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ZWEITER KAPITEL.

SCHWERE SCHICKSALSSCHLÄGE.

Förster Frei war spät in der Nacht oder, wenn man will, früh am Morgen äußerst erschöpft nach Hause gekommen. Kathrine hatte wie immer ihren Brudererwartet und sich vorgenommen, ihn mit Scheltworten zu überhäufen, weil sie es unvernünftig fand, ohne irgendwelchen Nutzen bei so schauerlichem Wetter im Freien oder an Orten zuzubringen, die andere ehrliche Leute am liebsten zu vermeiden suchen. Sie führte indeß ihren Vorsatz nicht aus. Der Schreck über das verwildertes und ganz verstörte Aussehen ihres Bruders lähmte ihre beredte Zunge. Sie begnügte sich daher mit unverständlichem Brummen, das der Förster nicht beachtete. Nur konnte sie doch nicht umhin, den beklagenswerthen Mann mit den auch diesem verständlichen Worten zu verlassen:

»Das nimmt ein schlimmes Ende!«

Andreas fand die ganze Nacht keine Ruhe. Kathrine hörte ihn lange in seinem Zimmer auf- und abgehen, bisweilen mit sich selbst sprechen oder laut auflachen und mehrmals schwer und bang seufzen. Einmal schien es ihr sogar, als riefe er den Namen Cornelie! Das verdroß die herrschsüchtige Schwester. Was hatte der Bruder mit der längst Begrabenen zu schaffen? Sie haßte die Verstorbene noch im Tode und jede Erinnerung an dieselbe erregte ihre Galle. Sofort zog sie die Decke über sich, hielt sich die Ohren zu, um ja keinen Laut mehr zu vernehmen, und hatte auch wirklich das Glück, in dieser geschützten Lage einzuschlafen.

Das rauhe Regenwetter hielt am Morgen noch an; nur der Wind hatte sich etwas gelegt. Es kam selten vor, daß Förster Frei nicht einen Gang in den Forst machte, auch wenn Geschäfte ihn nicht gerade dahin riefen. Dennoch fiel es Kathrine nicht auf, daß ihr Bruder heute zu Hause blieb. Er hatte seinem Aussehen nach wenig oder gar nicht geschlafen und einige Ruhe war ihm wohl zu gönnen. Beim Frühstück fragte Kathrine, ob er vielleicht in Mariendorf gewesen sei.

Andreas verneinte.

»Dann mußt du in den nächsten Tagen den Domdechanten besuchen,« fuhr Kathrine fort, »sonst sieht es ja aus, als ob dir alles einerlei wäre.«

»Es ist auch so,« lautete die Antwort des Försters.

»Du thust dir selbst den größten Schaden damit. Ich an deiner Stelle machte es anders.«

»Des Menschen Wille ist sein Himmelreich,« erwiderte Andreas, stand auf und verschloß sich in sein Zimmer, um den Vorwürfen, Zurechtweisungen und Rathschlägen der Schwester ein für allemal zu entgehen. Hier saß er noch, in Gedanken vertieft, die ihn mehr verwirrten als erheiterten, als der Wagen des Stiftssyndikus in den Hofraum fuhr.

»Besuch, Andreas!« rief Kathrine laut vor der verschlossenen Thür, rückte sich in der Eile die Mütze zurecht, ohne dabei einen Spiegel zu Rathe zu ziehen, und hatte das Unglück sie ganz schief zu setzen. Dann fuhr sie in bereit gehaltene Pantoffeln von rothem Saffian und ging dem Besuche entgegen. Ihr pockennarbiges Gesicht verlängerte sich nicht wenig, als sie den Stiftssyndikus in Begleitung noch zweier anderer Herren aussteigen sah.

»Gott steh’ mir bei!« sprach Hier fehlt eine Zeile sehr freundlich, indem er ihr gleich vom Wagen aus zurief:

»Erschrecken Sie nicht, Mademoiselle, daß wir drei Mann hoch kommen, und machen Sie ja keine Umstände! Wir nehmen alle fürlieb mit einfach derber Hausmannskost. Ist Frei zu Hause?«

Kathrine begrüßte die Herren mit ihren üblichen drei tiefen und äußerst ceremoniösen Knixen. Das Erscheinen ihres Bruders überhob sie einer Antwort, was ihr sehr angenehm war. Unter vielen Entschuldigungen zog sie sich dann wieder ins Haus und in das ihr besonders am Herzen liegende Küchendepartement zurück, wo es sofort sehr laut zuging.

