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ACHTES KAPITEL.

UNERWARTETER UMSCHWUNG.

Dies Ereigniß, das sich hinter verschlossenen Thüren zutrug, war von sehr nachhaltigen Folgen. Der Baron fühlte sich plötzlich wieder frei und unbeschränkter Herr seiner Handlungen. Er konnte Clotilde Lügen strafen, wenn sie es wagen sollte, ihm mit einer Anklage entgegenzutreten. Die Behauptung seines Schwagers, der ja ganz und gar von seiner Gnade abhing, würde er belächelt, Zerline’s etwaige Bezüglichkeiten als das Geschwätz einer Närrin verachtet haben.

Nur mit seinem Sohne hatte er sich auf einen Fuß gestellt, der früher oder später zu neuen, ja zu erschütternden Kämpfen führen konnte. Adolar wußte mehr als irgendein anderer Lebender von seinen im geheimen angezettelten Planen. War – was der Baron noch immer für eine bloße Finte Sandomir’s hielt, mit welcher dieser verschlagene Abenteuerer ihn ängstigen wollte – die allerletzte Mittheilung des glücklich vernichteten Schreibens wahr, so mußte er vor dieser Persönlichkeit, die er für längst verschollen gehalten hatte, auf seiner Hut sein. Den Spuren dieses Rachsüchtigen nachgehen, hieß ihn aufreizen. Der Mordthat ihn zeihen, war unter allen Umständen gefährlich, denn schon das erste Verhör würde nachgewiesen haben, daß die in der Allerheiligennacht abgefeuerte Kugel das unrechte Ziel getroffen habe, und was an diese erste Aussage sich knüpfen konnte, ließ sich, solange Sandomir Geldern lebte, nicht berechnen.

Nach reiflichem Ueberlegen hielt es Baron von Kaltenstein für klug, mit seinem Sohne, der nun doch einmal in die Geheimnisse der Vergangenheit sehr tief eingeweiht worden war, Frieden zu schließen. Adolar war ehrgeizig, stolz und an Wohlleben so sehr gewöhnt, daß es dem jungen Mann schwer gefallen sein würde, aller dieser Vorzüge auf einmal verlustig zu gehen. Hielt ihm der Baron dies vor, machte er ihm deutlich, wo für ihn persönlich der Vortheil unverbrüchlichen Schweigens, wo der Nachtheil unüberlegten Sprechens, zu großer Wahrheitsliebe entsprungen, lag, so konnte Adolar kaum in seiner Wahl schwanken.

Noch in derselben Nacht, ehe der Baron das Forsthaus verließ, beschloß er, sich dem Sohne zu erklären, der während der Abendmahlzeit meistentheils still und grübelnd dasaß. Zu einem Opfer war er bereit, weil er gerade durch dasselbe den Sohn für sich zu gewinnen, das heißt zu beschwichtigen hoffte. Um aber dessen möglichen Widerstand gleich von Anfang an zu überwinden, wollte der Baron im Beisein des Försters den Sohn mit seinem Vorschlage überraschen.

Kaum war Kathrine, die sich nach ihrer Art liebenswürdig und aufmerksam gegen die Gäste des Bruders benommen hatte, aufgestanden, um ihrer Gewohnheit gemäß nach der Küche zu eilen, als Baron von Kaltenstein mit vielsagendem Blick den Förster aufforderte, die Gläser zu füllen.

Andreas that es, ohne nach der Veranlassung zu fragen. Auf dem wohlgenährten Antlitze des Barons glänzte ein freudiger Schimmer. Er stand auf, räusperte sich und traf zu großer Verwunderung Adelar’s wie des Försters Anstalten einen Vortrag zu halten. Andreas Frei hatte aus dem Munde des reichen Landedelmanns noch niemals eine wirklich zusammenhängende Rede vernommen, weshalb er denn in eine gelinde Verzauberung gerieth, als er die Absicht seines Gastes bemerkte.

