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SIEBENTES KAPITEL.

ZUSAMMENKUNFT DES BARONS MIT NICANOR.

Joseph am Ort hatte seit der Rückkehr von seiner Geschäftsreise denen, welche täglich mit ihm verkehrten, zu den verschiedensten Glossen Veranlassung gegeben. Bald sah man ihn heiter, wie den lebensfrohesten Jüngling, bald wieder nahm jene abstoßende Melancholie von ihm Besitz, die man schon früher an ihm bemerkt hatte, und die vorzugsweise den in der Spiegelfabrik beschäftigten Leuten zu allerhand wunderlichen, ja unmöglichen Hypothesen den ersten Anstoß gegeben hatte.

Von seinen Begegnungen und Erlebnissen in Hammerburg schwieg er gegen jedermann. Es schien ihm nöthig zu sein, in aller Ruhe den Spuren einer Vergangenheit nachzugehen, die selbst im glücklichsten Falle des Herben und Traurigen mehr als des Frohen und Erhebenden auch für ihn ans Licht des Tags bringen könne.

Der alte Ritter, mit dem Joseph am Ort jetzt ungemein gern eine länger dauernde Unterhaltung angeknüpft hätte, die ihm Gelegenheit gäbe, nochmals die Blicke des blinden Greises den Ereignissen der Vergangenheit zuzuwenden, ließ sich selten sehen. Die Last der Jahre schien den Mann zu drücken, sein Geist zerstreuter denn je zu sein. Joseph am Ort fand den Alten immer beschäftigt, wenigstens gab sich der Ritter das Ansehen großer Thätigkeit, und wenn er von der fixen Idee beherrscht war, ihm allein liege die Aufrechterhaltung der Ordnung im alten Schlosse der Dub ob, war ihm mit Fragen nicht gut beizukommen.

Einigemal war der Inspector nahe daran, nach Kaltenstein aufzubrechen, um ein Gespräch in wichtigen Angelegenheiten mit dem Besitzer der umfangreichen Herrschaft nachzusuchen. Immer aber hielt ihn die Furcht vor der Baronin zurück, die ihm Hildegarde entführt und, wie er sich einredete, ihm die Neigung des ihm doch zu so großem Dank verpflichteten Mädchens künstlich berechnend geraubt hatte. Wie er auch über seine Lage nachdachte, wie viele Plane er ersann, die ihm helfen sollten, das Dunkel der Vergangenheit zu lichten, er verwarf sie in Stunden kleinmüthigen Zweifels und scheuen Zagens doch alle wieder.

So verging Woche nach Woche, der Mond füllte sich zweimal, und weder von Hammerburg kam ihm Nachricht zu, noch hörte er, wie man auf Schloß Kaltenstein lebte.

Unter diesen wenig versprechenden Umständen verzichtete Joseph am Ort schon auf jede neue und, wie er sich schmeichelte, bessere Wendung in seinem Leben, als der Besuch des Barons von Kaltenstein ihn überraschte.

Der in den letzten Monaten stärker gewordene Landedelmann, dessen ganzes Aussehen nur zu deutlich verrieth, daß er das Leben eines müßigen Schlemmers führe, trat ihm fast herausfordernd mit einer Frage entgegen, welche Joseph am Ort zu beantworten sich außer Stande sah. Der Baron verlangte den Aufenthalt eines Mannes zu wissen, der den Namen im Winkel führen sollte. Er müsse den Mann nothwendig sprechen, fügte er hinzu, und es sei ihm bestimmt angezeigt worden, daß er in der Spiegelfabrik den Aufenthaltsort desselben erfahren könne.

Joseph am Ort erlaubte sich Einwendungen zu machen. Diese unterbrach der Baron mit der Bemerkung, daß, wenn die Spiegelfabrik die Quelle nicht sei, aus der man Weisheit schöpfe, jedenfalls doch irgendwo im Orte jemand von dem Erwähnten Kunde haben müsse. Es seien ihm zu bestimmte Angaben zugegangen, als daß sich darüber streiten lasse.

