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FÜNFTES KAPITEL.

AUS DEN ERINNERUNGEN VERIRRTER SEELEN.

Es war einer jener schönen Octobertage, die uns auf kurze Stunden noch einmal in den bereits verschwundenen Sommer zurückversetzen. Auf allen Feldern gewahrte man arbeitende Menschen, diese mit Umbrechen der Stoppeläcker beschäftigt, jene neuen Samen zur künftigen Ernte in die von Pflug und Egge aufgelockerte Erde streuend. Weiter hinaus nach den Wald- und Gebirgssäumen fiel bisweilen ein Schuß, von Jägern, welche durch ihr Revier streiften, abgefeuert.

Der ältere Baron von Kaltenstein war schon mit Sonnenaufgang, vollkommen zur Jagd gerüstet, aufgebrochen. Oben beim Eingange zum Forste wollte er Andreas Frei treffen, um die erste größere Jagd in diesem Herbst abzuhalten. Adolar sollte eigentlich seinen Vater begleiten, dieser ließ sich aber ein bestimmtes Versprechen nicht abnöthigen, indem er vorgab, es wäre ja leicht möglich, daß andere wichtigere Geschäfte ihn verhindern könnten, an dem Vergnügen der Jagd mit theilzunehmen. Der junge Herr von Kaltenstein wußte längst, daß er an diesem Tage das Schloß nicht verlassen könne. Gerade deshalb hatte er sich angelegen sein lassen, die Jagdpartie zu arrangiren, weil dies ein sicherer Ausweg war, seinem Vater alles andere vergessen zu machen. Nur Förster Frei war unterrichtet, und auf die Treue dieses redlichen, ihm vielfach verpflichteten Mannes konnte Adolar bauen.

Gegen 10 Uhr vormittags rollte ein leichter Korbwagen mit Reifen überspannt, an denen ein graues Leinwandtuch aufgerollt und mit schmalen Lederriemen an den Reifen festgeschnallt war, in den Schloßhof von Kaltenstein. Außer dem Kutscher saß nur noch ein Herr auf dem Schaukelsitz des kleinen Gebirgswagens. Es war Joseph am Ort. Adolar empfing den Inspector auf der Freitreppe, drückte ihm hier bewegt die Hand und führte ihn ins Schloß, wo er den um viele Jahre ältern Mann mit Herzlichkeit umarmte. Darauf traten beide in die Trinkhalle, wo Abbé Kasimir ihnen mit ernster Freundlichkeit entgegenkam.

»Unser geehrter Rechtsfreund wird hoffentlich nicht lange auf sich warten lassen,« sprach Adolar, die alten, hochlehnigen Stühle an die breite eichene Tafel schiebend, die manches Zechgelage und manche fröhliche Jagdmahlzeit erlebt hatte. Während der Abbé und Joseph am Ort sich als alte Bekannte begrüßten und in rascher Rede und Gegenrede sich über das heutige Wiedersehen verständigten, entfernte sich Adolar noch einmal. Bald darauf rollte abermals ein Wagen in den Schloßhof, welcher den Stiftssyndikus trug.

»Heute rufe ich Ihnen den Bergmannsgruß: Glück auf! zu, Baron,« redete Liebner den jungen Schloßherrn an, »und mein Gruß wird sich erfüllen, wenn es jeder so redlich mit Ihnen meint wie ich! Hat sich mein anonymer Rathgeber pünktlich eingefunden?«

»Sie treffen ihn in angelegentlichem Gespräche mit dem Abbé,« erwiderte Adolar. »Eilen Sie, damit keine Minute der kostbaren Zeit verloren geht!«

»Den Alten haben Sie doch in den Wald geschickt?«

»Unter sicherster Bedeckung, Herr Stiftssyndikus.«

»Und der Ritter von der schwächlichen Gestalt mit den nach zwei Seiten zugleich blickenden Augen? Wird seine Gegenwart uns nicht stören?«

»Es ist mir über Erwarten gelungen, ihm alles geheim zu halten, was unser Vorhaben stören könnte. Die Krankheit der Baronin, von welcher der gewesene Lieutenant in Kenntniß gesetzt werden mußte, beschäftigt neuerdings seinen Geist so ausschließlich, daß alles ferner Liegende ihn kaum oberflächlich interessirt. Geldern hofft jedenfalls auf den Tod seiner Schwester und baut darauf seine bunt ausgeschmückten Luftschlösser. Daß ein Ludomirsky noch am Leben ist, hat ein ärgerlicher Zufall ihm verrathen. Die Sorglosigkeit meines Vaters ließ ein Zeitungsblatt liegen, welches die Ankunft des Grafen von Serbillon meldete. Neben dem Namen des Grafen stand der des Abbé Kasimir von Ludomirsky. Der ungemein schlaue und argwöhnische Oheim vermuthet eine Verwandtschaft zwischen sich und dem Abbé, was ich deutlich bemerken kann, obwohl er gegen mich nie ein Wort darüber geäußert hat. Er weiß auch, wie ich glaube, daß der Abbé eine und dieselbe Luft mit ihm athmet, aber er ist viel zu klug, um sich mir gegenüber etwas davon merken zu lassen. Mit welchen Planen er sich sonst etwa tragen mag, weiß ich bis zu dieser Stunde noch nicht. Gerade sein gänzliches Schweigen läßt mich vermuthen, daß er den günstigen Augenblick für sich zu benutzen gedenkt, und dieser Augenblick dürfte für ihn allerdings gekommen sein, wenn seine Schwester die Augen für immer schließen sollte. Mit Clotilde von Kaltenstein stirbt die Gefährtin und Mitwisserin von Begebenheiten, über die längst Gras gewachsen ist. Kann aber kein Zeuge mehr sprechen, so darf sich der Ueberlebende für geborgen und im Hause seiner nächsten Verwandten allerdings auch für sehr gut aufgehoben halten. Mein Oheim hält sich, wie immer – Nichteinmischung in meine Verhältnisse ist die Bedingung, unter welcher er, von niemand belästigt, hier leben darf, bis er völlig gesundet sein wird – innerhalb seines Reviers. Dies ist bei diesem verlockenden Wetter der Park, wo er sich bereits seit einer halben Stunde bei dem stets erheiternden Geplauder Zerline’s das Frühstück vortrefflich schmecken läßt.«

