Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Vierundfünfzigstes Kapitel

Einige Tage später fuhr Zawilowski, auf Polanieckis Aufforderung hin, in die Stadt. Der junge Mann hatte zwar wenig Lust, Przytulow zu verlassen, allein Fräulein Helene wünschte, daß er bei der Eröffnung des Testamentes anwesend sei, und so begab er sich denn mit Polaniecki und einem Rechtsanwalt des alten Zawilowski, Herrn Kananowicz, nach Jasmien. Als nun Zawilowski während der folgenden zwei Tage in den Briefen an seine Braut nur von seinen Gefühlen sprach, das Testament aber gar nicht erwähnte, erklärte Frau Bronicz, die zwar von diesen überschwenglichen Liebesbeteuerungen sonst ganz hingerissen gewesen war, ihrer Freundin Aneta, daß sie dies erstens für eine Dummheit halte, und daß zweitens in einem so absichtlichen Schweigen »quelque chose de louche« sei. Nun war freilich der erste Brief noch in der Stadt, der zweite bald nach der Ankunft in Jasmien geschrieben, die alte Dame behauptete jedoch, Zawilowski hätte wenigstens etwas von seinen Aussichten schreiben sollen. Herr Osnowski hingegen meinte, daß Zawilowski nur aus Zartgefühl nichts von seinen Hoffnungen und Wünschen schreibe, und deshalb kam es zu einem kleinen Streit zwischen ihm und Frau Bronicz, die den Grundsatz aussprach, die Männer hätten im allgemeinen einen schwachen Begriff von der Logik und dem Zartgefühl.

Da Frau Bronicz es ohnedies nie lange an einem Orte aushalten konnte, fuhr sie nach zwei Tagen unter einem Vorwande in die Stadt, in der Hoffnung, etwas über das Testament zu erfahren. Nur vierundzwanzig Stunden hielt sie sich dort auf und brachte bei ihrer Rückkehr Frau Maszko, mit der sie auf der Przytulower Station zusammengetroffen war, sowie die Nachricht mit, daß man kein neues Testament des alten Zawilowski gefunden habe und daß Fräulein Helene demnach die einzige Erbin des ungeheuern Vermögens sei. Zwar war diese Kunde inzwischen schon nach Przytulow durch einen dritten Brief des Herrn Ignaz an seine Braut gelangt, nichtsdestoweniger machte die Bestätigung durch Frau Bronicz einen tiefen Eindruck. Wunderlich genug war dies, denn als die beiden Damen den jungen Zawilowski kennen lernten, wußten sie, daß er kein Vermögen besaß, und Lineta wurde seine Braut zu einer Zeit, da noch keine Aussicht auf eine Erbschaft vorhanden war. Frau Bronicz fühlte sich geschmeichelt, daß der berühmte Zawilowski ihrer Nitecka und keiner andern huldigte. Ferner war die Rücksicht auf die öffentliche Meinung für sie maßgebend, denn ein junges Mädchen, das keinen Wert auf Reichtümer legte, dagegen die Geistesgaben Zawilowskis zu schätzen wußte, konnte ihrer Ansicht nach bei den Menschen nur gewinnen. Und da sie einmal den Anfang gemacht hatten, gingen sie weiter und weiter, vermöge der treibenden Kraft, welche die Menschen fortreißt und sie dann trägt, wie die Wellen eines Flusses gewaltsam fortgerissene Gegenstände tragen. Aber wie dem auch sein mochte, Fräulein Castelli war nun die Braut eines vermögenslosen Mannes, und hätten sie sich nicht selbst Hoffnungen gemacht, die sich jetzt als trügerisch erwiesen, so wäre es weder Lineta, noch Frau Bronicz, noch sonst jemand eingefallen, seine Vermögenslosigkeit als ein Unrecht zu betrachten. Doch so ist die menschliche Natur, gerade weil die Hoffnung auf eine Erbschaft plötzlich auftauchte, war die Enttäuschung dann so groß, als diese Hoffnung sich nicht verwirklichte.

