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FÜNFTES BUCH

ERSTES KAPITEL.

AUF EINEM ROMANTISCHEN AUSFLUGE.

Sabine Warnkauf, die Schwester des Domdechanten, war sehr beschäftigt. Einige geistliche Herren der Nachbarschaft hatten ihren Bruder schon früh besucht, um in seiner Begleitung einen Ausflug zu Fuß in die nicht fernen Klunsten, eine Kette seltsam geformter Sandsteinfelsen, zu machen, in denen es bedeutende Steinbrüche gab. Zufällig oder doch unerwartet traf kurz vor dem Aufbruche der großentheils noch ganz rüstigen Geistlichen auch der Stiftssyndikus Liebner auf der Dechanei ein, natürlich zu Wagen, und der Domdechant gerieth durch diesen neuen Ankömmling in einige Verlegenheit. Er kannte den Stiftssyndikus zur Genüge, um zu wissen, daß eine Fußpartie wie die beschlossene seinen Beifall nicht finden werde. Der alte Jurist war zu bequem, um sich ohne dringende Noth körperlich anzustrengen. Auch trugen ihn seine schwachen Beine wirklich nicht lange, und ein Besuch der Klunsten erforderte unausgesetztes Klimmen, mithin die Aufwendung bedeutender Muskelkraft.

Aus dieser momentanen Verlegenheit riß den Domdechanten zur guten Stunde einer der jüngern Geistlichen ohne an ihn ergangene Aufforderung. Der Herr kannte, wie die meisten, den Juristen sehr genau, und war auch mit den Neigungen und Liebhabereien desselben wohl vertraut.

»Wie schön, daß Sie gerade heute kommen, Herr Stiftssyndikus!« sprach er ungewöhnlich heiter, indem er dem hagern Männchen mit dem purpurfleckigen Gesicht die Hand brüderlich drückte. »Fräulein Sabine wird ganz beglückt sein, wenn sie hört, daß ein so erfahrener Kenner ausgezeichneter Küche den Erzeugnissen ihrer Kunstfertigkeit Gerechtigkeit widerfahren lassen will. Wir alle hoffen Tüchtiges zu leisten, wenn wir zurückkehren. Sie müssen uns begleiten, damit wir des Genusses Ihrer anregenden Unterhaltung nicht verlustig gehen. Ein wenig Bewegung kann Ihnen nur gesund sein, denn Sie sitzen zu viel, und da Sie obendrein noch kurzsichtig sind, und stets gebückt schreiben müssen, so wird das kräftige Einathmen freier Bergluft beim Steigen Ihrer Brust außerordentlich wohl thun.«

»Ich – wirklich, Herr Pfarrer – ich mit meinen Trommelstöcken, ich soll steigen?« versetzte Liebner, einen bedenklichen Blick auf seine vortrefflich gewichsten Stiefeln, einen zweiten auf den kühnen Sprecher werfend. »Sie werden das Vergnügen haben, mich bergauf und bergab tragen zu müssen.«

»Wie gern sind wir dazu bereit!« fuhr der scherzhafte Pfarrer, eine sehr kräftige Gestalt fort, dem es allerdings nicht sehr schwer gefallen sein würde, dem kraftlosen Epikuräer durch dick und dünn fortzuhelfen. »Wo Sie nicht weiter können, dürfen Sie dreist unsere Hülfe in Anspruch nehmen. Ein wenig Anstrengung schärft den Appetit, und wie gesagt, die treffliche Schwester unsers trefflichen Wirths ist darauf eingerichtet, uns mit Lucullischen Leckerbissen für alle etwaigen Strapazen zu belohnen.«

Liebner wollte nochmals Einwendungen gegen eine Zumuthung machen, die seiner Ansicht nach dem Fabelreich entstammt zu sein schien. Mit blinzelnden Augen suchte er den plötzlich verschwundenen Domdechanten, von dessen Ausspruch er Rettung hoffte, als ein verdeckter Henkelkorb, den ein kräftiger Landmann trug, ihn plötzlich andern Sinnes machte.

