Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Dreiundzwanzigstes Kapitel

An diesem Abend gab es auf der ganzen Welt keinen unglücklicheren Menschen als Gątowski, der beständig fürchtete, Polaniecki könne seinen Streit mit Maszko erwähnen. Polaniecki erriet dies sofort und wußte ebensogut, daß er durch sein Stillschweigen ein gewisses Uebergewicht über den Bären erlangen konnte. Im Interesse Maszkos wollte er zwar jetzt schweigen, allein er mochte sich das Vergnügen nicht versagen, Gątowski auf andere Weise zu strafen. Und so widmete er sich denn Marynia den ganzen Abend vollständig und auf eine Weise, wie ehemals vor Litkas Tode, was Marynia mit sichtlicher Freude aufnahm. Dem alten Plawicki Gątowski vollständig überlassend, plauderten sie miteinander und sprachen leise von Frau Emilie und deren bevorstehendem Eintritt bei den barmherzigen Schwestern.

Einen Augenblick, während Marynia im Nebenzimmer Thee bereitete und Plawicki gegangen war, um sich eine Cigarre zu holen, blieben die beiden jungen Leute allein beieinander, und dies benutzte Polaniecki, indem er zu Gątowski sagte: »Ich bitte Sie, mich nach dem Thee zu begleiten, ich möchte wegen ihres Zwistes mit Herrn Maszko mit Ihnen reden.«

»Gut,« erwiderte Gątowski unfreundlich, denn er war überzeugt, Polaniecki werde Maszko als Sekundant dienen.

Er mußte also zum Thee und dann noch einige Zeit bleiben, da der alte Plawicki sich nicht gerne früh legte und ihn zu einer Partie Schach aufforderte.

Zur bittern Qual des »Bären« saßen Marynia und Polaniecki während dieser Partie wieder in lebhaftem Gespräch beieinander.

»Ueber die Ankunft Gątowskis freuen Sie sich gewiß sehr,« sagte Polaniecki. »Bringt er Ihnen doch Kunde von Krzemien.«

In Marynias Antlitz drückte sich eine gewisse Verwunderung aus. »Ich denke gar nicht mehr an Krzemien,« versicherte sie.

Damit sprach sie freilich die Unwahrheit, denn im tiefsten Herzen sehnte sie sich immer noch nach dem geliebten Orte, wo sie aufgewachsen war, grämte sie sich über ihre getäuschten Hoffnungen, allein sie meinte, es sei ihre Pflicht, die Gefühle zu unterdrücken.

»Krzemien,« fügte sie mit zitternder Stimme hinzu, »war der Anlaß unseres Streites, und es ist mein Wunsch, daß jetzt immer Frieden und Eintracht zwischen uns herrsche.«

Bei diesen Worten blickte sie Polaniecki mit der süßen Koketterie in die Augen, mit der eine leichtfertige Frau immer einzunehmen versteht, eine ehrbare aber nur dann, wenn sie liebt.

»Sie haben die beste Waffe gegen mich in der Hand,« entgegnete Polaniecki, »denn durch Güte kann man mich zur Hölle führen. Doch es wird spät, ich muß mich verabschieden.«

Nach wenigen Minuten befand er sich mit Gątowski auf der Straße.

Nun hielt Polaniecki, der seine Heftigkeit niemals zu zügeln verstand, den unglücklichen Bären fest und fragte fast herausfordernd: »Wußten Sie, daß ich den Eichenwald auf Krzemien gekauft habe?«

»Ja,« erwiderte Gątowski, »denn jener Mensch, welcher immer sagt, daß er von den Tartaren abstamme – seinen Namen habe ich vergessen – war bei mir in Jalbrzykow und sagte mir, daß Sie es seien.«

»Weshalb fingen Sie dann Streit mit Maszko und nicht mit mir an?«

»Wenn Sie mich in die Enge treiben wollen, so irren Sie sich,« entgegnete Gątowski. »Ich zog jenen Herrn und nicht Sie zur Rechenschaft, weil Ihnen nichts von dem Plawickischen Gute gehört, jener aber nach dem Vertrage eine bestimmte Summe jährlich zu bezahlen hat, und es ihm nach der Art, wie er wirtschaftet, kaum möglich sein wird. Sie wollten wissen, weshalb ich meinen Mut an Maszko kühlte, nun wissen Sie es.«

Polaniecki mußte innerlich zugeben, daß das, was Gątowski sagte, eine gewisse Berechtigung habe, daher gab er dem Gespräch eine andre Wendung.