Bei nochmaliger Nennung des Namens im Winkel tauchte in Joseph am Ort eine dunkle Erinnerung auf, und augenblicklich brachte er die Frage des Barons in Verbindung mit der in Vergessenheit gekommenen Untersuchung gegen den Förster Frei. Der Name dieses Mannes erweckte in dem Inspector ebensoviel frohe als traurige Gedanken. Er sah die gerettete, als Weltpriester gekleidete Hildegarde wieder in seinen schützenden Armen ruhen, er hörte ihre unterentzückendem Erröthen gelispelten Dankesworte im alten Schlosse; er vergegenwärtigte sich unter bangem Herzklopfen ihr entsetztes Fliehen aus Hammerburg, und so gewann die Frage des Herrn von Kaltenstein auch für ihn Bedeutung. Doctor Armhalter – dessen erinnerte sich der Inspector sehr genau – hatte um Weihnachten von einem im Winkel gesprochen und bei dieser Gelegenheit auch einige Worte fallen lassen, welche vermuthen ließen, daß der Genannte dem Schicksal des Försters durch ein Wort, eine Aussage eine günstige Wendung geben könne.

Diese Rückerinnerung veranlaßte Joseph am Ort, den sehr dringend werdenden Baron an Doctor Armhalter zuweisen. Am liebsten hätte er den Edelmann dem befreundeten Arzte in Person zugeführt, dies jedoch gestatteten seine Geschäfte nicht. Dagegen nahm er sich vor, sobald wie möglich bei dem Doctor Nachfrage zu halten, um so mehr, als er hoffte, sowohl etwas Näheres über die Absichten des Edelmanns wie über die Verhältnisse des Herrn im Winkel und dessen Stellung zum Förster Frei zu erfahren.

Indeß verging die Nacht, ohne daß Joseph am Ort seinen Vorsatz auszuführen vermochte. Am andern Morgen, wo er sich auf kurze Zeit abmüßigen konnte, war Doctor Armhalter schon ausgeritten. Später nahmen den Inspector Berufsgeschäfte wieder in Anspruch, und so kam zum zweiten male der Abend heran, ohne daß es ihm gelungen war, den Arzt zu sprechen.

Kurz vor Sonnenuntergang verließ Joseph am Ort noch einmal seine Wohnung, um einen letzten Versuch im Hause Armhalter’s zu machen. Auf dem Wege dahin begegnete ihm Watzmann, dem es Vergnügen zu machen schien, seinem Vorgesetzten den für ihn sehr einträglich gewordenen Ausflug in der vergangenen Nacht mitzutheilen.

Joseph am Ort hatte nicht nöthig, den Mann auszuforschen. Er erfuhr, ohne zu fragen, alles was dieser überhaupt mittheilen konnte.

»Sicherlich will der Baron Schätze graben,« fügte Watzmann hinzu. »Er sah ganz so aus, als habe er schon ein geheimes Abkommen mit dem Teufel getroffen. Nur der Leuchtstein – nun der Herr weiß ja wohl was ich meine – fehlt ihm noch, und den wird ihm der alte wilde Jäger im Winkel verschaffen sollen.«

Joseph am Ort ließ sich auf eine Belehrung Watzmann’s, dessen Geschwätz ihm nur halb verständlich war, nicht weiter ein, dagegen stieg sein Verlangen, von Doctor Armhalter über Herrn im Winkel und dessen Treiben mehr zu erfahren.

Als Watzmann sich wieder von ihm trennte, schlug der Inspector einen Richtweg ein, der am Abend meistentheils menschenleer war. Er lief unter alten zerborstenen Weidenstämmen am Ufer eines schilfigen Teichs fort und galt für unheimlich. Es hatten sich mehrere vor längerer Zeit schon im Teiche ertränkt, manche auch sich an den Weiden erhängt, und im Volke ging die Sage, gleich nach Sonnenuntergang umwandelten diese unseligen Selbstmörder die Stätte, wo sie frevelhaft Hand an sich gelegt hatten.

Gerade diesen Weg wählte der Inspector, weil er mit sich und seinen Gedanken allein sein wollte. Um später den bewohnten Ort wieder zu erreichen, konnte er in die Thalsohle hinabsteigen, wo er den Aufgang zum Felsenschloß berühren mußte.