Während dieser Auslassungen, die der Stiftssyndikus gern zu hören schien, hatte Adolar seinen Gast ins Schloß geleitet, wo er von den beiden in der Trinkhalle sich befindlichen Herren freundlichst begrüßt wurde. Darauf wechselte der junge Edelmann noch einen bedeutsamen Blick mit dem Abbé und entfernte sich.

Man nahm nun Platz um den Tisch, und Abbé Kasimir redete die Anwesenden mit folgenden Worten an:

»Seit einer langen Reihe von Jahren ist es mein Wunsch gewesen, mich gegen Freunde und Verwandte über das auszusprechen, was heute den Gegenstand unserer Unterhaltung bilden soll. Frühzeitig meiner Mutter beraubt, ward ich vom Vater bis zu dessen ebenfalls früh erfolgtem Tode erzogen. Mein Vater war Militär, hatte aber aus allen Kämpfen, in denen er mitgefochten, nichts gerettet als die Ehre und eine Menge schmerzender Wunden. Unmittelbar nach seinem Tode kam ich ins Seminar, wo ich eine sorgfältige Erziehung genoß und mich für die priesterliche Laufbahn vorbereitete. Von der Vergangenheit und meinen Familienverhältnissen war mir wenig bekannt geworden. Ich wußte nur, daß ich ein Sprosse des einst mächtig gewesenen Wojwodengeschlechts der Ludomirsky sei, das während der Stürme, welche mein Vaterland zerrissen, Macht, Ansehen und Güter verlor. Ein Verbannter, machte ich mich noch bei Lebzeiten des Vaters mit dem Gedanken vertraut, es auch immer bleiben zu müssen.

»Am Tage der Priesterweihe ward mir von dem Rector ein dünnes Heft übergeben, das, wie sich der wackere Mann, dem ich nur Dank schuldig bin, ausdrückte, das Vermächtniß meines Vaters und mein unveräußerliches Erbtheil enthalten sollte. Was ich in diesem verhängnißvollen Hefte vorfand, ist Ihnen allerseits bekannt. Damals

– ich gestehe es offen, wünschte ich, mein Vater hätte ewig von dem geschwiegen, was an seinem Leben nagte. Jene furchtbaren Mittheilungen erschreckten, beunruhigten mich. Sie erschwerten mir die Erfüllung der Gelübde, die ich gethan, sie störten mich in der Ausübung meiner Pflichten als Priester.

»Gott aber ist immer allweise, allgütig und allgnädig, auch wenn er uns Schweres zu tragen auferlegt. Jetzt denke ich anders und preise mit hohem Dank seine Weisheit und Güte. Das Vermächtniß des todten Vaters hat mich zum Mittler gemacht, um verirrte Seelen aufzusuchen und eine alte, schwere Schuld sühnen zu helfen.

»Lange tastete ich im Dunkeln umher, ohne daß ich die geringste Hoffnung hegte, die Spuren der Verlorenen wieder zu entdecken, die mir durch des Vaters Ueberlieferungen so theuer geworden waren. Am meisten bekümmerte mich das Schicksal meiner Tante Berenice, die ohne eine andere Schuld als die einer zu großen Leichtgläubigkeit die Beute eines gewissenlosen Menschen geworden zu sein schien.

»Wie seltsam, wie wunderbar die Fügungen des Himmels sind, und wie Gott böse, finstere Thaten geschehen läßt, um längst in Vergessenheit gerathene Vergehen ans Tageslicht zu bringen, das haben wir staunend selbst erlebt! Ein junges Mädchen von nicht gewöhnlichen Geistesgaben, mit körperlichen Reizen geschmückt, wird in der Einsamkeit eines abgelegenen Forsthauses frühzeitig von ihrer ganzen Umgebung verbildet. Nicht böser Wille ist es, der die jugendliche, jedem Eindruck offene Seele Hildegardens die unglücklichste Richtung gibt, die ein junges Mädchen überhaupt erhalten kann, sondern die verkehrte Liebe von vier Personen, die, ganz verschieden geartet und erzogen, sich in blinder Eifersucht gleichsam um die Seele des armen Kindes schlagen, die jede für sich ganz allein besitzen will. Um zu siegen, erlaubt sich jeder Finten, Einreden, unwahre oder doch nur halbwahre Behauptungen, und indem alle vier Personen sich selbst täuschen, aus Liebe sich geistig verwerfen, geben sie die Seele des jungen Mädchens den bösen Mächten, den Verlockungen der immer Arges sinnenden Welt preis! Hildegarde wird gebildet, aber nicht erzogen. Ihre Bildung ist eitel Firniß und Flitter, der ihrer Seele nur anfliegt. Man entfremdet das Kind dem Vater, zum Theil auch der Mutter, die, unselbständig, auf die lebensgewandte Freundin hört, welche – so meint die Irrende – ein glückliches Ungefähr ihr zuführt. Die bürgerlich Geborene, welche die stolzen adelichen Verwandten nur grollend und widerstrebend theilnehmen sehen an dem reichen Besitz des Barons, der die Mittellose sich zur Gemahlin gewählt hat, findet bei der gebildeten Förstersfrau, was sie unter ihrer Sippschaft vermißt, und die herablassende Freundlichkeit der reichen Edeldame besticht wieder das Herz Corneliens.

