Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebzehntes Kapitel

Professor Waskowski erkundigte sich täglich nach Litkas Befinden und schickte ihr häufig Blumen. Polaniecki, der nach langer Pause beim Mittagessen wieder mit ihm zusammentraf, dankte ihm im Namen Emiliens.

»Nicht der Rede wert. Astern, nur Astern!« rief der Professor. »Wie geht es der Kleinen heute?«

»Nicht gerade schlecht, aber auch nicht gut. Jeder neue Tag flößt mir Furcht ein, denn wenn man bedenkt, daß dieses Kind zu Grunde gehen muß . . .«

Hier hielt Polaniecki inne, die Kehle war ihm wie zugeschnürt; dann aber bezwang er sich mit aller Kraft und brach los: »Wie kann man noch auf Erbarmen hoffen! Es giebt nur eine Logik, und die sagt, daß, wer herzkrank ist, sterben muß. Da soll doch ein Donnerwetter darein schlagen!«

In diesem Augenblick kam Bukacki, der sich sofort, nachdem er sich erkundigt hatte, um was es sich handle, gegen Waskowski wandte. Er zeigte große Zuneigung und Mitgefühl für Litka.

»Wie können sich die Menschen Jahre hindurch einer Täuschung hingeben,« rief er, »und Grundsätze aufstellen, die angesichts der blinden Vorsehung in ein Nichts zerrinnen.«

Aber der alte Pädagoge antwortete mild: »Wie wollt Ihr, meine Lieben, die göttliche Weisheit und die göttliche Barmherzigkeit mit Eurem eigenen Maße messen? Wer unter die Erde kommt, den umschließt Finsternis. Hat er aber deshalb das Recht, zu leugnen, daß es über den Wolken einen Himmel giebt, daß Sonne, Licht und Wärme existieren, daß . . .«

»Auch ein Trost!« unterbrach ihn Polaniecki. »Eine Fliege kann bei dieser Philosophie nicht existieren, geschweige denn eine Mutter, der das einzige geliebte Kind stirbt.«

Der Professor stand mit einem Male unbeweglich da. Seine blauen Augen schienen in außerweltliche Sphären zu blicken, und nach einer Weile hub er zu sprechen an wie ein Mensch, dem eine Offenbarung geworden, der aber nicht sicher ist, ob er sich nicht täusche. »Mich dünkt,« begann er, »daß dieses Kind allzusehr im Herzen der Menschen Wurzel gefaßt hat, als daß es spurlos entschwinden, vergehen könne. Es ist für etwas bestimmt, es hat eine Mission zu erfüllen – und vorher stirbt es nicht.«

»Mysticismus!« warf Bukacki ein.

Aber Polaniecki fiel ihm ins Wort: »Mysticismus oder nicht Mysticismus, wollte Gott, Waskowski behielte recht. Der Mensch kommt schließlich so weit, daß er nach einem Schatten von Hoffnung hascht. Ich habe es noch niemals zu begreifen, zu fassen vermocht, daß Litka sterben könne.«

»Wer weiß,« ergriff der Professor wieder das Wort, »wer weiß, vielleicht überlebt sie uns alle.«

Polaniecki befand sich in der Phase des Skepticismus, in welcher der Mensch an nichts Bestimmtes glaubt, aber alles für möglich hält, zumal all das, was sein Herz begehrt. Er atmete folglich erleichtert auf und schöpfte frischen Mut.

»Möge sich Gott der Kleinen und ihrer Mutter erbarmen,« sagte er. »Ich würde hundert Messen lesen lassen, wenn ich wüßte, daß ihr das hülfe.«

»Lassen Sie eine lesen, aber aus lauteren Absichten.«

»Ich thue es, ich lasse eine Messe lesen. Und was die Lauterkeit meiner Absichten anbelangt, ich könnte keine lautereren hegen, selbst wenn es sich um meine eigene Haut handelte.«

Waskowski lächelte in seiner milden Weise und sagte: »Sie sind auf dem rechten Wege, denn Sie sind der Liebe fähig.«

Ohne sich eigentlich über die Ursache recht klar zu werden, fühlten sich alle mit einem Schlage froher und erleichterter. Bukacki, der zwar im tiefsten Innersten gerade das Gegenteil von dem dachte, was Waskowski sagte, wagte nicht, sich zu äußern. Es ist eine eigentümliche Sache, daß der Skepticismus, mag er so eingewurzelt sein, wie nur möglich, sich sofort feige in sich verkriecht und die Mütze über die Ohren zieht, sobald die Menschen in Unglücksfällen Heil im Glauben suchen.

Als die Drei noch beieinander standen, ging die Thüre des kleinen Separatzimmers auf, in welchem die Freunde zu speisen pflegten, und Bigiel trat ein. Er bemerkte voll Staunen die heiteren Gesichter.

»Ich sehe es Euch an,« rief er, »daß Litkas Zustand sich gebessert hat.«

»Ja, ja,« antwortete Polaniecki eifrig, »und der Professor hat uns solch gute ermutigende Worte gesagt, daß sie wie Balsam gewirkt haben.«

»Gott sei Dank! Meine Frau ließ heute eine Messe lesen und ging dann zu Frau Emilie. Ich werde mit Euch essen, meine Frau hat mir Urlaub gegeben, und weil Litka besser ist, so sage ich Euch eine große Neuigkeit.«

»Was für eine?«

»Soeben traf ich Maszko, der übrigens gleich hierher kommt. Wünscht ihm Glück, er verheiratet sich.«

»Mit wem?« fragte Polaniecki.

