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ZWEITES KAPITEL.

DER NEUE GAST.

Dringende Geschäfte ließen weder dem Grafen noch dessen Hausgenossen Zeit, über das ungewöhnliche Ansuchen lange nachzudenken. Kaum hatte Gräfin Diana mit dem Abbé, einer zuverlässigen Kammerfrau und einem alten Bedienten Schloß Hammerburg verlassen, so traf ein Kurier nach dem andern aus Polen ein. Alle überbrachten dem alten Oberst Depeschen, die ungesäumt gelesen und beantwortet werden mußten. Einige dieser Eilboten hatten Befehl, in möglichster Schnelligkeit wieder zurückzukehren. Andere waren nach Paris bestimmt, wo der polnischen Sache mächtige Freunde und warme Fürsprecher lebten. Noch hegten die enthusiastischen Patrioten Polens die bestimmte Erwartung, daß Frankreichs neue Regierung ihre Sache thatkräftig unterstützen werde.

Auch Graf Serbillon gab sich dieser Hoffnung vertrauensvoll, ja mit einer gewissen chevaleresken Leichtfertigkeit hin, wie man sie bei sanguinischen Menschen von auflodernder Lebhaftigkeit nicht selten findet. Von seinem Standpunkte aus zweifelte er keinen Augenblick an einer energischen Theilnahme Frankreichs, und weil den Polen die Sympathien auch der erregten Völker Europas größtentheils zur Seite standen, sah er im Geiste schon die ganze tapfere Nation als Sieger dastehen und Polen als selbständiges starkes Reich wiederhergestellt. Daß die Nachrichten, die mehr einen privatlichen Charakter hatten, und nur an den Oberst und ihn persönlich gerichtet waren, weniger günstig lauteten übersah Graf Achilles. Sein unbegrenztes Vertrauen in die tadellose Tapferkeit des polnischen Volkes ließ den Gedanken, die Revolution könne ein klägliches Ende nehmen, gar nicht in ihm aufkommen. Und dieser Muth, dieses siegesfrohe Hoffen verscheuchte auch die trüben Gedanken, die doch zuweilen den viel ältern und an traurigen Erfahrungen reichen Oberst beschleichen wollten. Zwischen diesen Geschäften rein politischer Natur nahmen den Grafen auch noch die eigenen Angelegenheiten fortwährend stark in Beschlag. Im letzten Herbst erst hatte ein Bauunternehmer, der über große Mittel verfügte, umfangreiche Gebäude aufgeführt, um hier nach der neuesten Methode eine Schleiferei für Glasplatten anzulegen. Dies Unternehmen war gegenwärtig so weit gediehen, daß es demnächst eröffnet werden sollte, und der Industrielle, welcher es ins Leben rief, wünschte aus Nützlichkeitsgründen, daß der Graf sich auch persönlich dafür interessiren möge. Deshalb lud er denselben wiederholt zu einer Besichtigung der fertigen Baulichkeiten ein, welchem Ersuchen der Besitzer von Schloß Hammerburg auch endlich nachkam.

Oberst Malachowsky leistete dem Grafen bei diesem Besuche Gesellschaft, da er Sinn für alle industrielle Unternehmungen besaß und auch einiges davon verstand. Mit vielem Interesse betrachteten beide Herren die ganze Einrichtung des Etablissements und ließen sich die sinnreiche Construction der Maschinen von dem Unternehmer erklären, der sie persönlich herumführte. Darüber vergingen mehrere Stunden, und wahrscheinlich hätte der Graf, der zuletzt mit seinem Pachter in ein lebhaftes Gespräch gerieth, noch länger bei diesem verweilt, wäre nicht ein Bote von Schloß Hammerburg eingetroffen, welcher dessen Besitzer die Nachricht von der Rückkunft der Gräfin überbrachte.

