Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Einunddreißigstes Kapitel

Zwei Wochen später übergab der Portier des Hotel Bauer in Venedig Herrn Polaniecki einen Brief mit dem Stempel aus Warschau. Gerade stand er im Begriff, mit seiner Frau in eine Gondel zu steigen, um nach Santa Maria della Salute zu fahren, wo eine Messe für Marynias Mutter, deren Todestag war, gelesen werden sollte, und da er nichts Wichtiges aus Warschau erwartete, steckte er den Brief in die Tasche und fragte seine Gattin: »Ist es nicht etwas zu früh für die Messe?«

»Jawohl, noch eine halbe Stunde haben wir Zeit.«

»So könnten wir vielleicht vorher bis zur Rialto-Brücke fahren?«

Marynia war stets bereit zu allem. Sie war noch nie im Auslande gewesen und befand sich deshalb in fortwährendem Entzücken. Im Uebermaß der Begeisterung warf sie sich ihrem Gatten zuweilen an die Brust, wie wenn er Venedig erbaut hätte und ihm ausschließlich der Dank für dessen Schönheit gebühre.

So fuhren sie denn dem Rialto zu. Der frühen Stunde wegen war noch wenig Leben um sie her, ruhig, wie schlummernd, lag der Wasserspiegel da, denn es war ein windstiller, nicht allzu sonniger Tag, einer von denen, an welchen der Canal Grande in all seiner Schönheit die Ruhe eines Kirchhofes hat. Die Paläste scheinen dann leer und verödet. Man betrachtet sie schweigend, als ob man fürchte, mit Worten die allgemeine Stille zu stören.

So ging es auch Marynia. Der für solche Schönheiten weniger empfängliche Polaniecki erinnerte sich des Briefes und zog ihn aus der Tasche, um ihn zu lesen.

»Ach,« sagte er, »Maszko ist auch schon verheiratet. Die Trauung hat drei Tage nach der unsern stattgefunden.«

»Was sagst Du?« fragte Marynia wie aus einem Traume erwachend.

»Du Träumerin! Ich sagte, die Vermählung Maszkos habe schon stattgefunden.«

»Was liegt mir an Maszko? Ich habe meinen Stach,« erwiderte sie, ihren Kopf an seine Schulter lehnend und ihm in die Augen blickend.

Polaniecki lächelte wie ein Mensch, der es huldvoll gestattet, daß man ihn liebt, aber sich durchaus nicht darüber wundert. Dann küßte er seine Gattin etwas zerstreut auf die Stirn und las weiter. Plötzlich zuckte er erschreckt zusammen und rief aus:

»Ach, das ist ein großes Unglück!«

»Was ist geschehen?«

»Fräulein Kraslawski hat eine Lebensrente von neuntausend Rubel jährlich, die ihr von einem Oheim verschrieben wurde, aber sonst keinen Groschen Mitgift.«

»Das ist ja viel!«

»Viel? Höre, was Maszko schreibt:

›Mein Bankerott ist unausbleiblich, die Zahlungseinstellung nur eine Frage der Zeit.‹ – »Sie haben sich gegenseitig getäuscht, verstehst Du? Er rechnete nämlich auf ihr Vermögen, sie auf das seinige.«

»Nun, wenigstens haben sie genug, um zu leben.«

»Ja, aber Maszko kann seine Schulden nicht bezahlen, und dies kommt für uns auch ein wenig in Betracht – für mich, Dich und Deinen Vater . . . Alles kann verloren gehen.«

Jetzt beunruhigte Marynia sich ernstlich. »Stach,« sagte sie, »wenn Deine Gegenwart in Warschau nötig ist, wollen wir zurückkehren. Welch ein Schlag wird das für Papa sein!«

»Ich werde sofort an Bigiel schreiben, er möge mich vertreten und retten, was zu retten ist. Aber nimm Dir diese Geschichte nicht allzu sehr zu Herzen, mein Kind. Ich habe genug für uns beide und für Deinen Vater.«

Marynia umarmte ihn. »Du Guter,« sagte sie, »bei einem Menschen wie Du ist man geborgen.«

