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ZEHNTES KAPITEL.

VATER UND TOCHTER.

Förster Frei verlebte eine unruhige Nacht. Es leuchtete ihm ein, daß es nöthig sei, Hildegarde einer Familie zu übergehen, wo dieselbe Nahrung fände für ihren bildungsbedürftigen Geist und Verständniß ihrer Herzensregungen. Das verwöhnte, durch die eigene Mutter so eigenthümlich er- und verzogene Mädchen bedurfte aufrichtiger Liebe ebenso sehr wie fester Leitung, wenn es nicht auf gefahrvolle Abwege gerathen sollte. Der bekümmerte Vater sagte sich selbst, daß ihm alles abgehe, um Hildegardens Erziehung in segensreicher Weise leiten und vollenden zu können. Es war nicht allein der Mangel an Zeit, der ihm die so nöthige Ueberwachung des aufgeweckten, vielleicht auch sehr leidenschaftlichen Kindes erschwerte, mehr noch bot seine unzureichende Bildung einen Stein des Anstoßes dar, den alle Vaterliebe, alle Hingebung an den großen Zweck nicht zu beseitigen vermochte. Dachte er aber an die Möglichkeit, es könne der Baronin von Kaltenstein gelingen, seine Tochter an sich zu ziehen, so schwindelte ihm. Im steten Verkehr mit dieser Frau, deren gute Eigenschaften der Förster keineswegs verkannte, mußte Hildegarde im allerbesten Falle ein verwöhntes, eigensinniges und eitles Weltkind werden, dem äußerlich bestechender Glanz alles, wahre Herzensbildung, welche auf sittlicher Ueberzeugung ruht, Dunst und Schein war.

Der dämmernde Morgen schon fand Andreas am Schreibepulte. Es war keine leichte Aufgabe für ihn, den Brief, den er doch schreiben mußte, an die Baronin abzufassen. Er hatte ihr Unangenehmes zu sagen, wenn er es auch noch so freundlich einkleidete. Und doch hing er ab von der Gunst der vornehmen Dame, die mehr Gewalt über den Baron besaß, als die Welt zu glauben geneigt schien. Wie leicht war es da möglich, daß ein Wort, ein Ausdruck, dessen er sich bediente, misverstanden werden konnte, und daß die einflußreiche Dame, die es ja gut mit ihm meinte, ihn dies entgelten ließ! Aber die Liebe zu Hildegarde gebot ihm zu sprechen, und so erfüllte er denn die Pflicht des Vaters, so gut er es vermochte.

Nach glücklich beendigtem Briefe ging der Förster wieder zu seiner Tochter, um mild, aber bestimmt sie auf die nothwendige Entfernung aus dem Vaterhause wie aus den sie beeinflussenden Kreisen der Baronin von Kaltenstein vorzubereiten.

Er fand Hildegarde vor dem großen Trumeau stehend, den Clotilde ihrer verstorbenen Freundin zum letzten Geburtstage verehrt hatte. Das hellpolirte Spiegelglas, das die ganze Gestalt des jungen Mädchens zurückstrahlte, zeigte Hildegarden den eintretenden Vater. Sie wendete sich um und sagte mit einem reizenden Lächeln, das auch dem Förster wohlthat:

»Trauere ich nicht ganz allerliebst um die gute Mutter?«

Diese Worte, bei denen sich die fast noch unzurechnungsfähige Tochter sicherlich weiter nichts dachte, als daß sie fand, die Trauerkleidung stände ihr gut zu Gesicht, schnitt dem Vater ins Herz. Er antwortete nicht darauf, sondern ergriff die Hand Hildegardens und führte sie nach dem nächsten Sessel, in den er sich niederließ.

