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VIERTES KAPITEL.

AUS ABBÉ’S KASIMIR VERGANGENHEIT.

Es lag ein so feierlicher Ernst auf den Mienen des Abbé, daß Hildegarde kein Wort zu sprechen wagte. Kasimir stand im Begriff, ihr Eröffnungen zu machen, die sie zu verlangen kein Recht besaß, und doch sagte ihr ein unklares Gefühl, daß sie derselben bedürfe, wenn sie ihren Lehrer verstehen, und selbst nicht noch traurigern Verirrungen ausgesetzt sein wolle als die, welchen sie schon jetzt anheimgefallen war.

Das Auge des Abbé ruhte lange forschend auf Hildegarde; seine Hände lagen gefaltet auf dem braunen glänzenden Einbande des Heftes, als habe er die Absicht, erst ein Gebet zu sprechen, um sich Stärkung vom Himmel zu erflehen. Und wie Kasimir Hildegarde so unverwandt ansah, wurde ihr immer banger, und sie mußte, von innern Schauern überrieselt, zurückdenken an den unvergeßlichen Tag, wo man ihre Mutter in die Erde senkte.

Endlich war der Abbé gefaßt und schlug das vor ihm liegende Heft auf. »Diese Blätter enthalten ein Familienvermächtniß, das mir heilig ist,« begann er, »und weil ich außer diesen Erinnerungen an eine inhaltschwere Vergangenheit von irdischen Gütern nicht der Rede Werthes besitze, bilden dieselben meine theuerste Habe. Leider aber bergen sie auch ein Räthsel, das bis zu dieser Stunde jeder Lösung gespottet hat, ein Geheimniß, dem ich nachzuspüren schon deshalb nicht unterlassen kann, weil es wesentlich dazu beitragen würde, mich von gewissen Zweifeln befreien zu helfen.«

Der Abbé machte eine kurze Pause, worauf er fortfuhr:

»Sie besaßen eine liebevolle Mutter, die Sie kannten und zärtlich liebten: es lebt Ihnen noch ein Vater, der, wenn er Sie auch nicht verstanden hat, Ihnen doch jedenfalls wohl will und immer bestrebt war, Ihnen Gutes zu erweisen. Die Verlockungen der Welt, die Wege, die sein Beruf ihn gehen ließ, führten zu Misverständnissen, aus denen mancherlei Irrungen erwachsen, die wieder nicht ohne Nachtheil auch auf Sie, mein Fräulein, blieben. So gab es Irrthümer auf beiden Seiten, und Sie werden noch manche Station auf Ihrem Lebenswege, mit sich selbst kämpfend, zurücklegen müssen, ehe die irrende Seele die Ruhe des in sich selbst gesättigten Friedens findet.

»Dennoch sind Sie glücklich zu preisen, meine Freundin, glücklich auch in dem Wirbel der Störungen, die Sie von der Schwelle des Vaterhauses fortspülten! Sie kannten Ihre Aeltern und unvergeßlich hat sich deren Bild Ihrem Gedächtnisse eingeprägt. Viele andere wissen nur, daß sie Aeltern haben oder hatten, weil sie leben, und einen so wenig bevorzugten Menschen sehen Sie in mir vor sich.«

Der Abbé sprach vollkommen ruhig. Seine Züge verriethen keinerlei Erregung; er schien völlig resignirt zu sein.

»So sind Sie frühzeitig eine Waise geworden?« warf Hildegarde ein.

»Meiner Mutter erinnere ich mich nur wie einer Traumerscheinung,« fuhr der Abbé fort, »der Vater steht in festern Umrissen vor mir, nur ist die Erinnerung, die ich von ihm noch besitze, keine erheiternde. Er war unglücklich, und die Last des Unglücks, das ihn beugte, äußerte auch seine Rückwirkung auf mich. Doch, ich wollte ja nicht von mir sprechen, sondern von einer frühern Zeit, der alles spätere Unheil, das meine Familie traf, entkeimt ist. Und hier nehme ich, um nicht Ungehöriges und Fremdartiges einzumischen, meine Zuflucht zu diesem Vermächtniß, das mir erst übergeben ward, als ich die Priesterweihe empfangen hatte.«

Kasimir öffnete das vor ihm liegende Heft und las das Nachfolgende seiner aufmerksamen Zuhörerin mit ausdrucksvoller Stimme vor.

