Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Achtundfünfzigstes Kapitel

Durch die entsetzliche Katastrophe vergaß Polaniecki vollständig seines Versprechens, Osnowskis mitzuteilen, wie Zawilowski das Zurückgehen der Verlobung und die Abreise Fräulein Castellis ertragen habe. Als aber Osnowski von dem Vorfall aus den Zeitungen erfuhr, erkundigte er sich täglich telegraphisch nach dem Befinden des Kranken, da er über dessen Zustand sehr beunruhigt war. In der Presse und im Publikum kursierten die verschiedensten Gerüchte. Manche Blätter brachten die Nachricht, Zawilowskis Zustand sei hoffnungslos, andere prophezeiten eine baldige Genesung. Aber selbst Polaniecki war längere Zeit nicht imstande, Herrn Osnowski bestimmte Nachrichten zugehen zu lassen, und erst nach vierzehn Tagen schickte er eine Depesche mit der Meldung, daß der Kranke, der bisher stets zwischen Leben und Tod geschwebt hatte, nach dem Ausspruche der Aerzte gerettet sei.

Osnowski antwortete mit einem ausführlichen Briefe, in dem er gleichzeitig verschiedene Neuigkeiten aus Ostende mitteilte:

»Gott vergelte Ihnen tausendmal diese gute Nachricht. So ist denn jede Gefahr beseitigt. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, welche Last uns beiden vom Herzen genommen ist. Sagen Sie Ignaz, daß nicht nur ich, sondern auch meine Frau Freudenthränen über dessen Genesung vergoß. Sie spricht jetzt von nichts anderem und denkt an nichts anderes als an ihn. Ach, mein Freund, wie doch die Frauen sind! Man könnte Bücher über sie schreiben! Anetchen bildet eine Ausnahme, und trotzdem dürfen Sie mir glauben, daß ungeachtet des gehabten Schreckens und des großen Mitleids Ignaz in ihren Augen durch diese unglückselige That noch höher steht als zuvor. Sie suchen eben bei allem die romantische Seite, denn selbst in Kopowski, dessen Dummheit Anetchen doch genügend kennt, sucht sie als in dem Urheber des Unglückes etwas Dämonisches.

Doch vor allem sei Gott gedankt für Ignaz' Rettung. Möge er am Leben bleiben zum Ruhme unsres Landes, und möge er ein Wesen finden, das seiner würdig ist. Aus Ihrer Depesche schließe ich, daß er sich in der Pflege von Fräulein Helene befindet. Gott segne diese für ihr gutes Herz. Sie hat doch niemand in der Welt, der ihr näher stünde, und ich denke mir, daß ihr Ignaz durch die Erinnerung an Ploszowski noch teuerer geworden ist.

Jetzt, da Sie mich über seinen Zustand beruhigten, will ich Ihnen auch Näheres über Tante Bronicz und Lineta mitteilen. Vielleicht hörten Sie schon, daß beide mit Kopowski hier sind. Sie fuhren zuerst nach Scheveningen, da jedoch dort die Pocken herrschten, flohen sie hierher, ohne eine Ahnung von unserer Anwesenheit zu haben. Wir begegneten uns schon mehrmals im Kursaal, selbstverständlich ohne uns zu kennen. Kopowski hat zwar seine Karten bei uns abgegeben, aber ich machte ihm keinen Gegenbesuch, obgleich er, wie meine Frau richtig behauptete, der weniger schuldige Teil ist.

Gleich nach dem Eintreffen der Depesche mit der Nachricht, Ignaz sei gerettet, ging mein Herz mit mir durch, und ich schickte jenem das Telegramm. Es geht ihnen hier recht schlecht, denn ihre Bekannten ziehen sich von ihnen zurück, und so wollte ich sie wenigstens darüber beruhigen, daß sie kein Menschenleben auf dem Gewissen haben, zumal Lineta, wie es scheint, unter der That von Ignaz schwer gelitten hat. Noch am gleichen Tage statteten sie uns einen Besuch ab, und meine Frau, die jede schlimme That als eine moralische Krankheit betrachtet und der Ansicht ist, Verwandten müsse man in einer Krankheit beistehen, bestand darauf, sie zu empfangen. Das erste Zusammentreffen war natürlich ein recht schweres und voll Verlegenheit für beide Teile. Ignaz wurde mit keiner Silbe erwähnt. Kopowski tritt hier als Linetas Verlobter auf, doch scheinen sie nicht allzu glücklich zu sein, obschon sie meiner Ansicht nach besser für ihn paßt als für Ignaz, und von diesem Standpunkt aus könnte man alles Vorgefallene als eine Fügung Gottes betrachten. Ich hörte von anderer Seite, daß auch Tante Bronicz die Sache so auffaßt; ich brauche ihnen aber wohl nicht erst zu sagen, wie mich dies empört. Sie hat sogar einigen hiesigen Kurgästen einzureden versucht, Lineta habe mit Ignaz wegen dessen irreligiösen Ansichten gebrochen. Mit dem allem betrügen sie nicht nur die Welt, sondern auch sich selbst. Die Tante glaubte schließlich durch ihre fortwährenden Lobreden an den erhabenen Charakter Linetas, nun aber hat sie eine große Enttäuschung erlitten. Sie hält es zwar nach wie vor für ihre Pflicht, für Lineta einzutreten, erdenkt, so schwer es ihr auch fällt, Gott weiß was alles zu deren Verteidigung, die erlebte Enttäuschung kann sie jedoch offenbar nicht recht verwinden und leidet, ihrem schlechten Aussehen nach, sehr darunter. Es liegt ihnen auch augenscheinlich sehr viel an dem Verkehr mit uns, da sie dadurch mit der Welt wieder in Berührung zu kommen hoffen, doch unsere Beziehungen können keinesfalls mehr die frühern werden. Schon aus Rücksicht für meine Frau, für die ich eine passende Gesellschaft zu wählen verpflichtet bin, darf ich dies nicht zulassen. Die Trauung Linetas mit Kopowski soll, wie man sagt, in zwei Monaten in Paris stattfinden. Selbstverständlich werden wir nicht dabei sein. Meine Frau verhält sich übrigens sehr skeptisch dazu. Ich habe in der Hoffnung so ausführlich geschrieben, daß ich Sie dadurch zu einer ebenso ausführlichen Antwort über alles, was Ignaz betrifft, veranlasse. Umarmen Sie ihn in meinem Namen, wenn seine Gesundheit dies erlaubt, und sagen Sie ihm, daß er in mir den treuesten, ihm mit Herz und Seele ergebenen Freund hat.«

Trotz der späten Jahreszeit wohnte Frau Marynia noch in Buczynek, und Polaniecki zeigte daher den Brief zuerst Bigiels, bei denen er zu Mittag speiste.