»Vielleicht ist noch etwas zu retten. – Wenn Maszko wieder Kredit bekommt, wird er uns bezahlen. Vielleicht findet er auch einen Käufer für Krzemien. Er schreibt mir, ich möge Bukacki fragen, ob er das Gut nicht kaufen wolle. Bukacki reist heute abend nach Rom, ich habe ihn zum Frühstück eingeladen. Fragen will ich ihn jedenfalls. Begierig bin ich, zu erfahren, wie sich das Leben der Maszkoschen Eheleute nun gestaltet. Am Schlusse seines Briefes schreibt er mir: ›Meiner Frau enthüllte ich den Stand meiner Angelegenheiten, sie benahm sich ziemlich passiv dabei, meine Schwiegermutter hingegen war sehr aufgebracht.‹ – Er fügt noch hinzu, er habe sich in der letzten Zeit in seine Gattin verliebt, und wenn sie sich von ihm trennen würde, wäre dies für ihn das größte Unglück seines Lebens.«

»Sie wird ihn nicht verlassen,« sagte Marynia.

»Das kann man nicht wissen,« sprach er. »Wollen wir wetten?«

»Nein, denn ich weiß, daß ich gewinnen würde. Du böser Mensch, Du kennst die Frauen nicht.«

»Ach, ich kenne sie sehr gut und weiß, daß nicht alle so sind, wie die liebe Kleine, die hier in der Gondel fährt.«

»Mit ihrem teuern, geliebten Stach.«

Sie waren indessen an der Kirche angelangt. Als sie nach der Messe ins Hotel zurückkehrten, trafen sie schon Bukacki, in einem karrierten grauen Reiseanzug, der für seine schmächtige Gestalt viel zu weit war, in gelben Schuhen und mit einer eben so phantastisch wie nachlässig gebundenen Krawatte.

»Ich reise noch heute,« sagte er, nachdem er Marynia begrüßt hatte. »Befehlen Sie, daß ich Ihnen eine Wohnung in Florenz bestelle, oder daß ich Ihnen irgend einen Palast miete?«

»So halten Sie sich auf der Fahrt nach Rom unterwegs auf?«

»Jawohl, des schwarzen Kaffees wegen, der in Italien im allgemeinen schlecht ist, aber bei Giaseta Via Tornabuona ganz vortrefflich. Dies ist jedoch das einzige, was in Florenz etwas wert ist.«

»Weshalb finden Sie denn ein Vergnügen darin, immer etwas andres zu sagen, als Sie wirklich denken?«

»Das thue ich keineswegs. Und vorerst denke ich wirklich daran, Euch eine schöne Wohnung auf dem Lung-Arno zu mieten.«

»Wir halten uns in Verona auf.«

»Wegen Romeo und Julie? Nun ja, fahrt nur hin, solange Ihr noch nicht mit den Achseln zuckt, wenn Ihr an sie denkt. In einem Monat wäre es schon zu spät.«

Marynia sah ihn halb belustigt, halb entrüstet an und sagte zu ihrem Gatten gewendet: »Stach, erlaube doch diesem Herrn nicht, mich derart zu quälen.«

»Ich will ihm meinetwegen den Kopf abschneiden, aber erst nach dem Frühstück,« entgegnete Polaniecki.

Bukacki aber begann zu deklamieren:

»Der Tag ist ja noch fern,
Es war die Nachtigall und nicht die Lerche.«

Und zu Marynia gewendet fragte er: »Hat Polaniecki jemals ein Sonett an Sie gedichtet?«

»Nein.«

»O, das ist ein böses Zeichen. Sie haben ja einen Balkon am Hause. Ist es ihm nicht ein einziges Mal eingefallen, Ihnen mit der Mandoline ein Ständchen zu bringen?«

»Nein, auch nicht!«

»O, das ist sehr schlimm. Hier in Italien liegt so etwas in der Luft, und wenn jemand wahrhaft liebt, dichtet er entweder Sonette, oder er bringt der Geliebten ein Ständchen mit der Mandoline. Das ist eine Thatsache, die in der geographischen Lage, in den Meeresströmungen, in der chemischen Zusammensetzung von Luft und Wasser begründet ist, und wer keine Sonette schreibt und keine Ständchen bringt, liebt sicherlich auch nicht. Ich kann Ihnen sehr berühmte Werke citieren, welche von diesem Thema handeln.«

»Mir scheint, ich werde genötigt sein, Dir noch vor dem Frühstück den Kopf abzuschneiden,« sagte Polaniecki.