Ueber den Inhalt dieses Korbes konnte niemand lange in Zweifel bleiben. Die schnell vor die Augen gelegte Lorgnette sagte dem Stiftssyndikus, was sich darin verbarg, und zu welchem Behufe der derbe Landmann die Herren begleiten sollte. Der begehrliche Blick des Juristen, das eigenthümliche Zucken der Lippen des Feinschmeckers entgingen auch dem Pfarrer nicht, und veranlaßten diesen, seinen Stock wie einen Wegweiser auszustrecken.

»Das ist das Wahre!« sprach er. »Begeistert Sie dieser Anblick nicht, Herr Stiftssyndikus? Unter Gottes freiem Himmel, in würziger Bergluft mundet ein Glas von diesem Domdechant dreimal so gut als im Speisezimmer der Dechanei. Und was man genossen hat, kann uns kein Neider mehr rauben!«

In diesem Augenblick erschien Warnkauf wieder unter der Thür der Dechanei – die kurze Unterhaltung fand in dem ummauerten Hofplatze derselben statt – und zwar vollkommen reisefertig.

»Nun, werther Freund,« rief der Domdechant dem Juristen zu, »sind Sie mit von der Partie, so habe ich hier einen praktischen Stock für Sie mitgebracht. Aufschieben dürfen wir den kleinen Ausflug nicht. Das Wetter ist gar zu schön, wir werden uns einer unvergleichlichen Aussicht zu erfreuen haben. Ziehen Sie es aber vor, sich inzwischen hier auszuruhen, so können Sie sich’s auf meinem Studirzimmer bequem machen oder auch meine Schwester durch examinatorische Fragen, die in ihr Ressort einschlagen, in Verlegenheit setzen.«

Nach diesen Worten blieb dem Stiftssyndikus keine Wahl mehr. Er trat dem Domdechanten entgegen, streifte im Vorübergehen an dem Landmanne, der mit seiner Bürde schon des Aufbruches wartete, den verheißungsvollen Korb und erklärte, daß er nicht gekommen sei, um ein längst vorbereitetes Vergnügen stören zu wollen.

»Zu unsern Geschäften,« fügte er hinzu, »findet sich nach des Tages Last und Hitze wohl auch noch ein Stündchen, in dem wir uns ruhig aussprechen können.«

So brach denn die nur aus Herren bestehende Gesellschaft auf, voran der Landmann mit dem Frühstückskorbe. Diesem folgten die jüngern Herren, den Beschluß machte der Domdechant mit dem Stiftssyndikus, welchen der starke Pfarrer, der vorzugsweise Ursache war, daß der Jurist sich ihnen angeschlossen hatte, führte.

Der Tag war schön, aber heiß, namentlich brannte die Sonne in dem Kiefergehölz, das man durchschreiten mußte, entsetzlich. Es währte daher nicht gar lange, so begann der weichliche, körperlichen Anstrengungen seit langen Jahren schon völlig entwöhnte Liebner zu stöhnen und über die Narrheit der Naturbewunderer pikante Glossen zu machen. Er würde noch mehr geschimpft haben, hätte ihn das Sprechen in der harzigen Schwüle des brütenden Kieferwaldes nicht zu sehr angegriffen. So begnügte er sich meistentheils mit Brummen, murmelte bisweilen einen Fluch zwischen den Zähnen, wenn der Schweiß die kleinen runden Purpurhügel seines Gesichts mit Perlen schmückte, und drohte wohl auch seinem Geleitmanne gelegentlich einmal mit dem Stocke. Die Rührung, die sich des Gequälten schon nach halbstündigem Marschiren bemächtigte, entsprang dem verbissensten Aerger und war durchaus nicht erkünstelt. Er vergoß manche heiße Zornesthräne, während er immer von neuem betheuerte, nichts vermöge ihn tiefer und zwar stets bis zu Thränen zu rühren als die Herrlichkeit der schönen, ewig jungen Gottesnatur!