»Das ist ja ein ganz unerwarteter Besuch, Herr Stiftssyndikus,« sagte Andreas, seinem Verwandten die Hand reichend und dessen Begleiter, die ihm nur oberflächlich bekannt waren, mit erzwungener Freundlichkeit willkommen heißend. »Wie komme ich zu dieser Ehre?«

»Zufall, Cousin, Zufall!« versetzte der Stiftssyndikus. »Aber was muß ich sehen! Die letzten Wochen haben Ihnen arg mitgespielt! Cousin! Cousin! Diese grauen Haare da an den Schläfen kommen für einen rüstigen Jägersmann viel zu zeitig! Sie müssen sich zusammennehmen und wieder frohen Muthes in die Welt blicken! ... Die Sorge ums liebe Töchterchen sind Sie ja los. Hat das Kind neuerdings nichts von sich hören lassen?«

Andreas versicherte dem Stiftssyndikus, daß er spätestens in einigen Tagen den Domdechanten zusprechen gedenke, in letzter Zeit hätten unerquickliche Geschäfte mancherlei Art ihn von einem Besuche in der Dechanei abgehalten.

»Versprechen Sie nichts, Cousin!« fiel Liebner ein. »Man kann nie wissen, was zwischen Morgen und Abend geschieht. Wissen Sie das Neueste?«

»Ich bin noch nicht aus meinen vier Pfählen gekommen,« sagte Förster Frei.

»Es hat sich ’was zugetragen in vergangener Nacht ... oben im Forste!«

Andreas blickte den Stiftssyndikus fest an, indem er die Worte wiederholte:

»’Was zugetragen ... im Forste? Wie soll ich das verstehen?«

»Ein Wilderer ist erschossen worden,« fuhr Liebner fort, »ein Kerl, der eigentlich keinen Schuß Pulver werth war, jetzt aber nach seinem Tode uns, fürcht’ ich, noch viel zu schaffen machen wird. Sie kennen ihn, Cousin.«

»Ich? Ich kenne nur einen Wilderer.«

»Den Kreuz-Matthes, ich weiß, und eben das ist jetzt unser Mann, dessen Schweigen uns zwingt, statt seiner zu reden, zu forschen, zu lauschen! Wann sahen Sie den Mann zuletzt, Förster Frei?«

»Sie wissen es selbst, Herr Cousin,« versetzte Andreas. »Wir sprachen darüber kurz vor Beerdigung meiner guten Cornelie.«

Die Stimme des Försters klang bewegt, und dem Stiftssyndikus that es in seiner Gutmüthigkeit fast leid, diese schmerzende Wunde seines Verwandten so unversehens wieder aufgerissen zu haben.

»Kommen Sie, Cousin,« fuhr er fort, Andreas’ Arm fassend, »wir wollen, während Ihre haushälterische Schwester Vorbereitungen zu einem späten Mittagsessen trifft, unser Herz erleichtern. Sie können mir vielleicht einen Wink geben, der mir den Vorfall im Walde verständlich macht. Der Kreuz-Matthes war ein gefährlicher Mensch, und im Grunde genommen haben wir uns alle Glück zu wünschen, daß er der Welt entrückt worden ist. Er war rechthaberisch, nicht wahr? Und wer sich nicht mit ihm vertrug, dem gedachte er’s früher oder später, wie?«

»Sein Gewissen hat ihm schwerlich viel zu schaffen gemacht,« versetzte der Förster ausweichend, indem er dem Stiftssyndikus die Thür zu seinem Zimmer öffnete. Liebner trat ein und ging nach dem Fenster, wo Andreas Frei gewöhnlich an einem schmalen Tische zu arbeiten pflegte. Dieser Tisch war jetzt mit Rechnungen bedeckt über Holzverkäufe aus den zu Schloß Kaltenstein gehörigen Waldungen. Der Stiftssyndikus warf einen Blick darauf, indem er sich seiner Kurzsichtigkeit wegen tief niederbückte. Dabei ließ er wie zufällig den Kugelbeutel auf die Erde fallen.

»Wie kommen Sie zu meinem Kugelbeutel, Herr Cousin?« sprach Frei, sein Eigenthum schnell an sich nehmend. »Als ich heute Nacht nach Hause kam, vermißte ich ihn und konnte mich doch nicht erinnern, wo ich ihn gelassen haben mochte!«

Liebner sah den Förster sehr ernst an, dann erhob er drohend den Finger und sagte:

»Frei, Frei, was haben Sie für Streiche gemacht!«

Der Förster erschrak sichtlich, aber er faßte sich rasch wieder, ein Lächeln erzwingend:

»Haben Sie denn allerwärts Ihre Spione! Darauf war ich freilich nicht gefaßt und darum glaubte ich wenigstens in der vergangenen Nacht von niemand belauscht zu werden. Jedenfalls hoffe ich, Sie geben sich einer solchen Lappalie wegen nicht zum Denuncianten her.«

»Ein Todtschlag, Frei, ein Mord!« stieß der Stiftssyndikus unheimlich heraus.