Die Sterne flimmerten durch weißliche, zarte Wolkenflocken, als Joseph am Ort die Stiege erblickte, die sich dem Felsrande anschmiegte. In der Tiefe war es still, und da der Mond nicht schien, sehr dunkel. Trotzdem gewahrte der Inspector einen Mann am Geländer lehnen, den er nicht kannte und der mithin in der Gegend fremd sein mußte. Noch war er weit genug, um sich hinter Gebüschen, welche den Fußsteig überschatteten, verbergen zu können, und zu diesem Hülfsmittel zu greifen veranlaßten ihn die festen Tritte eines andern Mannes, in welchem er den Baron von Kaltenstein sogleich erkannte.

In einer Entfernung von kaum acht Schritten blieb der Baron stehen, erhob seinen mit der Reitpeitsche bewehrten Arm, ließ diese klatschend auf den Stiefel fallen und sprach ein einziges, dem Inspector unverständlich bleibendes Wort.

Sogleich regte sich die Gestalt am Geländer. Joseph am Ort glaubte den Namen des Barons nennen zu hören, und schon im nächsten Augenblicke standen der Baron und der Fremde einander gegenüber.

Beide Männer reichten sich nicht, wie Freunde thun, die sich lange entbehren mußten, die Hände, sondern sie gingen gebückten Hauptes nebeneinander im tiefen Schatten der Felswand fort, bis sie in das Buschwerk an dem zum Teiche geleitenden Fußpfade gelangten.

»Da sind wir geborgen,« hörte er den Baron sagen. »Hier diese überhängenden Büsche verbergen uns jedem Auge, und Lauscher gibt es wohl nicht in diesem Neste, wo außer den paar Schloßbewohnern und den in der Spiegelfabrik beschäftigten Leuten die ganze hungerige Sippschaft schon mit den Hühnern ins Bett kriecht.«

Zum Entfliehen zwar es zu spät, den Männern entgegengehen aber wollte Joseph am Ort nicht, es blieb also nichts übrig, als sich hinter den Büschen zu verstecken. Zu letzterm rieth auch die Klugheit, denn es war mehr als wahrscheinlich, daß er ungesucht, falls die beiden Männer sich nicht weit von ihm entfernten, Zeuge des Gesprächs sein werde, das jedenfalls absichtlich hier angeknüpft werden sollte.

In dieser Vermuthung bestärkten den athemlos Lauschenden schon die nächsten Worte des Barons.

»Wir haben uns, scheint es, beide sehr verändert in den letzten zwanzig Jahren,« begann Herr von Kaltenstein, »wenigstens würde es mir schwer geworden sein, Sie wiederzuerkennen. Hätte ich übrigens gewußt, daß Sie noch lebten und noch dazu in so geringer Entfernung von mir, so würde ich nicht unterlassen haben, mich mit Ihnen in Verbindung zu setzen.«

»Sie zählten mich zu den Todten, Baron,« erwiderte dessen Begleiter, »man konnte also nicht verlangen, daß Sie und – und die Frau Baronin, so überreich von irdischen Gütern gesegnet, um einen Begrabenen sich kümmern sollten.«

»Gewiß, gewiß,« fiel der Baron zerstreut ein, »dennoch beklage ich meine leichtsinnige Nachlässigkeit aufrichtig. »

Der Fremde schwieg. Nach einigen Secunden nahm der Baron abermals das Wort.

»Wir nannten uns ehedem Freunde,« sagte er zögernd und in fast schüchternem Tone.

» Tempi passati!« fiel der Begleiter des Baron sein. »Schweigen wir davon, wie von der Vergangenheit überhaupt. Ich habe mit ihr gebrochen, nur gesühnt ist noch nicht jedes Vergehen, das sie erzeugte. Wie aber kam es, daß Sie jetzt meiner gedachten und wie überhaupt konnten Sie in Erfahrung bringen, daß ich Ihnen nahe sei, und mich mit Ihnen und Ihren Verhältnissen beschäftige?«

Der Baron hemmte seine Schritte. Er stand dem unter die Büsche geduckten Inspector so nahe, daß er diesen mit der Spitze seiner Reitpeitsche hätte erreichen können.

