Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Zwölftes Kapitel

Maszko hatte viel Selbstbewußtsein und glaubte, er dürfe das Entgegenkommen Marynias für aufrichtig halten. Früher schon hatte sie ihm außerordentlich gut gefallen, nun wog er das für und wider gegen einander ab und gelangte zu der Ueberzeugung, daß das »für« überwog. Reichtum schätzte der junge Advokat zwar sehr hoch, aber mit nüchternem Geiste die Verhältnisse klar überschauend, gelangte er zu der Ueberzeugung, daß ihn ein reiches Mädchen nicht nehmen werde.

Fräulein Plawicki hatte freilich keine Mitgift oder wenigstens nur eine sehr unbedeutende. Aber wenn er sie zur Frau nahm, entledigte er sich aller Verpflichtungen, die ihm durch den Ankauf von Krzemien auferlegt waren. Auch konnte er durch die Verbindung mit einer vornehmen Familie eine adlige Klientel erlangen, was längst schon das Ziel seiner Bestrebungen gewesen. Auf diese Weise konnte er sich emporarbeiten, Krzemien mit der Zeit frei machen, zu Vermögen gelangen, die Advokatur, die ihm nur das geeignete Mittel zum Zwecke war, aufgeben und ein angesehener Grundbesitzer werden. Dies alles erwog und berechnete er, bevor er sich entschloß, um Fräulein Plawickis Hand zu werben.

Maszko hatte das dreißigste Jahr erreicht, ohne zu wissen, was Leidenschaft ist. Jetzt begriff er, welche Wonne eine solche Liebe in sich schließt, denn er liebte Marynia von ganzer Seele. Traf es sich einmal zufällig, daß Herr Plawicki ihn allein empfing, so beschäftigte sich Maszko in Gedanken so unablässig mit ihr, daß er kaum hörte, was Herr Plawicki sagte. Kam sie dann, so bewegten Empfindungen, die er nie gekannt, sein Herz, zarte Empfindungen, die ihn besser machten, als er je gewesen.

Auch Marynia hatte sich in der letzten Zeit sehr verändert. Der Verkauf von Krzemien nahm ihr die Beschäftigung und damit jeden Halt. Ihr fehlte jetzt der geeignete Wirkungskreis. Zudem hatte sich viel Groll und Bitterkeit in ihr angesammelt. Marynia empfand dies selbst nur zu wohl, und einige Tage nach jenem Abend, an welchem Polaniecki vergeblich erwartet wurde, sprach sie sich Frau Emilie gegenüber aus, als sie sich zur Dämmerstunde in dem an Litkas Zimmer stoßenden Salon befanden.

»Ich weiß, daß unser früheres gutes Einvernehmen gestört ist,« sagte sie, »schon mehrmals wollte ich aufrichtig mit Dir reden, aber es war mir nicht möglich, denn mich dünkt, ich bin Deiner Freundschaft nicht mehr wert.«

Frau Emilie zog Marynia an sich und küßte sie auf die Stirne. »O Marynia, was redest Du! Du bist ja sonst so verständig, so gelassen.«

»In Krzemien bin ich viel besser gewesen als jetzt. Ich hatte eine Beschäftigung und, wunderlich genug, hegte ich die Hoffnung, daß mit der Zeit etwas kommen müsse, das mich sehr glücklich machen werde. All dies ist nun vorüber, ich kann mich nicht in Warschau zurechtfinden, und, was schlimmer ist, auch nicht mehr so sein wie früher. Du wundertest Dich, als ich mit Maszko kokettierte, das weiß ich wohl. Und meinst Du vielleicht, ich wüßte, weshalb ich es that? Vielleicht deshalb, weil ich recht schlecht geworden bin, vielleicht aus Groll über mich selbst, über ihn und die ganze Welt. Ich liebe ihn nicht und heirate ihn auch nicht, also that ich Unrecht, und beschämt gestehe ich dies, aber es giebt Augenblicke, in denen ich gern jemand ein Unrecht zufügen möchte. Ich bin nicht mehr wert, Deine Freundin zu sein.«

Heiße Thränen rollten über Marynias Wangen. Frau Emilie umschlang sie zärtlich und suchte sie zu beruhigen. Dann sagte sie:

»Maszko hat offenbar Absichten auf Dich, und offen gestanden glaubte ich, Du werdest ihn nehmen. Ich sage Dir unverhohlen, daß es mich wunderte, denn er ist nicht der rechte Mann für Dich, allein da ich weiß, wie sehr Du an Krzemien hängst, nahm ich an, Du wollest wieder dorthin zurückkehren.«