Sogleich verabschiedete sich Graf Achilles mit seinem polnischen Gaste, um nach dem Schlosse zu eilen. Beide, bis vor wenigen Minuten noch lebhaft und gesprächig, waren plötzlich verstummt. Dies längere Zeit anhaltende Schweigen brach der Oberst zuerst, indem er heiter ausrief:

»Sind wir nicht arge Thoren, liebster Graf, daß uns der Gedanke, einem unbekannten jungen Mädchen in die Augen zu blicken, die Sprache raubt? Wir haben doch, mein’ ich, unsere Erfahrungen gemacht, und lassen uns weder von jungen noch klugen Herrn berücken. Also hoff’ ich, es wird uns gelingen, der in so origineller Weise Angemeldeten unter die Augen zu treten, ohne daß sie es vermag, uns an Herz und Seele zu schädigen.«

»Sie haben recht, lieber Oberst,« versetzte der Graf, »was mich still macht, ist auch nur die Erwartung auf die uns bevorstehende Erklärung. Gestehen Sie nur, daß auch Sie nach dieser Richtung hin ein wenig Neugierde plagt.«

Malachowsky gab eine scherzhafte Erwiderung, das Gespräch kam wieder in Fluß, und als beide Herren durch das hohe gothische Thor des Schlosses schritten, geschah es unter heiterm Lachen.

Im Vorzimmer schon trat ihnen Abbé Kasimir entgegen. Er sah heiter und ungemein geheimnißvoll aus.

»Nun, wo haben Sie die verzauberte Prinzessin?« redete der Graf den Geistlichen an. »Man hat Sie doch nicht gefoppt?«

»Keineswegs, Herr Graf,« erwiderte Kasimir. »Die Frau Baronin von Kaltenstein hat ihre Verheißungen buchstäblich gehalten. Aus ihren eigenen Händen empfing die Frau Gräfin das schöne Kind, das uns allen während des Winters eine recht liebe Gesellschafterin sein wird.«

»Wie heißt das Mädchen?« fiel Graf Serbillon ein. »Ist sie von guter Familie?«

»Der Name lautet bürgerlich, doch scheint das Kind gut, ja vornehm erzogen zu sein.«

»Also keine ganz nahe Verwandte der Baronin?«

»Ich glaube nicht.«

»Aber liebenswürdig, jung, von feinen Manieren?«

»Sie müssen Hildegarde Frei selbst sehen und sprechen.«

»Hildegarde Frei heißt die Schöne?«

»So nannte sie die Frau Baronin.«

»Besitzt sie Aeltern?«

»Der Vater lebt noch.«

»Lebt noch? Das klingt ja räthselhaft.«

Kasimir zuckte die Achseln, ohne auf diese letzte Bemerkung des Grafen eine Antwort zu geben. Man hatte inzwischen langsam das Vorzimmer durchschritten und trat jetzt in das gewöhnliche Wohngemach, das nur von der still brennenden Glut des Kaminfeuers matt erleuchtet war.

Hier, gerade dem Kamin gegenüber, lehnte auf einem der hohen alterthümlich geformten Sessel eine schlanke Mädchengestalt, in schlichte, schwarze Seide gekleidet. Sie sah unverwandt in die leis knisternde Flamme, deren Widerschein ihr regelmäßig schönes Gesicht mit warmem Roth übergoß. Auch die runden vollen Schultern, die aus dem glänzend schwarzen Gewand hervorleuchteten, erschienen fein geröthet, während auf dem reichen dunkelblonden Haar ein matter Goldschein lag. Eine Hand drückte die Fremde leicht gegen die edel gewölbte Stirn, die andere hing über die Lehne des Stuhls und ruhte regungslos auf dem dunkeln Sammtpolster desselben. Hatte sie die Eintretenden, in tiefe Gedanken versunken, wirklich nicht gehört oder war sie sich des Eindrucks wohl bewußt, den sie in ihrer regungslosen Stellung, so malerisch vom Kohlenfeuer beleuchtet, auf jeden Fremden machen mußte; gleich viel, sie blieb stehen wie eine Statue, und als Graf Serbillon ein lautes Geräusch machte, blickte sie, wie aus einem Traum erwachend, mit großem Auge auf, strich sich über die Stirn, trat wie erschrocken vom Stuhle zurück, legte beide Hände über ihre volle Brust und verbeugte sich, ohne ein Wort zu sprechen, vor den eintretenden Männern.

Auch diese waren von dem Anblick des wunderbar schönen Mädchens so völlig überrascht, daß sie ebenfalls keine Worte fanden. Es bedurfte einer Anregung des an der Thür stehen gebliebenen Abbé, ehe es zu Rede und Gegenrede kam.