»Ah sieh da!« rief, plötzlich stehen bleibend, der robuste Pfarrer aus, der sich an dem Pusten und unbeholfenen Zappeln des Stiftssyndikus höchlichst ergötzte, »solch gewaltigen Ameisenberg wie diesen hab’ ich doch noch nicht gesehen! Wie viele hunderttausend Kiefernadeln müssen diese fleißigen Thiere zusammentragen, ehe sie einen Bau von solchem Umfange zu Stande bringen! ... Und noch immer sind sie dabei thätig! Da – sehen Sie, geehrter Herr Stiftssyndikus – da geht ihre Communicationsstraße quer über den Waldsteig gerade hinein ins Dickicht! Ihr Fuß hat sich mitten zwischen die Arbeitercolonne gedrängt! Aber die Unermüdeten lassen sich nicht stören. Zehn, zwölf, sechzehn an einem fingerlangen Reis ziehend, klettern über den Stein des Anstoßes hinweg, um neues Baumaterial zusammenzutragen.«

Der Stiftssyndikus machte einen komischen Seitensprung, der ihn beinahe ins Moos geworfen hätte. Ameisen waren nicht die Thiere, die er liebte, und die große, schwarze Waldameise zumal erregte ihm Ekel im höchsten Grade.

»Widerwärtiges Gezücht!« rief er aus, sich mit langentfaltetem Taschentuche Schweißtropfen und Thränenperlen zugleich von dem gerötheten Weingesicht streifend. »Wie mögen Sie, Herr Pfarrer, Gefallen finden an einem Insekt, das unser Herrgott doch offenbar nur zum Aerger der sündhaften Menschheit nach der Verjagung derselben aus dem Garten Eden geschaffen haben kann!«

»Mein verehrter Freund,« fiel der Domdechant ein, »Ihr Widerwille reißt Sie zu einer Ungerechtigkeit gegen die Weisheit des Schöpfers selbst fort. Was gibt den Singvögeln, die alle Welt erfreuen, den herrlichen, reinen Ton als die Eier dieser unermüdlichen Thierchen? Ohne Ameiseneier, was würde aus Finken, Lerchen, Nachtigallen und Dompfaffen!«

»Herr Pfarrer! Herr Pfarrer!« rief Liebner aus, immer noch kreuz und quer springend, weil es allerwärts massenhafte Ameisen gab, die von allen Seiten auf zahlreichen unter dem Moos versteckten Wegen dem gewaltigen Bau aus Nadeln und dürren Zweigen zuströmten, »was um Himmels willen machen Sie denn?«

»Ich will mich erfrischen und meinen Geruchsnerven einen Hochgenuß bereiten,« versetzte dieser, mit beiden Händen, so tief er konnte, in den lockern Bau fahrend und kräftig darin herumwühlend. Dann rieb er die Hände, über die noch manche verirrte Ameise wie erschrocken lief, heftig gegen einander und hielt sie an sein Gesicht, den scharfen, salmiakartigen Duft, welchen sie verbreiteten, begierig einsaugend.

»Kostbares Parfüm das!« sprach er, mit großen Schritten dem entfernter stehenden Stiftssyndikus sich wieder nähernd. »Dieser Duft ist hundertmal mehr werth als Eau de Cologne, Patschuli und wie die künstlichen Odeurs der verwöhnten Menschheit sonst noch heißen, die keinen Sinn für die Natur und das Unverfälschte, Ursprüngliche in ihr hat! Da, probiren Sie selbst einmal! Ist’s nicht Naphtha aus geweihtem Erdboden? Duftet’s nicht herrlich und erquickend wie Narden?«

Dabei hielt er seine breite, heiße Hand dem Stiftssyndikus so dicht an die Nase, daß er diese beinahe berührte und der arg Geängstigte wider Willen den scharf beizenden Waldameisenäther hustend und mit beiden Händen den Zudringlichen abwehrend, einathmen mußte.