In dem Briefe an Lineta schrieb Zawilowski unter anderm: »Deinethalben möchte ich gern reich sein, doch nur Deinethalben. Ich gestehe Dir offen, daß ich gar nicht mehr an die Erbschaft denke, auch weiß ich, daß Du, ein Wesen, das nicht an irdischen Gütern haftet, nicht betrübter bist als ich. Ich bin aber gar nicht betrübt, so wahr ich Dich liebe, und das ist ein heiliger Schwur, also mußt Du mir glauben. Den Menschen droht gar viel Leid und Mißgeschick im Leben, Dich jedoch möchte ich vor allem bewahren, Du Liebe, Einzige! Du meine Herrin! . . .« Diesen Brief zeigte Lineta Frau Aneta, Fräulein Ratkowski und natürlich auch ihrer Tante, als diese zurückgekehrt war. Doch während in ganz Przytulow von nichts anderem die Rede war als von dem Testamente des alten Edelmannes, bewahrte Lineta, trotz der Bemerkungen und mitleidigen Redensarten, die sie mitanhören mußte, völliges Schweigen.

Als Kopowski sich einmal mit ihr allein befand, fing er davon an, doch sie legte zuerst ihren Finger auf den Mund und dann zeigte sie auf den seinen, zum Zeichen, daß sie nicht darüber reden wolle. Sogar Frau Bronicz wagte in ihrer Gegenwart kaum ihrer Enttäuschung Ausdruck zu verleihen. War das junge Mädchen dagegen abwesend, so ließ sie ihrem Zorne freien Lauf, und mehrmals ging sie dabei so weit, daß sie sich beinahe mit Osnowski überworfen hätte. »Ich glaube nicht,« sagte er, »daß er zu schreiben aufhören würde, wenn er der Erbe des alten Zawilowski wäre. Aber die Verwaltung eines so kolossalen Vermögens würde so viel Zeit in Anspruch nehmen, daß sein Talent nur darunter leiden könnte. Wenn ich jetzt an Ignaz denke, erinnere ich mich unwillkürlich dessen, was Heinrich VIII. sagte, als einer der Hofleute feindlich gegen Holbein auftrat: ›Aus zehn Bauern kann ich zehn Lords machen, falls ich Lust dazu habe, aber aus zehn Lords mache ich noch keinen Holbein.‹ Ignaz ist kein gewöhnlicher Mensch. Glauben Sie mir, liebe Tante, ich habe Lineta stets für ein reizendes, gutes Kind gehalten und sie von jeher gern gehabt, aber sie ist in meinen Augen noch gestiegen, seitdem sie Ignaz schätzen lernte. Einem solchen Menschen etwas sein zu können, ist ja ein Glück, um das sie jede Frau beneiden könnte. Ignaz besitzt übrigens ein kleines Vermögen von ungefähr zehn- bis zwanzigtausend Rubel, und nach dem Tode seines Vaters bekommt er das, was der alte Zawilowski für diesen ausgesetzt hat. Arm ist er nicht.«

Frau Bronicz zuckte verächtlich die Achseln. »Ach,« erwiderte sie, »dadurch, daß sie Zawilowski ihr Jawort gegeben, hat Nitecka ja schon bewiesen, daß sie nicht auf Vermögen sieht.«

»Ein Unglück ist überhaupt nicht geschehen!« sagte Herr Osnowski. »Fräulein Helene wird sicherlich nie heiraten, daher bekommen die Kinder des jungen Paares dereinst das ganze Vermögen.«

Doch Frau Bronicz machte noch immer ein betrübtes Gesicht, und Herr Osnowski fügte daher hinzu:

»Ei, Tante, in Gottes Willen muß man sich fügen. Und Ignaz ist doch dadurch nicht weniger geworden!«

»Ach, nein,« antwortete sie ein wenig ärgerlich. »Natürlich bleibt auch alles, wie es ist. Zawilowski hat ja Talent, aber trotzdem kann doch kein Zweifel darüber herrschen, daß er eine ausgezeichnete Partie macht. Natürlich ist das Vermögen nicht die Hauptsache, zumal die Art, wodurch der alte Zawilowski es vergrößert hat, den Leuten schon viel zu reden gegeben hat . . . Erst heute habe ich mit Nitecka für ihn gebetet . . . Aber was ist da zu machen! . . . Natürlich hätte ich es lieber gehabt, wenn er nicht so unwahr gewesen wäre, denn eine solche Anlage vererbt sich leicht, und für Nitecka und mich würde es auch besser gewesen sein, wenn uns Ignaz nicht zu verstehen gegeben hätte, daß sein Oheim ihn zum Erben einsetzen werde.«