»Fräulein Hildegarde Frei,« sagte Kasimir, die junge Dame dem Herrn des Schlosses vorstellend, »der Herr Graf von Serbillon und der polnische Oberst Malachowsky.«

Während dieser Worte trat die Gräfin, von der Kammerfrau, die einen Armleuchter mit brennenden Lichtern trug, gefolgt, aus einem der Nebenzimmer, begrüßte ihren Gatten und den Oberst aufs freundlichste und führte gleichzeitig Hildegarde, deren Hand sie ergriff, dem Grafen zu.

»Unsere Schutzbefohlene, Hildegarde Frei, über deren Wohl wir fortan zu wachen haben,« sprach sie. »Das gute Kind bittet für heute um die Erlaubniß, sich zurückziehen zu dürfen. Sie ist angegriffen von der Reise und die Erlebnisse der letzten Wochen verlangen, daß man ihr Ruhe gönne und ihr liebevolle Schonung zu Theil werden lasse.«

Diana winkte der Kammerfrau und ertheilte ihr mit leiser Stimme einige Aufträge. Dann wandte sie sich abermals zu Hildegarde, die mit leicht gesenktem Haupte, verschüchtert, wie es schien, noch immer schweigend neben der Gräfin stand.

»Empfiehl dich den Herren, liebes Kind,« sagte sie zu dem jungen Mädchen. »Du darfst und wirst mir vertrauen; denn du bist Zeuge dessen gewesen, was ich der Frau Baronin von Kaltenstein versprochen habe.«

Dieser Aufforderung folgend, verbeugte sich Hildegarde abermals vor dem Grafen und dessen Gast, küßte sodann der Gräfin die Hand und wendete sich, von dieser geleitet, einer der hohen Flügelthüren zu, die in die anstoßenden Gemächer geleiteten. Hier kehrte sie sich noch einmal um, in stummer Demuth sich abermals verneigend, worauf sie der Kammerfrau ihren Arm reichte und mit dieser hinter der Thür verschwand.

Graf Achilles legte jetzt seinen gesunden Arm auf die Lehne desselben Sessels, wo früher Hildegarde gestanden hatte. Seine Blicke ruhten fragend auf den classischen Zügen seiner Gemahlin.

»Was ist es mit diesem Kinde – mit diesem feenhaften Wesen, wollte ich sagen?« sprach er zu Diana, die sich an der Ueberraschung der Männer zu weiden schien. Will man uns täuschen oder verbirgt sich irgendeine geheime Absicht hinter dieser schweigsamen Dame, die trotz ihrer Befangenheit doch den Anstand einer Königin besitzt?«

»Wir haben Zeit, uns ausführlich darüber auszusprechen,« versetzte die Gräfin, »und eben weil ich dies für nöthig erachte, habe ich das Mädchen fortgeschickt. Es wäre unzart, sie über ihren Lebensgang ausfragen zu wollen. Das würde sie verletzen und stumm machen vielleicht für immer, denn sie besitzt ein sehr reizbares Temperament, ist ungemein empfindlich und es bedarf größter Vorsicht, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Nur Unterrichteten gegenüber, die ihr Wissen nicht zur Schau tragen oder damit prahlen wird sie unbefangen auftreten, und alle die Vorzüge glänzend entfalten, mit denen die gütige Natur sie so reich ausgestattet hat.«

»Seit geraumer Zeit war ich auf eine Mittheilung nicht so gespannt wie auf die jetzt uns bevorstehende,« versetzte der Graf, indem er die Anwesenden einlud, um den Kamin Platz zu nehmen. »Ich setze nämlich voraus, daß der Schleier, der dieses lebendige Geheimniß bedeckt, sogleich gehoben wird.«

