Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Fünfunddreißigstes Kapitel

Am andern Morgen, als Marynia fertig angezogen zu ihrem Mann kam, erkannte er sie kaum.

Im schwarzen Kleide, mit dem Spitzenschleier auf dem Kopfe, erschien sie ihm viel stattlicher als sonst. Was ihm aber besonders an ihr gefiel, war ein gewisser Ernst, der ihn an den Moment der Trauung erinnerte.

Eine halbe Stunde später fuhren sie weg. Unterwegs bekannte Marynia, daß ihr Herz heftig klopfe, doch ihr Gatte beruhigte sie scherzend, obwohl auch er eine gewisse Bangigkeit empfand. Als sie nach einer kurzen Fahrt vor der riesigen Rotunde der Peterskirche anfuhren, fühlte er, daß sein Puls schneller schlug als gewöhnlich, und dabei hatte er das seltsame Gefühl, als ob er kleiner als sonst wäre. Auf der Treppe, wo einige Schweizer in prächtigen Uniformen standen, trafen sie mit Swirski zusammen, der sie durch eine Menge Menschen, meist Belgier hindurchführte. Marynia war wie betäubt. Endlich befanden sie sich in einem großen Saale, worin noch mehr Menschen versammelt waren, in deren Mitte die Schweizergarde einen breiten, freien Durchgang aufrecht erhielt. Die Leute, von denen die Mehrzahl französisch und flämisch sprach, flüsterten leise miteinander. Aller Augen waren auf den freien Durchgang gerichtet, an dessen Ende, in der Thüre des anstoßenden Gemachs, zuweilen Gestalten erschienen, die Polaniecki lebhaft an die Bilder in den Galerien von Antwerpen oder Brüssel mahnten. Er glaubte sich in das Mittelalter versetzt, denn hier zeigte sich ein Ritter im Stahlharnisch, dort ein Herold in rotem Rocke, mit einem Barett auf dem Kopfe, bald tauchte an der halbgeöffneten Thüre das Purpurgewand eines Kardinals, bald das violette eines Bischofs auf, man sah wallende Straußfedern, kostbare Spitzen auf schwarzem Samt, die weißhaarige Männer mit Gesichtern wie auf Sarkophagen schmückten. Und doch konnte man wahrnehmen, daß alle Anwesenden noch etwas andres, Höheres erwarteten, daß eine gespannte Aufmerksamkeit aller Sinne in Anspruch nahm. Polaniecki hielt Marynia an der Hand, damit er sie in der Menschenmasse nicht verliere; er fühlte, wie diese Hand bebte, und er selbst hatte inmitten der stillen und doch erregten Versammlung wieder das seltsame Gefühl, als ob er immer kleiner und kleiner werde, so klein wie noch nie in seinem Leben. Plötzlich flüsterte ihnen jemand mit leiser Stimme zu:

»Ich habe Sie schon lange gesucht. Nun wird er bald kommen.« Es war Waskowski. Doch ihre Geduld sollte noch eine Zeitlang auf die Probe gestellt werden. Inzwischen ward Swirski von einem ihm bekannten Monsignore begrüßt, und nachdem dieser einige Worte mit ihm gewechselt hatte, führte er die ganze Gesellschaft in den anstoßenden Saal. Voll Verwunderung bemerkte Polaniecki, daß es auch hier gedrängt voll war. Eine Estrade mit einem Lehnstuhl, am Ende des Saales, ward von einer Ehrengarde bewacht. Einige Prälaten und Bischöfe standen in vertrautem Gespräche davor. Die erwartungsvolle Spannung fiel hier noch mehr in die Augen. Man sah, daß die Menschen fast ihren Atem anhielten, die Gesichter hatten einen feierlichen, geheimnisvollen Ausdruck. Die Sonnenstrahlen, die auf die purpurnen Tapeten fielen, erfüllten den hohen Raum mit einem eigentümlichen Lichte. Noch eine Zeitlang mußten sie warten, dann ließ sich im ersten Saale ein Geräusch und ein Gemurmel hören, und endlich erschien in der geöffneten Thüre eine weiße Gestalt, die von der Adelsgarde getragen ward. Marynia drückte krampfhaft die Hand ihres Gatten.

Nun begann einer der Kardinäle zu sprechen, doch Polaniecki hörte und verstand seine Anrede kaum. Seine ganze Seele war bei der weißgekleideten Gestalt mit dem blassen, durchsichtigen Gesicht, das etwas Totenähnliches hatte. Es lag etwas Mattes, Kraftloses in der ganzen Erscheinung, die mehr Geist als Körper zu sein schien.

Als nun die Leute sich ihr näherten, um den Segen zu empfangen, als Polaniecki seine Gattin zu ihren Füßen erblickte, als er fühlte, daß er sich vor dieser beinahe schon ins Jenseits entrückten Gestalt beugen könne, bemächtigte sich seiner eine tiefe Rührung.

Beim Herausgehen sprach niemand ein Wort. Marynia schien wie aus einem Traume erwacht zu sein, Professor Waskowski zitterte vor Aufregung. Zum Frühstück kam auch Bukacki, allein da er sich recht krank fühlte, verhielt er sich still. Swirski redete sogar während der darauffolgenden Sitzung sehr wenig. Nur von Zeit zu Zeit sagte er: »Ja, ja, wer das nicht gesehen hat, der kann sich keinen Begriff davon machen. So etwas bleibt ewig.« Abends betrachteten Polaniecki und Marynia den Sonnenuntergang, von Trinità dei Monti aus. Es war ein schöner Abend. Ein dunstiger Goldglanz lag über der ganzen Stadt; zu den Füßen des jungen Paares, auf dem spanischen Platze, sank schon die Dämmerung hernieder wie ein lichter Schleier, durch den man noch den Flieder und die Lilien in den Blumenläden der Via Condotti wahrnehmen konnte. Es war ein stilles, friedliches Bild, das sie vor Augen hatten, eine milde Verkündigung der Nacht und des Schlummers. Dann versank der spanische Platz immer mehr in Schatten, nur die Trinita leuchtete noch purpurrot.

Als Polaniecki und Marynia die riesige Treppe hinunterstiegen, waren sie von einem eigentümlichen Gefühl der Ruhe durchdrungen. Ein großer Frieden war über sie gekommen, der sie erwärmte wie die Strahlen der Abendröte, die noch über ihnen stand. Endlich sagte Polaniecki: »Weißt Du, woran ich jetzt denke? Daß man das Abendgebet bei uns zu Hause gemeinsam gebetet hat.«

»Ach Stach,« erwiderte sie mit vor Rührung bebender Stimme, »bis jetzt wagte ich nur noch nicht, mit Dir davon zu reden.«

»Erinnerst Du Dich, wie Du vom ›Gottesdienst‹ sprachst?« bemerkte er.

Doch augenscheinlich hatte sie früher das, was sie gesagt, als etwas so Selbstverständliches betrachtet, daß es ihr völlig aus dem Gedächtnis entschwunden war.


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