Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Dreißigstes Kapitel

Das große Ereignis, »die Katastrophe«, wie Bukacki es nannte, war endlich herangekommen. Wenn es aber einen Tag giebt, an dem der Mensch seine Gedanken nicht zu kontrollieren vermag, so ist dies der Hochzeitstag – diese Erfahrung machte Polaniecki jetzt. Verworrene, unbestimmte Ideen drängten sich in seinem Gehirne. Er fühlte mehr, als er dachte, daß nun eine neue Epoche für ihn beginne, daß er große Verpflichtungen auf sich nehme und fast gleichzeitig wunderte er sich auch, daß der Wagen noch nicht vorfuhr. Von Zeit zu Zeit kam eine feierliche Stimmung über ihn, aber auch eine wahre Furcht vor der Zukunft. Er fühlte sich gewissermaßen erhoben, und dabei begann er seinen Bart einzuseifen und darüber nachzudenken, ob es sich an einem derartigen Tage nicht lohne, einen Friseur holen zu lassen. All seine Eindrücke waren indessen mit Marynia verwebt. Er dachte, daß sie sich wohl jetzt auch ankleide, daß sie in ihrem Zimmer vor dem Spiegel stehe, daß ihre Seele ihm entgegenfliege, ihr Herz unruhig klopfe. Eine tiefe Rührung bemächtigte sich seiner. »Fürchte Dich nicht, Du gutes Geschöpf,« dachte er, »Du sollst nicht über mich zu klagen haben!« und er stellte sich vor, wie er sich in der Zukunft stets gütig und nachsichtig gegen sie zeigen werde. Zuweilen sagte er sich: »so ist's also, wenn man sich verheiratet«, und wie thöricht es gewesen, daß er so lange geschwankt hatte. Auch daß das Wetter jetzt schön sei, dachte er, daß es in der Kirche wohl recht kühl sein, und daß er dort in einer Stunde neben Marynia knien werde, daß es sicherer sei, eine fertige, weiße Krawatte zu nehmen, statt einer zum Selbstknüpfen, daß die Trauung eine der wichtigsten, heiligsten Ceremonien im Leben sei, daß man aber unter keinen Umständen den Kopf dabei verlieren dürfe, denn in einer Stunde sei alles zu Ende, und morgen werde er mit Marynia abreisen, und dann solle das normale, friedliche Leben eines jungen Ehepaares für sie beide beginnen.

Indessen fuhr Abdalski, welcher mit Bukacki Brautführer sein sollte, am Hause vor.

Es war ein hübscher Mensch von schlanker Gestalt, und er sah in Frack und weißer Krawatte so schön aus, daß Polaniecki ihn neckte und sagte, er müsse sich nun auch bald verheiraten. Abdalski ging jedoch nicht auf den Scherz ein, sondern begann von der Familie Bigiel zu sprechen. Er erzählte, alle Kinder wollten der Trauung und Hochzeitsfeier beiwohnen, und weil Herr und Frau Bigiel beschlossen hätten, nur die beiden ältesten mitzunehmen, seien Uneinigkeiten entstanden, die von seiten Frau Bigiels mittels einiger Ohrfeigen beigelegt worden wären. Polaniecki ärgerte sich darüber und erklärte: »Ich werde die Sache ins Reine bringen. Sind Bigiels schon weggefahren?«

»Sie standen gerade im Begriff, in den Wagen zu steigen.«

»Gut. Ich werde die kleinen Bälge holen und sie dann bei meiner Braut nach der Reihe vor Frau Bigiel hinstellen.«

Abdalski meinte zwar, dies sei nicht zulässig, aber dadurch ward Polaniecki nur noch mehr in seiner Absicht bestärkt.

In der That setzte er sich in den Wagen und fuhr geradewegs zu den Kindern. Die Gouvernante wagte nicht sich zu widersetzen, sodaß er, zur großen Bestürzung Frau Bigiels, eine halbe Stunde später bei den Plawickis, an der Spitze einer ganzen Schar kleiner Bigiels anlangte, die alle in ihren Alltagskleidern waren, aber trotzdem sehr glücklich dareinschauten.

Zu Marynia tretend erklärte er, ihre Hände küssend: »Frau Bigiel wollte die Kinder zu Hause lassen. Sagen Sie mir nun, ob ich nicht recht gethan habe?«

Marynia freute sich über diesen Beweis seines guten Herzens und war sehr vergnügt über die Anwesenheit der Kinder. Die Gäste fanden die ganze Geschichte originell. Frau Bigiel aber sagte, indem sie die Haare der Kinder glatt strich: »Wie kann man gegen einen solch thörichten Menschen aufkommen?«

