Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Zehntes Kapitel

Herr Plawicki war immerhin ein wohlerzogener Mensch, denn nach drei Tagen erwiderte er Polanieckis Besuch. Polaniecki vermochte kaum seine Freude zu unterdrücken. Er konnte übrigens nur staunen über den Einfluß, den die Stadt auf seinen Verwandten ausgeübt, denn dessen ganze Erscheinung hatte ein gewisses weltmännisches Gepräge bekommen. Im Knopfloch trug er eine rote Nelke.

»Auf mein Wort, ich erkannte Sie im ersten Augenblick gar nicht!« rief Polaniecki. »Sie sehen ja aus wie ein Jüngling.«

»Bonjour, bonjour,« sagte Herr Plawicki. »Ein trüber Tag heute, deshalb hast Du mich wohl für einen Jüngling gehalten.«

»Ihre Gestalt sehe ich doch, mag es nun trüb oder hell sein,« antwortete Polaniecki, und Plawicki ohne Umstände an den Schultern packend, betrachtete er ihn aufmerksam, indem er hinzufügte: »Wahrhaftig, Sie sind so schlank wie ein junges Mädchen. Wenn ich doch auch eine solche Taille hätte!«

Etwas ärgerlich über diese unceremoniöse Begrüßung, aber zugleich auch erfreut über das Erstaunen, das er erregte, wehrte ihn Plawicki ab und sagte: »Voyons, Du bist ein Narr. Beinah könnte ich Dir zürnen.«

Mit diesen Worten setzte er sich in einen Lehnstuhl.

»Maszko hat mich und noch einige Leute zum Dejeuner eingeladen. Zuerst lehnte ich ab, weil ich Marynia nicht allein lassen wollte. – Aber ihretwegen bin ich so lange auf dem Lande geblieben, daß mir eine kleine Zerstreuung wirklich notthut. Und Du bist nicht gebeten?«

»Nein.«

»Dies wundert mich. Du bist zwar ein Geschäftsmann, aber Du trägst einen guten Namen. Zudem ist ja Maszko Advokat. Ich gestehe Dir, anfangs glaubte ich nicht, daß es ihm gelingen werde, eine solche Stellung zu erringen.«

»Maszko ist ein Mensch, der vor nichts zurückschreckt.«

»Ja, er macht überall Besuche. Ich selbst hatte ehemals ein Vorurteil gegen ihn.«

»Und jetzt nicht mehr?«

»Nun, ich muß einräumen, daß er sich in der ganzen Angelegenheit mit Krzemien wie ein Gentleman benommen hat.«

»Ist Fräulein Marynia derselben Ansicht?«

»Gewiß, obschon ich glaube, daß sie den Verlust des Gutes noch nicht verschmerzt hat. Um ihretwillen suchte ich es loszuwerden, aber die Jugend hat kein Verständnis für etwas derartiges. Dies wußte ich von Anfang an, und ich bin bereit, jede Unannehmlichkeit mit Gleichmut über mich ergehen zu lassen. Was Maszko anbelangt . . . Er kaufte Krzemien, das ist wahr, aber . . .«

»Aber er ist wohl bereit, es ihr wieder zu geben?«

»Du gehörst zu der Verwandtschaft, also kann ich Dir sagen, daß ich es glaube. Schon während unseres früheren Aufenthaltes in Warschau bemühte er sich um Marynia, aber damals war sie noch jung – er gefiel ihr nicht besonders, ich selbst hatte ein Vorurteil gegen seine Familie, und so ward nichts daraus.«

»Nun wird ja doch etwas daraus.«

»Bedenke doch, Krzemien verkauft zu haben und es doch wieder zu bekommen, das ist keine Kleinigkeit. Aber Marynia ist ein wunderliches Mädchen. Es thut mir leid, dies sagen zu müssen, allein man hat oft einen tiefern Einblick in das Herz eines Fremden, als in das seines eigenen Kindes. Wenn sie selbst mit Talleyrand sagt, Paris vaut la messe –«

»Ich glaubte, Henry IV. habe dies gesagt?«

»Ihr jungen Leute findet keinen Geschmack mehr an der Geschichte und an uns Alten. Ihr wollt vor allem Geld verdienen. Nun hängt alles von Marynia ab, und ich werde ihr nicht zureden. Nein, das thue ich nicht, denn unsere Verhältnisse sind jetzt so, daß sie möglicherweise noch eine bessere Partie macht, doch muß man wohl ein wenig unter die Leute gehen und die ehemaligen Bekannten aufsuchen. Es kommt mir schwer an, aber was sein muß, muß sein. Du meinst wohl, die heutige Einladung mache mir Vergnügen? Nein! Keineswegs. Doch man muß im Verkehr mit der Jugend bleiben. Ich hoffe, auch Du wirst unserer nicht vergessen.«