»Meine Aeltern – Sie wollen nicht vergessen, daß es mein Vater ist, welcher spricht – waren reichbegüterte Edelleute Polens, die in verschiedenen Wojwodschaften Besitzungen hatten und ein gewichtiges Wort in allen Angelegenheiten des Landes mitsprachen. Echt patriotisch gesinnt, hielten sie sich in den unseligen Spaltungen, welche der Zerstückelung unsers unglücklichen Vaterlandes vorangingen und diese vorbereiteten, zur nationalen Partei. Es dachten jedoch leider nicht alle Mitglieder unserer weitverzweigten Familie ebenso. Schwäger und Cousins lebten zum Theil in Rußland und waren mit Russinnen verheirathet. Weltlicher Vortheil und eine glänzende Stellung, die man ihnen anbot, schmeichelten ihrer Eitelkeit, und so ward mehr als einer meiner allernächsten Verwandten der Sache des Vaterlandes untreu, noch ehe er die Sprache des Feindes geläufig zu reden vermochte.

»Als es nach jahrelangem Intriguiren endlich zum Entscheidungskampfe kam, dessen Ausgang die Geschichte kennt, stand mein Vater auf der Seite der Nationalen. Er kämpfte und fiel in einer der Schlachten, welche Polens Untergang als Staat besiegeln sollten.

»Von jenem Tage an begann für uns, welche wir diese vaterländische Katastrophe überlebten, eine Zeit der härtesten Bedrängnisse, der schwersten Demüthigungen und kaum zu ertragender Prüfungen. Gnade vor den Siegern fanden nur diejenigen, welche sich knechtisch unterwürfig zeigten und die entwürdigendste Behandlung ohne Einsprache duldeten, ja selbst diese Hingabe an den Sieger schützte nicht immer vor Mishandlung oder noch Schlimmerm. Aergeres hatten noch diejenigen zu ertragen, welche ihrer natürlichen Beschützer verlustig gegangen waren, sobald man wußte, daß sie mit den Waffen in der Hand die heilige Erde des Vaterlandes vertheidigten.

»In diese Kategorie gehörte ich nebst einigen Verwandten. Ich war noch sehr jung, so jung, daß ich die Waffen kaum zu tragen vermochte, und dennoch kehrte ich, mit Wunden bedeckt, vom Schlachtfelde, aus dem mein Vater verblutete, in die Heimat zurück.

»Zahllose male habe ich damals und später das Los meines glücklichern Vaters beneidet. Er war gefallen mit der Hoffnung im Herzen, Polen könne nie und nimmer dem Fremden dauernd zinsbar werden, ich und meine nächsten theuersten Anverwandten lebten in der schrecklichen Gegenwart, die uns die Gewißheit gab, daß wir an dem Grabe unserer Freiheit ständen.

»Das Schloß, wo sich mein Vater gewöhnlich aufzuhalten pflegte, fand ich, von meinen Wunden kaum genesen, von russischen Truppen besetzt. Man hatte übel gewirthschaftet, und die Spuren der Plünderung waren noch deutlich zu erkennen. Die erlittene Beraubung würde ich indeß als eine gewöhnliche Plage des Krieges, von welcher Tausende heimgesucht wurden, nicht hoch angeschlagen haben, es wartete meiner aber viel Entsetzlicheres.

»Beim Anrücken eines Streifcorps, das von einem brutalen Menschen aus der Ukraine angeführt ward, der als ein Abgefallener lange schon in bitterster Feindschaft mit meinem Vater gelebt hatte, war die Mutter mit meinen zwei Schwestern, die beide mehr Jahre als ich zählten, entflohen. Wohin sie sich gewendet haben mochten, konnte ich nicht ermitteln. Endlich gewahrte ich eines Abends, als ich, über mein Unglück nachgrübelnd, einsam durch den nahen Wald streifte, einen alten Diener meiner Aeltern. Der treue Mensch hielt sich schon geraume Zeit in der Nähe auf, um zu erfahren, wie die Sachen ständen, und nun über mich Erkundigungen einzuziehen. Von ihm hörte ich, daß die Mutter zwar noch am Leben sei, aber sehr leide. Meine Frage nach den Schwestern und deren Befinden beantwortete er ausweichend, dagegen drang er mit Heftigkeit in mich, ich solle ihn begleiten. Da mich sehnlichst verlangte Mutter und Schwestern wiederzusehen, so weigerte ich mich nicht, diesem Verlangen zu entsprechen, nur mußte ich vorsichtig handeln. Der Commandant der Truppe, die auf den Besitzungen meines gefallenen Vaters lag, erließ und vollzog nach Willkür Befehle, wie es ihm behagte. Er hatte mich mit einer Freundlichkeit im Schlosse meiner Väter willkommen geheißen, die an das blutdürstige Grinsen der Hyäne gemahnte, welche mit ihrem Opfer spielt, ehe sie dasselbe zerfleischt. Ich war sein Gefangener, sein Diener, sein Sklave, und ich fühlte diese schreckliche Abhängigkeit von seinen brutalen Launen am meisten, wenn ich gezwungen mit ihm tafeln und zechen mußte. Welche Zumuthungen der entsetzliche Mann mir außerdem noch machte, sträubt sich die Feder niederzuschreiben. Nur eine Erklärung würde mir ihn zum Freunde gemacht, mich und unsere ganze Familie gerettet haben, die feierliche, durch einen Schwur bekräftigte Erklärung, daß ich aufhören wolle Pole zu sein!