»Ereignisse, die ich nicht zu wiederholen und einzeln namhaft zu machen brauche, zeitigen die Früchte einer Erziehung, die mit Corneliens Tode eine Aenderung erfahren mußte. Eigensinn, Hochmuth, hochgesteigerte Lebensanforderungen, leichtsinnig geglaubte Versprechungen und Furcht, dieser Versprechungen durch das Eingreifen Mächtigerer doch verloren zu gehen, lassen Hildegarde einen verzweifelten Schritt thun, welcher sie der Heimat und allen heimatlichen Verhältnissen entführt und ihr das Schloß des Grafen von Serbillon schließlich zum Wohnort anweist.

»Hier lerne ich durch Gespräche und Unterricht die leidenschaftlich arbeitende Seele Hildegardens kennen, die sich mir vor dem Porträt Sigismund Geldern’s als eine auf Irrwegen wandelnde deutlich verräth. Ich will warnen, rathen, und werde selbst von den Nebeln des Irrthums umwallt. Aber dieser Irrthum gestaltet sich wieder in mir zum Wegweiser für die im Verborgenen ruhende Wahrheit um.

»Was später geschah, haben Sie zum Theil persönlich miterlebt, theils sind Sie genau durch die Mittheilungen damit vertraut gemacht worden, die ein offener gegenseitiger Gedankenaustausch erheischte.

»Inzwischen ist es mir gelungen, in die Geheimnißwelt der Frau einzudringen, die ich unter sovielen Irrenden als die Verirrteste bezeichnen muß. Die Geständnisse dieser Unglücklichen, die sie mir fast willenlos machte, hoben den Schleier von der Vergangenheit, und im vollen Licht der Wahrheit, leider einer furchtbaren Wahrheit liegt die ganze Geschichte der Ludomirsky, ihres Unglücks, ihres Unterganges und – ich hoffe es – ihrer Erhebung aus Schuld und Elend vor meinen Augen! Diesen letzten Theil der Geschichte meiner nächsten Verwandten, die ja auch die Ihrigen sind, nach den Bekenntnissen Clotildens mitzutheilen, ist Zweck unserer heutigen Zusammenkunft.«

Der Abbé schwieg, um zu einigen vor ihm liegenden Briefen noch ein von ihm selbst beschriebenes Papier zu legen.

»Ich habe mich bemüht,« fuhr er fort, »die Erzählungen der Baronin übersichtlich zusammenzustellen, ohne denselben etwas hinzuzufügen. Von Ihrer Bestimmung wird es abhängen, ob später auch der Baron und Geldern, von dem ich bis jetzt immer nur sprechen hörte, ebenfalls Kenntniß davon erhalten sollen.«

»Als Unbetheiligter würde ich nicht dazu rathen,« fiel der Stiftssyndikus ein, der bereits mit dem Inhalte der Aussagen Clotildens vertraut war. »Die Gründe, die mich bestimmen, dies zu widerrathen, werde ich mir erlauben später zu entwickeln.«

Nach dieser Bemerkung las Abbé Kasimir:

»Erinnerungen verirrter Seelen.

»Die älteste Tochter des Wojwoden Xaver von Ludomirsky hieß Berenice. Der Tod ihres Vaters, der auf dem Schlachtfelde blieb, nöthigte sie zugleich mit ihrer Mutter und einer jüngern Schwester sich unter den Schutz eines entfernten Verwandten zu stellen, um den Verfolgungen der Feinde ihres Vaters zu entgehen. Dieser Verwandte umgarnte die Mutter Berenice’s dergestalt durch Versprechungen, die ihr eine glänzende Zukunft vorspiegelten, daß Berenice selbst ihm unbedingtes Vertrauen schenkte. Stanislaus Wertschinsky – dies war der Name des Unredlichen – entführte Berenice, floh mit ihr nach Preußen und suchte unter fremdem Namen ein Versteck am Oberrhein. Berenice erkannte jedoch alsbald die unredlichen Absichten des Schändlichen, und das Wohlwollen, welches Stanislaus irrthümlich für Neigung und Liebe gehalten hatte, verwandelte sich in Abscheu und Haß. Berenice mußte schwer leiden, ihrer Willenskraft gelang es jedoch, den ungestümen Menschen, von dem leider ihre Existenz abhängig war, in respectvoller Entfernung zu halten. Dennoch konnte sie es nicht verhindern, daß sie von Stanislaus bald für seine Tochter, bald für seine Gattin ausgegeben ward, je nachdem ihm das eine oder das andere vortheilhafter zu sein schien. Um dieser fingirten Doppelstellung sich zu entziehen, nahm Berenice bereitwillig das Anerbieten eines nicht mehr ganz jungen, etwas pedantischen, aber ungewöhnlich gutmüthigen Cavaliers an, der in den österreichischen Staaten angesessen war, und verlobte sich mit diesem, ohne ihren Beschützer, der sich aus Caprice dem Cavalier als Oheim seiner Begleiterin vorgestellt hatte, um Erlaubniß zu fragen.«

»Armer Ritter von der Dub!« rief Joseph am Ort aus. »Wie gnädig ist dem edeln Manne der Himmel gewesen, daß er ihn bis ans Ende seiner Tage auch geistig immer mit Blindheit schlug!«

»Dieser übereilte Schritt der jungen Polin,« fuhr Abbé Kasimir fort, »war der Anfang einer langen Reihe von Ueberstürzungen, die immer eine die andere bedingten. Lebhaft, oft sogar heftig von Charakter, ließ sich Berenice leicht zu einer Handlung hinreißen, die sie später bei ruhiger Ueberlegung tief bereute. Ihre Reue entsprang aber nie einem zur Demuth sich wendenden Herzen, sondern war nur die natürliche Folge eines Vorwurfs, den sie ihrer beschränkten Klugheit machte. Der Verdruß über sich selbst ließ sie ungeduldig auf Mittel sinnen, um etwas Thatsächliches ungeschehen zu machen, was immer ein verkehrtes Streben ist und stets zu größern Irrungen und Selbsttäuschungen führen muß.