»Geldern lebt noch, Sandomir Geldern!« versetzte er

– Joseph am Ort verstand jede Silbe –; »er ist’s, der mir das Leben zur Pein macht, und er weiß, daß die Kugel, welche den Wilddieb tödtete, ihm bestimmt war. Er hat Sie erkannt, Herr Nicanor im Winkel!«

Joseph am Ort hielt den Athem an, um ja auch von der Antwort Nicanor’s keine Silbe zu verlieren.

»Es ist ein Verhängniß,« sprach der ehemalige Verlobte Clotildens, »ein Verhängniß, über das ich nicht weiter nachdenken will. Vielleicht sollten wir uns erst noch einmal sehen und sprechen, ehe alle Geschicke sich erfüllen.«

»Sie wollten Geldern tödten!« fiel der Baron ein.

»Zu wiederholten malen hatte ich versucht, ihn durch andere zu einem Zweikampfe zu nöthigen,« erwiderte Nicanor im Winkel,« immer jedoch wußte er zu entschlüpfen. Sie kennen ihn ja zur Genüge und wissen, daß er von Natur feig ist, obwohl seine Worte das Gegentheil davon vermuthen lassen. Endlich verlor ich ihn ganz aus den Augen und ich gab mich der Hoffnung hin, der Elende, der so viele Leichtgläubige unglücklich gemacht, der die eigene Schwester –«

»Uebergehen Sie diesen dunkeln Punkt in unserer Vergangenheit,« unterbrach ihn der Baron. Nicanor schwieg einige Augenblicke, dann fuhr er fort:

»Ich hoffte also, die strafende Gerechtigkeit werde das Rächeramt übernehmen und eines Tags den gewissenlosen Frevler zur Verantwortung ziehen. Mein Groll wandte sich wieder auf Sie, und ich zog Erkundigungen über Ihre Verhältnisse ein. Den Berichten, die ich erhielt, haben Sie mein schweigsames Verhalten zu verdanken. Ich erfuhr, daß Ihre Ehe mit Clotilde Geldern Ihnen mehr Kummer als Freude mache. Es war mir Genuß zu hören, daß Sie in der Fülle des Reichthums doch ärmer, freud- und ruheloser leben mußten als der Bettler, der sein Brot vor den Thüren Fremder sich zu erbitten gezwungen ist ... Das Weib, das eine Karte Ihnen zugeworfen, liebte Sie nicht; es haßte, es verachtete Sie, und um Sie diesen unergründlichen Haß recht tief fühlen zu lassen, gestattete es nicht einmal, daß Sie Ihren einzigen Sohn als Ihr rechtmäßiges Kind anerkennen durften ... «

»Teuflischer Plan eines rachsüchtigen, gewissenlosen Weibes!« murmelte Baron von Kaltenstein.

»Von der Wahrheit dieser Berichte überzeugt – Sie kamen mir durch Vermittelung meines Vetters, des gewesenen Försters Zacharias zu, der seinen vom Gesetz verbotenen Liebhabereien den Verlust eines Auges und seiner einträglichen Stelle verdankt,« fuhr Nicanor im Winkel fort, »unterließ ich jeden fernern Schritt, die Ruhe und das Glück dieser von den Furien des Spiels eingesegneten Ehe zu stören. Auch was außerhalb Schloß Kaltensteins vorging, blieb mir nicht verborgen, und weil ich selbst unglücklich, zum großen Theil durch andere unglücklich geworden war, bereitete es mir Vergnügen, so oft ich sah, daß auch weniger Leichtgläubige und vielleicht sittlich viel edlere Menschen als ich verwandte Wege mit mir wandelten. Ich hätte die verstorbene Frau des Försters Frei vor der zweideutigen Freundschaft der Baronin warnen können; denn daß die Lehren, das Wissen, die Anleitungen derselben weder Cornelie noch deren Tochter Segen bringen könnten, sagten mir Verstand und Lebenserfahrung. Wozu aber in die Geschicke eingreifen, die der Weltenlenker so ungestört zuläßt? Außerdem hegte ich die Hoffnung, der halb und halb verstoßene Sohn Clotildens werde eines Tags mich rächen, wenn auch in ganz eigenthümlicher, gar nicht vorauszuberechnender Weise. Ließ man Clotilde ruhig gewähren, so mußte sowohl auf Schloß Kaltenstein wie im stillen Forsthause nach und nach alles in die trostloseste Verwirrung gerathen. Hier wurde ein heißblütiger junger Mensch von regellosem Leben, vielleicht von Ausschweifungen und muthwilligen Ueberschreitungen nicht zurückgehalten, dort ward ein begabtes junges Mädchen dergestalt verbildet, daß es, zur Erkenntniß seiner Lage kommend, unmöglich in den beschränkten Verhältnissen des Vaterhauses sich dauernd wohl fühlen konnte. Drängte nun dies alles, wie es kaum anders möglich war, zu einem gewaltsamen Bruche hin, so stürzte zuletzt der ganze haltlose Bau zusammen, und auf die Baronin fiel zumeist die Schuld des Unglücks zurück, das einer solchen Catastrophe gespensterhaft entsteigen mußte. Daß meine Berechnungen auf die Leidenschaften, die in jedem Menschen schlummern, sich gründeten und daß dieser Calcul sich nicht ganz unrichtig erwies, haben die Ereignisse gelehrt, welche einige Zeit nach dem unerwartet erfolgten Tode der Försterin eingetreten sind.«