»Ich komme, meine Tochter,« sprach er, »um dir anzukündigen, daß du auf einen nähern und vertrautern Umgang mit der Freundin deiner Mutter unbedingt verzichten mußt. Den Grund sage ich dir jetzt noch nicht, weil er dir doch unverständlich bleiben würde. Ich habe an die gnädige Frau geschrieben und bin überzeugt, sie wird mir recht geben. Eine Trennung für immer findet nicht statt. Nach einigen Jahren wirst du ruhiger und einsichtsvoller aus der Pension zurückkehren, in der ich dich durch des Vetters Liebner Vermittelung unterbringen werde. Bis dies geschehen ist, bleibst du unter meiner Obhut. Die Tante soll dich nicht torquiren, dafür werde ich Sorge tragen. Aber du wirst eine kurze Zeit lang einsam zu leben genöthigt sein, denn die Baronin von Kaltenstein wird ebenso wenig hier erscheinen, wie ich es gestatte, daß du die gnädige Frau besuchst. Lebst du diesen meinen Wünschen und Vorschriften als gehorsames Kind nach, so wirst du mich recht glücklich machen und ich werde jeden Morgen ohne Furcht meinen Berufsgeschäften nachgehen. Für dich aber, mein Kind, wird der Segen, den ich auf dein Haupt und dein noch unverdorbenes Herz herabflehe, nicht ausbleiben.«

Der Förster küßte die marmorweiße Stirn Hildegardens und erwartete gefaßt deren Antwort. Hildegarde aber senkte den Blick zu Boden und schwieg.

»Hast du gar keine Antwort für deinen Vater?« fragte nach einer Weile Andreas seine Tochter, die wie gelähmt vor ihm stand.

Nun erst hob Hildegarde langsam ihr Auge und sah den Vater groß an.

»Wohin willst du mich verbannen?« sagte sie, scheinbar ohne Bewegung.

»Der Aufenthalt bei treuen, zuverlässigen, wohlwollenden Menschen ist keine Verbannung; andern aber werde ich dich nie anvertrauen.«

Hildegarde fiel jetzt dem Vater leidenschaftlich um den Hals und stieß laut aufschluchzend die Worte hervor:

»Du machst mich namenlos unglücklich!«

Der Förster war von Natur ein gutherziger Mann, sein Beruf aber und der Umgang mit seinen Standesgenossen war nicht geeignet gewesen, die zartern Saiten des Gemüthslebens in ihm zu entwickeln. Was ihn am tiefsten bewegte, suchte er den Blicken anderer am liebsten zu verbergen. Die rauhe Schale des Waldmanns war sein Alltagskleid, das er ungern ablegte. Nur ungewöhnliche Gemüthserschütterungen ließen es ihn auf kurze Momente lüften.

Bei der heftigen Aufwallung Hildegardens kämpften Mitleid und Unmuth im Herzen des Vaters. Ihn dauerte sein Kind, während er denen grollte, die es durch falsche Behandlung so seltsam werden ließen. Zum Trostspender nicht geboren, handhabte der bedrängte Förster die Rede, welche Balsam in bekümmerte Seelen träufeln soll, schwerfällig und ungeschickt. Er versuchte es freilich, aber sein Trosteswort fand keine Stätte im Herzen der Tochter. Hildegarde ließ den Vater sprechen, ohne auf ihn zu hören. Sie ward nur stumm, nicht ruhig, noch weniger überzeugt. Es war keine Einigung, welche der Zuspruch des Vaters erzielte, er riß eine weit klaffende Kluft auf zwischen Vater und Tochter. Hildegarde sagte immer von neuem: »Der Vater versteht mich nicht, und ich werde unglücklich werden, wie meine Mutter es war, wenn ich mich seinem Willen füge. Es ist die wahre, tiefere Bildung, die dem Vater fehlt. Das läßt sich so spät im Leben nicht mehr nachholen. O, wie bin ich doch zu beklagen, daß ich niemand habe, dem ich mein Leid klagen kann!«

Der Förster konnte nicht wissen, was in der Seele seiner Tochter vorging, denn Hildegarde hatte nicht umsonst die Vorschriften der Baronin sich anzueignen versucht, nach welchen die gesellschaftlich feine Bildung in kluger Verdeckung der Empfindungen bestehen sollte. Sie verstand sich zu beherrschen, sie besaß sogar Kraft genug, um ein Lächeln auf ihre anmuthigen Züge zu zaubern, und dies Lächeln, diese gefaßte Ruhe machten den Vater glauben, er habe mit seinen Auseinandersetzungen den gewünschten Eindruck auf seine Tochter gemacht. Als er mit der wiederholten Versicherung, daß Kathrine sie nicht stören solle, von ihr ging, bequemte sich Hildegarde, dem scheidenden Vater die Hand zu küssen.