»Mit meiner Nachbarin.«

»Mit Fräulein Kraslawski?«

»Ja.«

»Erklärt mir nur eins,« rief der Professor, »Maszko ist doch ein religiöser Mensch . . .«

»Wie alle Konservativen,« warf Bukacki ein, »weil es sich schickt.«

»Wie kommt es, daß er niemals an das zukünftige Leben denkt?«

»Maszko, warum denkst Du niemals an das zukünftige Leben?« rief Bukacki, sich an den eben eintretenden Advokaten wendend.

Maszko näherte sich rasch und fragte: »Was sagst Du?«

»Ich sage: Tu felix Maszko nube

Alle drei brachten nun ihre Glückwünsche dar, die Maszko voll Würde entgegennahm.

»Meine lieben Freunde,« bemerkte er schließlich, »ich danke Euch von ganzem Herzen, und da Ihr alle meine Braut kennt, zweifle ich auch nicht an der Aufrichtigkeit Eurer Wünsche.«

»Das wäre auch nicht erlaubt,« rief Bukacki.

Und Polaniecki warf ein: »Die Geschichte mit Krzemien kam Dir zur gelegenen Zeit.«

Diese Worte trafen die Wahrheit auf den Kopf. Die Geschichte mit Krzemien war Maszko in der That sehr zu statten gekommen, denn wohl nur infolge davon hatte seine Werbung Gehör gefunden. Aber gerade, weil Polanieckis Bemerkung durchaus begründet war, machte sie auf jenen einen unangenehmen Eindruck.

»Du erleichtertest mir den Kauf,« antwortete er mit verdrießlichem Gesicht, »und wenn ich Dir auch zuweilen Dank dafür weiß, bin ich Dir doch bisweilen gram darob.«

»Weshalb?«

»Weil Plawicki die unerträglichste und unangenehmste Person auf der Welt ist, und Deine Cousine, im großen und ganzen eine sehr angenehme Dame, von früh morgens bis spät abends ihre Trauer über das verlorene Paradies durch alle Fälle durchdekliniert und bei jedem einzelnen Falle eine Thräne vergießt. Glaube mir, das ist recht langweilig.«

Polaniecki richtete sich mit einem Male hoch auf: »Höre, Maszko,« erklärte er in ernstem Tone, »ich sagte zwar allerlei über meinen Verwandten, über dessen Taktlosigkeit, aber das will noch nicht heißen, daß ich einem andern das Recht zugestehe, in solcher Weise über ihn zu schwatzen, wie Du es thust, Du, der ein vorzügliches Geschäft mit ihm gemacht hat. Was Fräulein Marynia anbelangt, so weiß ich es sehr wohl, welch Herzeleid ihr der Verkauf von Krzemien verursacht; meiner Ansicht nach beweist jedoch ihr Schmerz nur, daß sie keine leere Puppe, kein Mannequin ist, sondern ein Mädchen mit einem warmen Herzen. Verstehst Du mich?«

Tiefes Schweigen trat ein. Maszko verstand nur zu gut, wen Polaniecki meinte, als er von einer leeren Puppe, von einem Mannequin sprach. Sein stets gerötetes Gesicht wurde noch röter, seine Lippen bebten, allein trotzdem bezwang er sich. Er war durchaus nicht feig, für den kecksten Menschen giebt es aber gewöhnlich irgend jemand, mit dem er nicht anbinden will, und für Maszko war dies bei Polaniecki der Fall. Nach einigen Minuten bemerkte er daher, die Achseln zuckend, ruhig: »Weshalb gerätst Du in solchen Zorn? Wenn Dir meine Worte einen unangenehmen Eindruck gemacht haben . . .«

»Ich bin gar nicht zornig,« unterbrach ihn Polaniecki, ihm fest in die Augen sehend, »ich rate Dir nur, meine Worte zu beherzigen.«

»Deinem Wunsche,« entgegnete Maszko, »kann ich ja Rechnung tragen, nur gestatte mir, Dir auch einen Rat zu erteilen. Lasse Dir nicht mehr beikommen, in einem solchen Ton mit mir zu sprechen, denn ich könnte Dich zur Rechenschaft ziehen.«

»Was, zum Teufel,« rief nun Bukacki, »habt Ihr miteinander?«

Polaniecki aber, dessen Erbitterung gegen Maszko mit der Zeit mehr und mehr gewachsen war, würde den Streit vielleicht bis zum Aeußersten getrieben haben, wenn nicht in diesem Augenblicke die Dienerin von Frau Emilie unter der Thüre erschienen wäre.

»Ich bitte, kommen Sie rasch,« wendete sie sich atemlos an Polaniecki, »unser Fräuleinchen liegt am Tode.«

Polaniecki erbleichte, ergriff seinen Hut und stürzte fort. Eine bange Stille folgte, die schließlich von Maszko unterbrochen wurde.

»Ich vergaß,« sagte er, »daß man ihm jetzt alles verzeihen muß.«

Waskowski aber begann zu beten. Mit gesenktem Haupte sprach er mit lauter Stimme die Worte: »Gott allein kann den Tod bannen, Gott allein vermag ihn aufzuhalten.«

Eine Viertelstunde später erhielt Bigiel eine Karte von seiner Frau; sie schrieb: »Der Anfall ist glücklich vorübergegangen.«


 << zurück weiter >>