Liebner mußte an sich halten, um nicht durch ein derbes Wort, das ihm unter Umständen wohl zu Gebote stand, seinem Aerger Luft zu machen. Der Domdechant wies durch einen ernsten Blick den bäuerischen Pfarrer in seine Grenzen zurück, wollte aber doch den Juristen nicht ohne weiteres in seinem Widerwillen bestärken, weshalb er sich zu einer Lobrede auf die Ameise herbeiließ, die so viel Wahres und Originelles enthielt, daß der nicht nachtragende Stiftssyndikus bald wieder versöhnt ward.

Inzwischen erreichte die Gesellschaft den Eingang der Klunsten. Der Pfarrer, um seine Derbheiten wieder vergessen zu machen, hob und trug beinahe den Stiftssyndikus über jeden unebenen Stein, der kein festes Auftreten erlaubte, und obwohl der längst ermüdete Freund Epikur’s im stillen den Ausflug, den schönen Tag und alle Naturbewunderer vermaledeite, er mußte doch immer wieder von neuem zugeben, daß man ihm forthalf, bis der steile Felsgrat endlich erreicht war, und man es sich an einem leidlich schattigen Orte auf weichem Moose bequem machen konnte.

Hier warf sich Liebner wie ein völlig Gebrochener auf den Boden, schloß die Augen und hatte nur für Ruhe und Pflege seiner erschöpften Gliedmaßen Sinn. Die geistlichen Herren dagegen erklommen die schrägen Spitzen der Felsen, um die Aussicht auf Thäler, Berghöhen, angebautes Land und in die wilden Zerklüftungen zu genießen, welche den Klunsten einen so eigenthümlichen Charakter verleihen. Bisweilen rief einer dieser Naturfreunde dem regungslos Liegenden ein ermunterndes Wort zu und suchte ihn durch Anpreisen der Herrlichkeiten, welche nah und fern in den Gesichtskreis der Schauenden traten, zur Theilnahme an diesem Naturgenusse aufzumuntern. Liebner jedoch antwortete auf alles Rufen und Ermahnen keine Silbe. Er blieb liegen, bis sein erhitztes Blut sich etwas beruhigt hatte, sein Puls wieder regelmäßig schlug und das Einathmen der Luft ihm keine Beschwerde mehr verursachte. Die Lust, immer neue landschaftliche Reize, interessantere, weitere oder mannichfaltiger sich gestaltende Ausblicke aufzusuchen, hatte seine Begleiter zerstreut und endlich alle seinen Blicken entzogen.

»Recht so!« sagte er schmunzelnd, indem er sich gemächlich aufrichtete und mit der Lorgnette vor den schwimmenden Augen die Umgebung revidirte. Er war allein, ganz allein; denn auch der Landmann, welcher die Rolle eines Packesels spielte, hatte sich verloren. »Während die Narren sich müde sehen da, wo nichts zu sehen ist, als ein nichtsnutziger Ueberrest des Chaos, dessen gar zu trostloser Anblick uns mit der Schöpfung der Welt, mit Sitte, Cultur und einer vernünftigen Civilisation beglückt hat, will ich thun, was dem civilisirten Menschen von Rang und Stand zukommt.«

Damit stand er auf und bemächtigte sich des seitwärts in eine kühle Felsenspalte gestellten Henkelkorbes, löste mit geschickter Hand die Knoten des darüber gespannten Tuchs und prüfte musternd den Inhalt.

Dieser war ganz nach seinem Sinn. Ein Flaschenkorb zeigte Weine, wie der Stiftssyndikus sie liebte.

Kalte Küche, appetitlich von der umsichtigen schwesterlichen Haushälterin des Domdechanten eingepackt, lockte verführerisch zum Zugreifen, und da Liebner das Bedürfniß empfand, seiner erschöpften Natur durch Speise und Trank beispringen zu müssen, um die Strapazen des Rückwegs glücklich überstehen zu können, so hielt er sich für vollkommen berechtigt, einstweilen einen leichten Angriff auf die vorhandenen und offenbar zu dem Behufe des Verzehrens mitgenommenen Gottesgaben zu machen.