»Ich fügte mich und duldete, und mein lächelnder Peiniger ließ mich gewähren. Wahrscheinlich wollte er mich kirre machen oder er sann auf irgendein Mittel, von dem er glaubte, es werde seiner Absicht förderlich sein. Ich ward im stillen beobachtet, während man mir scheinbar volle Freiheit ließ. Da ich nach dem Verbleiben von Mutter und Schwestern nicht fragte, so war von diesen auch nicht die Rede. Den Ukrainer mochte es am meisten verdrießen, daß sie sich durch schleunige Flucht seiner Gewalt, seinen Peinigungen entzogen hatten.

»Um nun keinen Verdacht zu erregen und sicher entkommen zu können, schickte ich nach getroffener Abrede den treuen Polko in sein Versteck zurück, während ich selbst, wie immer, dem Willen meines Feindes nachkam. So gelang es mir, ihn und seine Creaturen zu täuschen und einige Tage später meine Flucht zu bewerkstelligen. Polko erwartete mich in einem sichern Versteck mit zwei starken Rennern, und ohne von Verfolgern belästigt zu werden erreichten wir die österreichische Grenze.

»Als ich meine Mutter wiedersah, fand ich sie in Gesellschaft meiner jüngern Schwester, eines Mädchens, das damals zweiundzwanzig Sommer zählte. Veronika zeigte fast keine Spur von Freude, als ich sie begrüßte. Sie war unendlich traurig; der Fall des Vaterlandes schien an ihrem Herzen wie an ihrer Gesundheit zu nagen. Die Mutter rang bereits mit dem Tode. Nur die Hoffnung, mich vielleicht noch einmal wiederzusehen mochte ihr das Leben gefristet haben.

»Obwohl ich die Gefahr, die ihr drohte, keinen Augenblick verkannte, sah ich doch auch ein, daß menschliche Hülfe der dem Tode Verfallenen keine Rettung bringen könne. In der Angst dieser Ueberzeugung war mein Streben darauf gerichtet, die Trümmer unsers Vermögens womöglich zu retten und nach Kräften für die Zukunft meiner beiden Schwestern zu sorgen. Mit ihnen mich zu berathen, war unerläßlich, und deshalb erkundigte ich mich nach dem Verbleiben Berenice’s. Kaum aber hatte ich diesen Namen genannt, als meine unglückliche Mutter von einem Herzkrampfe befallen ward, der ihr alsbald das Bewußtsein raubte und sie tödtete.

»Veronika konnte oder wollte mir das Geschehene nicht mittheilen. Sie war kaum zu vermögen, das Allernothwendigste zu sprechen. Ich wandte mich deshalb an Polko und erfuhr, was sich bald nach der Flucht aus dem Schlosse zugetragen hatte.

»Schon seit längerer Zeit verkehrte in unserer Familie häufig ein angeblicher Verwandter, den wir Onkel Stanislaus zu nennen pflegten. Er war nie verheirathet gewesen, hatte von Jugend auf ein sehr unstetes, von mancherlei Abenteuern wohl nicht völlig frei gebliebenes Leben geführt und, seinem Hange nach Thaten folgend, verschiedenen Herren seine Dienste angeboten. Obwohl Pole von Geburt, lachte er doch stets, wenn man von polnischer Nationalität sprach und von der Nothwendigkeit, das polnische Reich von ehemals in seiner Macht und Herrlichkeit wiederherstellen zu wollen. Onkel Stanislaus nannte das Phantasien, an denen man sich allenfalls ergötzen könne, die man aber beileibe verwirklichen zu wollen schon aus Klugheit und Patriotismus unterlassen möge. Gewohnt, immer dem Glücklichen sich anzuschließen, gestand er auch nur diesem eigentlich Rechte zu. Der Nichtglückliche hatte in seinem Sinne nur noch das Recht, um die Erlaubniß zu bitten, neben dem Glücklichen mit dessen ausdrücklicher Bewilligung fortleben zu dürfen. Dagegen war er ein lebhafter Vertheidiger jedes kecken Wagnisses und selbst, wenn einem solchen verbrecherische Absichten zu Grunde lägen, hütete er sich wohl, es zu verdammen. Ihm galt der Erfolg alles, aber er war schlau genug, nur das zu wagen, was Erfolg verhieß.