»Noch ehe das verlobte Paar seine Reise in die Heimat des überglücklichen Bräutigams antrat, ließ sich Berenice von dem scharfsichtigen Stanislaus das Geständniß entreißen, daß sie sich unglücklich fühle, daß sie den pedantischen Ritter nie werde lieben können! ... Wertschinsky freute sich dieses Geständnisses und lachte Berenice aus. Für ihn war damit die Zeit gekommen, die Beleidigungen der stolzen, spröden Wojwodentochter zu rächen. Er wollte seinen Plan nicht auf gewöhnliche Weise ausführen, sondern auf Umwegen, um mehr Genuß davon zu haben. Berenice sollte sich aus eigenem Antriebe ihm in die Arme werfen, um seine Liebe betteln! Dann wollte er großmüthig scheinen, die Flehende erhören, sie aber, zur Strafe nur als fest an ihn gekettete Sklavin seiner Großmuth und seiner Launen so lange mit sich herumführen, als es ihm Vergnügen, Zerstreuung und Vortheil gewähren würde.

»Das unglückliche Geschöpf erfuhr nichts von diesem schändlichen Plane, den Oberst Stanislaus mit raffinirter Schlauheit durchführte. Unterwegs schon, in einem der besuchtesten Badeorte, wo man dem Spiele fröhnte, gesellte sich ein jüngerer Mann von interessanter Aeußerlichkeit zu den Reisenden. Stanislaus Wertschinsky spielte gern und gewöhnlich mit Glück. Doch behauptete er, letzteres werde ihm untreu, wenn Berenice Ludomirska nicht in seiner Nähe weile. Diese Annahme veranlaßte den Oberst, die von ihm der Mutter Geraubte am Spieltische festzuhalten, damit die Gegenwart des jugendlich schönen Mädchens, deren Reize sogleich die Aufmerksamkeit aller Männer stark beschäftigten, das Glück ihm banne.

»Dieser neue Gefährte, den Wertschinsky ohne Zweifel schon längere Zeit kennen mußte, ließ Berenice nicht gleichgültig. Er besaß alle die Eigenschaften in hohem Grade, welche ihrem Verlobten abgingen. Er war hoch und schlank gewachsen, männlich schön, keck und unternehmend, dabei aber doch äußerst aufmerksam gegen das schöne Geschlecht, das gegen seine Huldigungen nicht kalt blieb. Diesem gefährlichen Manne flog Berenice’s Herz zu, obwohl eine geheime Scheu sie vor Sandomir Geldern – so hieß der Mann – erbeben machte. Gerade diese Scheu ließ sie in seiner Gegenwart verstummen und den kurzsichtigen, nur im bewundernden Anschauen der Geliebten schwelgenden Ritter glauben, der Fremde sei ihr gleichgültig, wo nicht gar unangenehm. Auf den Vorschlag Wertschinsky’s lud der Ritter den Freund des Oheims seiner Braut ein, ihm mit auf seine Güter zu folgen, ein Vorschlag, welchen Geldern bereitwillig annahm.

»Zwischen diesem Manne und Stanislaus Wertschinsky ward nun fast unter den Augen des von der Liebe zu Berenice völlig verblendeten Ritters eine Intrigue angezettelt, in welche man auch Berenice selbst bis zu einem gewissen Grade einweihte. Absicht und Endzweck derselben war, den Verliebten erst möglichst zu plündern, dann ihn aus seinem Schlosse zu locken, und während seiner Abwesenheit ihm die Braut zu entführen ...

»Der Anschlag gelang vollkommen. Berenice, von Liebe und Wein berauscht, folgte dem gefürchteten Zauberer willenlos, und ihr Erwachen war der Anfang eines Elends, dem sie nie mehr entrinnen konnte.

»Sandomir Geldern, je nach Bedürfniß Namen und Charakter wechselnd, verband sich mit Berenice, indem er Stanislaus ebenso hinterging, wie dieser früher seine jetzt ihm zugehörende Gattin hintergangen hatte. Die Rache des Betrogenen fürchtend, mußte sich Geldern zu einem unsteten Leben entschließen, das seinen Neigungen auch besser zusagte als ruhig solide Thätigkeit in einem bestimmten Wirkungskreise.

»Nur zu bald beschlich Berenice wiederum Reue über ihr Thun, und jetzt erst stieg der so leichtsinnig von ihr verlassene Ritter von der Dub in ihrer Achtung. Wie gern hätte sie den in unwandelbarer Liebe um die Verschwundene Trauernden die Hand flehend entgegen gestreckt! Wie gern hätte sie das Band abgestreift, das sie für die Dauer dieses Lebens an den abenteuersüchtigen, unredlichen, allen Leidenschaften verfallenen Geldern kettete!