Kaum aber hatte der Förster das Haus verlassen, so brach der Unmuth über die Behandlung des Vaters in dem Herzen des eigensinnigen Mädchens in hellen Flammen aus. Sie schloß sich ein, um weder in ihrem Denken noch Thun gestört zu werden. Plane bauend und sie wieder verwerfend, erhitzte sie sich bis zu leidenschaftlicher Wildheit. Sie glich einer schönen Furie, wie sie mit funkelnden Augen, mit halbaufgelöstem Haare ruhelos durch das Zimmer irrte und halblaute Gespräche mit sich selbst führte. Ueber ihr Wünschen war sie sich sehr bald klar, nur wie sie es anzufangen habe, das Ziel ihrer Wünsche zu erreichen, darüber konnte sie zu keinem Entschlusse kommen, und eben dieser Zweifel und das damit verbundene Wühlen in Gedanken erhitzte ihr Blut und machte ihre Pulse fieberhaft klopfen.

Plötzlich aber, als sie ihr eigenes Bild im Spiegel erblickte und vor demselben zurückschrak, weil es in treuem Ausdruck ihr empörtes, zerrissenes Innere darstellte, leuchtete ihr das Rechte ein.

»Verstellung!« rief sie aus, die gefeuchteten Locken von ihren Wangen streichend, »Verstellung! – Ich muß täuschen, um die Lehren meiner unvergeßlichen Mutter und ihrer Freundin befolgen zu können!«

Hildegardens Aufregung verlor sich nach und nach. Sie zog noch oft den Spiegel zu Rathe, in dessen heller Tiefe sie sich selbst manches Lächeln des Wohlgefallens abgewann und sich dadurch in der Ueberzeugung befestigte, daß, wenn sie nur recht ernstlich wolle, es ihr nicht gar schwer fallen könne, ihren Willen auch durchzusetzen.

Müde des selten ganz ruhenden Streits, der ihrer Mutter das Leben gekostet hatte, nahm Hildegarde sich vor, alles zu thun, was man von ihr verlangen werde. Wenn sie nie mehr widersprach, nie mehr eine eigene Meinung, viel weniger noch einen selbständigen Willen hatte, mußte der Streit doch aufhören.

Eins nur machte ihr noch Sorge. Sie wußte kein Mittel, um die Baronin von ihrem Vorhaben in Kenntniß zu sehen! Trog des Vaters Rechnung nicht, so blieb die Baronin von Stund’ an fern. Längere Trennung aber entfremdet, und wer konnte wissen, was alles geschah, um die von ihr so verehrte Frau ganz von ihr abzuwenden! Diesem Aeußersten mußte Hildegarde vorbeugen. Sie benutzte deshalb die ihr verbliebene Muße, um einen langen Brief an ihre mütterliche Freundin zu schreiben. In diesem Briefe theilte sie derselben ihren Entschluß mit, bat sie, gemeinsame Sache mit ihr zu machen, und schloß mit der Versicherung ewiger Dankbarkeit.

Es ward Mittag, ehe sie damit zu Stande kam. Das Gebell der Jagdhunde, die ihr die Heimkehr des Vaters verkündigten, gebot Hildegarde, ein erstes Debut zu geben in der Rolle, die sie sich einstudirt hatte. Sie verbarg das Schreiben, öffnete die Thür und nahm ein Buch, in dem sie aufmerksam zu lesen begann.

So fand sie der Vater. Er ward auf das angenehmste überrascht, als er – in ein freundliches Gesicht blickte. Sein Auge ruhte forschend auf dem der Tochter, die sich indeß gar nicht davon stören ließ.