»Einem Manne von so laxen Grundsätzen, groß geworden auf Lebenswegen und Bestrebungen, die weit ablagen von jeder Moral, konnte die Zukunft nichts Anziehendes bieten. Ihn mußten die Hoffnungen begeisterter Patrioten närrisch, ihre Bestrebungen als Ausgeburten unzurechnungsfähiger Wahnsinniger erscheinen.

»Offen sprach er diese seine Gedanken im Hause meines Vaters freilich nicht aus, aber er ließ wiederholt seine wahren Gesinnungen durchschimmern, die leider zu wenig Beachtung fanden. Bald nach eröffneten Feindseligkeiten verließ Stanislaus das Schloß, und keiner von uns sah ihn während des Kriegs wieder. Erst nach dem Falle das Vaterlandes, während der Flucht meiner Mutter tauchte er wieder auf. In einem kleinen, fast nur von schmuzigen Juden bewohnten Landstädtchen begegnete ihm die Mutter. Die Farbe seiner Uniform, seine Umgebung, sein ganzes Auftreten sagten ihr, wofür der gefährliche Mann sich entschieden hatte. Trotz dieser Entdeckung aber freute sich die Verlassene, allen Schutzes Entbehrende, den Onkel Stanislaus doch wiederzusehen. Sie bat um seine Hülfe, sie flehte ihn an, ihr Fürsprecher zu sein und etwas für ihre Kinder zu thun.

»Mit ritterlicher Galanterie nahm der zum russischen Oberst avancirte Stanislaus sich der vom Unglück Gebeugten an. Er versprach, seinen ganzen Einfluß aufzubieten, um der edeln Verwandten und den verführerisch schönen Muhmen, wie er meine Schwestern stets nannte, die schweren Verluste, die sie betroffen hatten, vergessen zu machen. Arglos schenkte die Mutter dem ränkevollen Manne unbedingtes Vertrauen. Sie gestattete gern, daß er sich zum Vormund ihrer Töchter ernennen ließ: sie gab ihm alles in die Hände, ja, sie trug sich sogar mit Hoffnungen, die einer Mutter wohl zu verzeihen sind, welche sich von der Höhe einer glänzenden Existenz plötzlich in die Bekümmernisse eines dunkeln Lebens ohne Licht, ohne Freunde, ohne die Hoffnung, daß es je wieder anders und besser werden könne, herabgestürzt sieht. Die Mutter gewahrte die Huldigungen, welche Oberst Stanislaus meiner ältesten Schwester Berenice ungescheut, aber in zartester Weise darbrachte, und es war ihr lieb, daß auch Berenice gegen diese Auszeichnungen eines verdienten Militärs nicht unempfindlich zu sein, schien.

»Was zwischen dem Obersten und meiner Schwester vorgegangen sein mag, ob sich bereits ein festes Verhältniß unter beiden gebildet hatte, ob Berenice, sich der Führung des Mannes, in dem sie einen sinnigen Freund ihrer Mutter erblicken durfte, rückhaltslos anvertraute, oder ob dieser die Unerfahrene schmachvoll hinterging, vielleicht gar List und Gewalt zugleich anwandte, um sein Ziel zu erreichen: wer mag es wissen! Genug, eines Morgens kehrten beide von einem Ausfluge zu Pferde nicht wieder zurück: Alle angestellten Nachforschungen blieben erfolglos. Der Oberst war mit meiner Schwester spurlos verschwunden. –

»Dieses schreckliche Ereigniß, verbunden mit dem Tode meiner Mutter machten mir die Heimat verhaßt. Ich verließ den vaterländischen Boden bald darauf heimlich, und siedelte mich in Galizien, mitten unter ungebildeten Bauern, an. Veronika begleitete mich, lernte einige Jahre später einen Deutschen von bürgerlicher Herkunft kennen und reichte diesem ihre Hand. Bald nach ihrer Vermählung trennten sie sich von mir, um sich tiefer im Lande niederzulassen. Zwar gaben wir uns gegenseitig das Versprechen, uns oft zu schreiben, und anfangs hielten wir uns auch Wort, bald aber traten längere Pausen ein. Meinen Schwager riefen öfters Geschäftsangelegenheiten bald da bald dorthin, Veronika schien sich nicht recht glücklich zu fühlen, und ich trat, um doch einen bestimmten Zweck zu verfolgen, in fremde Militärdienste. So vernachlässigten wir uns gegenseitig, bis mit dem Ausbruch der Französischen Revolution neue politische Stürme ganz Europa erschütterten und alles Vergangene der Vergessenheit überlieferten.