»Früh erkaltete die Liebe der unter den Verwünschungen mehr als eines Betrogenen kirchlich Verbundenen. Ihr Zusammensein war eine ununterbrochene geistige Folter, unter der Berenice freilich mehr litt als der stärkere Geldern. Selbst die Geburt zweier Kinder, mit denen diese unheilige Ehe schon früh gesegnet wurde, versöhnte die geistig ewig geschiedenen Gatten nicht. Den Vater machte die Unruhe im Hause nur ausgelassener und ausschweifender, die Mutter innerlich verbissener. Die unglücklichen Geschöpfe sogen am Herzen der Mutter nicht Liebe aus der Nahrung, welche die Natur den Neugeborenen spendet, sondern Haß, Abneigung und alle unedeln Neigungen, die in der unglücklichen Berenice üppig wucherten und auch die bessern Anlagen nach und nach gänzlich erdrückten. Sie liebte die ihr geschenkten Kinder ebenso wenig wie diese der Mutter anhingen. So bildete sich zwischen Mutter und Kindern schon sehr früh ein feindseliges Verhältniß aus, das mit den Jahren zunahm und in eine traurige geistige Scheidung der Kinder von ihrer Mutter ausartete.

»Ohne eigentliche Erziehung aufwachsend, war diesem beklagenswerthen Geschwisterpaar keine heitere Zukunft vorauszusagen. Nur angeborene Talente, welche Clotilde mit ihrem nur ein Jahr ältern Bruder Sandomir theilte, ersetzten einigermaßen die beiden so gänzlich fehlende Herzens- und Geistesbildung. Ein fortwährend in ruhelosem Wechsel verbrachtes Leben, frühzeitige Einblicke in jene Winkelzüge, welche die Sünde liebt, indem sie die Maske der Tugend anlegt, verhalfen zu einer Abgeschliffenheit und zu einem Fonds ungeläuterten Wissens, das so oft die wahre Bildung ersetzt und von der großen Menge willig dafür hingenommen wird. Gibt es doch Zahllose, welche sich gerade von dem schimmernden Glanz dieser Afterbildung bestechen lassen und sie, wenigstens eine Zeit lang, der wahren, auf dieser sittlichen Grundlage ruhenden vorziehen.

»Sandomir und Clotilde Geldern verdankten ihre geistige Frühreife wie ihre Selbständigkeit den Eindrücken des Lebens, das sie zu führen gezwungen waren. Die List, die Schmeichelei, die Koketterie, genug die Lüge in allen Formen, die sie anzunehmen fähig ist, bildeten das geistige Kapital, mit dem sie wucherten, um stets nur egoistische Zwecke zu verfolgen. Der verwilderte Vater, ganz gleiche Wege wandelnd, lachte über seine Sprößlinge, die ihm sonst nur im Wege waren, die Mutter, ohne Macht und Unterstützung, versenkte sich mehr und mehr in die Nacht des Kummers, die immer finsterer am Himmel ihres durch eigene und fremde Schuld verlorenen Lebens heraufzog.

»In dieser traurigen Lage fühlte sich Berenice zum dritten mal Mutter. Erschrak sie auch anfänglich vor dem Gedanken, daß sie, die Freudenarme, die Ungeliebte, die ihrer Familie Entrissene, der Gesellschaft für immer Verlorene nochmals einem unglücklichen Geschöpf Leben geben solle, so machte sie sich doch nach und nach damit vertraut. Das Kind, das sich unter ihrem Herzen zu regen begann, ward ihr um so lieber, je entsetzlicher die verhaßte Wirklichkeit sie bedrückte. In den kummervollen Nächten, die sie einsam durchwachte, gelobte sie Gott mit heiligen Schwüren, dies Kind dereinst dem ewig Guten zu weihen. Es war Berenice’s fester Wille, sobald ihre Körperkräfte es gestatten würden, mit dem Säuglinge ihren Wohnort heimlich zu verlassen. Die Ausführung dieses Vorhabens erschien ihr um so leichter, als ihr Gatte sie jetzt mehr denn je vernachlässigte und sie mit der brutalsten Lieblosigkeit behandelte. Selbst Sandomir und Clotilde, beide muthwillig bis zur verbrecherischen Wildheit, stachelte der Vater auf gegen die Mutter, sodaß diese mit Sehnsucht entweder dem Tode oder der Stunde entgegenharrte, die ihr endlich die Freiheit wiedergeben sollte ...

»Um diese Zeit begegnete Geldern seinem frühern Vertrauten Stanislaus Wertschinsky. Einem überaus heftigen Streite folgte der erbittertste Zweikampf. Stanislaus fiel, aber auch Geldern verließ den Kampfplatz als Schwerverwundeter. Dennoch gelang es ihm, sich zu verbergen und allen Nachforschungen zu entziehen; Berenice mußte den Leidenden aufnehmen und pflegen. Sie fragte nicht, durch wessen Hand der Mann, der sich an ihr und den Kindern so arg versündigt hatte, gezüchtigt worden sei. Ohne Murren trug sie die Launen des Lieblosen, die Verspottungen ihrer verwilderten Kinder. Erst die Geburt eines Knaben machten der Pflege Berenice’s ein Ende ...

»Sandomir Geldern wollte das neugeborene Kind weder sehen noch war er zu bewegen, sich seiner anzunehmen. Berenice tröstete diese entschiedene Weigerung. Sie verlieh ihr ein Recht, nach eigenem Ermessen zu handeln, und schied sie moralisch von dem unheimlichen Manne, dem sie geistig nie angehört hatte.

