Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Achtunddreißigstes Kapitel

Acht Tage nach der Rückkehr der Polanieckis kamen Herr und Frau Maszko, um sie zu begrüßen. In einem grauseidenen Kleide sah letztere so hübsch aus, wie noch nie zuvor. Von einer Entzündung der Augen, an der sie früher so häufig gelitten hatte, war keine Spur mehr vorhanden, nur ihr Gesichtsausdruck war der gleiche geblieben; nach wie vor trug sie einen gewissen schläfrigen Gleichmut zur Schau. Sie war ungefähr fünf Jahre älter als Marynia und hatte auch als Fräulein Kraslawski viel älter ausgesehen, jetzt aber schien sie sich verjüngt zu haben und sah mit ihrer schlanken Gestalt in dem enganschließenden Gewande geradezu mädchenhaft aus. Sogar Polaniecki fand sie so anziehend, daß ihre monoton klingende Stimme einen gewissen Zauber auf ihn ausübte.

Bei Maszko, der wie eine Sonnenblume strahlte, trat ein großes Selbstvertrauen und ein unnachahmlicher Hochmut zu Tage – mit einem Worte, er fühlte sich mehr denn je. Seiner Gattin gegenüber brauchte er sich jedoch nicht mehr zu verstellen, jeder seiner Blicke verriet seine Liebe für sie. Er hätte aber auch schwerlich eine andere Frau finden können, die so vollständig seinen Ansprüchen in Betreff des Geschmackes, der Erscheinung und der gesellschaftlichen Umgangsformen gerecht geworden wäre. Ihre Ruhe im Verkehre, ihr distinguiertes Wesen, das sie selbst ihm gegenüber niemals verließ, imponierten ihm gewaltig, und gleich einem echten Parvenü fühlte er sich durch den Besitz einer solchen »Prinzessin« tief geehrt.

Auf die Frage Marynias, wo sie die Flitterwochen verbracht hätten, antwortete Frau Maszko in einem Tone, »auf dem Gute meines Mannes,« als ob dies Gut schon wenigstens zwanzig Geschlechter hindurch als Majorat in dessen Familie gewesen wäre.

»Sie sind gern auf dem Lande?« fragte Marynia weiter.

»Mama zieht den Landaufenthalt jedem andern vor,« antwortete Frau Maszko.

»Gefällt Krzemien Ihrer Mama?«

»Ja. Mein Mann geht übrigens mit dem Plane um, das Wohnhaus neu aufzubauen.«

Marynia seufzte unwillkürlich und atmete erleichtert auf, als das Gesprächsthema auf gemeinschaftliche Bekannte überging. Es stellte sich heraus, daß Frau Maszko mit Aneta Osnowski und mit deren Cousine Lineta Castelli Tanzstunde gehabt hatte und beide Damen genau kannte.

Während dieser Unterhaltung saßen die beiden Herren in dem anstoßenden Salon und besprachen die Testamentsangelegenheit.

»Ich muß Dir gestehen,« bemerkte Maszko, »daß ich jetzt wieder aufatme. Seit Jahren hatte ich keinen ähnlichen Fall. Hier handelt es sich um Millionen. Ploszowski ist noch reicher als seine Tante gewesen. Ehe er sich erschoß, hat er sein ganzes Vermögen der Mutter von Frau Kromicki vermacht, da aber diese die Erbschaft ausschlug, fiel alles an das alte Fräulein Ploszowski. Begreifst Du jetzt, um welch ungeheuere Summen wir kämpfen?«

»Bigiel schätzt die Hinterlassenschaft auf siebenmal hunderttausend Rubel.«

»Sage Deinem Bigiel, diesem Rechenkünstler, daß sie sich gerade auf das Doppelte beläuft. Mir mußt Du aber Gerechtigkeit widerfahren lassen, ich weiß mir doch stets wieder zu helfen. Weißt Du, wem ich eigentlich die Wendung meines Schicksals zu danken habe? Deinem Schwiegervater. Er hat mir zuerst von dem Testamente gesprochen; anfänglich wies ich ihn ab. Dann geriet ich in die Verlegenheit, von der ich Dir schrieb, das Messer ging mir an die Kehle, und als ich wieder einmal mit ihm zusammentraf und er abermals von Fräulein Ploszowski zu sprechen begann, schlug ich mir vor die Stirn und fragte mich, was ich zu verlieren habe. Ich ersuchte daher den Notar Wyszynski, mir eine Abschrift des Testamentes zu überschicken. Schon bei der ersten Durchsicht fielen mir verschiedene Formfehler auf. Binnen acht Tagen hatte ich die Vollmacht der Erben in Händen und machte die Klage anhängig. Und was geschah? Das Honorar, das ich erhalte, wenn ich den Prozeß gewinne, wurde zum Tagesgespräch. Die Leute brachten mir das frühere Vertrauen entgegen, meine Gläubiger erklärten, sich gedulden zu wollen, ich erhielt wieder unbeschränkten Kredit – und ich war gerettet . . . All die romantischen Ideen, durch emsige Arbeit, durch Einschränkung meiner Lebensführung zu Geld zu kommen, wurden über Bord geworfen, als Thorheit betrachtete ich sie nun.«