Zu der Exekution kam es indessen nicht mehr, da gerade das Frühstück gebracht ward.

Das Interesse, das Marynia für ihre ganze Umgebung zeigte, die frische, natürliche Art, mit der sie ihr Entzücken über die hehren Kunstwerke kundgab, gewährte Bukacki viel Freude, so daß er ihr oft einzureden suchte, sie mit ihrer empfänglichen, unverdorbenen Natur sei die größte Autorität für ihn in Kunstsachen.

Von derartigen Dingen war jedoch jetzt nicht die Rede, denn Polaniecki gedachte plötzlich wieder der Warschauer Neuigkeiten und sagte:

»Ich habe einen Brief von Maszko.«

»Ich auch,« versetzte Bukacki.

»Du auch? Dann scheint die Sache ernst zu werden. Also weißt Du, um was es sich handelt?«

Da Bukacki wohl wußte, welcher Zwist früher zwischen Polaniecki und Marynia wegen Krzemien entstanden war, hätte er es gern vermieden, das Gut zu erwähnen, aber Polaniecki sagte ruhig: »Ach Gott, ehedem hüteten wir uns ängstlich, das Wort Krzemien auszusprechen, aber jetzt kannst Du unbesorgt reden. Es ist ja unmöglich, sich das ganze Leben hindurch zu genieren.«

Bukacki blickte ihn scharf an; Marynia wurde ein wenig rot und sagte: »Stach hat ganz recht. Es handelt sich um Krzemien, nicht wahr?«

»Ja, es handelt sich um Krzemien.«

»Nun, und was weiter?« fragte Polaniecki.

»Ich werde es nicht kaufen, auch deshalb nicht, damit Sie, gnädige Frau, nicht denken, daß die Menschen wie mit einem Spielball damit umgehen.«

Marynia errötete noch tiefer und bemerkte: »Aber ich denke ja gar nicht mehr an Krzemien.«

Dabei schaute sie ihren Gatten an. Dieser nickte mit dem Kopfe zum Zeichen der Zufriedenheit. »Das ist ein Beweis, daß Du ein verständiges Kind bist,« bemerkte er.

»Wenn aber Herr Maszko sich nicht halten kann,« setzte Marynia hinzu, »so wird Krzemien entweder parzelliert, oder es kommt in die Hände von Wucherern, und das eine wie das andere würde mir leid thun!«

»Aha!« sagte Bukacki. »Aber Sie denken ja gar nicht mehr an Krzemien.«

Marynia schaute ihren Gatten wieder an, diesmal aber mit einer gewissen Aengstlichkeit. Doch er lachte und sagte: »Nun hast Du Dich fangen lassen, Marynia.« Zu Bukacki gewendet, fügte er hinzu: »Augenscheinlich sieht Maszko in Dir seinen letzten Rettungsanker.«

»Aber ich bin kein Rettungsanker, schau' mich doch nur an. Wer sich vor dem Ertrinken retten will und sich an einen Strohhalm klammert, der geht zu Grunde. Wenn ich Maszko helfen würde, könnte er den Lord weiter spielen, seine Frau könnte sich als große Dame gerieren, sie wären furchtbar comme il faut und würden mir eine langweilige Komödie vorspielen, wie ich sie schon öfters mit angesehen habe, die mich höchstens gähnen machte. Im andern Falle, wenn ich ihm nicht helfe, geht er zu Grunde, und es wird zu manch rührenden Auftritten, ja zu tragischen Konflikten kommen, die mich mehr interessieren. Also bedenken Sie, meine Herrschaften, eine miserable Komödie müßte ich teuer bezahlen, eine Tragödie hingegen kann ich umsonst haben. Wie sollte man hier schwanken?«

»Pfui, wie können Sie so etwas sagen?« rief Marynia.