»Herr Maszko bat mich, sein Sekundant zu sein,« sagte er, »deshalb kann ich nicht umhin, diese Angelegenheit aufs Tapet zu bringen. Als Sekundant werde ich nun morgen zu Ihnen kommen, heute aber sage ich Ihnen als Privatmann und Verwandter Herr Plawickis nur so viel: Sie haben diesem einen schlechten Dienst erwiesen, und wenn es Fräulein Marynia am nötigsten fehlt, wird sie es Ihnen zu danken haben.«

Gątowski machte große Augen. »Mir? Wenn es ihr am nötigsten fehlt?«

»Ja, so ist's,« wiederholte Polaniecki, »denn wie das Duell auch ausgehen mag, sicher ist, daß es die verhängnisvollsten Folgen haben wird. Sie haben Herrn Plawicki höchst wahrscheinlich ruiniert, ihn und seine Tochter der Mittel zum Leben beraubt.«

Gątowski verlor vollständig den Kopf und stand bestürzt mit offenem Munde da, außerstande, ein Wort hervorzubringen, und erst nach einigen Minuten begann er: »Wie? Was? Der Mittel zum Leben? Darben sollen sie nie, und wenn ich ihnen Jalbrzykow abtreten müßte.«

Doch Polaniecki fiel ihm in die Rede. »Schade um die unnützen Worte, Herr Gątowski,« sagte er. »Ich kenne Ihre Heimat von meiner frühesten Kindheit an. Was ist dies Jalbrzykow eigentlich und was gehört Ihnen davon?« Dies war richtig. Jalbrzykow war ein Gut von neun Hufen Landes und Gątowski hatte hohe Schulden mit übernommen, so daß ihm die Hände völlig gebunden waren. Doch sagte er sich, daß die Dinge sich vielleicht nicht so verhielten, wie Polaniecki sie hinstellte, und gleich einem letzten Rettungsanker hielt er diesen Gedanken fest.

»Ich begreife nicht recht, was Sie sagen,« bemerkte er . . . »Gott ist mein Zeuge, daß ich lieber selbst zu Grunde gehen, als dazu beitragen möchte, daß die Plawickis zu Grunde gehen, auch wissen Sie ja, mit welcher Freude ich Herrn Maszko den Hals umdrehen würde, allein wenn es sein muß, wenn es sich um das Wohl der Plawickis handelt, so möge mich zuerst der Teufel holen. Nach jenem Streit ging ich sogleich zu Herrn Jamisz, der sich jetzt anläßlich einer Gerichtsverhandlung hier befindet, und gestand ihm alles. Er sagte mir, daß ich eine Thorheit begangen, und tadelte mich darob mit vollem Rechte. Wenn es sich nur um meine Haut handelte, läge mir an all dem nichts. Aber unter den obwaltenden Umständen will ich thun, was mir Herr Jamisz sagt. Er wohnt im ›Hotel Saski‹ und ich auch.«

Daraufhin trennten sie sich und Gątowski ging in sein Hotel, innerlich Maszko, sich selbst und Polaniecki verwünschend. Fühlte er doch nur zu wohl, daß er der Geliebten, für die er freudig seinen letzten Blutstropfen hingegeben hätte, eine schwere Schädigung zugefügt hatte, fühlte er doch nur zu wohl, daß nun für ihn jede Hoffnung dahin war. Jetzt konnte er erwarten, daß ihm Herr Plawicki seine Thür verschließen, Marynia sich mit Polaniecki verheiraten werde, vorausgesetzt, daß er sie zur Frau haben wollte. Aber wer hätte sie nicht gewollt? Und dabei sah der Arme ganz klar, daß er unter denen, welche ihre Hand begehrten, jedenfalls der letzte gewesen wäre, den sie genommen hätte. – Was besitze ich denn? – Nichts – sagte er sich selbst. Nichts, als das elende Jalbrzykow, weder Verstand, noch Geld. Jeder Mensch weiß etwas, nur ich weiß nichts. Jeder versteht etwas, nur ich verstehe nichts. Dieser Polaniecki ist gebildet und hat Geld, und obwohl ich sie tausendmal mehr liebe als er, habe ich doch nur das Nachsehen davon, da ich Thor ihr mehr schade als nütze.

