Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Zweiunddreißigstes Kapitel

Nach achttägigem Aufenthalt in Florenz bekam Polaniecki einen Geschäftsbrief von Bigiel mit solch günstigen Nachrichten, daß sie all seine Erwartungen übertrafen. Das Verbot der Getreideausfuhr wegen der drohenden Hungersnot war kund gemacht worden. Ihr Haus hatte riesige Vorräte, und da nun die Preise außerordentlich in die Höhe gingen, machten Bigiel und Polaniecki ausgezeichnete Geschäfte. Diese in großem Maßstab ersonnene und durchgeführte Spekulation ergab ein so vorteilhaftes Resultat, daß sie, die früher nur wohlhabend gewesen, jetzt fast reich wurden. Zwar hatte Polaniecki keine Befürchtungen gehegt und nie am Erfolg gezweifelt, allein die Nachricht erfreute ihn doch sehr, nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auch um der eigenen Befriedigung willen. Der Erfolg berauscht und steigert das Selbstbewußtsein. Deshalb konnte er sich auch seiner Frau gegenüber nicht enthalten, auf seine Bedeutung als ein Mensch hinzuweisen, der immer das erreicht, was er will. Und in Marynia fand er die dankbarste und gläubigste Zuhörerin.

»Du bist ein Weib,« sagte er nicht ohne einen Anflug von Hochmut, »wozu soll ich daher in Einzelheiten eingehen? Genug, wenn ich Dir sage: gestern war ich nicht imstande, das Medaillon mit der schwarzen Perle, welches ich Dir bei Godni zeigte, zu kaufen, heute ist es mir möglich – und ich kaufe es.«

Marynia dankte ihm, bat ihn aber, dies nicht zu thun. Doch er umarmte sie und versicherte, daß es eine beschlossene Sache sei und daß Marynia sich als Eigentümerin der großen schwarzen Perle betrachten solle. »Weißt Du,« fuhr er dann fort, im Zimmer auf und ab schreitend, »Bigiel sogar hätte niemals den richtigen Moment erfaßt. Er würde den entscheidenden Schritt verschoben haben, und der richtige Zeitpunkt wäre versäumt worden. Was kommt also hauptsächlich in Betracht? Daß man einen klaren Kopf hat und alles gut berechnet. Und dann heißt es handeln. Maszko ist doch gewiß nicht dumm, aber was hat er mit seiner Klugheit zustande gebracht? Weißt Du, was ich glaube?« fuhr er fort, schließlich vor Marynia stehen bleibend. »Man kann ein intelligenter Kopf sein, dabei sehr eindrucksfähig und alle möglichen Kenntnisse in sich aufnehmen und doch nicht selbständig und klar denken. Bukacki mag Dir als Beweis gelten. Halte mich nicht für einen eingebildeten Narren, aber wahrlich, aus dem Material, das er zusammengetragen hat, hätte ich etwas zu Tage gefördert.«

»Gewiß,« erwiderte Marynia, »ganz bestimmt.«

Polaniecki mochte in mancher Beziehung recht haben. Er war ein kluger Mensch und verstand es besser, sich zu konzentrieren als Bukacki. Hingegen war er aber auch weniger empfänglich, nicht so vielseitig.

Niemals noch hatte er sich jedoch so glücklich und zufrieden gefühlt wie jetzt.

Ohne daß er sich selbst Rechenschaft darüber gab, gewann Marynia mit ihrer schlichten Religiosität immer mehr Einfluß auf ihn. So oft er sie in die Kirche begleitete, gedachte er der Worte, die sie in Warschau zu ihm gesagt hatte: »Was wollen Sie, es ist doch Gottesdienst.«

»Schließlich,« sagte er sich, »fühle auch ich die Allgegenwart Gottes, ich fühlte sie schon am Grabe Litkas, ich fühlte sie aus den Worten Waskowskis heraus, als er vom Tode sprach, ich fühlte sie bei der Trauung, und ich frage mich nur noch, wie ich ihn preisen, ehren und lieben soll; entweder so, wie es meiner persönlichen Ueberzeugung entspricht, oder so, wie es meine Frau zu thun pflegt, und wie es mich meine Mutter lehrte?«

In Rom ward er anfänglich von diesen Ideen abgezogen. Durch die neuen Eindrücke, die auf ihn einstürmten, blieb ihm keine Zeit für Reflexionen. Zudem kamen er und Marynia abends so müde nach Hause, daß sie mit Schrecken an die Worte Bukackis dachten, der, wenn er ihnen als Cicerone diente, jedesmal sagte: »Noch nicht den tausendsten Teil habt Ihr von dem gesehen, was sehenswert ist, das heißt, was sehenswert sein soll, denn nichts ist sehenswert.«

Zu ihrer Begrüßung war Professor Waskowski aus Perugia gekommen, und Marynia freute sich so sehr darüber, daß sie ihn mit der gleichen Herzlichkeit willkommen hieß, wie wenn er ein naher Verwandter von ihr gewesen wäre. Doch bemerkte sie auch sofort einen traurigen Ausdruck in seinen Augen.

»Was fehlt Ihnen?« fragte sie. »Fühlen Sie sich nicht glücklich hier in Italien?«

»Mein Kind,« erwiderte der Professor, »in Perugia ist's schön, und in Rom ist's auch schön. – Ach! wie schön! Doch wenn man durch die Straßen geht und das weltliche Treiben sieht, dann –«

»Nun?«

»Ei, die Menschen – – Nicht aus böser Absicht, denn hier wie überall giebt's mehr gute, als böse. Aber es macht mich recht traurig, daß sie mich gar häufig für einen Verrückten halten.«

Hier bemerkte Bukacki, der die Unterhaltung mit angehört hatte: »Wenigstens haben Sie dann keinen größern Grund zur Traurigkeit, als bei uns zu Hause, Herr Professor.«

»Ja,« erwiderte Waskowski, »aber dort habe ich Menschen, die mir nahestehen, die mich lieben wie Ihr, und hier nicht. Ich habe Heimweh. Die hiesigen Zeitungen haben einige Rezensionen über meine Abhandlung gebracht,« wandte er sich hierauf an Polaniecki. »In manchen werde ich geradezu verspottet. Gott sei mit ihnen. In andern, in denen zwar meine Abhandlung als eine bedeutende anerkannt ist, werde ich doch wegen meiner Behauptung über die Mission, die wir noch zu erfüllen haben, ausgelacht. Das thut mir weh. Und oft giebt man mir auch zu verstehen, daß es hier nicht ganz richtig bei mir sei.«

Der arme Waskowski schlug sich mit der Hand an die Stirne.

Doch gleich darauf richtete er sich empor und sagte: »Der Mensch sät die Saat oft in Trauer und Zweifel, aber der Samen fällt doch auf fruchtbaren Boden.«

Dann erkundigte er sich nach Frau Emilie, und seine träumerischen Augen auf Marynia richtend, fragte er ganz naiv: »Steht Ihr auch gut miteinander?«

Statt jeder Antwort eilte Marynia an die Seite ihres Mannes und ihren Kopf an seine Schulter lehnend, sagte sie: »Sehen Sie, Herr Professor, so stehen wir miteinander, so.«

Und Polaniecki strich zärtlich mit der Hand über ihr dunkles Köpfchen.


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