»Anfangs hatte ich diese Absicht! Ich wollte mir einreden, daß Herr Maszko mir gefalle, wollte ihn nicht zurückstoßen. Mich selbst zu überzeugen gelang mir indessen nicht. Um diesen Preis will ich sogar Krzemien nicht, aber eben darin liegt ja das Unrecht. Denn habe ich Herrn Maszko nicht in seinen Irrtum bestärkt, ihn getäuscht?«

»Ich weiß, weshalb Du es thatest. Aus Zorn und Aerger über einen andern, ist's nicht so? Sei getrost, alles kann noch gut werden, aber Maszko gegenüber mußt Du von jetzt an Dein Benehmen ändern, solange es noch Zeit ist, solange Du Dein Wort noch nicht gegeben hast.«

»Das weiß ich wohl, Emilie, und siehst Du, wenn ich bei Dir bin, wenn ich fühle und denke wie ehemals, dann dünkt mich, daß nicht nur ein ausgesprochenes Wort, sondern unser ganzes Benehmen uns bindet – dies kann er mir wohl sagen.«

»Dann erwiderst Du ihm offen, Du habest Dich selbst zu überreden gesucht, es aber nicht zustande gebracht. Jedenfalls ist dies der einzige Ausweg.«

Ein kurzes Schweigen folgte, aber Marynia und Emilie fühlten wohl, daß sie bis jetzt noch nicht von dem gesprochen hatten, was sie am meisten interessierte und beschäftigte.

Marynias Hand ergreifend, sagte Emilie daher: »Jetzt gestehe, Marynia, daß Du auch aus Zorn über Herrn Stanislaus mit Maszko kokettiertest.« Worauf diese leise entgegnete: »Ja, so ist's.«

»So hat sich die Erinnerung an seinen Aufenthalt in Krzemien noch nicht verwischt?«

»Nein, doch wäre es besser, ich dächte nicht mehr daran.«

Emilie strich ihr sanft über die dunkeln Haare.

»Du glaubst nicht, welch' edler Mensch Polaniecki ist,« sagte sie. »Hast Du gehört, daß er einen berühmten Arzt aus München berief, als Litka in Reichenhall erkrankte, und daß er, um mich nicht zu ängstigen, erklärte, der Doktor sei eines andern Kranken wegen gekommen. Ist das nicht ein Beweis von rührender Besorgnis und Güte? Es giebt so viele intelligente Leute ohne Energie, wieder andre haben Energie aber keine feine Empfindung. In ihm jedoch findest Du alles vereinigt. Als uns der Verlust von Litkas Vermögen drohte und der Bruder meines Gatten es zu retten suchte, fand er die größte Hilfe an Polaniecki. Wäre Litka erwachsen, ihm würde ich sie mit Freuden zur Gattin geben. Wie viele Freundschaftsbeweise wir schon von ihm erhielten, vermag ich kaum auszudrücken.«

»Wenn er Euch soviel Gutes gethan, wie er mir Schlimmes angethan hat, dann ist es sehr viel.«

»Absichtlich nicht, Marynia. Wüßtest Du nur,« fügte Emilie hinzu, »wie tief er wegen seiner Unüberlegtheit leidet und wie offen er seine Schuld bekennt.«