»Ich bitte um Entschuldigung,« unterbrach sie Herr Osnowski lebhaft, »aber so etwas hat er nie zu verstehen gegeben. Das geht denn doch zu weit. Er wollte ja gar nicht zu dem alten Edelmann gehen, Sie selbst haben ihn dazu gezwungen.«

Doch Frau Bronicz war nun einmal im Zuge, und ihr Redestrom konnte durch nichts mehr aufgehalten werden. Daher erwiderte sie mit wachsender Erregung:

»Ihnen hat er vielleicht nichts zu verstehen gegeben, aber mir. Nitecka mag es bezeugen. Uebrigens sagte ich Ihnen ja schon, daß das Vermögen nicht die Hauptsache sei. Aendern wird sich gar nichts, und wenn ich mich ein wenig gräme, so ist der Grund anderswo zu suchen . . . Sie sind nie eine Mutter gewesen, und als Mann können Sie nicht begreifen, wie viel Angst wir Mütter in dem Moment haben, da wir unser Kind in fremde Hände legen. Jetzt erst habe ich erfahren, daß Zawilowski bei all seinen guten Eigenschaften doch auch sehr jähzornig ist. Ich meinesteils habe ihn immer dafür gehalten, und wenn dem so ist, wäre es geradezu der Tod für Lineta. Selbst Herr Polaniecki hat nicht in Abrede gestellt, daß Ignaz jähzornig ist . . . Polaniecki, sein Freund, insofern Männer überhaupt zur Freundschaft fähig sind, gab auch zu verstehen, daß Zawilowskis Vater ebenfalls sehr jähzornig gewesen ist und infolge davon irrsinnig ward, was ja sehr leicht erblich sein kann. Daß Ignaz meine Nitecka liebt, insoweit die Männer überhaupt imstande sind zu lieben, weiß ich wohl, aber wie lange wird diese Liebe währen? Daß er auch ein Egoist ist, können Sie nicht leugnen (übrigens seid Ihr ja alle Egoisten), also dürfen Sie sich nicht wundern, wenn mir bange wird bei dem Gedanken, daß mein Töchterchen in die Hände eines egoistischen, verrückten Tyrannen kommt.«

»Ist das nicht zum Davonlaufen!« erklärte Osnowski, sich an seine Frau wendend.

Doch Frau Aneta schien sich zu amüsieren wie in einer Komödie. Die Wortwechsel zwischen ihrem Gatten und Frau Bronicz gaben ihr stets Stoff zur Unterhaltung. Diesmal jedoch war der Disput ganz ernst, denn Frau Bronicz schaute Osnowski mitleidig an und fuhr fort:

»Und in welchen Sphären lebte er? Mit diesen Swirskis, Polanieckis und Bigiels verkehrt er. Wir alle sind in Betreff Zawilowskis verblendet gewesen, aber offen gestanden, frage ich mich nun, ob dies eine passende Gesellschaft für Lineta ist. – – Es ist nun einmal so eingerichtet in der Welt, unser Herrgott selbst hat einen Unterschied zwischen den Menschen gemacht, und dazu kommt dann der Unterschied in der Erziehung; denn die Männer können sich so etwas gar nicht vorstellen, ja, keiner kann sich so etwas vorstellen, aber ich versichere Sie, daß es gar feine Abstufungen giebt, die von Wichtigkeit sind. Sie, Jozio, wissen wohl nicht, wie Nitecka ist! Mit dem Leben könnte sie es büßen, wenn sie unangenehm berührt oder durch irgend etwas abgestoßen würde. Bedenken Sie doch, wer sind denn diese Leute? Die Polanieckis, Swirskis, kurz die ganze Gesellschaft, mit der Zawilowski verkehrt und mit der Lineta vielleicht notgedrungen auch verkehren muß.«