»Lieber Frei,« sprach Baron von Kaltenstein, in den blinkenden Wein blickend, »stoßen Sie mit mir an auf das Wohlergehen meines hier gegenwärtigen Sohnes. Ich bin zu der Ueberzeugung gekommen, daß es für mich besser ist, wenn ich mich alsbald zur Ruhe setze. Nächste Ostern sind drei Jahre, die gewöhnliche Studienzeit, die junge Leute von Stand auf Akademien zu verweilen pflegen, um, und ich denke, Adolar hat aus den Vorträgen der gelehrten Büchermenschen genug profitirt, um das Gelernte cum grano salis – so drücken sich, glaub’ ich, die Professoren aus – auf das praktische Leben mit Nutzen anwenden zu können. Nächster Tage schon werde ich das Nöthige thun, um meinen Sohn majorenn erklären zu lassen. Es bedarf dazu allerdings einer landesherrlichen Dispensation, allein Schwierigkeiten macht die Sache nicht, wenn man nur nicht Anstand nimmt, etwas tief in den Geldkasten zu greifen. Ich übergebe meinem lieben Sohn Adolar von Kaltenstein sämmtliche ererbte Liegenschaften. Damit sind Sie, lieber Frei, zugleich jeder Pflicht gegen mich entbunden, und was heute am Tage zwischen uns verhandelt ward, findet dadurch ebenfalls seine Erledigung. Es lebe also der Erbe und der neue Herr der Herrschaft von Kaltenstein!«

Adolar glaubte nicht recht zu hören; erst als der Vater sein Glas leerte und ihm mit freundlichem Augenwink die Hand reichte, ihn an sich zog und scheinbar gerührt küßte, konnte er nicht mehr zweifeln, daß es demselben Ernst sei.

»So ist alles auf einmal ausgeglichen,« setzte der Baron mit einem Blick hinzu, der nur dem Sohne ganz verständlich war. »Es soll von allen Aergerlichkeiten, die zwischen uns vorgekommen sind, ferner nicht mehr die Rede sein. Vergeben und vergessen, das wird uns allen gut thun! ... Die Frau Baronin werde ich von meinem Beschlusse unterrichten,« fuhr er fort. »Bis dies geschehen ist und Clotilde sich mit dem Gedanken vertraut gemacht hat, nicht mehr die alleinige Gebieterin in Schloß Kaltenstein zu sein, schlägst du deine Residenz hier auf. Wenige Tage werden genügen, die Sache in Ordnung zubringen. Dann besprechen wir das Weitere! Und ist auch dies gethan, so reisest du ab, ordnest deine Privatverhältnisse auf der Akademie und hältst dann als Standesherr deinen Einzug auf Kaltenstein.«

Die Berechnung des Barons erwies sich richtig. Es lag in der Handlung des Edelmanns ein Act der Großmuth, der alle etwaigen Bedenken, welche in Adolar’s argwöhnischem Gemüthe gegen die Ehrlichkeit des Vaters auftauchen konnten, völlig niederschlug. Die Erklärung geschah vor einem Zeugen, auf den beide sich stützen konnten. Sie war nicht das Erzeugniß einer momentanen Aufregung, sondern vorüberlegt, und wenn Adolar die Vermuthung auch nicht ganz zu unterdrücken vermochte, der von ihm so heftig gereizte Vater, den seine Vergangenheit schwer compromittirte, habe sich diesen Schritt zu thun entschlossen, um dem Sohne jeden gegründeten Vorwand zu gerechter Verfolgung zu nehmen, so erwachte doch gleichzeitig in ihm der Wunsch, sobald wie möglich sein Erbe auch factisch anzutreten.

Gewann der Baron Zeit, über den eben gefaßten Entschluß längere Zeit nachzudenken – so schloß Adolar – dann war eine Aenderung desselben nicht blos möglich, sondern sogar wahrscheinlich. Aus diesem einzigen Grunde schon gewann der Sohn unendlich viel, wenn er dem Vater entgegenkam und diesen vermochte, sein Versprechen in möglichst kurzer Zeit wahr zu machen. Mit dem Antritt des ihm rechtskräftig übergebenen Besitzes der einträglichen Baronie konnte er dem Kommenden mit ziemlicher Seelenruhe entgegensehen.

Adolar’s Verhältniß zu Vater und Mutter wurde durch diesen unerwarteten Act der Großmuth allerdings bedeutend anders. Clotilde verwandelte sich durch die Großjährigkeitserklärung des Sohnes jedenfalls in eine intriguante Gegnerin, deren wahrscheinlich erste feindselige Handlung darin bestehen würde, daß sie ihm das Versteck Hildegardens nach wie vor geheim hielt. Indeß hoffte er später dies Versteck doch ausfindig zu machen, da er ja den Vater vorläufig auf seiner Seite hatte.

Was aber sollte aus Sandomir Geldern und Zerline werden? Beide waren gefährlich und sie vom Schlosse zu entfernen verbot die Klugheit. Es blieb demnach ein anderer Ausweg kaum übrig, als sie durch Versprechungen wenigstens so lange hinzuhalten, bis das Formelle in Bezug auf die Mündigkeitserklärung Adolar’s geordnet sein würde und gegen den Herrschaftsantritt Adolar’s kein Einspruch mehr erhoben werden konnte.