»Eins freut mich,« sagte Fran Bigiel, nachdem sie das Schreiben zu Ende gelesen hatte – »es freut mich, daß sie diesen Kopowski heiratet. Andernfalls lebte ich in beständiger Angst, in Ignaz könne wieder die alte Liebe wach werden und er sich mit ihr aussöhnen, sobald er genesen ist.«

»Nein, Zawilowski besitzt zu viel Charakter dazu, und meiner Ansicht nach wird er ihr niemals verzeihen,« sagte Bigiel; »wie denkst Du darüber, Stach?«

»Ich glaube,« erklärte der Gefragte, »daß Lineta, sobald sie zur Einsicht gelangt, was sie gethan hat, gern wieder mit ihm anknüpfen würde, und was ihn betrifft – ich habe schon so viel erlebt und schon soviel Unwahrscheinliches mit angesehen, daß ich für niemand mehr bürge.«

»Würdest Du ihr an seiner Stelle verzeihen?« fragte Bigiel.

»Ich glaube nicht, doch ich bürge für nichts,« antwortete Polaniecki mißmutig, weil er wohl wußte, wie wenig er für sich einstehen konnte. »Keinesfalls würde ich mir aber eine Kugel vor den Kopf schießen. Uebrigens, was weiß ich!«

»Ich gäbe viel darum,« ergriff jetzt Frau Bigiel das Wort, »Ignaz sehen zu können, aber wahrlich, es ist leichter eine Festung zu erobern, als zu ihm zu gelangen. Ich verstehe auch nicht, weshalb Fräulein Helene ihn selbst von den ihm befreundeten Menschen abschließt.«

»Wohl deshalb, weil der Arzt ihm absolute Ruhe anempfohlen hat. Uebrigens sind dem Kranken, seit er wieder zur Besinnung gekommen ist, selbst die befreundetsten Menschen sehr unangenehm, und das ist begreiflich. Er kann doch mit niemand über seine That sprechen, und er sieht, daß jeder, der zu ihm kommt, an nichts anderes denkt.«

»Kommen Sie denn täglich zu ihm?«

»Ich werde zugelassen, denn ich war von Anfang an in die ganze Geschichte verwickelt. Durch mich erhielt er zuerst die Nachricht von der Aufhebung der Verlobung, und ich hätte besser acht auf ihn geben sollen.«

»Erwähnt er denn noch zuweilen Lineta?«

»Ich fragte Fräulein Helene und Fräulein Ratkowski darüber, und sie verneinten es. Ich selbst sitze doch stundenlang bei ihm und hörte nie etwas. Das ist eine eigentümliche Sache: er ist bei Besinnung, weiß, daß er verwundet und krank ist, scheint jedoch das Vergangene völlig vergessen zu haben. Die Aerzte behaupten, solche Kopfwunden verursachten häufig die merkwürdigsten Erfahrungen. Uebrigens erkennt er jeden, der zu ihm kommt, und bezeigt Fräulein Helene und Fräulein Ratkowski große Dankbarkeit. Für letztere hegt er nämlich eine besondere Vorliebe und sehnt sich offenbar nach ihr, wenn sie sich auch nur einen Moment entfernt. Aber auch diese beiden – wahrlich, mir fehlen die Worte für solche Herzensgüte.«

»Mich rührt vornehmlich Fräulein Ratkowski,« sagte Frau Bigiel.

»Nachdem ich mir alles reiflich überlegt habe,« ergriff jetzt Bigiel das Wort, »komme ich zu dem Schlusse, daß sie ihn liebt.«

»Das ist ja so klar wie die Sonne,« warf Polaniecki ein. »Das arme Mädchen verbarg ihr Gefühl bis zu der Zeit des Unglücksfalles. Deshalb wies sie auch Swirski ab. Ich mache kein Geheimnis daraus, denn Swirski selbst erzählt es, wo er nur kann. Er glaubt, ihr Satisfaktion schuldig zu sein, weil er sie der Liebe zu Kopowski verdächtigt hatte. Als Zawilowski sich erschießen wollte, ist sie bei ihrer Verwandten, Frau Mielnicki, gewesen, kaum erfuhr sie jedoch, daß Fräulein Helene Ignaz ins Haus genommen habe, als sie zu ihr eilte und bat, bei ihr bleiben zu dürfen. Alle wissen ganz gut, was das bedeutet, doch sie, wie Fräulein Helene, kennt in solchen Dingen keine Rücksicht.«

Hier wandte sich Polaniecki an Frau Bigiel: »Ach, meine Gnädige, Sie rührt Fräulein Ratkowski am meisten. Bedenken Sie aber, welch tragische Gestalt Fräulein Helene ist. Zawilowski lebt wenigstens, Ploszowski aber hat besser gezielt, und nach Fräulein Helenens Ansicht giebt es für ihn nicht einmal in jener Welt ein Erbarmen. Und sie liebte ihn leidenschaftlich. Bedenken Sie, wie sehr sie gelitten haben muß. Nun kommt nach dem einen Selbstmord der andere, reißt alle Wunden auf und ruft alle Erinnerungen wach.«

»Das ist wahr,« sagte Bigiel, »Zawilowski wird wahrscheinlich Fräulein Ratkowski heiraten, sobald er genesen ist.«

»Falls er Fräulein Castelli vergessen kann und falls er genesen wird.«

»Wie meinst Du das, falls er genesen wird? Du hast ja selbst gesagt, daß dies zweifellos sei.«

»Zweifellos, daß er am Leben erhalten wird. Doch ist es noch sehr fraglich, ob er der frühere Zawilowski bleibt. Wenn er auch nicht versucht hätte, sich zu erschießen, wäre doch schwer darüber zu urteilen, ob solch ein Erlebnis einen solch exaltierten Menschen nicht total gebrochen haben würde. Und bedenke doch, wie er sich verwundet hat! Das muß ja Folgen nach sich ziehen. Wer kann wissen, was kommen wird. Aber auch jetzt, trotzdem er bei Besinnung ist, trotzdem er wieder zusammenhängend spricht, bleibt er doch zuweilen mitten in einem Worte stecken und kann sich auf den gewöhnlichsten Ausdruck nicht mehr besinnen. Merkwürdig ist dabei, daß er die Namen von Gegenständen nicht vergessen hat; wenn es sich indessen darum handelt, eine Handlung auszudrücken, verstummt er häufig und kann sich entweder nur mit großer Anstrengung oder gar nicht darauf besinnen.«