»Mein Leben war von da an unsteter denn je. Ich wechselte Ort und Dienst, da eine unbesiegbare innere Unruhe mich immer von neuem ergriff und mich nirgends lange weilen ließ. Auch ließ ich mich von einer Art Fatum zu allen meinen Handlungen bestimmen, indem ich noch immer die Hoffnung, dereinst die verschollene Berenice wiederzufinden, nicht aufgab. Veronika war inzwischen, wie ein spät an mich gelangender Brief ihres Gatten mir mittheilte, im ersten Kindbett gestorben. Das Kind, ein Knabe, blieb am Leben und erhielt in der Taufe den Namen Joseph.

»Inzwischen war Bonaparte in Frankreich zur Macht gelangt. Der Glanz seines kriegerischen Namens, der Ruhm seiner Siege und die neue Gestalt, welche er durch sein kühnes Handeln der Welt gab, riß mich wie so viele Tausende zu unbegrenzter Bewunderung für den Helden des neuen Jahrhunderts fort. Ich trug dem neuen Cäsar meine Dienste an und ward nicht abgewiesen. Wenn ich dennoch weniger glücklich war als andere, die weder durch größere Verdienste noch durch ehrlicheres Hingeben an die Person des Weltbezwingers sich auszeichneten, so habe ich wohl nur den Zufall deshalb anzuklagen. Ich hatte ein seltsames Schicksal. Fast nie gelang es mir, bei einer großen, entscheidenden Affaire zugegen zu sein, oder ich wurde befehligt, derselben unter den Reserven beizuwohnen. So blieb ich denn im Dunkeln und das Auge des Kaisers, der so leicht keinen Würdigen übersah, suchte mich nicht weiter. Mittlerweile hatte ich mich vermählt. Serene Baronesse von Beaupré, eine junge Ausgewanderte, die ich am Rhein kennen lernte, ward meine Gattin. Ihre Aeltern waren kurz zuvor in sehr dürftigen Umständen gestorben und hatten die einzige Tochter in der traurigsten Lage zurückgelassen. Die Jugend Serene’s, der Adel ihres Wesens und das Unglück, das sie beugte, zogen mich unwiderstehlich an, und als unsere Gesinnungen sich begegneten, so war der Bund unserer Herzen bald geschlossen. Serene schwärmte für die neue glorreiche Zeit, die ihr Vater zahllose male vermaledeit hatte, und die Hoffnung, daß es ja möglich sei, das Vaterland eines Tags unter glücklichern Verhältnissen wieder betreten, vielleicht auch einen Theil ihres Vermögens wieder erhalten zu können, machte sie froh und flößte mir auch neuen Lebensmuth, frische Thatenlust ein.

»Um diese Zeit machte ich die Bekanntschaft eines Mannes, der mich durch die Unheimlichkeit anzog, die seine ganze Person umgab. Leute, welche kurze Zeit mit ihm umgegangen waren, flohen seine Nähe und behaupteten, es könne kein ehrlicher Mann lange mit ihm verkehren. Dieser sonderbare Mann trug einen unverkennbar militärischen Anstand zur Schau, wurde Hauptmann genannt, und lebte, was er durchaus nicht in Abrede stellte, von der Dummheit der Menschen. Ich sah ihn bald am Spieltisch, bald als ärztlichen Rathgeber unter den ihn umdrängenden Landleuten. Ueberall machte er vortreffliche Geschäfte, da er die Vorsicht beobachtete, sich immer sogleich zurückzuziehen, wenn er merkte, daß der Glaube an sein Wissen oder an seine Ehrlichkeit zu wanken beginne. Die Fähigkeit, sein eigenstes Wesen zu verändern, war bewundernswürdig. Berühmte Schauspieler hätten in der Kunst, ihren Zügen einen ganz veränderten Ausdruck zu geben, unendlich viel von ihm lernen können. Nur dieser eigenthümlichen, gewissermaßen dämonischen Verstellungsgabe, die ihn heute als ernsten Priester, morgen als Charlatan auftreten ließ; ihm jetzt erlaubte, den dupirten, wenig gewandten Landjunker zu spielen, dann wieder in einen altfranzösischen Edelmann mit allen verwerflichen Lastern, die unter dem Herzoge von Orleans in Blüte standen, verwandelte, machten den gefährlichen Ueberall und Nirgends unantastbar. Ich traf verschiedene mal mit dem gefürchteten Fremdling zusammen, ohne ihn wiederzuerkennen. Jede seiner vielleicht zahllosen Verkappungen leitete er dadurch ein, daß er sich einen andern Namen gab. Welcher von allen Namen, die er führte, der wahre ihm zukommende gewesen sein mag, hat wohl niemand in Erfahrung gebracht. Ich hörte ihn Baron und Graf nennen, ward aber erst dann aufmerksam auf ihn, als er mit einigen meiner Landsleute ziemlich geläufig polnisch sprach. Damals und überhaupt, so oft er Pole zu sein vorgab, nannte er sich Geldern. Er konnte nur wenige Jahre älter sein als sich, war seltsamerweise den Damen durch sein geheimnißvolles Wesen höchst gefährlich, ja man erzählte sich Geschichten von dem Unglücken, das der Unheimliche über das schöne Geschlecht gebracht hatte, die dem Fabelreiche anzugehören schienen.