Der erste Versuch ermunterte zu einem zweiten, und nach wenigen Minuten war der Stiftssyndikus so vertieft in seine entzückende Arbeit, daß er vor Rührung und Dankbarkeit aufrichtig zu weinen begann.

In dieser Beschäftigung trafen ihn die geistlichen Herren, und man kann sich das Mienenspiel denken, das sich bei diesem überraschenden Anblick zu entwickeln begann, da einzelne von der Gesellschaft nicht im entferntesten daran dachten, als Apostel der Müßigkeit lehrend und wirkend aufzutreten.

Dem Domdechanten allein ergötzte der Anblick des mit wahrhaft rührendem Appetit Frühstückenden und sein heiteres Lachen, in das er verfiel, ließ wenigstens die Misstimmung in seinen Begleitern nicht recht aufkommen.

»Also darum, verehrter Freund,« sprach Warnkauf, »darum blieben Sie hier zurück, um im Schatten kühler Denkungsart sich leiblich zu erquicken! Sie bleiben doch ewig ein Vocativus, Liebner! Aber nun rücken Sie ein wenig zu, damit wir uns hier allesammt noch einschieben können, und wenn Ihre durstige Kehle noch ein paar Tropfen in meinem Flaschenkeller übrig gelassen hat, so haben Sie die Gnade, uns diese zu brüderlicher Vertheilung zu gönnen.«

Vergnüglich lächelnd schob der Stiftssyndikus seinem geistlichen Freunde Flaschenkorb und kalte Küche zu, schlürfte sein Glas aus und sagte lallend, den Wein auf der Zunge prüfend, indem er einen schlauen Blick rundum über die bedenklichen, lang und breit gewordenen Gesichter der übrigen gleiten ließ:

»Ich that das für euch alle!«

Der Domdechant hob drohend den Finger.

»Sie sind und bleiben ein böser Christ!« sprach er. »Aber man muß Geduld mit Ihnen haben. Ihre Liebe ist ja so weit, so groß, so alles umfassend, daß Ihnen schon um der Liebe willen vieles vergeben werden soll.«

Diese heitere Auffassung des Scherzes, den sich der Stiftssyndikus erlaubt hatte, führte bald zu ungezwungener Unterhaltung, wobei die einzelnen Theilnehmer einander in keiner Weise schonten. Liebner war jetzt verhältnißmäßig der Schweigsamste und hatte auch einen sehr triftigen Grund für sein Schweigen. Er behauptete nämlich, vieles Sprechen nach dem Essen störe die Verdauung, der Zweck alles leiblichen Genießens sei aber nach Gottes weiser Einrichtung, daß man den Körper durch Speise und Trank stärke, damit der Geist frei und froh darin verkehren könne.

»Ich bin, wie die klugen Jungfrauen, die ausgingen, den Bräutigam zu suchen,« setzte er hinzu. »Damit mir nicht zur Unzeit die Lampe ausgehen mag, nehme ich immer frisch das Oelkrüglein zur Hand und gebe dem Docht, an dem die leuchtende Flamme glüht, stets von neuem die nöthige Feuchtigkeit.«

Warnkauf sah nach der Uhr. Er fand, daß man sich länger, als es Absicht gewesen war, aufgehalten hatte, und forderte die Herren auf, sich zum Aufbruche bereit zu machen.

Der Landmann erhielt Befehl, die nur sehr geringen Ueberbleibsel der Eßwaaren in den Korb zupacken, man warf noch einen Blick in die rauschenden Waldkessel und auf die matt violetten Gebirgskämme im Südosten, und schickte sich dann an, den vielgekrümmten Pfad zwischen den zackigen Felsblöcken behutsam wieder hinabzuklimmen.

Der Stiftssyndikus machte den übrigen diese Wegstrecke zu einem wahren Leidensgange. Er war durchaus nicht zu bewegen, auch nur einen Fuß vor den andern zu setzen, ohne von zwei Personen weniger geführt als gehalten zu werden.