»Hast du dich jetzt besonnen, mein Kind redete sie der Vater an, »und siehst du ein, daß ich es gut mit dir meine?«

Hildegarde schlang ihre Arme um den Nacken des Försters und versetzte, das Gesicht an seine Brust verbergend, als schäme sie sich ihres frühern Betragens:

»Ich will gut sein, und thun, was du willst!«

Diese nicht erwartete Fügsamkeit beruhigte, ja beglückte den Förster. Zugleich machte sie ihm auch Muth, auf dem einmal betretenen Wege weiter vorzuschreiten. Er unterzog nach Tische die Bibliothek seiner verstorbenen Frau einer strengen Revision und trug eigenhändig alle Werke, deren Titel ihm bedenklich vorkamen, nach seinem Zimmer, wo er sie auf dem Boden des Gewehrschranks unterbrachte. Nur einige Erbauungsbücher, historische Schriften und ein Handbuch der Geographie fanden Gnade vor des Försters Auge.

Hildegarde wehrte dem Vater nicht. Sie enthielt sich sogar jeder Bemerkung über sein Gebaren. Sooft er ihr aber den Rücken kehrte, lächelte sie spöttisch und zuckte mitleidig die Achseln.

»Laß ihn,« dachte die hochmüthige Tochter, »er versteht es ja nicht besser!«

Der Vater aber sagte gelassen zu Hildegarde, als er seine Musterung der Bücher, die er sammt und sonders für gefährlich hielt, beendigt hatte:

»Wenn du als gebildetes Mädchen nach Jahr und Tag aus der Pension zurückkehrst, sollst du deine Schätze, welche zu entbehren dir jetzt wahrscheinlich große Ueberwindung kostet, wohl erhalten wiederfinden. Du bist dann erwachsen und verständig genug, um dir selbst ein Urtheil bilden zu können.«

Hildegarde lächelte dem Vater etwas wehmüthig zu, sagte aber nichts. Nur das Buch, in dem sie bei der Heimkunft des Vaters gelesen und das dieser bei seiner Musterung vergessen hatte, zeigte sie ihm mit stumm fragenden Blicke hin:

»Behalte es,« sagte der Förster, da er sah, daß es Verse enthielt und der Name Uhland, den es trug, ihm keine Besorgnisse einflößte. Er hatte oft den Namen dieses Mannes von dem Baron von Kaltenstein nennen hören, der ihn einen steifnackigen Schwaben nannte und sich über die Ehrbarkeit der Gesinnungen desselben gelegentlich wohl lustig machte. Der Förster setzte deshalb voraus, daß die Gedichte desselben auch von jungen Mädchen gelesen werden dürften.

So schien denn im alten Forsthause, wo seit Jahren kein einziger Tag ohne irgendwelche Reibung vergangen war, zum ersten male der Friede dauernd einkehren zu wollen; denn auch Kathrine hielt zurück mit herausfordernden Bemerkungen. Nur die Antwort der Baronin, die ihm der Jägerbursche unter vier Augen sagte, beunruhigte den Förster noch, weil sie die verschiedensten Deutungen zuließ. Die Baronin wollte ihm persönlich ihre Entschließung kund thun und verlangte, Andreas Frei solle am nächsten Tage nach Kaltenstein kommen. Im übrigen hatte sie nach der Aussage des Burschen keine weitere Aeußerung gethan.

Der Wunsch der Baronin, ihn zu sprechen, war für Andreas ein Befehl, dem er gehorchen mußte. Ohne Hildegarde zu benachrichtigen, fand er sich zu rechter Zeit auf dem Edelhofe ein und erhielt sogleich Zutritt.

Die Baronin war allein. Vor ihr lag das verhängnißvolle Buch, das ihn in so große Unruhe versetzt hatte.