»Was ist das?« schrie der Förster. »Halten Sie mich für einen Mörder?«

Der Stiftssyndikus zeigte auf den Kugelbeutel und zog gleichzeitig die Heherfeder aus der Tasche.

»Den Beutel da fand ich in unmittelbarer Nähe der Leiche, und ein paar Schritte davon an zerbrochenem Tannenreis hing diese Feder, die dort auf Ihrem Hute fehlt! ... Cousin! Die Knie schlotterten mir und eiskalt lief es mir über den Rücken, als ich diese schreckliche Entdeckung machte!« ...

Der Förster war auf einen Stuhl gesunken, von der gegen ihn geschleuderten Anklage des Stiftssyndikus fast der Besinnung beraubt. Es vergingen einige Minuten, ehe er die Sprache wiederfand.

»Beim ewigen Gott, ich bin unschuldig!« rief er dann. »Bei all dem Unglück, das mich drückt und schon so tief zu Boden gebeugt hat, ich weiß nicht, wer dem Kreuz-Matthes das Lebenslicht ausgeblasen haben mag!«

»Cousin,« erwiderte der Stiftssyndikus, »hören Sie mich an und seien Sie überzeugt, daß ein wohlmeinender Freund mit Ihnen spricht! Ich habe so manchem schlechten Kerl eine warme Stube und freie Kost in einem sichern Hause verschafft statt des hanfenen Halsbandes, das ihn von Rechts wegen eigentlich hätte zieren sollen. Dieser meiner dummen Gutmüthigkeit wegen nennen mich sogenannte ehrliche und streng gewissenhafte Leute einen Rechtsverdreher! ... Gut! sie sollen’s thun!

Ich lasse gern jedem seine Meinung und will niemand schelten, wenn er auch über mich und mein Thun unbarmherzig den Stab bricht. Ich habe auch meine Religion, wenn sie auch von der landläufigen, zu der sich der große Haufe bekennt, ein wenig abweicht. Ich war immer der Ansicht, es sei besser, auch einem Schufte das Leben zu erhalten, damit er Zeit gewinne, in sich zu gehen, als ihn sozusagen mit Haut und Haar, appetitlich zugerichtet, dem Teufel in die Küche zu schicken. Wenn ich nun das schon manchem Schelme gethan habe, meinen Sie, Cousin, ich würde mit Ihnen, der Sie unter allen Umständen doch nur unglücklich zu nennen sind, unbarmherziger umspringen? ... Die Büchse ist Ihnen unvermuthet losgegangen, nicht wahr, Cousin? Und wie Sie das Unglück sahen, das daraus entstanden war, suchten Sie Ihr Heil in eiliger Flucht?«

»Gott weiß es, ich bin unschuldig!« rief der Förster abermals. »Ich hörte einen Schuß fallen in voriger Nacht ... ich sah den Blitz des Pulvers, aber ich weiß weder wer jenen Schuß abfeuerte noch wem er gegolten hat!«

»Wo hörten Sie den Schuß?«

»Unfern der Grenze, am Kreuzwege. Das Pulver blitzte im Tannicht, deshalb sprang ich darauf zu, und dort werd’ ich Heherfeder und Kugelbeutel verloren haben!«

»Lügen Sie nicht, Förster Frei!« erwiderte der Stiftssyndikus. »Sie reden sich um Kopf und Kragen, wenn Sie Ihre persönliche Gegenwart in der Nähe des Orts zugeben, wo man den Kreuz-Matthes aufhob! ... Viel besser ist’s, Cousin, Sie steuern auf meinem Fahrwasser ... Ein Unglück kann jedem begegnen, zumal in windiger Regennacht und in einem Walde, wo es ohnehin nicht geheuer ist.«

»Nicht geheuer!« wiederholte der Förster. »Sie haben recht, es war nicht geheuer vergangene Nacht im Walde ... weder am Kreuzwege noch anderwärts ... Ich sah Schatten, daß es mir grauste, und bei Gott, hätte ich die Büchse von der Schulter gerissen und auf einen oder den andern dieser durch die Büsche huschenden Schatten gehalten, es hätte mir niemand verargen können! ... Es war eine Unglücksnacht!«

»Besinnen Sie sich, Cousin!« bat der Stiftssyndikus. »Wir sind allein; was Sie mir eröffnen, bleibt unter uns.«