»Ihr hattet mich gezwungen, in diese chaotische Felsenwildniß heraufzuklettern,« sprach er, »mithin ist es jetzt euere Pflicht, mich ganzbeinig wieder herunterzubringen. Aus eigenem Antriebe begebe ich mich nicht in solche Gefahr. Aber ich rath’ euch, seht euch vor, daß ihr mir kein Glied zerbrecht, verrenkt oder zermalmt, sonst mach’ ich euch einen Criminalproceß, der als cause célèbre noch nach meinem, will’s Gott, sanft erfolgenden Tode von allen Juristen wie ein neues Gesetzbuch studirt werden soll!«

Den geistlichen Herren blieb nichts übrig, als dem chicanösen Juristen beim Herabsteigen aus den Klunsten behülflich zu sein. Er erschwerte ihnen dies Geschäft soviel er konnte, indem er aller Augenblicke schwindelig zu sein vorgab, an allen Gliedern zitterte, und so kraftlos sich stellte, als müsse er bei jedem Schritte zusammensinken.

So hatte er die Genugthuung, die ihm helfenden geistlichen Herren am Fuße der Klunsten förmlich in Schweiß gebadet zu sehen. Am ärgsten wußte er dem robusten Manne der Kirche mitzuspielen, der ihn durch seine Liebhaberei für Waldameisen so sehr ennuyirt hatte. Liebner zwang den Pfarrer, ihn halb zu tragen, und freute sich innerlich, als er denselben schließlich ganz kraftlos neben sich stehen sah.

Auf dem Rückwege nach Mariendorf blieb der Domdechant absichtlich hinter den übrigen eine kleine Strecke zurück, um mit Liebner, der sich ihm wieder zugesellte, ungestörter sprechen zu können. Warnkauf vermuthete längst schon, daß der gescheidte Jurist ihn in einer bestimmten Absicht, vielleicht in einem wichtigen Auftrage besuche.

»Es entgeht Ihnen doch mancher schöne Genuß, werther Freund,« hob er an, »dadurch, daß Sie selbst so ängstlich geworden sind. Hätten Sie sich mir angeschlossen, so würden Sie lange von dem Eindruck zehren können, den uns bei der heutigen durchsichtigen Luft die Aussicht von den Klunsten gewährte. In so festen Umrissen, so wunderbar schön beleuchtet, habe ich zum Beispiel nie zuvor den alten Hieronymusfelsen, die Spitzen des Schalksteins und andere interessante Punkte in der Nähe und Ferne gesehen. Schloß Kaltenstein lag so deutlich vor uns, daß ich die Fensterscheiben zählen konnte, ja ich glaube beinahe, die Baronin blickte aus einem der Fenster in den Park hinab.«

»Die Baronin ist ja ewig lange schon sehr leidend,« versetzte der Stiftssyndikus. »Wissen Sie das nicht?«

»Ich stehe mit den Herrschaften von Kaltenstein in keinen engern Beziehungen.«

»Mit Förster Frei kommen Sie aber doch bisweilen in Berührung?«

»Geschäftlich, in anderer Weise gar nicht,« sagte der Domdechant. »Die Besitzungen des Barons und die Stiftswaldung grenzen, wie bekannt, mit den mariendorfer, zur Dechanei gehörenden Forsten, und da gibt es hin und wieder doch Gegenstände, die eine Besprechung nöthig machen. Die Geschichte vom vorigen Jahre, die mir soviel Unruhe verursachte und die nun ja, allen Heiligen sei Dank dafür, schon seit Monaten geschlichtet und hoffentlich auch begraben ist, hat mich dem Manne mehr entfremdet, als ich wünschte.«

»Mein Cousin schätzt Sie sehr hoch!«

»Ich glaube das, allein – er sucht mich nicht, und meine Stellung hielt mich ab, den Förster zu suchen.«

