Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Zweiundfünfzigstes Kapitel

Am nächsten Tage erhielt Marynia einige Zeilen von ihrem Manne, mit der Nachricht, daß sie ihn nicht erwarten solle, da er beabsichtige, ein ihm angebotenes Grundstück anzusehen. Als er sich aber dann am darauffolgenden Tage einstellte, brachte er Swirski mit, der schon längst die Freunde in ihrer Sommerwohnung hatte aufsuchen wollen.

»Denke Dir nur,« sagte Polaniecki, nachdem er seine Frau begrüßt hatte, »Buczynek, das ich ansah, grenzt an das Besitztum des alten Zawilowski, an Jasmien. Selbstverständlich besuchte ich gleich den alten Herrn, der sich nicht recht wohl befindet, und traf unverhofft Herrn Swirski bei ihm. Er hat mit mir Buczynek angesehen und großes Gefallen daran gefunden. Zu dem Hause gehören ein schöner Garten, mit einem großen Teich und ein wenig Wald. Früher ist Buczynek ein Gut mit ausgedehnten Ländereien gewesen, die aber immer mehr zusammenschmolzen, da der Besitzer ein Stück nach dem andern veräußert hat.«

»Für meinen Geschmack ist das ein sehr angenehmer Aufenthalt,« bemerkte Swirski, »jedenfalls hat man aber dort viel Schatten, gute Luft und unendliche Ruhe.«

»Wirst Du es kaufen,« fragte Marynia ihren Mann.

»Wahrscheinlich, inzwischen möchte ich es aber mieten. Wir könnten den Rest des Sommers dort verbringen, um uns zu überzeugen, ob der Platz all das hält, was er verspricht. Der Besitzer ist so sehr davon überzeugt, daß er gern auf die Miete eingeht. Ich hätte ihm gleich das Angeld gegeben, wenn ich mich nicht vorher hätte vergewissern wollen, was Du darüber denkst.«

Trotzdem Marynia sich nur ungern von Bigiels trennte, erklärte sie sich sofort mit seinem Plane einverstanden, als sie bemerkte, wie sehr er wünschte, den Rest des Sommers im eigenen Heime zu verbringen.

Bigiels selbst rieten zuerst ab, ließen sich aber doch durch die Erklärung Polanieckis umstimmen, daß es sich hier um das Erproben eines Heims handle, in dem er und Marynia höchst wahrscheinlich jeden Sommer bis zum Ende ihres Lebens verbringen würden, und gestanden schließlich zu, daß dies ein triftiger Grund zu einer Uebersiedlung sei.

»Da Ihr nun alle meiner Meinung seid,« bemerkte hierauf Polaniecki, »schließe ich morgen den Mietvertrag ab, lasse das, was noch nötig ist, aus Warschau kommen, und übermorgen ziehen wir um.«

»Das klingt ja gerade, als ob Sie es nicht erwarten könnten, von uns fortzukommen,« warf Frau Bigiel ein. »Wozu denn eine solche Eile?«

»Mit dem Packen haben wir keine sonderliche Mühe,« entgegnete Polaniecki, »und Sie wissen, daß mir nichts verhaßter ist, als immer alles aufzuschieben.«

Man einigte sich endlich dahin, daß die Uebersiedlung nach Buczynek in vier Tagen bewerkstelligt werden sollte, dann ging man zu Tische, und während des Essens erzählte Swirski, wieso ihn Polaniecki in Jasmien bei Herrn Zawilowski getroffen hatte.

»Fräulein Helene forderte mich auf, das Bild ihres Vaters zu malen. Ihrem Wunsche gemäß sollte dies in Jasmien geschehen. Da der Alte einen sehr interessanten Kopf hat, besann ich mich nicht lange und fuhr hin. Leider wurde aber aus dem Plan nichts. Das Haus hat solch ellendicke Mauern, daß in keinem Zimmer ordentliches Licht ist. Unter diesen Bedingungen wollte ich nicht malen, ganz abgesehen von der weiteren Störung. Das Modell hat nämlich einen Anfall von Podagra bekommen. Der Arzt, den sie aufs Land mitgenommen haben, sagte mir zudem im Vertrauen, der Zustand sei nicht unbedenklich, man kann nicht wissen, wie er endige.«

»Das thut mir sehr leid,« warf Marynia ein, »Herr Zawilowski scheint ein guter, edler Mensch zu sein. Fräulein Helene ist aber ganz besonders zu bedauern, denn nach seinem Tode steht sie völlig vereinsamt. Kennt er seinen Zustand?«

»Er kennt ihn und kennt ihn wieder nicht, wie es so ist. Das ist ein wunderlicher Kauz. Für seinen Verwandten interessiert er sich indessen sehr und frug mich sofort über ihn aus, als er erfuhr, daß ich in Przytulow gewesen bin.«

»So, sind Sie in Przytulow gewesen?« bemerkte Marynia.