»Verlangen Sie, daß ich mich selbst zum Mörder machen soll?«

»Den Kreuz-Matthes streckte eine Kugel aus Ihrem Büchsenrohre zu Boden!«

»Nein und nochmals nein!« rief Andreas. »Und wenn Sie mir den Kopf vor die Füße legen lassen, ich sage nein bis zum letzten Athemzuge!«

»Es war eine von Ihren Freikugeln, Cousin! Der Stiftsarzt hat sie gefunden vorn in der Brust ... Soll er sie Ihnen zeigen?«

»Von meinen Freikugeln? ... Seit einem Monat führe ich keine mehr!«

»Wo sind sie alle geblieben? ... Ich weiß, daß Sie trotz meiner Warnung noch zweimal in der Höhle unter dem Schalksteine hockten, um diese Teufelsgeschosse zu gießen!«

»Um nicht als Lügner vor Ihnen zu stehen, gebe ich letzteres zu, Gebrauch aber habe ich niemals davon gemacht, und um nicht doch einmal in einem verhängnißvollen Augenblicke dazu verlockt zu werden, verschenkte ich sie allesammt.«

Liebner suchte im Auge des Försters zu lesen, Andreas aber hielt den Blick des Stiftssyndikus nicht aus.

»Wem schenkten Sie diese unseligen Kugeln, Cousin?« fragte er mistrauisch.

»Dem hochwürdigen Herrn Domdechanten.«

Der Stiftssyndikus schüttelte ungläubig den Kopf.

»Wissen Sie, Cousin, daß diese Angaben sehr unwahrscheinlich klingen? Sie geben zu, daß Sie am Kreuzwege den Blitz des Pulvers sahen, den Knall eines abgefeuerten Schusses hörten! ... Sie sprechen von Schatten, die Sie gewährten, die Sie erschreckten! ... Sie bekennen sich selbst zu Kugelbeutel und Heherfeder, und dennoch wollen Sie behaupten, Sie wüßten nichts von dem Tode des Kreuz-Matthes?«

»Ich weiß auch nichts davon und werde stets bei dieser Behauptung bleiben!«

»Cousin, ich verspreche Ihnen, daß Sie ganz straflos ausgehen sollen, wenn Sie mir ein Geständniß unter vier Augen ablegen! ... Der Kreuz-Matthes begegnete Ihnen im Walde ... Sie setzten ihn zur Rede seiner Schwatzhaftigkeit wegen ... Der verwegene Mensch drohte und vergriff sich sogar an Ihnen ... Es kam zum Kampfe ... Da entlud sich im Handgemenge Ihre Büchse ... «

»Nein! Nein! Nein!« rief Frei in der heftigsten Aufregung.

»Oder Sie betrafen den resoluten Dieb und Wegelagerer auf dem Anstande um zu wildern ... Er widersetzte sich und Sie gebrauchten Ihr Jägerrecht! ... «

»Hören Sie auf ... es ist nicht so! Der Kreuz-Matthes ist nicht durch mich gefallen!«

Wehmüthig ruhte das Auge des Stiftssyndikus auf dem Förster.

»Cousin,« sprach er nach kurzer Pause, »Sie zwingen mich, gegen Sie zu verfahren, wie ich nicht möchte! ... Wollen Sie die Kugel sehen?«

»Ich verlange es jetzt,« sprach Andreas Frei. »Wenn sie nicht in den Lauf meiner Büchse paßt, hat sie mir nie gehört!«

Liebner rief den Arzt und ließ sich von diesem die in der Leiche vorgefundene Kugel reichen. Er gab sie dem Förster, der sie sehr genau betrachtete, dann seine Büchse aus dem Gewehrschranke nahm und sie an die Oeffnung des Rohrs hielt.

»Ich habe sie mit eigener Hand gegossen,« sagte er mit Resignation, dem Stiftssyndikus das verhängnißvolle, so laut gegen ihn zeugende Blei wieder zurückgebend. »Verfahren Sie mit mir, wie Sie müssen!«

»Beharren Sie noch auf Ihrem Leugnen, Cousin?« antwortete Liebner. »Sehen Sie nicht ein, daß meine Rathschläge gut sind? Daß sie Ihnen Leben und Ehre retten? ... Denken Sie an Hildegarde!«

»Das arme, unglückliche Kind!« rief seufzend Andreas.