Hier machte Nicanor eine Pause, wahrscheinlich, um den Eindruck seiner Mittheilungen auf den Baron zu ermessen. Dieser aber entgegnete nichts, sondern forderte nur mit einem raschen »Weiter! Weiter!« zu schleuniger Fortsetzung auf.

»Mein Vetter Zacharias meldete mir den Tod Corneliens,« begann Nicanor im Winkel abermals seine Erzählung, »und fügte dieser Mittheilung die Bemerkung bei, daß nach diesem Trauerfalle bald etwas Entscheidendes geschehen müsse. Förster Frei sei wie verstört und concentrire all sein Denken nur auf den einen Punkt, sich schnell in den Besitz reicher Güter zu setzen, damit er die Wünsche seiner arg verwöhnten Tochter erfüllen könne. Die Baronin widerstrebe dagegen den Absichten des Försters, mache Rechte auf Hildegarde geltend und verlange allen Ernstes, daß man ihr die mutterlose Waise allein zur weitern Erziehung überlasse. Wenn ich jetzt meine Zeit wahrnähme – schloß der Vetter seine damalige Bemerkung – so werde sich die Stunde wohl alsbald ermitteln lassen, wo ich befriedigt, gerächt der Treulosen mich zeigen könne.«

»Dachten Sie gar nicht mehr an Geldern, den eigentlichen Urheber all dieser Wirren?« warf Baron von Kaltenstein ein.

»Gerade der erwähnte Bericht meines Vetters lenkte mein Augenmerk von neuem auf diesen verschmitzten Abenteuerer,« erwiderte Nicanor. »Auf Kaltenstein hielt ja der Geist der Zwietracht Wache vor jeder Thür. Außerdem waren die Karten ohne irgendeines Menschen Zuthun ganz allein durch die Verhältnisse, durch unüberlegtes Handeln, durch unaufgeklärt gebliebene Misverständnisse so günstig gemischt worden, daß aus dieser wirren Saat nur wurmstichige Früchte zur Reife gedeihen konnten. Und wie es fast immer geschieht, daß einer beabsichtigten schlimmen Handlung die Gelegenheit, sie auszuüben, sich gewöhnlich ganz von selbst darbietet, so ging es auch mir. Ein Mann, den ich für Geldern halten mußte, hatte sich mit einem mir nur sehr oberflächlich bekannten Herrn in ein Gespräch eingelassen, wobei er nach seiner leichtfertigen Gewohnheit allerhand Geheimnißvolles durchblicken ließ. Dies war in Baden-Baden geschehen. Ein paar Fragen, die ich ganz beiläufig einschalt, bestätigten meine Vermuthung, und der Wunsch, dem Verderber meines Lebens recht wie ein Geist urplötzlich zu erscheinen, wenn er voll Jubel das Glück umschlungen halte und sich nichts Schlimmes versehe, ergriff mich mit einer solchen Leidenschaftlichkeit, daß ich Widerstand für Sünde hielt. Gott will es! rief es in mir. Er gibt den Verruchten in meine Hand, und diesmal soll er mir nicht wieder entschlüpfen!«

»Wann machten Sie diese Entdeckung?« fragte der Baron.