Nach Hause zurückgekehrt, hatte Polaniecki ungefähr denselben Gedankengang wie Gątowski, empfand aber trotzdem nicht das geringste Mitgefühl für den Beklagenswerten. Maszko wartete schon seit einer Stunde auf ihn und sagte gleich nach der Begrüßung: »Kreszowski wird mein zweiter Sekundant sein.«

»Ich habe Gątowski gesprochen,« bemerkte Polaniecki.

»Nun? Sagtest Du ihm etwas in meinem Namen?«

»Nein. Als verwandter Plawickis sagte ich ihm nur, er habe diesem einen schlechten Dienst erwiesen.«

»Und Du gabst ihm keine weitere Aufklärung?«

»Nein, aber nach allem, was er sagte, ist er vollständig bereit, auf Deine Bedingungen einzugehen. Glücklicherweise hat er sich bei Jamisz Rat geholt, welcher ein sehr verständiger Mann ist.«

»Gut,« versetzte Maszko, »gieb mir eine Feder und ein Blatt Papier.«

»Du findest alles auf dem Schreibtisch.«

Maszko setzte sich nieder und begann zu schreiben. Als er geendigt hatte, reichte er Polaniecki das Blatt und dieser las wie folgt: ›Ich erkläre hiermit, daß ich in angetrunkenem, unzurechnungsfähigem Zustande Streit mit Herrn Maszko anfing. Wieder nüchtern geworden, bekenne ich vor meinen Sekundanten, den Sekundanten des Herrn Maszko und den Personen, welche bei dem Streit anwesend waren, daß ich mich grob und unvernünftig benommen habe, und mit großem Bedauern appelliere ich demütig an die Einsicht und Gnade des Herrn Maszko, indem ich ihn um Verzeihung bitte und offen gestehe, daß sein Verfahren über dem Urteil der mir ähnlichen, gewöhnlichen Menschen weit erhaben ist.‹ »Diese Erklärung muß Gątowski vorlesen und dann unterschreiben,« sagte Maszko.

»Das ist teuflisch ausgesonnen, dazu wird sich niemand verstehen.«

»Weißt Du vielleicht, welche Folgen dieser Streit für mich haben wird? Ich weiß es und ich sage Dir nur soviel: die Kraslawskis werden jetzt bedauern, daß sie sich gebunden haben. Ich bin zu Grunde gerichtet, das ist sicher.«

»Was der Teufel!«

»Begreifst Du nun, daß ich meinen Ingrimm an jemand auslassen möchte, und daß mir Gątowski auf die eine oder andere Art für den Schaden büßen muß?«

Polaniecki zuckte die Achseln.

»Ich beklage ihn auch nicht. Mag drum die Sache ihren Lauf haben.«

»Kreszowski kommt morgen um neun Uhr zu Dir.«

»Gut.«

»Also auf Wiedersehen.«

»Wenn Du Plawicki siehst, sage ihm, daß Fräulein Ploszowski, seine Verwandte, von der er sich eine Erbschaft erwartet hat, in Rom gestorben ist. Das Testament liegt hier beim Notar Rozwady und wird morgen eröffnet werden.«

»Plawicki weiß es schon.«

Allein geblieben, sann Polaniecki darüber nach, auf welche Weise er sein Geld aus dem Bankrott Maszkos retten könne. Er sagte sich, seine Hypothek müsse vor der Liquidation gestrichen werden, im äußersten Falle jedoch blieb er, was er ehemals gewesen, der Gläubiger Krzemiens. Freilich war dies kein großer Trost, denn die auf das Gut eingetragene Schuld war nicht sicherer, als eine bei Maszko stehende, aber im Momente mußte er sich damit begnügen.

Während er darüber nachdachte, kamen ihm Litka, Frau Emilie, Marynia in den Sinn, und er konnte nicht umhin sich zu sagen, wie verschieden solche reine, edle Wesen von den Männern sind, die in ewigem Wetteifer, in ewigem Kampf und Streit begriffen sind, die all ihre Kräfte aufbieten, um schließlich ermattet und erschöpft zu ihrem Ziele, zu Macht und Reichtum zu gelangen. Wäre Polaniecki in der heiligen Schrift bewandert gewesen, so hätte er unfehlbar des Ausspruchs gedacht:

»Maria hat das bessere Teil erwählt.«


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