»Nein, gewiß nicht.«

»Weißt Du, was man von Dir sagt? Daß Du heidenmäßig viel Geld machst. Von wem Du diesen Geschäftsgeist hast, weiß ich nicht, aber von Deinem Vater doch schwerlich. Auch will ich Dich darob nicht tadeln, nein, nein, obwohl Du mit mir umgingst, wie der Wolf mit dem Lamm. Irgend etwas an Dir gefällt mir jedoch, ich habe eine gewisse Schwäche für Dich.«

»Das beruht auf Gegenseitigkeit,« sagte Polaniecki.

In der That hatte Plawicki nicht gelogen. War er doch von einer instinktiven Bewunderung für Reichtum erfüllt, und dieser junge Geschäftsmann, der so viel Geld verdiente, flößte ihm großes Interesse ein.

»Wie hübsch Du wohnst,« sagte er.

Nachdem sich Plawicki im Salon umgesehen, an den ein zweiter, kleinerer, überaus geschmackvoll möblierter stieß, fragte er: »Weshalb verheiratest Du Dich nicht?«

»Ich werde es so bald wie möglich thun.«

Herr Plawicki lächelte verständnisvoll und Polaniecki auf die Schulter klopfend sagte er: »Ich weiß mit wem, ich weiß mit wem.«

»Wie schlau Sie sind!« rief Polaniecki. »Vor solch einem Diplomaten kann man doch nichts verbergen.«

»Mit einer Witwe? Nicht?«

»Lieber Onkel . . .«

»Ich wünsche Dir Glück! Und jetzt muß ich fort, es ist Zeit zum Dejeuner, und heute abend ist Konzert im Schweizer Thale.«

»Gehen Sie mit Maszko?«

»Mit Marynia, aber Maszko wird uns dort treffen.«

»Ich gehe mit Bigiel. Also auf Wiedersehn!«

Obwohl Polaniecki zuweilen gerne Musik hörte, hatte er bisher ganz und gar nicht an das Konzert gedacht. Bigiel, der am Nachmittag einer geschäftlichen Beratung wegen zu ihm kam, ließ sich leicht überreden, und um vier Uhr befanden sie sich schon im Schweizer Thale.

Es war ein so schöner, warmer Herbsttag, daß die Leute in Scharen herbeiströmten. Allüberall junge Mädchen und junge Frauen, welche in ihren hellen Kleidern umherflatterten wie bunte, sich in der Sonne wärmende Schmetterlinge. Unter ihnen mußte sich auch Marynia befinden.

Indessen begann das Orchester zu spielen, bevor er gefunden, was er in der Menge suchte. Nun mußte er ruhig dasitzen und zuhören, was er notgedrungen that, sich im stillen über Bigiel ärgernd, der regungslos, mit geschlossenen Augen lauschte. Nach Beendigung der ersten Nummer gewahrte er endlich den glänzenden Cylinder und schwarzen Schnurrbart Herrn Plawickis und neben ihm Marynia. An ihrer Seite saß Maszko mit der Miene eines englischen Lords. Er sagte gerade etwas, und sie wendete sich zu ihm, indem sie zustimmend mit dem Kopfe nickte.

»Herr Plawicki und seine Tochter sind hier,« sagte Polaniecki, »wir müssen sie begrüßen.«

»Wo denn?«

»Nun dort mit Maszko.«

»Richtig, gehen wir.«

Marynia, die Bigiel sehr zugethan war, begrüßte diesen überaus herzlich, vor Polaniecki hingegen verneigte sie sich nur. Sie begann sofort ein Gespräch mit jenem, erkundigte sich nach dessen Frau und Kindern, und er lud sie und ihren Vater aufs liebenswürdigste ein, ihnen am folgenden Sonntag einen Besuch in ihrer Sommerwohnung abzustatten.

»Meine Gattin würde sich sehr, sehr darüber freuen,« erklärte er. »Vielleicht kommt dann auch Frau Emilie.«

Marynia wollte etwas erwidern, aber Herr Plawicki, der sich gern amüsierte, nahm die Einladung sofort an. Es wurde festgesetzt, daß sie zum Mittagessen kommen sollten. Abends konnten sie dann wieder wegfahren, da Bigiels Villa nicht weit von Warschau entfernt lag.