»Anfang October vorigen Jahres.«

»Gingen Ihre Wünsche in Erfüllung?«

»Das Glück begünstigte mich weniger, als ich gehofft hatte. Zwar entdeckte ich sogleich die Spuren Geldern’s, über dessen Auftreten in bekannten Gesellschaftskreisen ich keinen Augenblick in Zweifel sein konnte, er, selbst in Person aber war durchaus nicht habhaft zu werden. Als besitze er die Gabe, sich unsichtbar zu machen, so schnell und so consequent entzog er sich meinen Blicken! Ich folgte ihm von Ort zu Ort, ich traf fast gleichzeitig an ein und demselben Tage mit ihm in einem und demselben Orte ein, und dennoch sah und hörte ich nichts von ihm. Dies lästige Suchen trieb ich ein paar Wochen, und Sie können sich denken, daß mein ganzes Nervensystem durch die Erfolglosigkeit meines Strebens in krankhafte Ueberreizung versetzt ward. Endlich aber sollte mein heißester Wunsch in Erfüllung gehen. Ich wußte, daß Geldern nur eine halbe Stunde vor mir in H* angekommen sein konnte. Ich eilte, ihm zu begegnen, ihn festzuhalten. Wie frohlockte mein Herz, als ich ihn bald darauf an zahlreich besetzter Tafel wirklich gewahrte! Zu meinem Erstaunen fand ich ihn wenig verändert. Nur älter war er geworden, dabei aber auch dreister, siegesgewisser. Er beherrschte die Unterhaltung, und da er auf jede Frage zu antworten verstand, so fanden ihn alle höchst interessant, ja sogar liebenswürdig. Das allerliebste Lärvchen, das neben dem Plaudernden saß, und dessen keck aufgeworfenes feines Näschen seinen Ursprung nicht verleugnen konnte, sicherten dem immer noch mit Glück durch die Welt Abenteuernden selbst bei schärfer Blickenden manchen Erfolg.«

»Erkannte Sie Geldern ebenfalls?«

»Ich würde mich ihm schwerlich haben verbergen können, hätte ich mich nicht, als ich meiner Sache gewiß war, sogleich wieder zurückgezogen. Ueber mein Wollen war ich längst mit mir einig. Am Spieltische hatte er um mein Seelenheil gefeilscht, am Spieltisch und zwar mitten im Glück wollte ich mich revanchiren.«

»Aber Sandomir erfuhr Ihre Anwesenheit und entwich Ihnen abermals?« fiel der Baron ein.

»Nicht doch,« versetzte Nicanor. »Ich hatte ihn zu gut umgarnt, entweichen konnte er nicht mehr. Aber ich änderte meinen Plan, als ich die Gesellschaft sah, in der und mit der er seiner wildesten Leidenschaft fröhnte.«

Während dieses Zwiegesprächs waren beide Männer auf dem bebuschten Fußsteige hin und wieder gegangen, ohne sich so weit von dem Versteck Joseph’s am Ort zu entfernen, daß dieser nicht größtentheils den Sinn ihrer Worte hatte verstehen können. Bei der letzten Bemerkung Nicanor’s rastete der Baron wieder in unmittelbarer Nähe des Inspectors.

»Sie änderten Ihren Plan?« wiederholte er mit gepreßter Stimme. »Darf ich fragen, aus welchem Grunde, da Sie doch so nahe am Ziele eines fast zwanzigjährigen Strebens angekommen waren?«

»Wollen Sie mir Ihre Hand reichen?« erwiderte Nicanor, seine Rechte dem Baron hinhaltend. Dieser erfaßte sie ohne langes Besinnen, zog sie aber sogleich wieder zurück, als habe er sich verwundet. Joseph am Ort vernahm nur ein dumpfes Murmeln. Er wagte die ihn beschirmenden Zweige behutsam zurückzubeugen, um der beiden Sprechenden ansichtig zu werden. Die Sommernacht war dämmerig genug, um den in banger Erwartung Lauschenden die Gesichtszüge ziemlich deutlich erkennen zu lassen. Er entsetzte sich ebenso sehr über das verwüstete Aussehen des Barons wie über die kalten, höhnisch verzerrten, marmorharten Züge Nicanor’s.