»Was sagt der Arzt?«

»Der Arzt giebt die Hoffnung nicht auf. Noch gestern sagte Zawilowski, als ich eintrat: . . . ›die Frau‹ . . . und hörte dann auf. Offenbar handelte es sich um Marynia, deren er sich plötzlich erinnerte, allein er vermochte sich nicht nach ihr zu erkundigen. Glücklicherweise spricht er jeden Tag mehr, nur kann noch viel Zeit verstreichen, ehe er sich ganz erholt haben wird, und etwelche Spuren können möglicherweise auf immer bleiben.«

»Weiß Marynia schon alles?«

»So lange es ungewiß war, ob er am Leben bleiben werde, hielt ich alles geheim, aber später fand ich es für klüger, ihr die Wahrheit zu sagen. Natürlicherweise beobachtete ich alle Vorsichtsmaßregeln; ich befürchtete, sie könne es von anderer Seite hören. Ich sagte ihr jedoch nur, er sei leicht verwundet, es sei durchaus keine Gefahr vorhanden, trotzdem hätten aber die Aerzte jeden Besuch bei ihm verboten. Doch auch so hat sie sich genug gegrämt.«

»Wann werden Sie in die Stadt übersiedeln?«

»Solange wir schönes Wetter haben, ziehe ich es vor, Marynia auf dem Lande zu lassen.«

Hier wurde das Gespräch durch einen Brief unterbrochen, den Polaniecki durch einen Diener überbracht bekam. Das Schreiben war von Maszko und enthielt folgende Worte: »In wichtiger Angelegenheit wünsche ich Dich zu sprechen. Ich werde Dich bei mir bis fünf Uhr erwarten.«

»Ich bin neugierig, was der von mir will,« bemerkte Polaniecki.

»Wer denn?«

»Maszko. Er wünscht mich zu sprechen.«

»Nichts wie Geschäfte!« sagte Bigiel. »Der steckt auch bis über die Ohren darin. Manchmal wundere ich mich, wo dieser Mensch die Kräfte zu allem hernimmt. Weißt Du schon, daß Frau Kraslawski zurückgekehrt ist und daß sie ganz erblindet ist? Sie sieht gar nichts mehr, absolut nichts mehr. Wir waren bei den Damen, ehe sie vom Lande weggingen. Wo man auch hinsieht, nichts wie Elend. Es ist zum Erbarmen.«

»Aber gerade im Unglück zeigt sich jeder so, wie er ist,« warf Frau Bigiel ein. »Bei uns allen gilt doch Frau Maszko als furchtbar kalt, aber Sie können sich nicht denken, wie gut sie gegen ihre Mutter ist. Sie gestattet dem Dienstmädchen nicht die geringste Handreichung, sie selbst führt sie überall hin, bedient sie und liest ihr vor. Fürwahr sie bereitete mir eine angenehme Ueberraschung, eigentlich beide thaten dies, denn auch Frau Kraslawski hat ihr geziertes Wesen verloren. Es macht einem Freude zu sehen, wie sehr sich Mutter und Tochter zugethan sind. Jetzt zeigt es sich, daß in Frau Maszko verschiedene Eigenschaften schlummerten, von denen wir keine Ahnung hatten.«

»Beide sprachen sich ganz empört über die Handlungsweise von Fräulein Castelli aus,« fügte Bigiel hinzu. »Frau Kraslawski sagte uns: ›Wenn meine Terka so gehandelt haben würde, hätte ich mich, obgleich blind und hilflos, sofort von ihr losgesagt.‹ Frau Maszko hat ja ihre besondere Art und Weise, so gottvergessen würde sie aber nie gehandelt haben.«

Polaniecki trank rasch seine Tasse schwarzen Kaffee aus und verabschiedete sich. Ganz abgesehen davon, daß ihm seit einiger Zeit jedes Gespräch über Frau Maszko unerträglich war, peinigte es ihn auch, daß er wieder eine Scene aus dieser wunderlichen Komödie der Menschheit hatte mit anhören müssen, die sich tagtäglich abspielt, und in der er selbst in einer solch jämmerlichen Rolle aufgetreten war. Er wollte es auch nicht gelten lassen, daß die schlimmste Natur noch edler Regungen fähig sei, und daß Frau Maszko trotz allem eine liebende Tochter sein könne. Da er nun nicht mehr an die Sache denken wollte, sann er mit Konzentration all seiner Geisteskräfte darüber nach, was Maszko von ihm haben wolle. Wahrscheinlich wieder Geld. Jetzt, so sagte er sich, kann und darf ich ihm nichts abschlagen. Was hatten eigentlich seine Beziehungen zu Frau Maszko mit seiner Kasse, mit seinen Geschäftsverhältnissen zu thun? Und doch fühlte er, daß er sogar in seinem Berufe als Kaufmann Maszko nicht mehr so frei gegenüberstehe als früher.

Seine Voraussetzungen erwiesen sich aber bald als falsch. Maszko suchte ihn, da er ihn bis fünf Uhr vergeblich erwartet hatte, in seinem Geschäfte auf, aber nicht, um Geld von ihm zu fordern.

»Ich schickte Dir den Zettel zu Bigiels, weil ich Dich in Deinem Büreau und bei Dir zu Hause vergeblich gesucht habe,« begann er sofort. »Ich muß mit Dir über eine Angelegenheit sprechen, die Dich selbst sehr lebhaft angeht.«

»Womit kann ich Dir dienen?« fragte Polaniecki.

»Vor allen Dingen bitte ich Dich um Diskretion für das, was ich Dir sagen werde.«

»Selbstverständlich! Laß hören!«

Maszko schaute Polaniecki einen Augenblick schweigend an, als ob er mit diesem Schweigen ihn auf eine wichtige Neuigkeit vorbereiten wollte, und sagte dann schließlich mit einer merkwürdigen Ruhe und jedes Wort ganz besonders betonend: »Ich wollte Dir mitteilen, daß ich rettungslos verloren bin.«

»Hast Du den Prozeß verloren?«

»Nein, die Sache wird erst noch zur Verhandlung kommen, aber ich weiß, daß ich sie verlieren werde.«

»Du kannst aber doch weiter gehen und appellieren.«

»Nein, mein Lieber, das kann ich nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil ich mehr Schulden habe als Haare auf dem Kopfe, und weil meine Gläubiger, sobald ich in der ersten Instanz verliere, gleich wilden Tieren über mich herfallen würden, vor allem aber weil (hier dämpfte Maszko die Stimme) mir nichts anderes übrig bleibt, als die Flucht zu ergreifen.«

Ein tiefes Schweigen trat ein. Maszko stützte die Arme auf die Knie, barg sein Gesicht in die Hände, saß eine Weile ganz unbeweglich da und fing dann wieder an wie zu sich selbst zu sprechen: »Es ist aus. Ich habe alles zusammenzuhalten versucht, jetzt aber sind meine Hände kraftlos geworden. Jeder andere hätte schon längst den Mut verloren, jetzt kann ich nicht mehr. Gott weiß, daß mir die Kräfte mangeln. Jede Sache muß einmal zu Ende gehen.«