»Obwohl dieser dämonische Mensch nie in Begleitung eines weiblichen Wesens erschien, behauptete doch die allgemeine Stimme, daß er vermählt sei und zwar an eine Polin von seltener Schönheit. Es gab einzelne, welche die Gattin des angeblichen Barons, der von deutschen Aeltern doch wohl abstammen mochte, gesehen haben wollten. Diese erzählten, die Dame sei ungewöhnlich schön und habe zwei nicht minder schöne Kinder, einen Knaben und ein Mädchen.

»Diese Andeutungen reizten begreiflicherweise meine Neugierde und ich benutzte, wo ich immer konnte, die Gelegenheit, den für mich interessanten Abenteuerer, ohne daß er gegen mich Verdacht schöpfe, auszusprechen. Mir Rede zu stehen, wenn ich ihn als Landsmann ansprach, konnte er sich nicht weigern. Ich that es also und zwar zu verschiedenen malen, und damit ich ihn leichter festhalten möchte, war meine Frau bei solchen Unterhaltungen stets zugegen.

»Eine Zeit lang ging Geldern, wie ich ihn nennen will, auf meine Gespräche ein, bald aber konnte ich bemerken, daß sie ihm unangenehm waren. Namentlich sprach er ungern von gewissen Persönlichkeiten, deren ich gedachte. Er brach dann gewöhnlich durch eine geschickte Wendung das Gespräch ab, sodaß meine Absicht an der schlauen Vorsicht seines chamäleonischen Charakters immer von neuem scheiterte. Nur ein einziges mal ließ er sich fortreißen zu einer Bemerkung, die ich sofort festhielt. Eine seiner stets fabelhaft gehaltenen Erzählungen ließ mich vermuthen, daß er den Obersten Stanislaus, jenen Mann, den wir Onkel nannten, gekannt, ja daß er eine Zeitlang mit ihm zusammen gelebt haben müsse. Diese Entdeckung führte mich zu weiter gehenden Fragen. War nicht alles in diesem unergründlichen Manne, dessen Lebensquellen sich auf Heuchelei und raffinirten Betrug zurückführen ließen, wirkliche oder berechnete Lüge, so konnte seine Bekanntschaft mit Stanislaus nur in die Zeit nach dessen Verschwinden gefallen sein. Es ließ sich also vermuthen, daß Berenice dann den Onkel begleitet habe.

»Wie zufällig nannte ich erwartungsvoll den Namen dieser mir verloren gegangenen Schwester, ohne meine so innige Verwandtschaft mit der Genannten durchblicken zu lassen. Geldern stutzte, und ich sah daraus, daß meine Frage, die ich mit dem Namen Berenice verband, ihn frappirte. Er lächelte aber und erzählte auf der Stelle eins seiner Abenteuer, in welchem eine Berenice figurirte und das mit einem Pistolenduell endigte. Leider konnte ich nicht in Erfahrung bringen, ob der in so viele Gestalten sich theilende Abenteuerer wirklich die Bekanntschaft meiner Schwester jemals gemacht habe oder nicht. Er entzog sich meinen Blicken und ich bin ihm später nie wieder begegnet.

»Wenige Tage darauf erzählte man sich, der von allen so gefürchtete Mann habe ein Rencontre mit einem Fremden gehabt, es sei zwischen beiden zu einem Kampfe auf Leben und Tod gekommen und in diesem Kampfe habe er seinen längstverdienten Lohn gefunden.