»Ich sage dies nicht nur, sondern ich werde es auch schreiben. Hat er mich doch auf die unverschämteste Weise getäuscht.«

»Worin denn?«

»Nun, ich dachte immer, das ist ein rechter Snob. Hier ist Material für einen schlechten Charakter. Dieser Mensch hat fürwahr weder Herz noch Gewissen. Aber was zeigt sich nun? Daß er im Grunde ganz ehrlich ist, daß er seine Gläubiger gern bezahlen möchte, daß ihn die Puppe mit den roten Augen jammert, daß er sie liebt und eine Trennung von ihr als furchtbares Unglück betrachten würde. Dies schreibt er mir selbst. Bei uns zu Lande kann man auf nichts bauen. Ich halte mich fortwährend im Auslande auf, weil mich dies ärgert.«

»Daß Du doch immer so tolle Reden führst und Dich so wenig menschenfreundlich zeigst. Selbstverständlich werde ich Dir nicht zum Ankauf von Krzemien raten, zumal ich ein gewisses Interesse dabei habe. Doch würdest Du dadurch eine Beschäftigung bekommen, Dich nützlich machen können.«

Bukacki lachte laut auf und erwiderte: »Ich sagte Dir schon einmal, daß ich erstens nur das gerne thue, was mir gefällt, und da ich am liebsten nichts thue, thue ich das, was mir am meisten gefällt, indem ich nichts thue. Wenn Du kannst, so beweise mir, daß ich eine Dummheit gesagt habe. Zweitens kann ich kein gewöhnlicher Bauer werden. Das überträfe ja alles Dagewesene. Ich, für den Regen oder Sonnenschein bisher nur Bedeutung wegen des Schirmes oder Stockes hatte, ich sollte in meinen alten Tagen wie ein Kranich auf einem Fuße stehen und ängstlich darauf acht geben, ob es der Sonne beliebt zu scheinen und den Wolken die Erde zu netzen? Ich sollte zitternd darauf harren, ob mir der Weizen wächst, die Kartoffeln nicht krank werden? Ob ich imstande sein werde, dem Juden in irgend einem Neste so viele Scheffel zuzustellen, als er nach seinem Kontrakte verlangen kann, ob meine Pferde vielleicht die Rotzkrankheit bekommen und die Schafe die Drehkrankheit? Ich, ein freier Mann, sollte ein glaber adscriptus werden? Entweder ein Bruder Liederlich oder ein gewöhnlicher polnischer Landjunker?« Und durch den Wein augenscheinlich etwas erheitert, begann Bukacki in halblautem Tone die Worte des Slaz aus Lilla Veneda zu recitieren.

»Bin ich ein LechitaLechita kommt von Lech, dem Stammvater der Polen, der Sage nach. – Lech dient auch als Bezeichnung einer Klasse von Edelleuten.? Schaut mir aus dem Auge
Ungeschliffenheit, Trunkenheit, Gierigkeit.
Alle sieben Todsünden, Freud am Gelärm,
An sauren Gurken und an Wappenbildern?«

Marynia, die von dem Augenblick an, da Bukacki von den Sorgen eines Grundbesitzers zu sprechen anfing, ein wenig nachdenklich geworden war, suchte jetzt ihre Gedanken gewaltsam abzuschütteln und sagte:

»Als Papa krank war, und er fühlte sich in Krzemien nie so wohl, wie in der letzten Zeit, habe ich ihm bei der Bewirtschaftung des Gutes geholfen. Später ist mir dieses zur Gewohnheit geworden, und obwohl es uns wahrlich nicht an Sorgen mangelte, bereitete mir die Arbeit solches Vergnügen, daß ich es kaum auszudrücken vermag. Weshalb aber jene Beschäftigung mir Freude machte, das verstand ich erst, als Herr Jamisz mich darüber aufklärte. Er sagte mir, die ganze Weltordnung sei in der Landwirtschaft begründet, alle andern Beschäftigungen gingen entweder aus ihr hervor, oder seien etwas Künstliches. Später ward mir dann noch manches klar, was er gar nicht erwähnt hatte. Oft, wenn ich im Frühling über die Felder ging und sah, wie alles wächst, da ward das Herz mir weit. Jetzt weiß ich auch, weshalb. Weil an allen andern Lebensverhältnissen etwas Unwahres sein kann, nicht aber in den Beziehungen zu unserm Grund und Boden. Den kann man nicht betrügen, und auch er, ob er nun reichliche Früchte trägt oder nicht, betrügen oder täuschen wird er uns nie. Darum liebt man die Erde, wie man die Wahrheit liebt, und weil man sie liebt, lernt auch sie uns lieben. Und der Himmelstau fällt nicht nur auf Acker und Wiese, sondern er erfrischt auch unsre Seele. Man wird besser, weil man dem Herzen folgen kann, und man fühlt sich Gott näher. Deshalb habe ich mein Krzemien so sehr geliebt.«

Erschreckt über ihre eigene Beredsamkeit und ängstlich besorgt, was ihr Stach wohl darüber denken werde, hielt Frau Polaniecki inne. Die Erinnerung hatte sie überwältigt, dies drückte sich in ihren feuchten Augen, in ihrem Antlitz aus, das strahlte wie die Morgenröte.