»Guten Morgen Förster Frei,« erwiderte Clotilde auf seinen respectvollen Gruß. »Ich habe Sie eigentlich zu mir beschieden, um Ihnen tüchtig den Text zulesen, doch will ich dies in Anbetracht der Umstände und nachdem ich Ihr Schreiben ein paar mal überlesen habe, unterlassen. Daß Sie dem jungen wiß- und lernbegierigen Kinde das Buch da aus den Zähnen oder vielmehr aus den Augen gerückt haben, kann ich nur billigen. Indeß muß ich mich freisprechen von aller Schuld. Haben Sie gerechte Klage deshalb zu führen, so machen Sie das mit dem Baron aus. Dieser allein, d. h. sein Geschmack vor unserer Verheirathung ist schuld an diesem Misgriffe einer neugierigen Mädchenhand. Er besitzt einen ganzen Schrank voll solcher Sachen, hat er mir gesagt, und er wollte sich todt lachen, als ich ihm die Geschichte erzählte. Mitleid also, mein lieber Förster, Mitleid und Theilnahme werden Sie bei dem Baron schwerlich finden. Aber nun sagen Sie mir, wie Sie des albernen Buchs wegen auf den Einfall kommen konnten, Ihre Hildegarde passe nicht zu uns? Was habe ich mit Heinse, was Heinse mit mir zu thun? Glauben Sie, ich würde ein Mädchen von dem Alter Ihrer Tochter so lockere Bücher lesen lassen? Das können Sie nicht annehmen, ohne mich schwer zu beleidigen, und dies kann ich Ihnen wieder nicht zutrauen! Sie liebten die gute Cornelie, und Cornelie und ich, wir beide haben doch eher wie Engel als wie Menschen miteinander gelebt. Sie werden also auf Ihrem Vorsatze nicht beharren.«

»Gnädige Frau Baronin wollen entschuldigen,« erwiderte der Förster, »wenn ich darauf bemerke, daß meine Tochter noch gar zu jung ist, um schon jetzt in die Gesellschaft zu treten. Bin ich auch überzeugt, daß sie unter Ihrer Beaufsichtigung sich leicht und schnell jenen Grad der Bildung aneignen würde, der zum Fortkommen in der Welt gar sehr behülflich ist, so scheint es mir doch zweckmäßiger, gerade diese Bildung ihr erst dann zu geben, wenn ihre Grundsätze mehr Festigkeit erhalten haben, wenn sie, mit einem Worte, selbständiger und vernünftiger geworden sein wird.«

»Ich wiederhole mein Versprechen, Förster Frei, für Ihre Tochter zu sorgen, als wäre sie mein eigenes Kind!«

»Dafür kann ich der gnädigen Frau nur dankbar sein, allein –«

»Nun?«

»Schloß Kaltenstein ist keine Erziehungsanstalt für junge Mädchen!«

»Hildegarde wird bald sechzehn Jahre, Förster Frei, und sie ist so entwickelt, daß man sie gern für älter halten könnte.«

»Eben deshalb, gnädige Frau.«

»Eben deshalb, Förster Frei, eignet sie sich nicht für eine Erziehungsanstalt,« fiel die Baronin ein. »Ein Mädchen wie Hildegarde gehört dem Leben. Welt und Menschen werden sie besser erziehen als pedantische Schulmeister oder steife, kalte Gouvernanten. Bei mir findet sie liebevolle, mütterliche Behandlung, angenehme Zerstreuung, erheiternde und bildende Unterhaltung für Geist und Herz.«

»Ich würde als ein wortbrüchiger Mann dastehen, gnädige Frau,« versetzte der Förster, »wenn ich mich von Ihrer Güte bewegen ließ, einen gefaßten Beschluß wieder rückgängig zu machen.«

»Weiß Ihre Tochter darum?«

»Sie ist vollkommen unterrichtet und findet, daß ich ihr Bestes will.«

»Nun, lieber Förster Frei, wenn dem so ist, dann will ich nicht hinderlich werden. Versuchen Sie Ihr Heil mit der Pension. Ich bin nicht eigensinnig und stehe deshalb vorläufig – hören Sie, Frei, vorläufig! – zurück. Wenn aber Hildegarde eines Tags zu der Einsicht kommen sollte, daß sich auf Kaltenstein doch wohl besser leben läßt als in einer von der Welt und ihren Freuden abgeschlossenen Erziehungsanstalt, dann wird sie bei mir dieselbe freundliche Aufnahme finden, welche ihr Vater jetzt aus – Grillenhaftigkeit verschmäht. Grüßen Sie das liebe Kind und lassen Sie mich wissen, wann sie das Vaterhaus verlassen wird. Ich möchte ihr ein kleines Andenken mitgeben.«

Förster Frei verbeugte sich dankend. Eine ablehnende Antwort zu geben war ihm unmöglich. Mit völlig beruhigtem Herzen trat er den Rückweg an.


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