»Der Herr Abbé wird statt meiner das Wort ergreifen,« warf die Gräfin ein, eine Aufforderung, welcher Kasimir ungesäumt nachkam. Dieser schilderte nun zunächst das Zusammentreffen mit der Baronin von Kaltenstein, und erzählte sodann, was die weltkluge Dame der Gräfin und deren Begleiter in Bezug auf Hildegardens Leben und deren gegenwärtige Lage mitzutheilen für gut befunden hatte. Daß in diesen Mittheilungen mehr verschwiegen als gesagt ward, lag theils in der jüngsten Vergangenheit Hildegardens, theils in der Stellung der Baronin zu dieser. Ohne gerade die Absicht zu haben, die Gräfin hintergehen zu wollen, mußte Clotilde schon aus Liebe zu ihrem Schützlinge zu Verheimlichungen ihre Zuflucht nehmen, die sich von absichtlicher Täuschung wenig unterschieden. Im allgemeinen enthielt alles, was sie der Gräfin über Hildegarde gesagt hatte, nur Wahres. Sie verschwieg nicht, daß die verstorbene Mutter derselben ihre liebste und dankbarste Freundin gewesen sei und daß sie noch kurz vor ihrem unerwartet eingetretenen Tode die verwaiste Tochter ihr so dringend ans Herz gelegt habe. Dabei ließ die eitle Baronin allerdings durchblicken, wie groß und bestimmend ihr eigener Einfluß bei Erziehung Hildegardens gewesen, und wie das junge, begabte Mädchen gerade dadurch mitten in der Beschränktheit des Vaterhauses doch in ganz andere, höhere und feinere Kreise der Bildung entrückt worden sei. Das Bild, welches Clotilde von Kaltenstein ferner von dem Förster Frei entwarf, enthielt keine schmeichelhaften Farben, aber es war dennoch treu, nur etwas zu grell und schroff gehalten, wodurch es sich fast zur Fratze verzerrte. Sowohl die Gräfin wie der Abbé begriffen, daß ein junges Mädchen von der Gemüthsart Hildegardens mit so vielen schätzbaren Kenntnissen ausgestattet, gewöhnt an ein Leben, das von allem Wissen nur den Duft einzufangen veranlaßt ward, im Umgang mit einem Vater, der für alles andere, nur nicht für das Zarte, Schöne und den Geist Erlabende Sinn hatte, sich höchst unglücklich fühlen müsse.

Schon dieses Porträt des grämlichen, aller feinern Geistesbildung abholden Försters genügte, das Mitgefühl der Gräfin für Hildegarde zu erregen. Sie vermuthete jetzt, noch ehe die Baronin ihr weitere Mittheilungen machte, daß die sich unglücklich fühlende Tochter das Vaterhaus in einer verzweiflungsvollen Stunde verlassen und bei der Freundin ihrer viel zu früh verstorbenen Mutter Zuflucht und Schutz gesucht habe. Es hätte nicht noch der Erwähnung Kathrinens bedurft, deren Charakterbild von Clotilde mit so unbarmherziger Wahrheit hingestellt ward, daß es geradezu abschreckend erscheinen mußte. Auch in der Schilderung dieser Persönlichkeit übertrieb die Baronin nicht, aber sie tauchte ihren Pinsel in Galle und Gift, und verlieh dadurch dem ebenso harten als im Grunde doch auch streng rechtlichen, wenn auch seltsam verschrobenen Charakter der Tante Hildegardens einen so hohen Grad von moralischer Häßlichkeit, daß sich jeder Gutdenkende von diesem Unholde mit unverhohlenem Abscheu abwenden mußte.

Clotilde von Kaltenstein wollte Hildegarde, für deren rechtmäßige Versorgerin sie sich hielt, nur empfehlen. Gelingen konnte dies allein dann, wenn sich die Flucht des Mädchens moralisch rechtfertigen ließ. Darum war in den fernern Mittheilungen an die Gräfin von Serbillon weder die Rede von dem Stiftssyndikus und dessen väterlichem Schritte, noch von der Aufnahme Hildegardens im Hause des wohlwollenden, milden Domdechanten. Ebenso wenig gedachte sie der Flucht aus dem schützenden Hause des letztern und was sich an dies wichtige Ereigniß knüpfte. Sie sagte mit kecker Stirn der Gräfin, das arme beklagenswerthe Mädchen sei aus Verzweiflung über die unwürdige Behandlung, die sie im Vaterhause habe erdulden müssen, bei Nacht und Nebel entflohen, habe sich bis zum Wahnsinn erhitzt, zu ihr gerettet, und, da das Leben der Aufgeregten wirklich in Gefahr geschwebt, habe sie es für Pflicht gehalten, der Unglücklichen beizuspringen.