»Sage mir aber wenigstens aufrichtig, ob Du die Sache für gut hältst?«

»Du weißt ebensowohl wie ich, daß ein geschickter Advokat einer jeden Sache eine günstige Seite abzugewinnen versteht. Hier handelt es sich hauptsächlich darum, ob die Abfassung des Testamentes den Gesetzen entspricht.«

»Du hast also Aussicht, zu gewinnen?«

»Wenn es gilt, ein Testament umzustoßen, ist man fast immer im Vorteil, denn der Angriff wird gewöhnlich viel energischer geführt, als die Verteidigung. Wer wird sich gegen mich zur Wehr setzen? Die verschiedenen Anstalten sind schwerfällige Körperschaften, bei deren Verteidiger auch nicht das geringste persönliche Interesse vorwaltet. Was werden sie dem Advokaten geben, den sie aufstellen? Das, was ihm das Gesetz zuspricht. Dieser Advokat wird daher viel mehr Vorteil davon haben, wenn ich gewinne, denn dann hängt es vielleicht von mir ab, einen Vergleich mit ihm zu schließen. Ich sage Dir, in Rechtssachen geht es ebenso wie im Leben, die Partei gewinnt, die am energischsten vorgeht.«

»Aber die öffentliche Meinung zermalmt Dich einfach, wenn Du ein solches Vermächtnis umstößest. Du hättest meine Frau hören sollen, die doch einigermaßen bei der Sache beteiligt ist.«

»Einigermaßen?« unterbrach ihn Maszko. »Als Deine Wohltäterin wirst Du sie noch betrachten lernen.«

»Trotzdem ist meine Frau sehr böse über diese ganze Angelegenheit.«

»Deine Frau ist eine Ausnahme.«

»Durchaus nicht, ich finde die Sache auch nicht recht nach meinem Geschmacke.«

»Meiner Ansicht nach kann eine gewisse Unpopularität einem Menschen »comme il faut« eher nützen, als schaden. Zudem kommt es ganz darauf an, wie die Sache verläuft. Man würde mich, wie Du ganz richtig behauptest, zermalmen, wenn ich den Prozeß verlöre, wenn ich aber gewinne, werde ich als einer der tüchtigsten Köpfe gelten – und ich gewinne ihn.«

Nach kurzem Schweigen fuhr Maszko fort: »Und was den wirtschaftlichen Standpunkt anbelangt, um was handelt es sich hier? Das Geld bleibt im Lande, das ist die Hauptsache, und keinesfalls wird ein schlimmerer Gebrauch davon gemacht, als wenn man es damit ermöglichte, einige schwächliche Kinder großzuziehen, die dann späterhin nur zur Vermehrung der Zwerg-Rasse beitragen, oder wenn man damit das Leben etlicher alter Frauen oder Männer ein paar Jahre länger fristete. Damit ist dem Lande sicherlich nicht sehr gedient und von einer Produktivität des Kapitales keine Rede. Es wäre sehr wünschenswert, wenn mehr Nationalökonomie bei uns studiert würde. Ich betrachte es außerdem als meine erste Pflicht, meine Frau und meine zukünftige Familie sicher zu stellen, deshalb sträube ich mich gegen das Ertrinken und suche empor zu kommen. Dieses Recht steht einem jedem zu. Meine Frau bezieht zwar eine ansehnliche Rente, besitzt aber nicht viel Vermögen und schickt dabei jährlich ihrem Vater eine bestimmte Summe. Wenn wir nicht auf solche Weise seine Pension vergrößert hätten, wäre er hierher gekommen, und das will ich unter jeder Bedingung verhindern.«

Maszko hätte sich zweifellos noch weitläufiger über dieses Thema ausgelassen, wenn er nicht von Polaniecki aufgefordert worden wäre, mit ihm zu den Damen zurückzukehren, bei denen sich inzwischen Zawilowski eingestellt hatte. Er sollte den Thee mittrinken und Polaniecki wollte ihm die aus Italien mitgebrachten Photographien zeigen. Die ganze Sammlung lag schon auf dem Tische bereit, allein Zawilowski betrachtete gerade das Bild Litkas, von dem er so entzückt war, daß er für nichts anderes Sinn hatte und kaum einige Worte für Maszko fand, als er diesem vorgestellt wurde.