Hier atmete er gleich einem zu Tode Ermatteten schwer auf, dann sah er empor und fuhr fort: »Das sind jedoch meine Angelegenheiten, und ich wollte von Deinen Sachen mit Dir reden. Höre! Dem Kaufkontrakt über Krzemien gemäß schulde ich seit der Parzellierung von Magierow Deiner Frau eine bestimmte Summe, Du hast bei mir einige tausend Rubel stehen, Deinem Schwiegervater soll ich eine Lebensrente zahlen. Nun gestehe ich Dir aber, daß mir nichts übrig bleibt, als in den nächsten Tagen als Bankerotteur ins Ausland zu fliehen, und daß Ihr keinen Pfennig erhalten werdet.«

Und nachdem er das alles mit dem Nachdrucke und der Kaltblütigkeit eines Menschen gesagt hatte, der nichts mehr verlieren kann, schaute er Polaniecki in die Augen, als ob er einen Sturm erwarte.

Er täuschte sich jedoch vollständig. Polanieckis Gesicht verfinsterte sich zwar auf einen Augenblick wie von unterdrücktem Zorn, doch beruhigte er sich offenbar schnell und sagte: »Ich sah voraus, daß es so endigen würde.«

Maszko, der eher erwartet hatte, Polaniecki werde ihn am Genick packen, schaute ihn voll Verwunderung an, als ob er ihn fragen wolle, was mit ihm geschehen sei, während Polaniecki bei sich dachte: »Wenn er noch Geld von mir auf den Weg wollte, könnte ich es ihm auch nicht abschlagen.« Laut aber wiederholte er: »Ja, das war vorauszusehen.«

»Nein,« entgegnete Maszko mit der leidenschaftlichen Heftigkeit eines Menschen, der sich an den Gedanken klammert, daß an allem bloß ein ungünstiges Zusammentreffen der Verhältnisse schuld sei. »Du hast kein Recht, das zu sagen. Ich wäre bereit, noch eine Stunde vor meinem Tode das Gegenteil zu beteuern.«

»Mein Lieber,« fragte aber jetzt Polaniecki etwas ungeduldig, »was willst Du eigentlich von mir?«

»Ich will nichts von Dir. Ich kam zu Dir als zu einem Menschen, der mir immer Wohlwollen zeigte und bei dem ich außer Geldschulden noch Schulden der Dankbarkeit abzutragen habe, kurz, um Dir offen zu gestehen, wie es sich mit mir verhält, und um Dir gleichzeitig zu sagen: Rette, was Du kannst, und soviel Du kannst.«

Polaniecki biß die Zähne zusammen. »Hole der Teufel Dich und das Geld,« dachte er, »nur befreie mich von Deiner Gegenwart.« Er unterdrückte jedoch das Verlangen, diesem Gedanken laut Ausdruck zu geben, und sagte nur: »Ich sehe kein Mittel dazu.«

»Es giebt bloß eines,« bemerkte Maszko. »Solange es noch nicht bekannt ist, daß ich ruiniert bin, solange sich mit dem Prozeß noch Hoffnungen verknüpfen, solange mein Name und meine Unterschrift noch etwas gelten, kannst Du die Forderung Deiner Frau an einen Dritten verkaufen, kannst Du dem Käufer sagen, Du möchtest Dein ganzes Vermögen kapitalisieren, oder etwas Aehnliches. Einen Grund dafür zu finden, ist leicht. Ein Käufer stellt sich stets ein, besonders wenn Du mit einem bedeutenden Verluste verkaufen willst. In der Hoffnung eines Gewinnes erklärt sich jeder Jude zum Kaufe bereit. Mir wäre es lieber, wenn ein andrer als Du an mir verlieren würde. Uebrigens könntest Du ja auch alles, was ich Dir von meinem Ruin erzählte, nicht gehört haben und kannst ja noch hoffen, daß ich den Prozeß gewinne. Dabei darfst Du sicher sein, daß jener, der Dir die Forderung abkauft, sie Dir auch ohne Skrupel verkaufen würde, selbst wenn er wüßte, daß sie am andern Tage keinen Heller mehr wert sein wird. Die Welt ist eine Börse, und aus der Börse werden die meisten Geschäfte in solcher Weise abgeschlossen. Das nennt man Findigkeit.«

»Nein, das nennt man anders,« antwortete Polaniecki. »Du erwähntest die Juden! Nun existieren gewisse Geschäfte, die sie mit dem Worte ›schmutzig‹ charakterisieren. Das Geld meiner Frau werde ich auf eine andre Weise zu retten suchen.«

»Wie Du willst. Ich weiß auch sehr gut, was mein Mittel wert ist. Doch sagte ich mir trotz allem, daß ich es Dir angeben müsse. Das ist vielleicht die Ehrlichkeit eines künftigen Bankerotteurs, ich besitze aber keine andre mehr. Du kannst Dir denken, wie schwer es mir wird, Dir dies einzugestehen! Ich wußte übrigens im voraus, daß Du nicht damit einverstanden sein würdest, und es lag mir bloß daran, meine Schuldigkeit zu thun. Jetzt gieb mir eine Tasse Thee und ein Gläschen Kognak, denn ich vermag mich kaum mehr aufrecht zu halten.«

Polaniecki klingelte, um das Verlangte zu bestellen, und Maszko fuhr fort: »Eine gewisse Anzahl Menschen muß ich mitreißen. Dagegen giebt es kein Mittel. Und deshalb möchte ich lieber die mir fremden mitreißen als diejenigen, die mir einen Dienst erwiesen haben.« Hier lachte er bitter aus. »Ich hätte es nie gedacht,« ergriff er dann wieder das Wort, »aber der Mensch lernt nie aus. Wir Bankrotteurs haben auch ein gewisses Ehrgefühl. Was mich betrifft, so liegt mir weniger an denen, die mich gegebenen Falles auch mitgerissen hätten, als an den mir Nahestehenden, denen ich Dank schuldig bin. Es ist dies zwar die Moral eines Rinaldini, aber es ist immerhin eine Moral.«

Inzwischen brachte der Diener den Thee. Maszko, der offenbar einer Stärkung bedurfte, füllte seine Tasse zur Hälfte mit Kognak und trank den dadurch kalt gewordenen Thee auf einen Zug aus.