Am Schlusse ihrer Eröffnungen gab die Baronin von Kaltenstein an die Gräfin von Serbillon die Erklärung ab, daß Förster Frei von ihr den Aufenthalt seiner Tochter nicht früher erfahren solle, bis diese es selbst wünsche. Sie gelobte der Gräfin solange unverbrüchliches Schweigen dem Vater Hildegardens gegenüber, falls derselbe bei ihr wegen der Verschwundenen Nachfrage halten solle. Ein gleiches Versprechen nahm sie auch der Gräfin und Abbé Kasimir ab, der Zeuge dieser Unterredung war. Von dem geheimnißvollen Morde des frühern Wilddiebes und von dem schrecklichen Verdachte, welcher dadurch auf dem Förster haftete und diesen als den Mörder bezeichnete, erwähnte die berechnende Baronin keine Silbe. Auch des wochenlangen Aufenthalts Hildegardens im alten Schlosse des Ritters von der Dub gedachte Clotilde nicht.

Graf Achilles folgte der Erzählung des Abbé mit ungetheilter Aufmerksamkeit. Man sah es seiner lauschenden Haltung im Sessel an, daß er sich für das Schicksal dieses ungewöhnlichen Mädchens interessirt. Diana wußte, daß ihre Vorschläge die Billigung ihres Gatten finden würden, falls es überhaupt nöthig sein werde, damit hervorzutreten. Als nun Kasimir schwieg, richtete sich Graf von Serbillon auf und wandte sich zunächst mit den Worten an seine Gemahlin:

»Nach dem Vernommenen muß ich annehmen, daß der Vater dieses bedauernswerthen jungen Mädchens keine Ahnung von dem Verbleiben seines einzigen Kindes hat.«

»Die Frau Baronin gab uns die Versicherung,« fiel Abbé Kasimir ein, »daß sie Mittel und Wege finden werde, den Förster zu beruhigen. Hildegarde selbst soll die Hand dazu bieten, einen Brief an den Vater schreiben, ihn darin um Verzeihung bitten, zugleich aber auch den Wunsch zu erkennen geben, daß ein Leben im Verborgenen der einzige Weg sei, sie ruhig zu machen und dereinst glücklich dem versöhnten Vater wieder zurückzugeben.«

»Halten Sie diesen Ausweg für gut, das heißt zum Ziele führend und – Sie gestatten, daß ich auch daran denke – für erlaubt?«

Der Abbé lächelte, indem er, die Bedenken des Grafen beseitigend, zur Antwort gab.

»Erlaubt ist jeder Schritt, welcher beitragen kann, ein irre geleitetes Herz zu beruhigen und sich selbst wiederzugeben. Das Försterhaus war für Hildegarde ein gefahrvoller Aufenthalt. Sie erkannte dies mit dem Scharfsinn, welchen die wahre Bildung verleiht, und gewarnt durch die Stimme der Unschuld, die sie sich fleckenlos bewahrte. Ich finde mithin nicht, daß man unrecht thut, wenn man eine Wehrlose den Verlockungen entzieht, die verkehrte Weltanschauungen stets in sich tragen.«

»Welchen Eindruck hat das Mädchen auf dich gemacht, beste Diana?« fragte der Graf seine Gattin.

»Mein Urtheil ist befangen, denn ich bin von der anmuthvollen Lieblichkeit Hildegardens vollkommen bestochen worden,« versetzte mit schöner Offenheit die Gräfin. »Wenn die Baronin von Kaltenstein ihren Schützling liebevollen Händen übergeben wollte, so konnte sie eine bessere Wahl als die, zu der sie sich entschloß, kaum treffen. Sie hat mich richtig beurtheilt, und dafür bin ich der wackern Dame recht dankbar. Dem hartherzigen Förster, der sich jahrelang kaum um die Tochter kümmerte und die eigene Frau vernachlässigte, weil sie ihm an Herzens- und Geistesbildung unendlich überlegen war, kann der Schmerz um den Verlust des einzigen Kindes, wenn sich dies Gefühl überhaupt bei ihm einstellt, zur wohlthuenden Arznei für seinen verwilderten Geist werden, und mit diesem Unhold, der Tante Kathrine, in der sich die Dämonen des verruchtesten Neides und der gemeinsten Rechthaberei, verbunden mit einer völlig bildungsunfähigen, rohen, von Kindheit an verwahrlosten Natur verkörpern, habe ich durchaus kein Mitleid. So schlimm verwilderte Charaktere verdienen, daß sie durch sich selbst zu Grunde gehen, ja ich halte es für ein gutes Werk, wenn man dazu beiträgt, die fluchwürdige Thätigkeit, die sie im Leben entfalten, dadurch, daß man ihnen feindlich entgegentritt und ihre Wirksamkeit lähmt, abzukürzen.«

Abbé Kasimir pflichtete diesen Ansichten mit Wärme bei, indem er von seinem Standpunkte als Priester auch auf die Möglichkeit einer Bekehrung Hildegardens in religiöser Beziehung hindeutete.