Bukacki betrachtete sie, wie wenn sie ein unbekanntes, neu entdecktes Meisterwerk der venetianischen Schule sei, dann drückte er die Augen zu, verbarg sein Gesicht zur Hälfte in seiner riesigen Kravatte und lispelte: »Délicieuse« – doch im Ernste, »Sie haben ganz recht«.

Aber das logisch denkende Frauchen wollte sich nicht mit einem Komplimente abfertigen lassen.

»Wenn ich recht habe, so haben Sie nicht recht.«

»Sie, gnädige Frau haben recht, weil das, was Sie sagten, Ihnen gut zu Gesicht steht, und weil eine Frau dann immer recht hat.«

»Stach!« sagte Marynia sich an ihren Gatten wendend.

Dabei sah sie so bezaubernd aus, daß er sie voll Entzücken anschaute. Seine Augen strahlten, seine Nasenflügel bewegten sich rasch.

»Kind, Kind!« sagte er seine Hand einen Augenblick auf die ihre legend. Und sich zu ihr niederbeugend flüsterte er ihr zu: »Wären wir hier nicht allen Blicken ausgesetzt, so küßte ich Deine lieben Augen, Deinen Mund.«

Indessen war der Kaffee gebracht worden, und Polaniecki begann wieder: »Maszko ist förmlich zum Poeten geworden – und nach der Hochzeit.«

Nachdem er eine Tasse des heißen Getränkes hinuntergegossen, erwiderte Bukacki: »Das Merkwürdigste dabei ist, daß es Maszko ist, der poetisch geworden, nicht aber, daß er es nach der Hochzeit geworden. Ein wenig Poesie, gerade nach der Hochzeit . . . doch ich bitte um Verzeihung, beinahe hätte ich etwas Vernünftiges gesagt. Sie gnädige Frau, bitte ich tausendmal um Verzeihung und verspreche, es nie wieder zu thun. Jetzt habe ich mir mit dem heißen Kaffee die Zunge verbrannt, aber ich trinke ihn so heiß, weil man mir sagte, es sei gut gegen Kopfschmerzen, und mir thut der Kopf furchtbar, furchtbar weh.« – Dabei legte er die Hand an sein Haupt und blieb einige Sekunden unbeweglich, dann hob er wieder an: »Man schwätzt und schwatzt, bis einem der Kopf weh thut. Ich wäre auch schon längst fortgegangen, wenn ich nicht den Maler Swirski, einen berühmten Aquarellisten, erwarten müßte, mit dem ich nach Florenz fahren will. Da kommt er eben.«

Und wie durch eine Beschwörung herbeigerufen, trat Swirski in diesem Augenblick in den Saal und schaute sich überall um. Als er Bukacki entdeckte, näherte er sich dem Tische. Es war ein untersetzter Mann mit breiter Brust und so dunklem Teint und schwarzen Haaren, daß er für einen Italiener gelten konnte. Sein Gesicht war etwas gewöhnlich, hatte aber einen klugen, guten und sanften Ausdruck.

Bukacki stellte ihn Frau Polaniecki mit folgenden Worten vor: »Herr Maler Swirski, eine Art Genie, der nicht nur Talent hat, sondern auch den unglückseligen Entschluß faßte, sein Talent auszubilden, anstatt es zu vergeuden, was er eben so gut und mit demselben Nutzen für die Menschheit, wie jeder andere, hätte thun können, aber er zog vor, die Welt mit seinem Ruhme zu erfüllen.«

»Ich wollte, dies wäre wahr,« warf Swirski lächelnd ein.