»Mein Lieber,« bemerkte nun Polaniecki, »Deine Lage mußt Du ja besser kennen als ich, und alles was ich Dir gegen eine Flucht, für Dein Bleiben und für das Abfinden mit Deinen Gläubigern sagen könnte, hast Du Dir wohl schon selbst gesagt, deshalb wollen wir von etwas anderm reden. Hast Du noch bares Geld, hast Du wenigstens für die Reise genug?«

»Ja! Ob man mit hunderttausend Bankerott macht oder mit hundertundzehntausend, das bleibt sich ja ganz gleich. Ich danke Dir jedoch für die Frage. Glaubt nicht,« fuhr Maszko fort, nachdem er sich zum zweiten Mal mit Thee und Kognak versehen hatte, »daß ich aus Verzweiflung zu trinken anfange, aber seit heute morgen kam ich noch auf keinen Stuhl, und ich bin furchtbar müde. Oh, wie mir das gut thut. Ich gestehe Dir offen, ich habe das Spiel noch nicht verloren gegeben. Siehst Du, ich erschoß mich doch nicht! Das ist eine Tragödie, die längst abgeleiert ist. Ich weiß zwar, daß hier alles für mich zu Ende ist, allein auf diesem Boden könnte ich doch nie empor kommen. Hier sind einfach zu kleine Geschäfte – man hat kein Feld. Da sieh Dir einmal den Westen an, Paris zum Beispiel. Dort machen die Menschen Vermögen; dort gehen sie zu Grunde, oder sie kommen in die Höhe. Ja, so ist es. Freilich von dem Gesichtspunkte aus, der hier in unsern modrigen, versumpften Verhältnissen allein möglich ist, erscheinen meine Ansichten als Hirngespinste eines Bankerotteurs. Und doch erringen dort Schlimmere als ich Millionen. Entweder ich komme wieder in die Höhe, oder ich gehe völlig zu Grunde. Wenn ich aber hierher zurückkehren sollte –«

Augenscheinlich stieg ihm der Thee mit Cognak zu Kopf, denn, die Fäuste ballend, fügte er hinzu: »Du wirst ja sehen.«

»Wenn das auch keine Hirngespinste sind,« entgegnete Polaniecki mit gesteigerter Ungeduld, »so können sich Deine Pläne ja doch nur in der Zukunft realisieren. Was willst Du aber jetzt thun?«

»Jetzt,« sagte Maszko nach kurzem Schweigen, »jetzt wird man mich für einen Lump halten, und niemand wird nur daran denken, daß es verschiedenartige Fallissemente giebt. Ich sage Dir, ich habe von meiner Frau keine einzige Unterschrift, keine einzige Bürgschaft verlangt, so daß ihr all das bleibt, was sie vor unserer Heirat besaß. Ich reise jetzt allein, und bis ich mich wieder irgendwo ansässig gemacht habe, bleibt sie mit ihrer Mutter hier. Weißt Du schon, daß Frau Kraslawski blind geworden ist? Ich kann meine Frau und meine Schwiegermutter jetzt nicht mitnehmen, weil ich selbst noch nicht weiß, wo ich bleiben werde. Vielleicht in Paris oder in Antwerpen. Doch hoffe ich, unsre Trennung nicht allzulang ausdehnen zu müssen. Sie ahnen noch nichts, und das ist's, was mich am meisten quält; das ist eine Tragödie.«

Und die Augen wie vor Schmerz krampfhaft zudrückend, faßte Maszko seinen Kopf mit beiden Händen.

»Wann willst Du wegfahren?« fragte Polaniecki.

»Ich weiß noch nicht; jedenfalls werde ich Dich aber davon benachrichtigen. Du wolltest mir offenbar einen Dienst erweisen, und Du kannst es auch, wenn auch nicht mit Geld. Von meiner Frau werden sich anfänglich sicherlich alle Leute zurückziehen. Nehmt Euch ihrer ein wenig an. Darf ich darauf zählen? Du hast Dich immer wohlwollend gegen mich gezeigt, und ich weiß auch, daß Du ihr wohlwillst.«

»Bei Gott, das ist zum Verrücktwerden,« dachte Polaniecki, laut aber sagte er: »Selbstverständlich!«

»Ich danke Dir von Herzen. Jetzt noch eine Bitte. Du hast auf meine Damen großen Einfluß. Sie glauben alles, was Du sagst. Tritt in der nächsten Zeit ein wenig für mich bei meiner Frau ein. Erkläre ihr den Unterschied zwischen Unehrenhaftigkeit und Unglück. Ich bin wahrlich nicht der Schurke, für den mich die Menschen halten werden. Du siehst ja, ich hätte meine Frau mit in den Ruin verwickeln können, ich that es aber nicht; ich hätte aus Dir noch einige tausend Rubel herauspressen können, doch auch dies thue ich nicht. Dir wird es gelingen, sie zu überzeugen, Dir wird sie glauben. Einverstanden?«

»Jawohl,« erwiderte Polaniecki.

Maszko faßte abermals seinen Kopf mit den Händen und mit einem wie von physischem Schmerz verzerrten Gesichte sagte er: »Darin liegt der eigentliche Ruin, das schmerzt am meisten.«

Gleich darauf verabschiedete er sich, wobei er mehrere Male für die Freundschaft für seine Frau und für die Fürsorge für sie dankte. Polaniecki aber nahm sich einen Wagen und fuhr nach Buczynek.

Unterwegs dachte er an Maszko, an dessen Schicksal, und dabei sagte er sich: »Ich bin auch in gewisser Hinsicht ein Bankerotteur.« Damit traf er die Wahrheit. Ihn quälte seit geraumer Zeit eine fortwährende, unerklärliche Unruhe, gegen die er kein Mittel fand. Rings um sich her sah er nichts wie getäuschte Hoffnungen, nichts wie Unglück, und er konnte das Gefühl nicht los werden, daß dies für ihn eine Drohung, eine Warnung sein sollte. Zuweilen sagte er sich auch wieder: Warum sollte ich allein eine Ausnahme bilden? Und dann krampfte sich sein Herz in der Vorahnung kommenden Unglücks zusammen. Dabei kehrte er nach Buczynek voll Angst zurück, es könne sich während seiner Abwesenheit ein Unglücksfall ereignet haben.

Diesmal war er durch Maszko länger als gewöhnlich aufgehalten worden, und als er ankam, war es schon ganz dunkel. Er ließ vor dem Balkon auf dem sandigen Wege halten, der das Rollen der Räder dämpfte, und erblickte durch das erleuchtete Fenster Marynia, Frau Emilie und den Professor, die am Tische, inmitten des Salons, saßen. Marynia legte Patience und offenbar wollte sie Frau Emilie das Spiel erklären, denn sie hatte das Gesicht ihr zugewandt, während sie mit dem Finger auf die Karten deutete. Polaniecki dachte bei ihrem Anblick an das, was er sich seit geraumer Zeit immer wiederholte und das ihn einerseits mit einem Gefühle des Glückes, andrerseits mit noch größerer Erbitterung gegen sich selbst erfüllte: »Das ist die keuscheste Menschenseele, der ich im Leben je begegnet bin,« und von diesem Gedanken erfüllt, trat er ins Zimmer.