»Die Kugel!« sagte Herr von Kaltenstein. »Sandomir hat also doch nicht gelogen?«

»Sein böser Dämon rollte sie mir entgegen, als ich in den Spielsaal trat,« fuhr Nicanor im Winkel fort. »Das schlaue Auge Geldern’s traf mich und an seinem Zucken sah ich, daß er mich erkannt hatte. Ich hätte ihn niederstoßen müssen in mitten der Gesellschaft, die er seine Ueberlegenheit im Glücksspiel fühlen ließ. Mein guter Engel hielt mich davon zurück. Das runde Blei war mir lieber. Es sollte ja nie sein Ziel verfehlen, wenn es in mitternächtiger Stunde an einem Kreuzwege aus dem Rohr einer guten Büchse sich entlüde! ... Baron, es lebt kein Mensch, der nicht zu gewissen Zeiten von einer fremden Macht, gegen die er sich vergeblich sträubt, beherrscht würde. In jenem verhängnißvollen Augenblicke war mir die Kugel, die mich der Gott der Rache finden ließ, ein ganzes Vermögen werth! Ich entfernte mich unbeobachtet, ich reiste meinem Todfeinde voraus ... Unter dem Crucifix im Grenzwalde harrte ich seines Wagens ... Der Wettersturm, die Aufregung, dies Finsterniß, das Gezänk nahender Männer, unter denen ich die Stimme meines Vetters Zacharias deutlich unterschied, verwirrten mich und müssen mein Auge getäuscht haben ... Als das aufsprühende Pulver blitzartig den Wald erleuchtete, sah ich, daß meine Kugel ein falsches Ziel getroffen hatte. Der Mann, dessen Händen sie im Spielsaal entglitten war, ward von ihr getödtet! ... «

»Sie kannten ihn?« stammelte der Baron.

»Von Zacharias erfuhr ich seinen Namen.«

Baron von Kaltenstein kämpfte mit einer neuen Frage, die er kaum aufzuwerfen wagte und zu der es ihn dennoch drängte.

»Sprachen Sie den Sterbenden?«

Nicanor verneinte.

»Es bedurfte dessen nicht,« versetzte er, »um mich in den Zusammenhang der Begegnung im Grenzwalde vollkommen einzuweihen. Zacharias kannte den Wilderer sehr lange; er hatte ihn gesprochen wenige Tage nach seiner Flucht aus dem Gefängnisse, und, da er Geld im Ueberflusse besaß, ließ er etwas daraufgehen. Beim Glase ward er dann beredt, und ohne zu fragen, erzählte er meinem Vetter, durch wessen Hülfe er so schnell seine Freiheit wieder erhalten und wer ihn so reichlich mit Geld und Freikugeln versehen habe! Ich hätte nie geglaubt, Baron, daß wir beide, die wir solange Gegner waren, uns in diesem einen großen Gedanken so merkwürdig begegnen würden! ... «

Der Baron klemmte seine Reitpeitsche unter den einen Arm und legte den andern um den Nacken Nicanor’s.

»Ein gemeinsamer Drang nach Rache hat uns verbunden,« sprach er, »dieser Bund muß sich von heute an zu einem ewig dauernden verfestigen. Ich biete Ihnen hiermit meine Hand. Von Ihnen wird es abhängen, ob ich mein Ihnen zugefügtes Unrecht, soviel ich vermag, noch vor meinem Ende wieder gutmachen soll.«

Nicanor entgegnete einige rasche Worte, die indeß Joseph am Ort nicht verstand. Der Baron rief zweimal hintereinander ein heftiges Nein! Dann sagte er lachend:

»Ich weiß einen bessern Ausweg, der Ihnen ebenfalls genehm sein wird.«

»Dann lassen Sie hören,« versetzte Nicanor. »Rache und Schuld haben uns so eng verbunden, daß kleine Differenzen uns nicht mehr trennen können.«

Unter leisem Geflüster des Barons verließen die versöhnten Feinde den Fußsteig und wendeten sich wieder dem hochragenden Felsen zu, dessen schwarze Massen sich in dunkler Majestät gegen den sternenhellen Nachthimmel abhoben.


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