine, gestreifte, seidene Strümpfe, Schnallenschuhe und einen dunkelgrünen Jagdrock, den ein Lederriemen umgürtete. An diesem hing eine Degenkoppel, in der indeß der Degen fehlte. Die Stelle desselben vertrat ein gewaltiger Schlüsselbund, mit dem der wunderliche Alte ein paar mal recht trotzig rasselte.

»Blind ist der Narr,« lispelte Polzau, »an dem Gehör aber hat er’s nicht; wir müssen uns ruhig verhalten, sonst tragen wir unsere eigene Haut zu Markte.«

»Wenn ich nur wissen sollte, welcher Satan den Ritter gerade heute in diesen fast niemals betretenen Schloßflügel führt?« sagte Watzmann.

»Holla! Wer lebt da drüben?« rief die Stimme des Ritters in kräftigem Tone in die Nacht hinein, indem er den Krückstock erhob und mit demselben nach drei Seiten hin in die leere Luft schwunghafte Hiebe führte. Die Lauschenden duckten sich auf ihren luftigen Sitzen und verhielten sich mäuschenstill.

Ritter von der Dub rasselte mit seinem Schlüsselbunde.

»Im Namen aller Heiligen,« fuhr er fort, »und unter dem Schutze meiner Ahnen und des Patrons der uralten Herrschaft derer von der Dub befehle ich allen Feinden meines Geschlechts, sichtbaren wie unsichtbaren, zu weichen von der Schwelle, die ich zu bewachen berufen ward, und meinen Frieden wie den des berühmten Geschlechts derer von der Dub nicht wieder zu stören. Quod Deus bene vertat!«

Der Ritter kehrte sich um, schlug mit dem Krückstocke drei Kreuze in die Luft und verschloß die Pforte, sich in das Innere des Schlosses wieder zurückziehend.

»Ob ihm jemand was gesteckt haben mag?« sagte Polzau.

»Ein vernünftiger Mensch gibt sich mit dem Narren gar nicht ab,« erwiderte Watzmann. »Er hat’s von jeher so gemacht – jetzt besinn’ ich mich! ... ’s ist heute Thomasabend. Das Schloßgesinde gießt Blei und wirft den Pantoffel, um die Zukunft zu ergründen, und der Alte lärmt mit seinen verrückten Sprüchen in allen Gängen und vor allen Thüren seines vermeintlichen Erbes, das seinen Ururgroßältern schon nicht mehr zu eigen gehörte, weil er glaubt, mit solchem Schnickschnack ließen sich alle Feinde, deren Zahl in seinem verfinsterten Kopfe Legion ist fern halten vom Sitze der verarmten, gänzlich heruntergekommenen Dub!«

Watzmann konnte recht haben. Dem fast blinden Ritter fuhren allerhand wirre Gedanken durch den müßigen Kopf, und da er eingebildet, stolz auf seine Herkunft und abergläubisch in hohem Grade war, so ließ sich durch die Zeit, in die man getreten, sein wunderliches Gebaren wohl erklären.

Es blieb indeß seltsamerweise und zu nicht geringem Verdrusse Polzau’s auch außerhalb des Schlosses ruhig. Joseph am Ort kam nicht, im Erkerzimmer, wo das Licht fort und fort brannte, hörte man weder Klagen, noch Bitten, noch Schreien, und die beiden vergeblich Harrenden sahen sich zuletzt genöthigt, unverrichteter Dinge ihren Versteck verlassen zu müssen. Die Glocke auf dem Thürmchen der Spiegelfabrik schlug Mitternacht, als sie, in hohem Grade verstimmt, sich zum Rückzuge anschickten.


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