»Du hast Dich heute verspätet,« sagte Marynia, als er beim Begrüßen ihre Rechte an die Lippen führte, »wir warteten mit dem Abendbrot auf Dich.«

»Maszko hielt mich auf,« entgegnete Polaniecki. »Was giebt es Neues hier?«

»Nichts, es ist alles beim Alten.«

»Und wie fühlst Du Dich?«

»Wie ein Fisch im Wasser,« antwortete Marynia heiter, ihm ihre Stirn zum Kusse bietend und sich nach Zawilowski erkundigend.

Polaniecki atmete nach der unerquicklichen Unterredung mit Maszko zum erstenmal wieder freier auf. »Sie ist gesund, und alles geht gut,« dachte er wie verwundert. Und ein gewisses Behagen überkam ihn in diesem hellen Zimmer, in dieser wohlthuenden Ruhe, inmitten der ihm befreundeten Menschen, an der Seite des ihm am nächsten stehenden, so guten und treuen Wesens. Er fühlte, daß für ihn hier alles vorhanden war, was zum Glücke gehörte, aber gleichzeitig empfand er auch, wie sehr er dies Glück mutwillig verscherzt, wie er in die reine Atmosphäre seines Hauses verdorbene und vergiftete Elemente gebracht hatte, so daß er sich das Recht absprechen mußte, unter diesem Dache zu wohnen.

Mitte September wurde es so kalt, daß Polanieckis aus Buczynek in ihre Stadtwohnung zurückkehrten. Polaniecki hatte sie zum Empfange seiner Frau neu herrichten und mit Blumen schmücken lassen. Er hatte all sein Selbstgefühl und seine frühere Formlosigkeit in dem Benehmen gegen seine Frau verloren. Jetzt benahm er sich gegen sie oft in einer Weise, daß man hätte annehmen können, sie sei noch Fräulein Plawicki, und er ein seines Sieges noch ungewisser Bewerber.

Seine Unsicherheit machte jedoch häufig den Eindruck von Kälte. Schließlich wurde ihr Verhältnis trotz größerer Aufmerksamkeit und Zuvorkommenheit von seiten Polanieckis ein kühleres als zuvor. »Ich habe kein Recht,« das war, was Polaniecki bei jedem lebhaftern Schlage seines Herzens wiederholte, und mehr und mehr bemerkte Marynia, wie sich ihr Leben verändert hatte. Sie erklärte sich jedoch dies aus verschiedenen Gründen. Erstens hatten sie fast immer Gäste, deren Gegenwart doch immerhin einen gewissen Zwang auferlegte, dann kam jenes Unglück mit Zawilowski, das Polaniecki erschüttern und seine Gedanken in Beschlag nehmen mußte, und endlich gewöhnte sich Marynia an den raschen Stimmungswechsel Stachs und legte ihm nicht mehr so viel Bedeutung wie früher bei.

Nach qualvollen Stunden, nach langem Grübeln war sie schließlich zu der Ueberzeugung gelangt, daß in den ersten Zeiten einer Ehe, bis sich gewisse Unebenheiten und Ecken der Charaktere ausgeglichen hatten, sich solche Veränderungen in dem Zusammenleben notwendig, wenn auch nur vorübergehend einstellen müßten. Zur Entdeckung dieser Wahrheit half ihr auch der gesunde Verstand Frau Bigiels, die, als Marynia einmal deren vorzügliche Ehe rühmte, sagte: »Ach, das war vom Anfang an nicht so. Anfänglich liebten wir uns geradezu leidenschaftlich, doch paßten wir viel weniger zusammen als jetzt. Oft zog eines auf die eine Seite und das andere auf die andere. Nur besaßen wir beide Offenheit und guten Willen, Gott schenkte uns dafür seinen Segen. Nach dem ersten Kinde ging aber alles mit einemmale aufs beste, und heute würde ich meinen lieben Alten nicht für alle Schätze der Welt hergeben, obgleich er mir zu dick wird und er nichts davon hören will, wenn ich ihm zurede, nach Karlsbad zu gehen.«

»Nach dem ersten Kinde also?« fragte Marynia mit großem Interesse. »Ah, ich habe es mir doch gedacht, daß es nach dem ersten Kinde besser ging.«

Frau Bigiel lachte.

»Und wie komisch er war, als der erste Junge kam. In den ersten Tagen sprach er fast gar nichts, sondern schob die Brille in die Höhe, staunte das Kind wie ein Meerwunder an und kam dann zu mir, um meine Hände zu küssen.«

Die Hoffnung auf ein Kind war auch ein Grund, weshalb Marynia sich die neue Veränderung Stachs nicht zu sehr zu Herzen nahm und sich sagte, sie dürfe jetzt weder an sich, noch ausschließlich an Stach denken. Jetzt mußte vor allem sowohl im Hause, wie auch in ihrem Herzen für ein gutes Plätzchen für den neuen Ankömmling gesorgt werden. Sie sagte sich auch gleichzeitig, daß das Leben zu zweien manchmal zu Zwiespältigkeiten führen, das Leben zu dreien aber nur Glück und Zufriedenheit bringen könne, da ein Kind ein Geschenk Gottes sei, und für Gottes Güte und Barmherzigkeit zeuge. Im großen und ganzen schaute sie daher fröhlichen Herzens in die Zukunft. Wenn auch ihr Gatte sich etwas ceremonieller, etwas fremder gegen sie zeigte, so benahm er sich dagegen wieder so feinfühlend gegen sie wie nie zuvor. Den Kummer und die Abgespanntheit, die sich auf seinem Antlitz spiegelten, schrieb sie seiner Freundschaft für Zawilowski zu, für dessen Zustand zwar nichts mehr zu fürchten war, dessen Unglück sie aber mit ihrem weichen Frauenherzen um so tiefer mitempfand, als sie begriff, daß er es wohl kaum überwinden könne.