»Aber jetzt setzen Sie sich beide zu uns,« sagte Herr Plawicki, »hier neben uns sind ja noch einige Stühle leer.«

Polaniecki wandte sich zu Marynia.

»Haben Sie Nachricht von Frau Chwastowski gehabt?«

»Gerade wollte ich fragen, ob Sie keine hätten?« entgegnete sie.

»Nein, aber morgen telegraphiere ich wegen Litka,« damit war das Gespräch zu Ende.

Bigiel setzte sich neben Plawicki, Polaniecki aber nahm am Ausgang der Reihe Platz. Marynia wendete sich abermals zu Maszko, so daß Polaniecki nur ihr Profil sehen konnte. Ihn dünkte, sie sei etwas magerer geworden. In ihrer ganzen Erscheinung lag jetzt etwas Großstädtisches, wozu ihr eleganter Anzug und die sorgfältige Frisur, die ganz anders war als früher, besonders beitrugen. Mit bewundernden Blicken betrachtete Polaniecki ihre geschmeidige Gestalt, und ihre Anmut, die sich in allem, sogar in den über den Knien gefalteten Händen zeigte, fiel ihm von neuem auf. Für ihn war sie jetzt eine vollendete Schönheit. Und sie unverwandt anschauend, dachte er: »Welch Glück, solch eine Gattin zu haben!«

Aber ihre ganze Aufmerksamkeit war Maszko zugewendet, und wäre Polaniecki nicht so erregt gewesen, so hätte er sich wohl gesagt, daß sie es absichtlich that, um ihn zu ärgern. Das Gespräch mußte sehr animiert sein, denn von Zeit zu Zeit überzog eine zarte Röte ihr Gesicht.

»Sie kokettiert geradezu mit ihm,« dachte er zähneknirschend.

Gar zu gern hätte er gehört, was sie sprachen; durch zwei Personen von Marynia getrennt, hörte er zuerst gar nichts, dann aber nach Beendigung eines neuen Musikstückes, einige abgerissene Worte Maszkos, welcher die Gewohnheit hatte, einen gewissen Nachdruck auf einzelne Silben zu legen, wie wenn er dadurch jedem Worte eine besondre Bedeutung geben wollte.

»Ich habe ihn gern,« sagte Maszko. »Jeder Mensch hat eben seine Schwächen – und seine Schwäche ist das Geld. Ich bin ihm dankbar, daß er mich überredet hat . . . Krzemien . . . Er ist Ihnen recht zugethan, denn er kargte nicht mit . . . Und ich gestehe, daß er mich begierig gemacht hat . . .«

Darauf erwiderte Marynia etwas mit großer Lebhaftigkeit, und wieder hörte Polaniecki ganz deutlich den Schluß der Rede Maszkos.

». . . Charakter ist noch nicht entwickelt, und seine Energie vielleicht größer als seine Intelligenz, aber im Grunde ist er eher ein guter . . .«

Polaniecki wußte, daß sie von ihm sprachen, und er begriff die Taktik Maszkos. Gleichsam nachsichtsvoll und unparteiisch zu urteilen, eher zu loben als zu tadeln, dem Nebenbuhler verschiedene gute Eigenschaften zuzugestehen und ihm doch jede Liebenswürdigkeit abzusprechen, war das fein ausgedachte Mittel des jungen Advokaten. Stellte er sich doch dadurch auf den hohen Standpunkt eines gerechten Richters. Polaniecki sah auch recht gut ein, daß Maszko dies weniger that, um ihm zu schaden, als vielmehr um sich selbst in das richtige Licht zu stellen, und daß er wahrscheinlich das nämliche von jedem andern jungen Mann gesagt haben würde, in dem er einen Bewerber Marynias gesehen hätte.

Im Grunde war dies eine Taktik, deren sich vielleicht Polaniecki selbst in einem solchen Falle bedient hätte, gleichwohl sah er in diesem Augenblick Maszko für den verhärtetsten Bösewicht an und gelobte, Vergeltung zu üben, sobald sich die geeignete Gelegenheit biete.

Am Schlusse des Konzertes konnte er sehen, wie weit Maszko schon gekommen war. Als Marynia, um ihren Schleier zu binden, die Handschuhe auszog und sie auf ihren Schoß legte, ergriff er diese und hielt sie, sowie ihren Sonnenschirm, dann nahm er ihren Spitzenkragen von der Stuhllehne, um ihn beim Ausgang aus dem Garten ihr umzuhängen – kurz, er schien vollständig von ihr in Anspruch genommen zu sein und fühlte sich offenbar sehr glücklich. Hatte sich doch Marynia während des ganzen Abends, die wenigen an Bigiel gerichteten Worte ausgenommen, nur mit ihm unterhalten. Da sie sich nun dem Ausgang zuwendeten, ging er mit ihr vor ihrem Vater her, und wieder sah Polaniecki ihr lächelndes, Maszko zugekehrtes Antlitz. Daß sie mit Maszko kokettierte, war unverkennbar, dieser selbst bemerkte es wohl, ohne bei all seiner Klugheit auch nur einen Moment vorauszusetzen, sie thue es, um Polaniecki zu ärgern.