»Mit großer Vorsicht bereitete sich nunmehr Berenice zur Ausführung ihres längst beschlossenen Vorhabens vor. Sie verwerthete, ohne daß ihre ältern Kinder oder der an seinen Wunden noch immer leidende Gatte es gewährten, die geringen Ueberreste ihres Schmuckes. Dann band sie dem Säugling ein Päckchen von blauer Seide um den kleinen Nacken, das dessen Namen Sigismund Geldern, den er führen sollte, nebst einem Goldreif enthielt. So verließ sie eines Nachts ganz allein ihre Wohnung.

»Mit dem Nöthigsten, auch mit einer Legitimation versehen, reiste Berenice unaufgehalten nordwärts. Ihr Reiseziel war Polen. Eine wunderbare Zuversicht, im alten Vaterlande ihre Schwester oder den Bruder, vielleicht auch die Mutter, die sie alle so tief betrübt hatte, wiederzufinden, verlieh ihr Kräfte und ließ sie wirklich die polnische Grenze erreichen. Kaum aber hatte Berenice den theuern Boden des geliebten Vaterlandes betreten, als sich das Ungeahnte ereignete.

»Dem feinen Spürsinn Clotildens war es gelungen, die Richtung zu ermitteln, welche ihre Mutter eingeschlagen hatte. Obwohl noch sehr hinfällig, entschloß sich Geldern, der Entwichenen mit seinen Kindern zu folgen, um sich wieder im Besitz der Gattin zu setzen, weil er glaubte, es könne ihm dereinst durch Berenice noch eine Erbschaft zufallen. Kaum eine Tagereise jenseit der Grenze, mitten in öder Wildniß, holte er die Unglückliche ein. Aber die Anstrengungen der Reise hatten den mit Glück und Menschen achtlos Spielenden erschöpft. Er vermochte nur schwache Drohungen und Verwünschungen gegen Berenice auszustoßen, die Clotilde, vom Vater gezwungen, lauter wiederholte. Dann brach er zusammen und gab, mitten im Walde, seinen Geist auf! ...

»Die Kinder wühlten dem Vater das Grab, ein stumpfsinniger Schlachtize, der zufällig dem Schauplatze dieses Elendes sich näherte, sorgte für einen Sarg. Berenice schwamm in Thränen, die nicht dem Abgeschiedenen galten, sondern die ihr der Schmerz und die Sorge um den hülflosen Säugling auspreßte, der sich kraftlos regend neben dem offenen Grabe lag ...

»Eine Aeußerung, die während dieser von einem hellen Nordlicht beleuchteten Scene Clotilde Geldern that, brachte die Klagende wieder zur Besinnung. Sie warf ein paar Hände voll Erde in die offene Grube, raffte dann das Bündel mit dem schreienden Säugling auf und floh in den dichtesten Wald, ohne den ihr entfremdeten Kindern noch einen Blick des Abschieds zu gönnen. – Man hat Berenice Geldern und ihr jüngstes Kind niemals wiedergesehen und die Annahme, beide möchten dem Mangel erlegen sein, würde sich rechtfertigen lassen, widersprächen dieser Annahme nicht auf das bestimmteste die sorgfältig und mit großer Gewissenhaftigkeit zusammengetragenen Notizen, welche Oberst Malachowsky und Fürst Bulabicki nach den Erzählungen eines polnischen Kriegers niedergeschrieben und durch den Grafen von Serbillon mir überliefert haben.«

»Erlauben Sie, Herr Abbé,« fiel der Stiftssyndikus ein, »daß ich, der Unbetheiligte, jetzt die Stelle eines Berichterstatters einnehme. Sie sind angegriffen, erschüttert, und haben Ursache sich zu schonen. Als Bevollmächtigter Adolar’s mache ich darauf Anspruch, meinen Auftraggeber zu ersetzen. Ueberdies sind mir die noch übrigen Schriftstücke hinlänglich bekannt, um das Wesentlichste daraus fast aus dem Gedächtniß wiederholen zu können.«

Abbé Kasimir reichte dem Juristen die vor ihm liegenden Briefe.

»Ich wünsche nur deshalb die Einsicht derselben auch durch meinen Verwandten Joseph am Ort,« sprach er, »damit wir uns über die Schritte leichter einigen können, die wir jetzt in Bezug auf den noch lebenden Sohn Berenice’s zu thun haben.«

Der Stiftssyndikus stimmte dem Abbé bei und begann darauf sein Referat. Es war klar und bündig und enthielt folgende durch mehrfache Belege beglaubigte Angaben.

In einem abgelegenen ärmlichen Dorfe, das nur von unwissenden Bauern und einigen sehr schmuzigen Judenfamilien bewohnt war, fand man eines Morgens eine zum Tode erschöpfte Frau, in deren kraftlosem Arme ein schreiendes Kind ruhte. Das Wimmern dieses unglücklichen Geschöpfes machte die abergläubischen Bewohner des elenden Dorfs aufmerksam. Gaffend umringten einige der Beherztern die keines Wortes mehr Mächtige, und ehe die Neugierigen noch einen Entschluß fassen konnten, gab die Unglückliche ihren Geist auf.

Das Kind überbrachte der Krughalter, ein geiziger, aber pfiffiger alter Jude echt polnischen Zuschnitts, der zugleich die Geschäfte seines Factors für den gnädigen Herrn besorgte, diesem selbst in das sogenannte Schloß, um dessen Willensmeinung zu hören. Der Gutsherr, ein gutherziger Mann von geringer Bildung, nahm Rücksprache mit seiner schon ältlichen Gemahlin, und diese, eine kinderliebende Dame, decretirte, nachdem sie die Ueberzeugung gewonnen hatte, der kräftige, hübsche Knabe, dessen Name ja das vorgefundene Packet enthielt, stamme von guter Familie ab, man solle es im Schlosse behalten und es wie sein eigenes Kind erziehen. Die Leiche Berenice’s ward christlich bestattet. Ueber ihre Herkunft ließ sich nichts ermitteln, da man bei der Verblichenen keine Papiere fand, die als Fingerzeige hätten dienen können. Wahrscheinlich hatte die Bedauernswerthe im Gefühl ihrer Schwäche oder aus Verzweiflung dieselben absichtlich vernichtet, um ihre Lebensspuren für immer auszutilgen.