Adolar theilte seine Bedenken, seine Hoffnungen und Befürchtungen dem Förster mit, dessen Vertrauen sich dem jungen Manne ganz von selbst zuwendete.

»Unterstützen Sie mich, Herr Frei,« sagte der Erbe von Kaltenstein. »Sie sollen in mir einen erkenntlichen Gutsherrn kennen lernen. Ich weiß, daß ich vieles gut zu machen habe. Weder mein Vater noch meine Mutter haben Sie geschont. Es ist Ihnen grobes Unrecht geschehen.«

Andreas erwiderte zurückhaltend einige dankende Worte, fügte aber wie entschuldigend hinzu:

»Der gnädige Herr Baron war mir doch immer sehr zugethan. Ich habe niemals mit Fug und Recht Klage über ihn führen können.«

»Sie vergessen, Förster, was man im vorigen Herbst Ihnen und Ihrer Tochter geschehen ließ,« warf Adolar ein. »Ich wußte nichts davon, bis ich vorgeladen wurde.«

»Das arme Kind!« rief Andreas aus. »Es hängt so wenig an mir, und ich habe es doch von ganzem Herzen lieb!«

Die tiefliegenden Augen des Försters wurden feucht, obwohl es nicht eigentliche Rührung zu sein schien, die ihn ergriff.

»Ich werde mich bemühen, Hildegarde Ihnen wiederzugeben,« fuhr Adolar fort. »Bin ich erst wirklicher Herr von Kaltenstein, so habe ich auch zu befehlen ... Meine Mutter liebt mich auch nicht.«

Der Förster heftete seine Augen fest auf den jungen Baron. Es war, als wollte er ihn fragen, ob in dieser Gegenbemerkung eine Beruhigung für ihn liegen solle. Welcher Fall war der schlimmere? Wer hatte mehr zu leiden? Der Vater, dem die Tochter aus Mangel an Liebe und Verehrung den Rücken kehrte, oder der Sohn, der die Liebe der Mutter niemals besessen hatte?

»Es war egoistisch von meinem Vater gehandelt,« fuhr Adolar fort, »daß er Sie so lange im Gefängniß, eines Verbrechens unschuldig angeklagt schmachten ließ.«

»Er wußte nicht, daß ich unschuldig war,« sagte der Förster mit großer Seelenruhe.

»Der Baron wußte es wohl,« lautete Adolar’s bestimmte Gegenantwort.

Abermals traf der forschende Blick des Försters den Erben von Kaltenstein.

»Ich habe nie daran glauben können,« sprach er nach einer Weile traurig. »Es lag auch gar kein Grund vor, mich einsperren zu lassen; denn hätte ich wirklich mit Willen oder unabsichtlich den Kreuz-Matthes in jener Unglücksnacht erschossen, so hätte ich mich selbst dem Gericht gestellt. Ich war verwundert ihn zu sehen! Acht Tage früher war der verwilderte Mensch ja aus dem Gefängnisse entsprungen, und jedermann wußte, daß er sich über die Grenze geflüchtet hatte ... Weshalb denn sollte mich der Herr Baron als muthmaßlichen Thäter unnützerweise so lange sitzen lassen, bis der Einäugige durch seine Aussage mir die Freiheit wiedergab?«

Adolar kostete es Ueberwindung, von seinem Wissen keinen Gebrauch zu machen. Da er aber doch auch die Gesinnung des Försters nicht genau kannte, und noch weniger die Wirkung zu berechnen vermochte, die eine Mittheilung des außer den Betheiligten nur ihm allein Bekannten auf Andreas machen werde, legte er sich Stillschweigen auf.

»Wenn Ihrer Tochter Aufenthalt entdeckt ist,« sagte er, »und Hildegarde einsieht, daß sie der Nachsicht des Vaters bedarf, werde ich Ihnen wahrscheinlich die Veranlassung des Schweigens mittheilen können, durch welche mein Vater sich so schwer an Ihnen verging. Jetzt hab’ ich Ihnen noch ein Versprechen abzunehmen. Sind Sie bereit, mir entgegenzukommen?«

»In kurzer Zeit haben der junge Herr mir Befehle zu ertheilen,« erwiderte Frei.

