Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Sechsundsechzigstes Kapitel

Nach der Abreise Swirskis und Zawilowskis fingen Polaniecki und seine Gattin wieder ihr früheres, zurückgezogenes Leben an und sahen niemand außer dem Bigielschen Ehepaar, Frau Emilie und Professor Waskowski. Aber sie fühlten sich wohl in diesem kleinen Kreise, und am wohlsten, wenn sie sich allein befanden. Polaniecki hatte viel zu thun, ihn beschäftigte besonders eine Angelegenheit, von der er mit niemand sprach. Nach beendigter Arbeit eilte er jetzt mehr zu Marynia zu kommen, als damals, als er seine Braut in ihres Vaters Wohnung aufsuchte.

»Ich bin der zweite Osnowski,« sagte er sich zuweilen, »aber es schadet nichts, weil ›meine Kleine‹ in keiner Hinsicht Frau Osnowski gleicht. Häufig nannte er jetzt Marynia ›meine Kleine‹, und in dieser Bezeichnung lag ebensoviel Ehrerbietung wie Zärtlichkeit. Er war überzeugt, daß er sie nicht so geliebt hätte, wenn sie anders gewesen wäre, und daß ihr Glück ein Werk ihres guten Willens und redlichen, warmen Herzens war. – Durch sie allein hatte er sich vervollkommt und veredelt. Durch ihren Einfluß hatten seine Grundsätze Fleisch und Blut bekommen. – Was Marynia anbelangte, so nahm sie alles ruhig hin, ohne sich zu überschätzen, obgleich sie sich sagen mußte, daß es ihr früher nicht so gut gegangen war wie jetzt, daß auch sie eine Prüfungszeit durchgemacht, daß sie aber gethan, was recht war, alles geduldig ertragen hatte, und daß der Allmächtige sie nun dafür belohnte. Diese Ueberzeugung erfüllte sie mit heiterer Ruhe. Der ehemals etwas gefürchtete Stach beugte jetzt oft die Knie vor ihr, und wenn er dann seinen dunklen Kopf auf ihren Schoß legte und sie sich zu ihm herabneigte, dachte sie: »Er muß mich unendlich lieben, da er sich so demütig zeigt, denn von Natur ist er es nicht!« Dabei strahlte sie vor Freude. Ihr Herz war voll von Dankbarkeit, und sie vergalt ihm diese Liebe tausendfach.

Der junge »Arier« trug nicht wenig zu der sonnigen Heiterkeit im Hause bei. Manchmal that er es zwar auf etwas lärmende Weise, befand er sich aber in guter Laune, durfte er in einer Lage, die ihm bequem war, die Füßchen emporstrecken, dann begann er Laute der Befriedigung auszustoßen, worauf sich all seine Bewunderer um sein Bettchen versammelten. »Böser Junge,« sagte gewöhnlich Marynia ihm die Füßchen zudeckend, doch er schob immer die Decke wieder weg, wohl in der Meinung, ein charaktervoller Mann müsse, sobald er einmal etwas beschlossen habe, sein Unternehmen bis zum Ende durchführen. Seine Mutter sowie die Amme konnten sich stundenlang mit ihm unterhalten, und Professor Waskowski liebte ihn abgöttisch.

So verging der Winter im Polanieckischen Hause. Im Februar machte Polaniecki einige Geschäftsreisen und hatte nach der Rückkehr jedesmal lange Unterredungen mit Bigiel. Gegen Ende des Monats jedoch konnte er sich mehr seiner Familie widmen und, wenn er nicht im Comptoir zu thun hatte, kurze Spazierfahrten mit Marynia und dem Kinde unternehmen. – Ihr einförmiges Leben, in dem sie sich sehr glücklich fühlten, wurde zuweilen durch den Besuch von Frau Bigiel unterbrochen. Durch sie erfuhr Marynia, daß Fräulein Ratkowski aus dem ihr von Helene Zawilowski gesicherten Einkommen ein Kinderasyl errichtet, daß Herr Osnowski sich wirklich nach Aegypten begeben hatte, daß er aber nicht allein gereist war, sondern mit seiner »Aneta«, die nach seiner Genesung wieder sein Weib geworden. Herr Kraszowski, der ehemalige Sekundant Maszkos, traf in Triest mit dem Ehepaar zusammen und erzählte Polaniecki mit einem ironischen Lächeln, »Frau Osnowski habe jetzt die Miene einer demütigen Büßerin angenommen.« Polaniecki aber, der aus Erfahrung wußte, wie das Unglück den Menschen verwandeln und wie aufrichtig Buße und Reue sein kann, antwortete ernst, »da ihr Gatte ihr verziehen habe, dürfe kein anderer Mensch den Stab über sie brechen.«

Nach einiger Zeit kam aus Italien eine Kunde, die lange den Gesprächsstoff des Bigielschen und Polanieckischen Ehepaares sowohl als auch der ganzen Stadt bildete: der Maler Swirski habe sich in Rom mit Fräulein Castelli verlobt und die Vermählung solle gleich nach Ostern stattfinden. Außerordentlich überrascht durch diese Nachricht, überredete Marynia ihren Gatten, an Swirski zu schreiben und um Aufklärung zu bitten. Nach Ablauf von zehn Tagen traf die Antwort ein, und als Polaniecki mit den Worten »Brief aus Rom« das Zimmer seiner Frau betrat, lief sie ihm, aufs höchste gespannt, entgegen, und Schulter an Schulter lasen sie folgendes:

»Ob das Gerücht wahr ist? – nein, mein Freund, es ist nicht wahr! Aber um Ihnen begreiflich zu machen, warum nichts derartiges geschehen konnte und niemals geschehen kann, muß ich zuvörderst von Zawilowski sprechen. Vor drei Tagen kam er hier an, denn ich hatte ihn überredet, sich in Florenz aufzuhalten und dann Siena, Parma und besonders Ravenna zu sehen. Von hier schicke ich ihn nach Athen und morgen reist er über Brindisi ab. Mittlerweile ist er von morgens bis abends bei mir, und da ich bemerkte, daß ihn etwas quält, wollte ich ihn veranlassen, sich auszusprechen, und fragte unvorsichtigerweise, ob sich in seiner Tasche vielleicht einige Sonette befänden? Und wissen Sie, was das für eine Wirkung hatte? Er wurde totenbleich und sagte, bis jetzt habe er noch nichts vorzuweisen, aber er werde bald wieder zu schreiben anfangen, und dann warf er plötzlich seinen Hut zu Boden und schluchzte wie ein kleines Kind. Niemals noch habe ich den Ausbruch eines solchen Schmerzes gesehen. Er wiederholte unablässig, er habe selbst sein Talent vernichtet, er sei vollständig ideenarm, könne nichts mehr hervorbringen, und ihm wäre hundertmal besser, Fräulein Helene hätte ihn nicht gerettet. So verhält es sich mit ihm, während die Leute sagen, er schreibe nichts mehr, weil er jetzt reich sei. Aendern wird sich dies nicht mehr. Man hat den Aermsten zugrunde gerichtet, seinen Geist und sein Talent gemordet. Und sehen Sie, das zu vergessen, wäre mir nicht möglich. Allmächtiger Gott! Mit Fräulein Castelli! die unsern beklagenswerten Freund wegwarf wie ein wertloses Spielzeug. Nein, das könnte ich nicht vergessen! Wenn ich übrigens früher in Warschau sagte, sie müsse jetzt den Fürsten Crapulescu aufsuchen, weil ein anderer sie schwerlich nehme, so war dies ein Irrtum, denn es giebt genug verblendete Thoren auf der Welt. Was mich aber betrifft, so bin ich weder ein Fürst Crapulescu, noch sonst ein verblendeter Thor. Eine Kränkung, die mir selbst zugefügt worden, darf ich verzeihen, nicht aber die, welche man einem andern zugefügt hat. Das ist alles, was ich Ihnen in dieser Angelegenheit mitteilen kann. Noch ein Jahr warte ich, und dann mache ich Fräulein Ratkowski wieder einen Antrag. Gott segne sie, ob sie mich nun nimmt oder nicht nimmt. Mein Entschluß bleibt unverändert.

Die Klatscherei mag wohl daraus entstanden sein, daß man mich oft in Gesellschaft der beiden Damen sah. Sie werden sich erinnern, daß Frau Bronicz mir bei meiner früheren Anwesenheit in Rom zuerst schrieb. Als ich dann zu ihnen kam, klagte sich Fräulein Castelli mir gegenüber selbst an und suchte sich nicht im mindesten zu rechtfertigen. Ich muß gestehen, daß mich dies gerührt hat, denn ein offenes Schuldbekenntnis ist immerhin ein Beweis von Ehrlichkeit. Darüber wäre noch viel zu schreiben. Wie oft denke ich jetzt an den Ausspruch Fräulein Helenens: Man dürfe an einem Menschen nicht verzweifeln, solange er lebe. Die arme Lineta hat sich durch den Kummer sehr verändert, sie ist mager und häßlich geworden, und deshalb bedauere ich sie noch mehr. Sogar Frau Bronicz bedauere ich. Zwar lügt sie das Blaue vom Himmel herunter, allein sie thut es ja nur aus Liebe zu dem jungen Mädchen. Ob ich jetzt, nachdem ich unseres armen Freundes Verzweiflung gesehen, noch imstande sein werde, zu ihnen zu gehen, weiß ich nicht, ich bedauere aber nicht, daß ich bei ihnen gewesen bin. Mögen die Leute noch einige Zeit schwatzen, sie werden auch wieder aufhören, und nach Jahresfrist, wenn Gott es mich und jenes holde Mädchen erleben läßt, sollen sie ihre Thorheit erkennen.

Was sagen Sie zu den Osnowskis? Etwas Gutes muß doch in dieser Frau sein, da sie ihn während seiner Krankheit pflegte. Oh diese Weiber! Sie haben mir den Kopf so verdreht, daß ich bald gar keine Meinung mehr haben werde, weder über sie, noch über etwas anderes.

Doch nun genug. Küßt Eueren Sohn von mir und seid selbst herzlich gegrüßt. Mit den ersten Frühlingstagen kehre ich zurück.

Swirski.«


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