»Ich hätte dies Bild nie für ein Porträt gehalten,« wandte er sich an Frau Polaniecki. »Welch ein wunderbares Köpfchen und welch ein Ausdruck! Ist das Ihr Schwesterchen?«

»Nein,« antwortete Marynia. »Ich liebte aber das Kind von ganzem Herzen. Es ist nicht mehr am Leben.«

Diese Worte erhöhten noch das Interesse Zawilowskis. Während einiger Zeit studierte er schweigend die engelgleichen Züge Litkas, dann sagte er: »Ich fragte Sie deshalb, ob es Ihr Schwesterchen sei, weil in den Zügen oder vielmehr in den Augen . . . in der That, es ist eine gewisse Aehnlichkeit vorhanden.«

Zawilowski meinte es ganz ernst mit dem, was er sagte, allein Polaniecki trieb einen solchen Kultus mit der Verstorbenen, daß ihm Zawilowskis Ausspruch als eine Art Profanation vorkam. Er nahm ihm rasch die Photographie aus der Hand, stellte sie an ihren Platz zurück und sagte mit der ihn kennzeichnenden rücksichtslosen Lebhaftigkeit: »Aber nicht im geringsten! Es ist auch nicht ein einziger, gemeinschaftlicher Zug vorhanden! Wie kann man da nur vergleichen! Auch nicht ein gemeinschaftlicher Zug!«

Marynia fühlte sich zwar von seiner Art und Weise etwas verletzt, nichtsdestoweniger bemerkte sie ruhig! »Ich bin ganz Deiner Meinung.« Damit begnügte er sich aber nicht.

»Kannten Sie Litka?« fragte er, sich an Frau Maszko wendend.

»Ja.«

»Es ist wahr; Sie sahen das Kind ja bei Bigiels.«

»Gewiß.«

»Nun, finden Sie, daß auch nur die geringste Spur von Aehnlichkeit vorhanden ist?«

»Nein.«

Zawilowski blickte voll Staunen auf Polaniecki, dieser hingegen betrachtete Frau Maszko, deren schlanke Gestalt sich in dem enganschließenden, seidenen Gewande vorteilhaft hervorhob, und dachte: »Wie schön sie gewachsen ist!«

Herr und Frau Maszko blieben nicht mehr lange. Als sie sich verabschiedeten, küßte ersterer Frau Polaniecki die Hand und sagte: »Ich muß binnen kurzem nach Petersburg reisen – wollen Sie sich während dieser Zeit ein wenig meiner Frau annehmen?«

Beim Thee erinnerte Marynia den jungen Dichter an das Versprechen, ihr sein Gedicht »Auf der Schwelle« vorlesen zu wollen, und er fühlte sich so behaglich bei den Polanieckis, daß er nicht nur dieses, sondern auch noch ein anderes, früher entstandenes Gedicht vortrug. Augenscheinlich wunderte er sich selbst über seinen Mut, über die eigene Fröhlichkeit, und er bemerkte, nachdem ihm seine Zuhörer großes Lob gespendet hatten: »Ich muß Ihnen gestehen, und ich rede in vollem Ernste, daß es mir jetzt nach dem dritten Zusammensein mit Ihnen zu Mute ist, als ob ich Sie schon vor langer, langer Zeit kennen gelernt hätte.«

Nachdem er gegangen war, sagte Polaniecki: »Das ist wirklich ein begabter Mensch. Hast Du übrigens bemerkt, welche Veränderung mit ihm vorgegangen ist?«

»Er hat sich die Haare schneiden lassen,« antwortete Marynia.

»Ja, und dadurch sieht sein Bart noch stärker aus,« stimmte Polaniecki bei, während er sich erhob, um die Photographien an ihren Platz zurückzulegen. Dann nahm er das Bild Litkas und erklärte: »Ich stelle es in mein Arbeitszimmer.«

»Dort hast Du ja das andere Porträt.«

»Ja, aber ich will nicht, daß ein jeder, der kommt, das Bild hier ansieht und Bemerkungen darüber macht. Das ärgert mich. Du erlaubst doch?«

»Gewiß, mein Stach,« erwiderte Marynia.


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