»Ich wünsche, daß Sie täglich früh und abends nach Schloß Kaltenstein gehen, um Briefe, die unter meiner Adresse einlaufen dürften, dort in Empfang zu nehmen, ehe sie andern Personen ausgeliefert werden.«

»Der Herr Baron liest ungern Geschriebenes.«

»Desto mehr beschäftigt sich meine Mutter mit allem, was zu einer lebhaft geführten Correspondenz gehört.«

»Die Frau Baronin war immer sehr discret.«

»Früher, und gegen andere, ich gebe es zu, gegen mich würde sie es gerade in diesem Augenblick nicht sein. Auch beherbergt, wie Sie vielleicht schon gehört haben, das Schloß seit gestern Nacht ein paar Gäste, die Ursache haben, sich wenig blicken zu lassen. Für die Neugierde dieser beiden mag ich nicht einstehen. An mich adressirte Briefe dürfen aber nur von mir selbst geöffnet werden.«

Andreas Frei hatte keinen Grund, die Bitte seines zukünftigen Gebieters abzuschlagen. Ohnehin war er daran gewöhnt, den Baron entweder zur Jagd abzuholen oder bei seiner Rückkehr vom Revier in Kaltenstein einen Besuch abzustatten, um sich von den Entschließungen des Edelmanns für den nächsten Tag Kenntniß zu verschaffen. Er erklärte sich daher gern bereit, im Auftrage Adolar’s dessen Interesse zu wahren.

Noch vor Ablauf einer Woche, während welcher Zeit der Baron ungewöhnlich thätig war, mit seltener Consequenz jede Zusammenkunft mit Clotilde vermied, dem verwundeten Geldern aber durch eine Menge von Aufmerksamkeiten, die er ihm durch andere erweisen ließ, meisterlich hinzuhalten verstand, zeigte sich, daß Adolar’s Vorsicht nicht unnütz gewesen war. Andreas nahm dem Postboten den ersten, für den jungen Herrn ankommenden Brief in dem Augenblick ab, wo dieser mit einem Bedienten des Schlosses in einen lebhaften Wortwechsel über Annahme oder Nichtannahme des eingelaufenen Schreibens gerieth. Dieser Brief war von dem Fürsten Bulabicki, und der Inhalt desselben versetzte Adolar in die freudigste Aufregung.

Dennoch hielt er die Nachrichten, welche der Fürst ihm mittheilte, gegen jedermann geheim. Er wollte erst den Griff des Schwertes, mit dem er auch einen ernsten Kampf beginnen konnte, fest in der Hand halten, ehe er mit offenem Visir denjenigen entgegentrat, die er für immer unschädlich zu machen für seine Pflicht hielt.

Dieser heiß ersehnte Augenblick war für Adolar gekommen, als er die Mündigkeitserklärung in Händen hielt, und der Baron von Kaltenstein die Urkunde unterzeichnet hatte, durch welche er sämmtliche ererbte Besitzungen seinem einzigen Sohne abtrat.

Außer Clotilden wohnte diesem Akte auch der Förster Frei und der Stiftssyndikus Liebner bei. Mit letzterm hatte der Erbe von Kaltenstein wiederholt lange Gespräche unter vier Augen gehabt, deren Inhalt indeß niemand erfuhr.

Jetzt, nun sich Adolar für den rechtmäßigen Gebieter von Kaltenstein halten durfte, näherte er sich seiner bleichen, schweigsamen Mutter, erfaßte deren Hand und führte sie dem Förster zu.

Keiner von allen konnte errathen, was dies bedeuten sollte.

»Die Frau Baronin von Kaltenstein,« sprach er heiter, »will Sie, lieber Frei, an diesem wichtigen Tage freudig überraschen. Sobald Sie es wünschen, wird Ihnen die gnädige Frau Mama Ihre Tochter Hildegarde zuführen.«

Clotilde schleuderte einen Blick tödlichen Hasses auf den Sohn; der Stiftssyndikus lächelte, mußte sich aber der innern Rührung wegen wiederholt die Thränen abtrocknen.

Im Förster machte sich die Vaterliebe Luft.

»Meine Tochter?« rief er. »Ich soll sie wiedersehen? sie vergebend, versöhnt an mein Herz drücken?«

»Lieber Förster Frei,« sagte Adolar, »ich selbst werde Ihnen Hildegarde wiedergeben, wenn auch noch Wochen darüber vergehen sollten. Denn ich fürchte, die nächste

Zeit wird mich und den Herrn Stiftssyndikus stark in Anspruch nehmen.«

»Und ich verstehe kein Wort davon,« fiel der Baron ein, indem er verstimmt Clotilde seinen Arm bot und die von dem Sohne besiegte Mutter widerstrebend aus dem Saale führte.


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