»Er hat es mir selbst gesagt,« entgegnete Marynia, »ich aber habe schon viel darüber nachgedacht, ja die Wahrheit zu sagen, ich dachte bisher an nichts andres. In Krzemien war er gut gegen mich, so gut, daß ich glaubte – Dir allein sage ich es, auch habe ich es Dir ja schon geschrieben, daß ich am Abend jenes Sonntags, den er bei uns verbrachte, vollständig erfüllt von ihm zur Ruhe ging. Damals fühlte ich, es hätte nur noch eines solchen Tages, nur noch eines Wortes von seiner Seite bedurft, und mein Herz wäre ihm fürs ganze Leben zu eigen gewesen. Mir schien, daß auch er . . . Aber am zweiten Tage fuhr er aufgebracht ab, es war die Schuld meines Vaters und auch die meine, daher begriff ich es recht wohl. Erinnerst Du Dich des Briefes, den ich Dir nach Reichenhall schrieb? Nun ich setzte dasselbe Vertrauen in ihn wie Du. Er reiste ab, und weshalb ich glaubte, er werde zurückkehren oder schreiben, weiß ich selbst nicht. Doch er kehrte nicht zurück und schrieb nicht. Eine innere Stimme hatte mir zugeraunt, er werde mir Krzemien nicht nehmen, und er nahm es doch. Und dann . . . Ich weiß, daß Herr Maszko ganz offen mit ihm sprach, weiß, daß er diesen aufmunterte, ja ihm sogar erklärte, er selbst habe keine Absicht. O meine Emilie, Unrecht war dies ja nicht, aber wie viel Schlimmeres hat er mir außerdem zugefügt! Durch ihn verlor ich nicht nur die geliebte Heimat, nein, ich verlor noch weit mehr, die Freude am Leben, den Glauben an die Menschen, den Glauben, daß das Gute und Edle die Oberhand über das Schlechte und Gemeine behält. Und ich selbst bin schlimmer geworden. Dir gestehe ich offen, daß ich mit mir selbst uneins bin. Und hatte er das Recht, so zu verfahren, wie er verfuhr? Wohl möglich. Ich sage mir dies selbst und messe ihm keine Schuld bei, doch habe ich die Empfindung, als ob etwas in mir entzweigegangen wäre. Was nützt es mir, daß dann später eine Umwandlung mit ihm vorging, daß er jetzt bereut, was er gethan, und daß er vielleicht geruht, mich zur Frau zu begehren? Was soll es mir, da ich ihn nicht nur völlig aus meinem Herzen verbannt habe, sondern geradezu Abneigung gegen ihn hege. Das ist schlimmer, als wenn er mir völlig gleichgültig wäre. Wie kann ich ihm die Hand reichen mit diesem Groll im Herzen? Du meinst, ich wisse ihn nicht genug zu schätzen, und dies mag sein, aber je mehr ich ihn sehe, desto mehr fühle ich, wie fremd er mir ist, und wenn ich zwischen den beiden zu wählen hätte, würde ich Maszko wählen, wiewohl dieser weit unter ihm steht. Was Du mir Gutes von ihm sagst, glaube ich, aber ich liebe ihn nicht mehr, und werde ihn niemals lieben.«

Nun traten Thränen in Emiliens Augen. »Der arme Herr Stanislaus!« sagte sie gleichsam zu sich selbst. Dann nach kurzem Schweigen fragte sie: »Und bedauerst Du ihn denn nicht?«

»Ich bedaure ihn, wenn ich mir ihn vorstelle, wie er in Krzemien gewesen, ich bedaure ihn auch, wenn ich ihn nicht sehe, aber in dem Moment, da er mir unter die Augen tritt, fühle ich nur Abneigung gegen ihn.«

»Weil Du nicht weißt, wie unglücklich er ist. Er hat ja keinen Menschen auf der ganzen Welt.«

»Er hat Dich zur Freundin, er liebt Litka.«

»Aber Marynia, dies ist etwas anders. Ich bin ihm von Herzen dankbar für seine Anhänglichkeit, allein Du mußt selbst wissen, daß er Dich anders und hundertmal mehr liebt als Litka.«

Es war schon völlig dunkel im Zimmer, der Diener brachte die Lampe. Bei ihrem Scheine erblickte Frau Emilie plötzlich eine weiße Gestalt, die zusammengekauert auf einer Causeuse lag.

»Wer ist da? Bist Du es, Litka?«

»Ja, Mütterchen.«

Die Stimme der Kleinen klang eigentümlich. Frau Emilie erhob sich und trat schnell zu ihr.

»Wann bist Du hereingekommen, was fehlt Dir?«

»Ich bin so betrübt.«

Als Emilie sich neben dem Kinde niederließ und es zärtlich zu sich heranzog, gewahrte sie, daß seine Augen voll Thränen standen. »Litka, Du weinst, was ist Dir?«

»Ich bin so betrübt, so betrübt.«

Und ihr Köpfchen an die Schulter ihrer Mutter lehnend, fing sie bitterlich zu schluchzen an. Ihr war in der That traurig zu Mute, denn sie hatte gehört, daß Herr Polaniecki Marynia hundertmal mehr liebte als sie.

Denselben Abend, da sie, im Begriff sich zur Ruhe zu begeben, schon ihr Nachtkleid übergeworfen hatte, trat sie dicht zu ihrer Mutter und sagte ihr ins Ohr: »Mütterchen, ich habe eine große Sünde auf dem Gewissen.«

»Mein armes Kind, was bedrückt Dich denn so sehr?«

Und ganz leise flüsterte ihr das kleine Mädchen zu: »Ich habe Marynia gar nicht gern.«


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