»Den Namen seines Gegners konnte mir niemand nennen, und da gerade in diese Zeit der Ausbruch des Kriegs zwischen Frankreich und Oesterreich fiel, welcher die Heere Napoleon’s in das Herz der österreichischen Monarchie führte und den glorreichen Tag von Austerlitz vorbereitete, blieb mir keine Zeit übrig, weitere Erkundigungen einzuziehen. Die im Dunkeln geschehene That ward im Sturm der großen politischen Ereignisse vergessen. Mich führte die Siegeslaufbahn des Kaisers bald da- bald dorthin, und Serene, die mit aufopfernder Liebe an mir hing, war immer die treue Gefährtin aller meiner Strapazen.

»Bald nach meiner Vermählung hatte Serene mir einen Sohn, das einzige Kind, das Gott uns schenkte, geboren und diesen dem Dienst der Kirche zu weihen in schwerer Stunde feierlich gelobt. Ich mußte der Leidenden das Versprechen geben, ihr Gelübde, wenn sie früher aus der Welt scheiden sollte als ich, zu halten, und ich habe es gehalten. Kasimir ward in seinem neunten Jahre einem theologischen Seminar von mir zur Erziehung und Ausbildung anvertraut. Drei Jahre vorher hatte er seine Mutter verloren. Sie erlag den Schrecken jenes furchtbaren Rückzugs, auf welchem die größte, glänzendste und tapferste Armee der Welt ein schauerliches Grab im Schnee und Eis des Nordens fand.«

Bis hierher hatte der Abbé ohne Unterbrechung gelesen und Hildegarde war seinen Mittheilungen mit gespannter Aufmerksamkeit gefolgt, obwohl sie sich das auffallende Vertrauen, welches der Geistliche ihr schenkte, nicht recht zu deuten wußte. Während des Vortrags machte sie jedoch eine Entdeckung, die sie von neuem ungewöhnlich aufregte. Wenn ihr Auge sie nicht trog, so mußte der Abbé ihr schon einmal begegnet sein oder er hatte bei lebhaftem Sprechen eine Aehnlichkeit mit einem andern ihr bekannten Manne, die sie sich in keiner Weise zu erklären wußte. Dieser scharfe Zug um den Mund, diese feingeschnittenen Lippen waren zugleich das auffallendste lebende Abbild des Porträts im Ahnensaale, das auch auf sie einen so gewaltigen Eindruck gemacht hatte, und wenn die Augen des Abbé auf sie fielen, zuckte ihr Herz in sehnsüchtigem Schmerz, in süßen Schauern wunderbar und ihr selbst unverständlich zusammen.

Kasimir schloß jetzt das Heft, und seine großen, sprechenden, dunkeln Augen mit dem träumerisch verschleierten Blicke beunruhigten wieder ihre Seele.

»Ahnen Sie die Absicht dieser Mittheilung, mein Fräulein?« redete er Hildegarde an. »Ich will Ihnen entgegenkommen, Sie aber müssen mir versprechen, sich meinem Dienste zu weihen. Haben Sie den Willen und den Muth, diese meine Bitte zu erfüllen?«

Hildegarde schwieg, denn sie konnte wirklich nicht begreifen, was der so sonderbar bewegte Abbé von ihr verlangte oder verlangen wollte.

»Sie kennen jetzt die Unglücksgeschichte der Familie, deren letzter Sproß ich bin,« fuhr Kasimir fort. »Es ist das Vermächtniß, welches mein Vater sterbend dem Vorsteher des Seminars für mich überreichte, der mich für die Kirche heranbilden sollte. Diesem Vermächtniß ist aber noch ein Auftrag meines Vaters beigefügt, welcher dahin geht, ich solle, solange ich lebe, nicht aufhören, den verloren gegangenen Spuren meiner Tante Berenice nachzuforschen. Wer mag wissen, ob dieselbe noch lebt! Es wäre ebenso möglich als die Annahme, daß sie, der Himmel weiß wo und wann, ihrem Schicksal erlegen sein dürfte. Mein Vater, der nach dem frühen Tode meiner Mutter sich sehr unglücklich fühlte, nannte Tante Berenice immer eine verirrte Seele! Der Gedanke, sie könne noch am Leben sein, sie könne Kinder besitzen oder hinterlassen haben, die vom Strudel der Welt erfaßt, dem Himmel verloren gingen, wie sie um ihr Vaterland betrogen worden sind, bekümmert mich oft tief, nie aber habe ich die Macht dieses Kummers so schwer empfunden wie seit dem Augenblicke, wo das Auge in jenem Bilde die Frage an mich zu richten schien. Du lebst in Glück und Frieden, du bist ein Priester, ein Hort der Seelen und du hast noch immer keine ernstlichen Schritte gethan, um zu erfahren, was aus deinen nächsten Anverwandten geworden ist! Ich fühlte das Gewicht dieser Frage, aus dem Auge des Bildes zu mir dringend, mich zu Boden drücken, als ich Sie gewahrte und das frohe Staunen bemerkte, das eben dieses Bild auch in Ihnen hervorrief! ... Sie sind jetzt eingeweiht in meine Vergangenheit, in die Geheimnisse einer tief unglücklichen Familie. Dies Vertrauen verlangt ein offenes Entgegenkommen. Darum reden auch Sie jetzt, Hildegarde! ... Nehmen Sie an, ich sei ein Priester, dem Sie Ihr Herz erschlossen in stiller Beichte! ... Jedes Ihrer Worte bleibt der Welt ein Geheimniß. Ich verberge es tief in mir und niemand als Sie allein soll das Recht haben, das Siegel des Schweigens, mit dem ich es freiwillig verschließe, zu lösen.«