Bald nach der Rückkehr von Polanieckis in die Stadt trafen Nachrichten aus Ostende ein, die wieder neues Unheil ankündigten. Eines Tages fiel Swirski gleich einer Bombe in das Bureau, bat Bigiel und Polaniecki, mit ihm in ein anderes Zimmer zu gehen, und sagte mit geheimnisvoller Miene zu ihnen: »Wißt Ihr, was geschehen ist? Kraszowski, der gestern von Ostende zurückkehrte, war bei mir, Osnowski trennte sich von seiner Frau und schlug Kopowski halb tot. Ein fabelhafter Skandal. Ganz Ostende spricht von nichts anderem.«

Polaniecki und Bigiel verstummten anfänglich geradezu unter dem Eindruck des Gehörten. Endlich sagte ersterer: »Das mußte früher oder später kommen. Osnowski war ja ganz blind.«

»Und ich begreife es einfach nicht,« sagte Bigiel.

»Eine unerhörte Geschichte,« rief Swirski aus, »wer hätte das ahnen können!«

»Was sagt denn Kraszowski.«

»Kraszowski erzählt, Osnowski habe sich eines Tags mit einigen Engländern verabredet, um mit ihnen nach Blankenberghe zu der Delphinenjagd zu fahren. Indessen versäumte er den Zug oder die Tramway. Da er nun bis zum nächsten Zuge noch eine Stunde vor sich hatte, kehrte er nach Hause zurück. Stellt Euch vor, was er zu sehen bekam, wenn ein solch gutmütiger Mensch wie er in eine derartige Wut gerät und so den Kopf verliert, daß er, ohne den Skandal zu bedenken, Kopowski so durchprügelte, daß dieser jetzt noch krank darniederliegt.«

»Er war dermaßen in seine Frau verliebt, daß er ganz gut hätte verrückt werden und sie töten können,« bemerkte Bigiel. »Das ist ja eine entsetzliche Geschichte.«

»Ja, ja, so sind eben die Frauen,« rief Swirski.

Polaniecki schwieg. Bigiel, dem Osnowski furchtbar leid that, schritt im Zimmer auf und ab. Endlich blieb er vor Swirski stehen, und, die Hände in die Taschen steckend, sagte er: »Und doch, ich verstehe dies alles nicht.«

Swirski wendete sich, ohne direkt zu antworten, an Polaniecki.

»Erinnern Sie sich, was ich in Rom von Frau Osnowski sagte, als ich das Porträt Ihrer Frau malte? Der alte Zawilowski hieß die Osnowski nur ›die Haubenlerche‹. Jetzt sehe ich ein, wie richtig das war, denn die Haubenlerche hat noch einen zweiten, netten Namen, nämlich ›Mistvogel‹.

»Wie traurig ist das alles,« meinte Bigiel.

»Sehr traurig,« wiederholte Swirski. »Wie Osnowski sie geliebt hat. Welch ein guter Mensch er ist. Wie leid thut er mir! Alles fand diese Frau bei ihm, Liebe, Reichtum und eine Anhänglichkeit wie die eines Hundes – und das alles hat sie mit Füßen getreten.«

»Sie haben sich also wirklich getrennt?«

»Gewiß. Frau Osnowski ist schon abgereist. Was nicht alles vorgegangen sein muß, bis solch ein Mensch wie Osnowski sich von ihr trennte – bei Gott, es ist kaum zu glauben.«

»Ich bin nur neugierig,« bemerkte jetzt Bigiel in seiner ruhigen Weise, »was sie eigentlich thun wird, denn das ganze Vermögen gehört ihm.«

»Da er sie nicht auf der Stelle getötet hat, wird er sie sicherlich auch nicht verhungern lassen. Kraszowski sagte mir, Osnowski sei nur in Ostende geblieben, um den Adonis zu fordern. Letzterer muß noch ungefähr eine Woche das Bett hüten. Frau Bronicz und Fräulein Castelli haben sich schleunigst nach Paris begeben.«

»Und was wird aus der Heirat mit Kopowski werden?«

»Was daraus werden wird? Es versteht sich doch von selbst, daß alles abgebrochen wird. Aus Bösem kann nichts Gutes entstehen. Sie sitzen jetzt auf dem Trockenen. Mögen sie sich doch im Ausland einen Fürsten Crapulescu suchen, denn nach dem, was sie mit Ignaz angestellt hat, könnte nur ein Lump oder ein Dummkopf die Castelli heiraten. Zawilowski wird sich doch nicht mehr von ihr bethören lassen.«

»Ich habe Polaniecki das Gleiche gesagt,« warf Bigiel ein, »und er antwortete mir: ›Wer weiß‹!«

»Ach!« rief Swirski, »glauben Sie das wirklich?«

»Ich weiß nicht, ich weiß nichts,« antwortete Polaniecki heftig, »ich garantiere für niemand, nicht einmal für mich.«

Swirski schaute ihn verwundert an, dann meinte er: »Vielleicht haben Sie recht. Wenn mir gestern jemand gesagt hätte, daß Osnowski sich jemals trennen würde, wäre er mir total verrückt vorgekommen.«

Nach diesen Worten verabschiedete er sich, da er sich mit Kraszowski zu Tisch verabredet hatte; Bigiel und Polaniecki blieben allein.

»Das Böse bleibt nicht ungestraft,« bemerkte nach kurzem Schweigen Bigiel. »Weißt Du aber, was mir besonders auffällt? Das moralische Niveau sinkt bei uns mehr und mehr. Schau Dir einmal die Bronicz, die Castelli, die Osnowski an. Wie die alle anrüchig sind! Der Teufel weiß, was das für ein Mischmasch ist, Prätensionen ohne Grenzen und dabei Charaktere wie Kammerzofen. Es ist ekelhaft, daran zu denken! Und solche Leute wie Osnowski und Ignaz müssen es ausbaden!«

»Es giebt gar manches auf der Welt, das ganz unlogisch und daher nicht zu begreifen ist,« erwiderte traurig Polaniecki.

Bigiel begann wieder im Zimmer auf und ab zu gehen. Plötzlich aber blieb er vor Polaniecki stehen, klopfte ihm auf die Schulter und sagte:

»Nun, mein Alter, Du und ich, wir können zufrieden sein, wir haben in der Lotterie des Lebens das große Los gezogen. Wir waren freilich auch keine Heilige, aber es ist möglich, daß der liebe Gott uns deshalb ein solches Glück beschert hat, weil wir uns nicht auf Diebswegen in fremde Häuser eingeschlichen haben.«

Polaniecki erwiderte nichts, sondern schickte sich zum Gehen an.