»Ach, also von dem Standpunkt aus betrachten Sie die Sache?« unterbrach Osnowski sie ungeduldig. »Auch gut! Wer der alte Zawilowski war, das wissen Sie ganz genau, liebe Tante, da Sie ja häufig genug mit ihm zusammenkamen. Und wenn Sie von der Sphäre sprechen, worin Lineta leben soll, so muß ich Ihnen doch sagen, daß wir alle im Vergleich zu Polanieckis z. B. nichts anderes als Parvenüs sind und daß wir uns eher zu jenen Leuten als sie sich zu uns herangedrängt haben. Auf einen Stammbaum habe ich noch nie Wert gelegt, aber wenn Sie denn doch davon anfangen, sollen Sie auch meine Meinung hören. Daß die Swirskis von einem Fürstengeschlecht abstammen, wissen Sie sicherlich. Die eine Linie, die nach Großpolen übergesiedelt ist, hat den Titel abgelegt, besitzt aber noch das Recht darauf. Das sind die Leute, mit denen Zawilowski verkehrt. Was uns hingegen betrifft, so war mein Großvater Verwalter irgendwo in der Ukraine – ich schäme mich gar nicht, dies zu sagen – und über die Abstammung der Familie Bronicz wissen Sie ja besser Bescheid als ich. All dies hätte ich auch gar nicht berührt, wenn wir nicht allein wären und offen sprechen könnten. Und über die Castellis brauche ich Sie gewiß nicht aufzuklären.«

»Sie stammen von Marino Falieri ab!« rief Frau Bronicz begeistert.

»Liebe Tante, wir sind ja unter uns.«

»Von Nitecka hing es allein ab, Markgräfin Calimação zu werden.«

»La vie parisienne,« erwiderte Osnowski. »Sie kennen doch diese Operette? Darin kommt ein schweizerischer Admiral vor.«

Frau Aneta amüsierte sich köstlich, allein ihren Gatten überkam plötzlich ein unangenehmes Gefühl bei dem Gedanken, daß er sich Frau Bronicz gegenüber, die ja bei ihm zu Gast war, so unumwunden ausgesprochen hatte. Daher fügte er hinzu:

»Aber wozu diese Erörterungen, liebe Tante? Sie wissen ja, daß ich Nitecka von jeher liebte und daß ich von ganzem Herzen wünsche, sie möge sich Zawilowskis würdig zeigen.«

Doch damit goß er nur Oel ins Feuer, denn als Frau Bronicz diese Lästerung vernahm, war ihre Fassung zu Ende und, sie rief voll Zorn: »Was? Nitecka soll sich Zawilowskis würdig zeigen? Dieses –«

Glücklicherweise verhinderte Frau Maszkos Eintritt weitere Auseinandersetzungen. Frau Bronicz verstummte, wie wenn ihr vor Entrüstung die Worte in der Kehle stecken geblieben wären, und Frau Aneta fragte Frau Maszko, wo sie die übrige Gesellschaft gelassen habe.

»Herr Kopowski, Nitecka und Stefeia befinden sich in der Orangerie,« erwiderte Frau Maszko. »Die Mädchen zeichnen Orchideen, und Herr Kopowski unterhielt uns während der Zeit.«

»Womit denn?« fragte Osnowski.

»Mit dem, was er sagte, und wir lachten herzlich darüber. Er erzählte uns, sein Freund, Herr Wys, der ein bedeutender Heraldiker sein soll, habe ihn versichert, daß eine polnische Familie TischfüßeMan sagt im Polnischen: So dumm wie ein Tischfuß. Anmerk. des Uebers. in ihrem Wappen führe.«

»Bloß eine Familie?« bemerkte Osnowski spöttisch . . . »Die Kopowskische führte sie gewiß auch im Wappen.«

»Ist Stefeia auch in der Orangerie geblieben?« fragte Frau Aneta wieder.

»Ja, sie und Lineta zeichnen.«

In diesem Augenblick brachte der Diener die Post. Herr Osnowski nahm ihm die Briefe ab, sah sie durch und teilte sie aus.