Hildegarde ängstigte dieses Vertrauen des Abbé, indem sie bisher nur einen wohlwollenden, mehr ernsten als heitern Lehrer erblickt hatte. Nun sah sie einen leidenschaftlichen Mann vor sich, der ihr beinahe Furcht einflößte, obwohl er sich durchaus streng in den Grenzen hielt, die sein priesterliches Gewand ihm vorzeichnete. Sie schwieg auch auf die mit seltener Wärme an sie gerichtete Aufforderung Kasimir’s, denn sie befand sich augenblicklich weder in der Stimmung, etwas Zusammenhängendes zu erwidern, noch wollte sich ihr eine Form darbieten, in die sie das Wenige, was ihr zu sagen etwa gerade einfiel, hätte einkleiden können. Erst die Ungeduld des Abbé, der sich fast eine zornige Aufwallung beigesellte, gab ihr die Sprache wieder.

»Sie haben mich überrascht, bis zur gänzlichen Bestürzung überrascht, Herr Abbé,« gab sie zur Antwort. »Ich suchte bei Ihnen Belehrung, und Sie fordern von mir, ich solle Ihnen ein Geheimniß ergründen helfen, in das ich doch erst durch Sie eingeweiht worden bin! Ich bedarf der Fassung, des Nachdenkens, wenn ich auf Ihre Frage eine ruhige und verständige Antwort geben soll.«

Der Abbé hatte seine ruhige Haltung wiedergefunden.

»Sie haben recht, Hildegarde, ich verlangte zuviel von Ihnen,« versetzte er. »Besinnen Sie sich also, denken Sie nach, gehen Sie mit sich zu Rathe! Nur halten Sie den Kern meiner Mittheilung und meiner an Sie gerichteten Bitte fest! Es gilt, eine verloren gegangene Seele wiederzufinden, eine Seele, von der ein gebrochener Lichtstrahl Ihr Auge heute nicht zum ersten male berührt hat!«

»Waren die frühern Besitzer dieses Schlosses Verwandte Ihrer Familie?« warf Hildegarde ein, die bei aller Unerfahrenheit doch hinlänglichen Scharfsinn besaß, um einzusehen, daß man vor allem der Abstammung des jugendlich schönen Rittmeisters nachspüren müsse, dessen Bild das Porträt im Ahnensaale vorstellte. »Ich habe vor meinem Zusammentreffen mit der gnädigen Gräfin von Serbillon weder gewußt, daß es ein Schloß Namens Hammerburg gibt, noch bin ich bewundert in der Kenntniß der Adelsgeschlechter Ihres Vaterlandes. Die gnädige Frau Gräfin würde vielleicht besser darüber Aufschluß geben können.«

Abbé Kasimir runzelte die Stirn, was er immer that, wenn er scharf über etwas nachdachte. Dann sagte er abwehrend:

»Das würde nicht zum Ziele führen, mein Fräulein! Die Gräfin hat Kenntniß von dem Unglück meiner Familie, aber sie ist nicht vertraut mit der Geschichte der Ahnen des Hauses Hammerburg. Ich bitte also, halten Sie unser Gespräch über diesen Gegenstand geheim vor der Gräfin. Ich kenne einen Mann, der wahrscheinlich besser Auskunft über das räthselhafte Porträt geben kann. An diesen werde ich mich wenden, damit er mir Rede stehe. Inzwischen beherzigen Sie meine Bitte, Fräulein Hildegarde! Man thut immer ein gutes Werk, wenn man die Hand bietet, die Fehler und Verbrechen sühnen zu helfen, welche andere vor oder mit uns aus Leidenschaft oder Leichtsinn zu ihrem eigenen Verderben begangen haben.«

Mit diesen Worten stellte er das Manuscript wieder in den Bücherschrank und gab seiner schönen Schülerin zu erkennen, daß er wünsche, sie möge für diesmal die Stunde für beendigt ansehen.


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