»Das habe ich meinem Cousin auch gesagt, als neulich unter uns von Ihnen die Rede war. Andreas Frei ist jetzt ein ganz anderer geworden, als er vor Jahresfrist war. Die Hoffnung, eines Tages sein Kind wieder umarmen zu können, hat eine fast wunderbare Wandelung in seinem Geiste zu Wege gebracht.«

»Es ist also doch wahr?« fiel der Domdechant, lebhafter werdend, ein. »Das Kind ist gefunden? Man hat die Baronin endlich zum Sprechen gebracht?«

»Drangen über die Ereignisse der letzten vier Monate aus so naher Nachbarschaft nur Gerüchte zu Ihnen?« forschte der Stiftssyndikus weiter, der offenbar dabei interessirt war, zu erfahren, inwieweit der geistliche Herr Kenntniß von dem Geschehenen hatte. »In diesem Falle würde Ihnen manches, was ich Ihnen mittheilen könnte, neu sein, aber freilich, man müßte sich unbeobachtet, unbelauscht wissen; denn das Geschwätz Unverständiger könnte neue Wirren und neue Misverständnisse veranlassen.«

»Sie bleiben, hoff’ ich, heute mein Gast,« sprach der Domdechant, der jetzt nicht mehr zweifeln konnte, daß der Stiftssyndikus ihm wichtige Mittheilungen zu machen habe. »Meine Herren Amtsbrüder, die Sie so ausgezeichnet gut in Bewegung zu halten verstanden, verlassen mich noch vor Abend. Dann sind Sie allein Hahn im Korbe. Sabine – das kennen Sie ja schon von früher her – stört uns nicht.«

»Wenn Sie mich nur gelassen anhören werden,« sagte der Stiftssyndikus blinzelnd und die sofort thränenden Augen mit seinem Taschentuche betupfend. »Ich habe nicht blos zu erzählen, ich will auch Ihre Hülfe in Anspruch nehmen.«

»Helfen ist Christenpflicht,« erwiderte Warnkauf. »Wie gern ich helfe, habe ich oft genug schon durch die That bewiesen.«

Die Vorangegangenen hatten ihre Schritte gemäßigt und waren jetzt den Zurückgebliebenen so nahe, daß die Fortführung eines nur für zwei Personen bestimmten Gesprächs nicht mehr rathlich schien. Der Domdechant brach deshalb mit vielsagendem Augenwink ab und richtete an die Gesellschaft eine gleichgültige Frage, die jedoch geeignet war, das Gespräch zu verallgemeinern.

Das langsame Gehen in dem zwar heißen, aber doch schattigen Walde hatte die stark angegriffenen geistlichen Herren wieder etwas gekräftigt, und als man jetzt die Dechanei mit dem rauchenden Schornstein bereits einladend durch die letzten Bäume schimmern sah, kehrte allen die fröhliche Laune, in der sie vor einigen Stunden ausgezogen waren, in erhöhtem Grade zurück.

Die freundliche Begrüßung Sabine’s, die schon zum Mahle geschmückt, den Heimkehrenden unter der Thür entgegentrat, ward von allen für ein gutes Zeichen gehalten. Liebner schlug sich den Nadelstaub des Waldes von den Stiefeln, ohne den etwas verblaßten Glanz derselben durch dies mehrmals wiederholte Manöver wiederherstellen zu können, erwiderte dann den Gruß der ihm wohlwollenden Dame und raunte ihr leise ins Ohr:

»Ich bitte für nächste Nacht um Herberge! ... Das war ein Gang, der will verwunden sein! Nun Gott sei Dank, eine Domdechanei ist keine Garküche, und auch kein unter Eis und Schnee begrabenes Hospiz. Man weiß, wo man sich niederlassen darf und was man zu erwarten hat, wenn Freundeshände uns willkommen heißen!«

Sabine lächelte sehr verständig und sehr glücklich, und der scharfsichtige Liebner, welcher seine Lorgnette von Schildkrot fest an die Augen drückte, sog süßen Honigseim für seinen sterblichen Menschen aus diesem zufriedenen Lächeln der Schwester des würdigen Domdechanten.


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