»Doch Sie sollen hören, meine Herrschaften, weshalb er sein Talent nicht vergeudet hat,« fuhr Bukacki fort. »Nun aus so philisterhaften Gründen, daß es für einen anständigen Künstler eine Schande ist. Weil er große Anhänglichkeit an Pognebin, seinen Geburtsort, hat – es liegt irgendwo in der Gegend von Posen, nicht wahr? Wäre er auf Guadelupe geboren, so hätte er Anhänglichkeit an Guadelupe. Dieser Mensch ärgert mich – ist dies nicht natürlich, gnädige Frau?«

»Herr Bukacki ist nicht so schlimm, wie er sich giebt,« sagte Marynia, ihre blauen Augen auf Swirski richtend. »Mir hat er alles mögliche Gute von Ihnen gesagt.«

»Von allen verkannt, werde ich sterben,« murmelt Bukacki vor sich hin.

Swirski betrachtete indessen Marynia auf eine Art, wie es sich nur ein Maler erlauben kann, ohne zu beleidigen.

Schließlich bemerkte er halblaut: »Hier in Venedig unverhofft solch einen Kopf zu finden, das kommt mir ganz märchenhaft vor.«

»Was sagen Sie?« fragte Bukacki.

»Ich sage, gnädige Frau, daß Sie den echt polnischen Typus haben. Hier zum Beispiel (dabei zog er sich mit dem Zeigefinger über Nase, Mund und Kinn). Und welch reine Linien!«

»Nicht wahr?« rief Polaniecki entzückt aus. »Ich habe von jeher dasselbe gedacht.«

»Ich wette, daß er es nie gedacht hat,« erklärte Bukacki.

Aber Polaniecki, stolz auf das Interesse, das Marynia bei dem berühmten Künstler erregte, sagte nur: »Würde es Ihnen vielleicht Vergnügen machen, ihr Porträt zu malen? Mir würde es noch größeres bereiten, es dann zu besitzen.«

»Von Herzen gern würde ich dies thun,« erwiderte Swirski einfach, »doch reise ich heute nach Rom. Ich habe dort das Porträt Frau Osnowskis begonnen.«

»In zehn Tagen längstens werden auch wir in Rom sein.«

»Das ist ja herrlich, also abgemacht!«

Marynia errötete tief bei dieser Verabredung, Bukacki aber erhob sich und sagte zu Swirski: »Kommen Sie mit zu Floriani zu einem Gläschen Kognak.«

»Diese Polanieckis sind angenehme Leute!« bemerkte Swirski unterwegs.

»Sie haben sich erst vor kurzem verheiratet.«

»Er scheint sie sehr zu lieben. Als ich sie bewunderte, strahlte er geradezu und wußte sich nicht zu lassen vor Stolz.«

»Sie liebt ihn hundertmal mehr.«

»Wieso können Sie dies behaupten?«

Bukacki seine spitze Nase in die Höhe streckend, sprach vor sich hin: »Das hat mir die Ehe und die Liebe verleidet, daß sie in Ausnützung von der einen, in Aufopferung von der andern Seite bestehen. Dieser Polaniecki ist ein guter Mensch, damit ist jedoch alles gesagt. Sie hat ebensoviel Verstand, eben soviel Charakter, allein ihre Liebe ist größer, selbstloser, und deshalb wird es dazu kommen, daß er sich als die Sonne betrachtet, welche den Planeten, der sich um sie dreht, gnädig beleuchtet und erwärmt. Heute schon zeigt sich dies. Er wird sich lieben lassen, sich seine Liebe als Tugend anrechnen, sie wird ihre Liebe als ein Glück und eine Pflicht betrachten.«

Im Café Floriani ließen sie sich Kognak bringen. Swirski, der noch immer an Polaniecki und Marynia dachte, bemerkte plötzlich: »Wenn sie sich aber wohl dabei fühlt? Was fordern Sie denn eigentlich von der Liebe?«

»Ich von der Liebe? Nichts! Der Teufel soll den holen, der von der Liebe etwas fordert. Von ihr habe ich ein Zwicken in den Füßen. Doch wäre ich anders, als ich bin, müßte ich definieren, was Liebe eigentlich sein soll, würde ich irgend einen Anspruch an Liebe erheben, dann würde ich behaupten . . .«

»Nun?«

»Daß sie aus Verlangen und Ehrfurcht bestehen müsse.« Und sein Gläschen Kognak austrinkend fügte Bukacki hinzu: »Jetzt habe ich etwas gesagt, was sehr klug sein könnte, wenn es nicht thöricht wäre. Uebrigens ist mir alles einerlei.«

»Nun, thöricht ist dies nicht.«

»Bei Gott, mir ist alles einerlei.«


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