Die Verhältnisse hatten sich für ihn schon so zugespitzt, daß alles, was er um sich her hörte, gleich einer Säge in seine Nerven einschnitt. Manchmal dachte er daran, sich mit Marynia in irgend einem abgelegenen Dorfe zu vergraben, nur um so weit wie möglich von der unerträglichen Komödie des Lebens wegzukommen, die ihn immer mehr anwiderte. Dann sagte er sich aber selbst wieder, daß sein Plan nicht ausführbar sei, da Marynias Zustand eine Uebersiedelung nicht erlaubte. Nichtsdestoweniger brach er die beinahe zu Ende gediehenen Kaufverhandlungen über Buczynek ab, um sich eine entfernter gelegene und weniger zugängliche Sommerwohnung auszusuchen. Ueberhaupt fiel ihm der Verkehr mit Menschen immer schwerer. Nur noch ganz selten rührte sich in ihm der frühere energische Mensch, der sich selbst mit Verwunderung fragte: »Was, zum Teufel, kann denn eine Schuld, welche die Menschen tagtäglich auf sich laden, ins Grenzenlose wachsen?« Was aber der eine leicht überwindet, das büßt der andre mit seinem Leben. Umsonst versuchte er, sich vor sich selbst zu schützen. Seine Schuld, die Schuld eines Menschen, der kaum vor einem halben Jahre eine Frau wie Marynia geheiratet hatte, eines Menschen, der in Bälde Vater werden sollte, war eine ungeheure; und jetzt, während er nach Hause zurückkehrte, jetzt, da die Kunde von Osnowskis Unglück schwer auf ihm lastete, hatte er das Gefühl, als ob er für das Geschehene mit verantwortlich sei. »Denn ich,« sagte er sich, »bin Aktionär in der Fabrik, die solche Verhältnisse und solche Frauen wie die Castelli und die Osnowski hervorbringt. Auf dem Moraste können nur Mistvögel gedeihen.« In Marynia aber war keine falsche Ader. Er sah sie mit einem Male so deutlich vor sich, wie man jemand sieht, an den man mit allen Regungen der Seele denkt. Er sah ihr Gesicht mit dem noch immer hübschen, wenn auch etwas zu breiten Mund und mit den kindlich reinen Augen, und mehr und mehr überkam ihn eine tiefe Rührung. »Ich habe in der That in der Lotterie des Lebens das große Los gezogen, aber ich wußte dies Glück nicht genug zu schätzen.« Für eine schlimme That muß man immer büßen, sagte Bigiel. Und Polaniecki, dem schon häufig ein ähnlicher Gedanke aufgetaucht war, wurde jetzt von abergläubischer Angst ergriffen. Mit einem Male erschien es ihm unmöglich, daß er sich ruhig des Besitzes einer solchen Frau erfreuen dürfe, dies würde ja jeder Logik Hohn sprechen. Wenn nun Marynia bei der Geburt des Kindes stürbe! Wie leicht mochte Frau Maszko aus Rache gegen ihn irgend ein Wort äußern, das Marynia aufklärte und das ihr gefährlich werden konnte! Wer weiß, ob nicht gerade jetzt Frau Maszko bei Marynia zu Besuch war! Der Boden brannte ihm unter den Füßen, und in seinem Angstgefühle, das ihm das Herz zusammenschnürte, rannte er geradezu nach Hause. Doch hier fand er Frau Maszko nicht, dagegen gab ihm Marynia ein Billet von Fräulein Zawilowski, in dem diese bat, er möchte im Laufe des Nachmittags bei ihr vorsprechen.

»Ich fürchte, Herrn Zawilowskis Zustand hat sich verschlimmert,« sagte Marynia.

»Nein, ich bin heute früh einige Minuten dort gewesen. Fräulein Helene hatte gerade eine Unterredung mit ihrem Rechtsanwalte, und so sah ich nur Fräulein Ratkowski und Zawilowski. Er fühlte sich ganz wohl und unterhielt sich recht heiter mit mir.«

Polaniecki hatte beschlossen, seiner Frau während des Mittagessens die Neuigkeiten mitzuteilen, die er gehört hatte; er wußte, daß er sie nicht vor ihr geheim halten konnte, und wollte auch nicht, daß sie ihr zu plötzlich und unvorbereitet zu Ohren kommen sollten.

Als sie ihn daher fragte, was man im Geschäfte und in der Stadt Neues höre, erwiderte er: »Im Geschäft gar nichts Neues, aber in der Stadt wird von einem Zerwürfnis zwischen den Osnowskis gesprochen.«

»Zwischen den Osnowskis?«

»Ja, es ging irgend etwas in Ostende vor. Man sagt, Kopowski sei der Veranlasser von allem.«

»Was Du nicht alles sagst. Stach,« rief Marynia erstaunt.

»Ich erzähle nur, was ich hörte. Erinnerst Du Dich meiner Bemerkungen an dem Verlobungsabend von Zawilowski? Es zeigt sich jetzt, wie recht ich hatte. Es hat dort einen Krawall gegeben, überhaupt stehen die Dinge sehr schlecht.«

»Du hast mir doch erzählt, Kopowski habe sich mit Fräulein Castelli verlobt!«

»Er hat die Verlobung schon wieder rückgängig gemacht. Bei diesem Menschen ist alles möglich.«

Auf Marynia machte diese Nachricht tiefen Eindruck. Sie wollte noch weiter fragen, als aber Polaniecki ihr sagte, daß er nichts mehr wisse, und daß höchst wahrscheinlich erst in einigen Tagen nähere Nachricht eintreffen werde, beklagte sie Osnowskis Schicksal, für den sie stets eine große Vorliebe gehegt hatte, und sprach sich höchst entrüstet über Frau Aneta aus.

»Ich dachte,« sagte sie, »er werde sie durch seine Güte für sich gewinnen, aber sie ist seiner nicht wert, und Herr Swirski hat in dem, was er über die Frauen sagt, ganz recht.«

Die weitere Unterhaltung wurde durch Herrn Plawicki unterbrochen, der nach einem frühzeitigen Mittagessen im Restaurant kam, um die »große Neuigkeit« zu erzählen, von der die ganze Stadt sprach. Polaniecki sah jetzt erst recht ein, wie gut er gethan, seine Frau auf alles vorzubereiten, denn in dem Munde Plawickis nahm die Sache etwas zu bunte Farben an. Zwar schwatzte dieser viel von den Frauen der alten Zeit, er war jedoch offenbar sehr zufrieden darüber, daß sich etwas so Interessantes ereignet hatte, und faßte die Sache von der komischen Seite auf, denn er meinte auch: »Nun, nun, das ist ein resolutes Frauchen, die Schlimme! Ha, ha, sie ließ keinen frei ausgehen; der arme Osnowski! Nein, sie ließ keinen frei ausgehen.«

Hier zog er die Brauen in die Höhe, und dann blickte er auf Marynia und Polaniecki, wie um sich zu überzeugen, ob sie auch begriffen, was dies »keinen« bedeute.

Auf dem Gesichte Marynias spiegelte sich großer Widerwille.

»Pfui, Stach,« rief sie, »wie dies doch alles nichtswürdig und häßlich ist!«


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