Derselben Ansicht war auch Herr Plawicki; Polaniecki und Marynia hingegen beschäftigten sich im Augenblick so ausschließlich miteinander, daß alles andere für sie in den Hintergrund trat. Ihre Herzen schlugen in fieberhafter Erregung. Er betrachtete sie mit einer gewissen Verwunderung, denn in dem weißen Brautkleide, dem grünen Kranze und dem langen Schleier erschien sie ihm ganz anders, erschien sie ihm unschöner als sonst, denn der Brautkranz steht nur wenigen Frauen, und ihre von Thränen geröteten Augen erschienen durch den weißen Anzug noch röter als sie wirklich waren. Aber merkwürdigerweise rührte dies gerade Polaniecki tief, und er fühlte etwas wie Mitleid. Sagte er sich doch, Marynias Herz müsse jetzt so heftig schlagen wie das eines gefangenen Vogels, und er suchte sie zu beruhigen, er sprach mit ihr so liebevoll, daß er sich unwillkürlich fragte: woher ihm all die schönen Worte so leicht zuströmten. Die Gewißheit war schuld daran, daß Marynia sich ihm mit vertrauensvollem Herzen zu eigen gab, daß sie ihm angehören wollte in Leid und Freud bis zum Tode. Kein Zweifel ward darüber in Polaniecki rege, und diese Gewißheit machte ihn in diesem Augenblick besser, weicher und gesprächiger, als er sonst war. Hand in Hand standen sie nun beisammen und schauten einander in die Augen, mit inniger Liebe und voll Vertrauen in die Zukunft. Noch wenige Augenblicke, und ihr gemeinsames Leben sollte beginnen. Allmählich fingen ihre Gedanken an sich zu klären, die innere Unruhe verwandelte sich schließlich beim Herannahen der religiösen Ceremonien in eine ernste, feierliche Stimmung. Polaniecki konnte jetzt seine Gedanken festhalten und bemerkte mit Verwunderung, daß er, trotz seines Skepticismus, die Bedeutung des bevorstehenden Aktes tief empfand. Im Grunde genommen war er gar kein Skeptiker, ja, in seinem tiefsten Innern fühlte er ein lebhaftes Verlangen nach religiösem Glauben, und wenn er nicht schon jetzt zum Glauben zurückkehrte, so war nur Gewohnheit und geistige Trägheit daran schuld.

Vor der Trauung mußte er jedoch noch eine andere, fast ebenso feierliche Ceremonie über sich ergehen lassen, er mußte vor Herrn Plawicki niederknien, sich von ihm segnen lassen und die Rede anhören, worin sich sein zukünftiger Schwiegervater erging.

Dieser war selbst so tief gerührt, daß seine Stimme bebte, und er nur mühsam die an Polaniecki gerichtete beschwörende Bitte hervorbrachte, er möge in Zukunft Marynia nicht verwehren, von Zeit zu Zeit wenigstens das Grab ihres alten Vaters zu besuchen und darauf zu beten.

Die Feierlichkeit dieses Moments ward durch Jozio Bigiel einigermaßen gestört. Als das Kind Herrn Plawickis Thränen, Marynia und Polaniecki auf den Knien sah, was im Bigielschen Hause nicht nur eine Strafe, sondern auch oft ein Vorspiel zu noch schärferem pädagogischem Vorgehen war, gab er seinem Mitgefühl dadurch Ausdruck, daß er in lautes Weinen ausbrach, in das seine Geschwister zum größten Teil einstimmten.

Nachdem die Kinder beruhigt waren, rüsteten sich alle Anwesenden zum Aufbruch in die Kirche.

Zwischen Abdalski und Bukacki im Wagen sitzend, beantwortete Polaniecki deren Fragen nur zerstreut und überließ sich vollständig seinen Gedanken. Die Worte Bukackis: »Es genügt nicht, ein Weib zu nehmen, man muß sich ihr auch ganz geben,« gingen ihm durch den Sinn. Ihn dünkte, all seine bisherigen Ideen seien nur Hirngespinste, und man müsse das Leben einfach hinnehmen, wie es ist. Ich heirate, sagte er sich schließlich, und ich werde mit Marynia glücklich werden.

Während Marynia zur Kirche fuhr, bat sie im Stillen Gott, er möge ihr helfen, ihren Gatten glücklich zu machen.

Dann gingen sie Arm in Arm durch die Reihen der Eingeladenen und Neugierigen, in der Ferne – wie durch einen Nebel – das Flackern der Kerzen auf dem Altare und dicht daneben einige bekannte und unbekannte Gesichter sehend. Etwas deutlicher erkannten sie das unter Thränen lächelnde Gesicht Frau Emiliens, das von einem weißen Schleier umrahmt war. Beide gedachten Litkas, und ihnen war, als ob das Kind sie zum Altar geleite. Nun knieten sie vor dem Priester nieder, über sich die flammenden Kerzen und die Heiligen des Altarbildes. Die Ceremonie begann. Sie sagten dem Geistlichen die Trauungsformel nach, und Polaniecki, der Marynias Hand in der seinigen hielt, überkam plötzlich eine so tiefe Rührung, wie er sie nicht mehr empfunden, seitdem die Mutter ihn zur ersten heiligen Kommunion geführt hatte. Fühlte er doch, daß er sich keiner gewöhnlichen, gesetzlichen Ceremonie unterzog, die dem Mann das Recht auf die Frau verleiht, fühlte er doch, daß in diesem Zusammenlegen der Hände, in diesem Gelöbnis eine geheimnisvolle, überweltliche Kraft liegt – etwas Göttliches, vor dem wir uns beugen. Durch die Stille drangen jetzt die feierlichen Worte: »Quod Deus junxit, homo non disjungat« – und Polaniecki empfand, daß Marynia nun ein Teil von ihm geworden, und daß auch er für sie dasselbe werden müsse. Auf dem Chore ertönte der Gesang: »Veni Creator«, und bald darauf verließ das junge Ehepaar die Kirche, nachdem es von Frau Emilie beglückwünscht worden war. »Gott segne Euch,« flüsterte sie, und während die beiden nach Hause zum Hochzeitsfest fuhren, ging sie auf den Kirchhof, um Litka die Kunde zu bringen, daß Herr Stach heute mit Marynia vermählt worden war.


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