»Sie drücken ein Brandmal auf die Stirn Ihrer einzigen Tochter und selbst mir, Ihrem so nahen Verwandten, heften Sie eine levis macula an!«

»Jeder Mensch muß sein Schicksal erfüllen,« versetzte der Förster. »Lügen kann und will ich nicht, und wäre damit Gott weiß welcher Vortheil zu gewinnen. Es mag also zur Untersuchung kommen, wenn mir dies Schicksal einmal bestimmt ist. Gott weiß, daß ich unschuldig bin, wenn auch Steine und Bäume gegen mich zeugen sollten!«

Der Stiftssyndikus gerieth durch diese hartnäckige Weigerung des Försters, den er trotz der Versicherung seiner Unschuld dennoch für den Todtschläger des Wilderers und Diebes halten mußte, in die peinvollste Verlegenheit. Jetzt schon, während er noch mit seinem Vetter das unselige Ereigniß besprach, konnte die Kunde von der Ermordung des verrufenen Menschen bereits in der ganzen Umgegend bekannt sein. Es war außerdem nicht anzunehmen, daß der erste Entdecker der Leiche, der Klosterbauer Büttner, gegen jedermann reinen Mund halten werde, und es blieb ihm daher, weigerte sich Andreas Frei hartnäckig ein offenes Bekenntniß abzulegen, nichts übrig, als den Unglücklichen, der dunkeln That Verdächtigen vorläufig zu verhaften.

Im Begriff diese Eröffnung dem Förster so mild wie möglich zu machen, nahm der Stiftssyndikus die für die weitere Untersuchung so wichtigen drei Gegenstände wieder an sich und sagte zwar sanft, aber doch in entschiedenem Tone:

»Sie werden das Forsthaus heute nicht mehr ohne mich verlassen, Cousin! Wie aber fangen wir es an, um Ihre Schwester –«

Hier unterbrach Liebner seine eigene Rede, denn eben ließ sich die Stimme Kathrinens in einer Weise hören, die wenig Gutes verhieß. Sie klang herausfordernd, hart, höhnisch, und ward durch scharfes, heiseres Lachen noch unheimlicher.

»Schöne Geschichten, das muß ich sagen!« rief die Schwester des Försters. »Erst zieren wir uns, als könnten wir nicht bis drei zählen, dann machen wir Mätzchen und kokettiren mit unserm Lärvchen, und endlich ... «

Die letzten Worte erstarben unter abermaligem schallenden Gelächter, das schnell näher kam.

Andreas, von diesem auffallenden Gebaren seiner Schwester beunruhigt, öffnete die Thür und fragte hastig, was es gäbe.

Kathrine trat misachtend, zornig und doch auch wieder mit einem Anfluge von verzweifeltem Humor, wie ein aus Requisition begriffener Dragoner, in das Zimmer ihres Bruders. In der Hand hielt sie einen Brief des Domdechanten.

»Die herrliche Saat der Frau Baronin beginnt die längst erwarteten Früchte zu tragen,« sprach sie mit Genugthuung einen stolzen Blick auf Liebner heftend. »Meine sehr wohlerzogene schöne Nichte hat den erhabenen Entschluß gefaßt, Hosen anzuziehen und unter die emancipirten Frauenzimmer zu gehen, die seit einiger

Zeit in jedem Wochenblättchen zu allen Pforten hinaus gerühmt werden!«

»Was soll das nun wieder heißen?« sagte Andreas indignirt, nach dem Briefe langend.

Kathrine machte nach ihrer Gewohnheit einen sehr tiefen Knicks.

»Das soll heißen, mein lieber Herr Bruder, daß alles genau so kommt, wie ich es vorausgesagt habe,« versetzte sie. »Wäre die Welt überhaupt vernünftig zu machen, so würde ich mit Erlaubniß der Herren dieser Erde vorschlagen, mich in die Reihe der kleinen Propheten mit aufzunehmen. Da dies aber nicht zu erwarten steht, so mache ich noch einmal mein Compliment, auch vor dem gelehrten und weisen Herrn Stiftssyndikus, und sage nur: Gratulire! Gratulire aufs beste, und bin ganz entzückt von der so vornehmen Verwandtschaft!«

Förster Frei hatte inzwischen den Brief Warnkauf’s erbrochen, dessen ungefähren Inhalt Kathrine durch rasche Fragen dem Ueberbringer schon entrissen hatte. Jetzt ließ der betroffene Vater das Papier fallen und deckte seine Hand unter lautem Stöhnen über die Augen.

Der Stiftssyndikus hob den Brief auf. Er enthielt die Anzeige von Hildegardens heimlicher Flucht aus der Dechanei, der einige tröstende Worte nebst der Versicherung beigefügt waren, daß bereits nach allen Seiten Boten ausgesendet worden seien, um die Entflohene aufzusuchen und in ihr sicheres Asyl, wo man nur ihr Bestes wolle, zurückzugeleiten.


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