»An Anetka! An Anetka!« sagte er. »Meine kleine Schriftstellerin hat immer die größte Korrespondenz. Für Sie,« setzte er dann, zu Frau Maszko gewendet, hinzu. »An die Tante – und dieser an Stefeia . . . Die Handschrift ist mir bekannt . . . Die Damen gestatten doch, daß ich ihr das Schreiben bringe?«

»Gewiß! Gehe nur!« rief Frau Aneta. »Inzwischen lesen wir die unsrigen.«

Osnowski begab sich ins Treibhaus, wo er die jungen Leute unter einem großen Baum, an einem eisernen Tischchen fand, worauf ein Orchideenstock stand. Die beiden Mädchen zeichneten eifrig, Kopowski saß bei ihnen und schaute über ihre Schultern hinweg in die Skizzenbücher. Er trug einen weißen Flanellanzug, schwarze Strümpfe und rauchte eine Cigarette, die er aus einem neben dem Blumenstocke liegenden Etui herausgenommen hatte.

»Guten Tag,« sagte Osnowski, »nun, sind meine Orchideen nicht herrlich? Welch eigentümliche Blumen sind das! Ich habe einen Brief für Dich, Stefeia. Bitte um Entschuldigung und lies ihn. Mich dünkte, ich kenne die Handschrift.«

Fräulein Ratkowski öffnete das Schreiben und begann zu lesen. Plötzlich veränderte sich ihr Gesicht, eine tiefe Glut überzog es, um dann einer Totenblässe zu weichen. Osnowski betrachtete sie voll Neugierde, bis sie geendigt hatte und auf die Unterschrift zeigend sagte: »Hier lies!«

»Ah!« rief Osnowski, der mit eins alles begriff.

»Darf ich Dich um eine kurze Unterredung ersuchen?« fragte sie.

»Ich stehe Dir zu Diensten, mein Kind,« antwortete er.

Die beiden entfernten sich miteinander.

»Endlich lassen sie uns einmal allein,« bemerkte Kopowski wieder.

Lineta erwiderte kein Wort. Sie nahm das auf dem Tische liegende Lederetui Kopowskis und fuhr sich leicht damit über das Gesicht. Er aber richtete einen Blick auf sie, unter dem sie geradezu zu schmelzen schien. Zwar wußte sie längst, was sie von ihm zu halten hatte, trotzdem brachten die Schönheit und Eleganz des jungen Fant ihr Blut in Wallung.

»Haben Sie schon bemerkt, daß wir seit einiger Zeit unablässig beobachtet werden?« setzte Kopowski hinzu.

Doch sie that, als ob sie es nicht gehört hätte, strich sich fortwährend mit dem Etui über das Gesicht, und es an ihren Mund führend, sagte sie: »Wie weich das ist, wie angenehm die Berührung. Probieren Sie es nur einmal.«

Kopowski nahm das Etui, führte es an die Lippen und küßte die Stelle, welche Lineta berührt hatte. Ein kurzes Schweigen folgte.

»Wir müssen jetzt gehen,« sagte Fräulein Castelli.

Sie nahm den Blumenstock und wollte ihn auf ein Gestell niedersetzen, konnte aber, da es etwas abschüssig war, nicht damit zustande kommen.

»Gestatten Sie mir,« sagte Kopowski.

»Nein, hier könnte er fallen und zerbrechen. Auf der andern Seite hat er besser Platz.«

Mit diesen Worten ging sie auf die andere Seite des Gestelles, wo sich zwischen diesem und der Wand ein schmaler Gang befand. Kopowski folgte ihr.

Dort trat sie auf einen Haufen Ziegelsteine und stellte den Blumenstock auf die höchste Stufe, aber in dem Augenblick, als sie wieder heruntergehen wollte, verschoben sich die Ziegel und sie schwankte. Nun umfaßte sie Kopowski, der hinter ihr stand, und zog sie an sich.

So blieben sie einige Sekunden dicht aneinander gedrängt.

»Was thun Sie! . . . Das ist unrecht!« flüsterte sie, während sie ihren Kopf an seine Schulter lehnte und ihr heißer Atem ihn überströmte.

Aber statt jeder Antwort drückte er seinen Mund auf ihre Lippen.

Da umschlang sie mit beiden Armen seinen Hals und küßte ihn leidenschaftlich.

In ihrer Versunkenheit bemerkten sie nicht, daß Osnowski inzwischen durch die offene Thüre wieder in das Treibhaus getreten war, sich ihnen genähert hatte und sie nun mit ganz verändertem, schreckensbleichem Gesichte betrachtete.


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