»Ihr Gemüth ist beruhigt und jedem tiefern Eindruck zugänglich,« sprach er. »Obwohl sich ihr Thun rechtfertigen läßt vor dem Richterstuhl der Moral, werden doch bange Gedanken sie bisweilen verklagen; denn als Kind, das seinen Aeltern gebotsam sein soll, hat sie gefehlt. Jede Fehle aber verlangt Buße. Ohne Buße ist Seelenruhe nie denkbar.«

Graf von Serbillon ließ sich auf diese, ihm persönlich ziemlich fern liegende Frage nicht weiter ein. Er war selbst guter Katholik im gewöhnlichen Sinne, hatte aber nie tiefer über religiöse und kirchliche Angelegenheiten nachgedacht. Jemand nach seinem Bekenntniß zu fragen, würde ihm schwerlich eingefallen sein, wohl aber sah er am liebsten sogenannte Rechtgläubige um sich. Daß die neue Hausgenossin Protestantin sei, erfuhr er erst durch die Bemerkung des Abbé, und diese Entdeckung war ihm eigentlich unlieb.

»Also es versteckt sich in dieser anmuthigen Hülle eine kleine Ketzerin,« sagte er. »Das hätte ich gar nicht vermuthet. Die Baronin von Kaltenstein hörte doch in der Metropolitankirche von St. Veit auf dem Hradschin mit so großer Andacht die Messe.«

»O, über euch Kurzsichtige!« rief Diana aus. »Unsere liebenswürdige Freundin hörte freilich die heilige Messe, wie sehr viele andere Freunde auch, aber sie verstand nichts davon. Nur die äußerlichen Zeichen, die üblichen Handbewegungen und Kniebeugungen machte sie mit vieler Geschicklichkeit mit, und dadurch hast du Unaufmerksamer dich täuschen lassen.«

»Eure sündhaftes Verstellung!« sagte der Abbé, die Stirn finster runzelnd. »Jetzt erst freue ich mich, daß diese noch unverbildete, aber bildungsfähige Jungfrau durch, wie ich nicht anders annehmen kann, die Gnade Gottes auch den Händen einer so gefährlichen Frau entrückt worden ist. Lassen Sie uns das heimatlose Geschöpf als ein Geschenk betrachten, das der Himmel uns gegeben hat, damit wir damit wuchern zum Leibe Gottes und seiner Heiligen!«

Die letzten Worte sprach der Abbé in salbungsvollem Tone. Graf Serbillon hörte diesen Ton nicht gern, weil er auf alles Predigen nicht gut zu sprechen war. Er ergriff deshalb die Gelegenheit, die Unterhaltung auf andere Gegenstände zu lenken, indem er den Oberst Malachowsky nach dem Geschlecht der Plater fragte und nach dessen Vermögensumständen.

»Denken Sie sich, lieber Abbé,« fügte er hinzu, »eine Gräfin Plater hat sich, von heiligem Patriotismus getrieben, selbst unter die Vaterlandsvertheidiger gestellt und ist fest entschlossen, den Feldzug gegen die Erbfeinde mitzumachen! Ein Volk, das solche Frauen hervorbringt, kann nie und nimmer untergehen!«

Der Oberst reichte seiner Landsmännin die Hand.

»Es kann und wird nicht untergehen,« sagte er, »wenn es die Einigkeit findet, wie wir, und der Verrath nicht aufkeimt im eigenen Schoße!«

Auch der Abbé reichte dem alten Polen die Hand, der eine Thräne aus seiner grauen Wimper strich, dann rasch aufstand und mit großen Schritten das geräumige Gemach auf- und abwandelnd, die Melodie des Liedes ›Polen ist noch nicht verloren‹ leise vor sich hinsummte.


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