Der Knabe Sigismund wuchs inzwischen im Hause seiner Pflegeältern vielversprechend heran und ward alsbald deren erklärter Liebling. Sicherlich hätte der polnische Edelmann sich bewegen lassen, ihn ganz als eigenes Kind anzunehmen, wäre diesem Vorhaben nicht Sigismund selbst hindernd entgegengetreten. Durch einen Diener des Hauses erfuhr er zufällig, daß er ein Findling sei, über dessen Geburt ein tiefes Dunkel schwebe. Diese Mittheilung veranlaßte den lebhaften Knaben, so lange in seinen Pflegevater zu dringen, bis dieser ihm das Wenige, was man bei ihm vorgefunden hatte, als sein Eigenthum auslieferte. Nur das traurige Ende der Frau, die jeder für des Findlings Mutter halten mußte, verschwieg man ihm, um seine jugendliche Einbildungskraft nicht mit düstern Schreckgestalten unnöthig zu ängstigen.

Auf Sigismund machten diese Mittheilungen, so dürftig sie waren, einen tiefen Eindruck. Seine bis dahin fröhliche Harmlosigkeit wich einem zeitweise sich einstellenden Ernste, der an einem so jungen Menschen auffallen mußte und mit den Jahren bisweilen in wirkliche Melancholie überging. Sigismund Geldern, wie er sich fortan mit Stolz nannte, grübelte über seine Geburt, über seine Aeltern nach, von denen niemand etwas wußte, und schmückte sich wohl die Vergangenheit bald mit hellen, bald mit dunkeln Farben, je nachdem seine Stimmung sie ihm mischte, ziemlich phantastisch aus.

Frühzeitig erklärte er seinem Pflegevater, daß er sich der militärischen Laufbahn widmen wolle, ein Entschluß, der in der damaligen von Kriegslärm und Schlachtengetöse erfüllten Welt seine volle Berechtigung fand. So ward Sigismund Geldern Soldat und diente von der Pike auf, anfangs in dem Regiment, das sein Pflegevater befehligte. Später, als dieser plötzlich starb, ward er zu einem andern Regiment versetzt, zeichnete sich durch Entschlossenheit und Muth aus, und avancirte schnell bis zum Lieutenant. Als solcher machte er unter den Fahnen des gallischen Eroberers den Feldzug nach Rußland mit. In der Schlacht an der Moskwa schwer verwundet, zog Sigismund Geldern zu seinem Glück nicht mit ein in die verödete, dem Verderben geweihte Hauptstadt des haßerfüllten Feindes. Derselbe Diener, der ihm im Hause seiner Pflegeältern die ersten Winke über seine Geburt gegeben hatte, war als Bedienter und Reitknecht nach seines eigenen Herrn Tode bei ihm geblieben und rettete ihn vor russischer Gefangenschaft, indem er den Verwundeten noch während der Schlacht aus dem Getümmel trug und später dafür sorgte, daß er weiter nach der Grenze transportirt wurde.

Kaum genesen, schloß sich Sigismund mit seinem treuen Diener den Trümmern der großen Armee an, traf unterwegs mit dem Herrn von Hammerburg zusammen, kämpfte noch in einigen Schlachten mit und stieg zum Rittmeister auf. Nach dem leipziger Entscheidungstage bot ihm der Herr von Hammerburg auf seinem Schlosse ein Asyl an. Der junge Ulanenrittmeister schlug dies Anerbieten nicht aus. Von seinem Diener und Pfleger begleitet, erreichte er glücklich die Grenzen Belgiens, lebte zurückgezogen auf Hammerburg und ließ sich auf den Wunsch seines uneigennützigen Gastfreundes später malen. Bald darauf starb er infolge einer starken Erkältung, die eine gefährliche Schußwunde am Fuße wieder aufbrechen machte. Sein polnischer Diener kehrte, nachdem er zuvor mit eigener Hand das Bild des von ihm hoch geschätzten jungen Herrn im Ahnensaale der Hammerburg aufgehängt hatte, nach Polen zurück.