Nachdem Maszko ihr und dem alten Plawicki in den bereitstehenden Wagen geholfen, wollte er sich verabschieden, aber sich zu ihm herausbeugend rief Marynia: »Papa hat Sie ja eingeladen mitzukommen? Nicht wahr, Papa?«

»So hatten wir es allerdings verabredet,« sagte Herr Plawicki.

Maszko stieg ein, und mit Bigiel und Polaniecki noch Grüße wechselnd, fuhren sie weg. In tiefes Schweigen versunken gingen die beiden Freunde miteinander weiter, bis Polaniecki mit scheinbarer Ruhe sagte: »Ich möchte wissen, ob sie schon verlobt sind.«

»Das glaube ich nicht,« antwortete Bigiel, »aber dazu kommen wird es wohl.«

»Das denke ich auch.«

»Ich glaubte immer, Maszko werde sich eine reiche Frau suchen, allein er ist augenscheinlich sehr verliebt. Zudem hat er nichts mehr für Krzemien zu zahlen, wenn er sie heiratet. Ja, das Geschäft ist nicht einmal so schlecht, wie es aussieht . . . und das junge Mädchen ist sehr hübsch. Was wahr ist, muß man sagen . . .«

Wieder schwiegen beide, Polaniecki war es aber so schwer ums Herz, daß er sich nicht länger beherrschen konnte.

»Ich gestehe Dir offen,« erklärte er, »der Gedanke, sie könne sich mit ihm vermählen, ist geradezu eine Pein für mich . . . Und doch kann ich nichts thun . . . nichts. Welch lächerliche Rolle habe ich doch in dieser ganzen Angelegenheit gespielt.«

»Du hast Dich vom Zorn hinreißen lassen, und dies kann jedem passieren. Daß Du der Gläubiger ihres Vaters bist, ist ein unglücklicher Zufall. Zudem hast Du ganz andere Begriffe von solchen Angelegenheiten als er, und so war von vorneherein jedes Verständnis ausgeschlossen. Du mußt der Sache ihren Lauf lassen und Dir sagen, daß Dir alles nach Wunsch geht.«

»Was hülfe das mir,« rief Polaniecki heftig, »da es mir durchaus nicht nach Wunsch geht! Nein, durchaus nicht. Glaubst Du, mir läge jetzt noch etwas daran, ob ich gesund oder krank, reich oder arm bin? Hohl und leer dünkt mich die Zukunft, Du bist mit den heiligsten Banden ans Leben geknüpft, bist gestählt für immer. Und ich? – Da war nun endlich einmal ein Lichtblick, und schon ist er wieder verschwunden.«

»Aber ist denn Fräulein Plawicki das einzige junge Mädchen auf der Welt?«

»Für mich ist sie die einzige, denn wenn eine zweite für mich existierte, so würde ich nicht allein an sie denken. Wahrlich, ich wollte, sie hätte sich schon verlobt, damit alles zu Ende wäre.«

»Ich sage Dir nur das Eine,« entgegnete Bigiel, »bekam ich als Kind einen Splitter in den Finger, so schmerzte es mich weniger, wenn ich ihn selbst herauszog, als wenn ein andrer dies that.«

»Das ist richtig,« bemerkte Polaniecki. Gleich darauf fügte er hinzu: »Aber weißt Du, man kann den Splitter nur herausziehen, wenn er nicht allzutief eingedrungen ist und sich fassen läßt. Uebrigens trifft dieser Vergleich bei mir nicht zu. Denn handle ich jetzt nach Deinem Prinzip, so wird mir jede Aussicht auf eine frohe Zukunft verdorben.«

»Das ist wahr, aber es giebt ja keinen andern Ausweg.«

»Wer kein Schwächling ist, dem wird es schwer, sich zu fügen.«

Eine Pause trat ein. Erst als sie sich voneinander verabschiedeten, sagte Polaniecki: »Ich werde Sonntag nicht zu Euch kommen.«

»Vielleicht wird dies am besten sein,« antwortete Bigiel.


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