Die neueste Erhebung der polnischen Nation führte den alt gewordenen, aber noch immer kräftigen Mann noch einmal in die Reihen der Vaterlandsvertheidiger. Er übernahm bereitwillig als alter, gedienter Soldat und begeisterter Patriot die Führung einer Abtheilung Sensenträger, die bei Ostrolenka großentheils aufgerieben wurden. Früher schon hatte der alte Pole Aufschlüsse über Sigismund Geldern’s Abstammung erhalten, und zwar durch den Bruder jenes Wertschinsky, durch dessen gewissenlose Handlungsweise Berenice in so namenloses Elend gerathen und ihre Mutter dem Tode preisgegeben worden war. Die Erbschaft des von Sandomir Geldern im Zweikampfe getödteten Oberst Stanislaus Wertschinsky brachte den Ueberlebenden in den Besitz aller auf Berenice und deren Nachkommen bezüglichen Papiere, und da der jüngere Wertschinsky ein Ehrenmann war, der nach Kräften früheres Unrecht gut zu machen, geschehene Uebelthaten zu sühnen sich bemühte, so ließ er sich es angelegen sein, einen Theil der Ludomirsky’schen Besitzungen durch Kauf und Tausch an sich zu bringen und unermüdliche Nachforschungen nach der Familie Geldern anzustellen. Der Gefährte Sigismund’s konnte leider keine weitreichende Auskunft geben, bezeichnete aber die Hammerburg als den Ort, wo sich vielleicht für weitere Forschungen Anhaltepunkte finden könnten. Die politischen Stürme und die Kriegsunruhen verzögerten des sehr bejahrten und hinfällig gewordenen Wertschinsky Benutzung dieses Fingerzeiges, und ohne die directen Fragen des Fürsten Bulabicki, die auch an des Greises Ohren drangen, würde die ganze Angelegenheit wahrscheinlich alsbald wieder in Vergessenheit gerathen sein. Der Fürst aber scheute keine Mühe, um in einer Frage, die ihn seit Wochen ununterbrochen beschäftigte, nichts unversucht zu lassen. Er suchte den halbtauben Wertschinsky auf und erhielt von diesem die Bestätigung des theils Bekannten, theils nur Vermutheten. Der verwundete Sensenträger verbreitete durch seine Mittheilungen noch mehr Licht, und was endlich Oberst Malachowsky in seinem an den Grafen von Serbillon gerichteten Schreiben mittheilte, half vollends die dünnen Nebel zerstreuen, welche noch einzelne Partien des verworrenen Lebensgemäldes der Familie Ludomirskygeldern umhüllten.

Mit diesem Referat des Stiftssyndikus schloß die Conferenz in der Trinkhalle des Schlosses Kaltenstein.

Abbé Kasimir stattete dem beredten Juristen seinen Dank ab für den uneigennützigen Eifer, den er in dieser so traurigen, verwickelten und so viele Interessen verletzenden Angelegenheit bewiesen habe, und verlangte, nachdem alles Thatsächliche übersichtlich jedem vorliege, seine weitern Vor- und Rathschläge zu vernehmen.

»Für die hohe Meinung, welche Sie, Herr Abbé, von der Vortrefflichkeit meines Charakters haben,« erwiderte der Stiftssyndikus, eine hervorquellende Thräne eben noch im Entstehen zerdrückend, »möchte ich mich gern erkenntlich zeigen. Leider verdiene ich sie nur nicht, denn meine Uneigennützigkeit wird so inbrünstig von schadenfrohen Empfindungen umarmt, daß sie eigentlich in Nichts verfliegt. Ich habe ja den Herren durch die That bewiesen, daß wir bösen Rechtsverdreher nur dazu da sind, alte Schäden recht sichtbar zu machen, sie eine Zeit lang zu ätzen, mit Höllenstein zu beizen, damit sie recht empfindlich schmerzen, und schließlich ein Versöhnungspflaster als officielles Siegel, daß sich niemand mehr daran zu vergreifen habe, daraufzudrücken. Bitte deshalb, verehrter Herr Abbé, stellen Sie das Licht, das meinem Lobe leuchten soll, unter den Scheffel, und lassen Sie uns angelegen sein, denen zu helfen, die von jetzt an etwa noch unsere Hülfe bedürfen möchten.«

»Als solche bezeichne ich vor allen den Bruder der Baronin und dessen Tochter,« sprach der Abbé, während Joseph am Ort plötzlich aufstand und nach dem Fenster ging.

»Sind Sie gewillt, sich jetzt diesen Ihren nahen Verwandten vorzustellen und zu entdecken?« versetzte der Stiftssyndikus, indem er sich ebenfalls eiligst umkehrte und einem Geräusch lauschte, dessen Entstehung ihm unklar war.

»Adolar mag entscheiden,« sagte der Abbé. »Wenn Sie mir beipflichten, will ich ihn rufen.«

»War das kein Aufschrei?« unterbrach Joseph am Ort den Sprechenden. »Mich dünkte vorhin schon, ich hörte einen Wortwechsel.«

»Man sprach im Schloßhofe,« erwiderte der Abbé. »Es wird unser Vetter gewesen sein, der auf den Schluß unserer Conferenz harrend, an welcher er aus Pietätsrücksichten theilzunehmen sich weigerte, seinen Untergebenen Befehle ertheilt.«

In diesem Augenblick wiederholte sich das Rufen näher und in ängstlicherm Tone. Gleichzeitig hörte man Schritte eilig Gehender.

»Die Baronin ruft!« sagte der Stiftssyndikus aufstehend. »Lassen Sie uns die Sitzung schließen. Um jetzt die so lange dauernden Wirren zu einem befriedigenden Abschlusse zu bringen, bedarf es nur noch ruhigen, ernsten Wollens und einigen Handelns!«

»Das ist nicht die Stimme der Baronin,« fiel der Abbé ein. »Ich habe diese unglückliche Frau zu oft sprechen, jammern und laut klagen hören, um ihre Stimme von jeder andern leicht unterscheiden zu können.«

Ein starker Knall machte die Fenster schüttern, worauf sich abermals schreiende Stimmen, diesmal aber noch viel ängstlicher, hören ließen.

Die Thür zur Trinkhalle ward von außen heftig aufgerissen. Adolar’s verstörte, angsterfüllte Züge beunruhigten die Versammlung.

»Was ist geschehen, Cousin?« rief ihm der Abbé zu.

»Ich weiß es nicht,« versetzte Adolar, »jedenfalls verheißen uns diese Rufe kein freudiges Ereigniß. Bitte, folgen Sie mir! Es ist die Tochter Geldern’s, die in so herzzerreißender Weise um Hülfe ruft!«


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