»Vier Tage, gnädige Frau,« erwiderte der Maler. »Ich mag Herrn Osnowski sehr gern leiden.«

»Und Frau Osnowski?«

»Ueber sie habe ich Ihnen schon in Rom meine Meinung gesagt, und soviel ich mich erinnere, nahm ich mir dabei kein Blatt vor den Mund.«

»Ja, es ist wahr, Sie haben sich damals ganz schlecht benommen. Wie geht's dem jungen Paare?«

»Gut. Sie scheinen sehr glücklich zu sein. Gegenwärtig ist ein Fräulein Ratkowski bei ihnen zu Besuch, ein äußerst liebes Mädchen. Beinahe hätte ich mich in sie verliebt.«

»Da haben wir's. Stach sagte mir schon, daß Sie sich in jedes weibliche Wesen verlieben.«

»So ist's, gnädige Frau, ich verliebe mich stets in alle und daher in keine recht.«

»Das beste Mittel, um nie zu heiraten,« warf Bigiel ein.

»Leider, mein lieber Herr Bigiel,« stimmte Swirski eifrig bei, »leider haben Sie recht. Hat Ihnen Stanislaus schon von unserer Verabredung erzählt, gnädige Frau?« wandte er sich hierauf wieder an Marynia. »Ich machte mit ihm aus, daß ich sofort heirate, wenn Sie mir dazu raten werden. Deshalb wäre es mir sehr angenehm, wenn Sie Fräulein Ratkowski kennen lernen würden. Sie heißt mit dem Vornamen Helene, d. h. ›Bekränzte‹. Ein schöner Name, nicht wahr? Sie ist ein stilles Wesen, schüchtern, unverkennbar in beständiger Furcht vor Frau Aneta und Fräulein Castelli, aber augenscheinlich außerordentlich lieb. Ich hatte einen Beweis dafür. Während ich in Przytulow war, kam einmal ein Bettler mit einem höchst interessanten Kopfe. Er sah wie ein echter Einsiedler aus. Frau Osnowski und Fräulein Castelli holten sofort ihre photographischen Apparate herbei und photographierten ihn von allen Seiten, ohne darüber nachzudenken, ob nicht der Alte Hunger habe. Er ließ freilich alles mit sich machen, da er auf ein Almosen hoffte, allein es war ihm sichtlich unangenehm. Allein keine der Damen bemerkte es, oder vielmehr, es achtete keine darauf, und erst Fräulein Ratkowski machte sie darauf aufmerksam, wie sie ihn demütigten und quälten. Das beweist Herz und Feingefühl. Auch ihr Verhalten dem schönen Kopowski gegenüber beweist mir dies. Sie macht es nicht wie jene Damen, die ganz hingerissen von ihm sind, die ihn malen, Kostüme für ihn ausdenken, ihn verkleiden und mit ihm spielen, wie mit einer Puppe. Nein, sie sagte mir selbst, Kopowski langweile sie geradezu, und das gefiel mir, denn er hat so wenig Verstand wie der Knopf eines Stockes.«

»Herr Kopowski,« bemerkte Herr Bigiel, »braucht, wie ich hörte, Geld, und Fräulein Ratkowski ist nicht reich. Ich weiß, daß ihr Vater bei seinem Tode der Bank eine beträchtliche Summe schuldete, die sich mit den Zinsen bis zum letzten Tage des verflossenen Monats belaufen wird auf ungefähr . . .«

»Das geht uns eigentlich nichts an,« unterbrach ihn Frau Bigiel.

»Du hast recht, das ist nicht unsere Sache.«

»Wie sieht denn Fräulein Ratkowski aus?« fragte Marynia.

»Fräulein Ratkowski? Sie ist nicht schön, hat aber einen sehr lieben Gesichtsausdruck, einen hellen Teint und dunkle Augen. Doch Sie werden sie ja selbst sehen, gnädige Frau, denn die Damen sprachen davon, Sie dieser Tage aufzusuchen. Ich redete ihnen natürlich zu, denn mir liegt viel daran, daß Sie Fräulein Ratkowski kennen lernen.«

»Gut,« erwiderte Marynia lachend, »Ich bin bereit, sie kennen zu lernen und mein Urteil zu fällen. Wenn es aber günstig sein wird, was dann?«

»Dann erkläre ich mich, mein Wort darauf. Schlimmsten Falles bekomme ich einen Korb. Wenn Sie aber ›nein‹ sagen, gnädige Frau, gehe ich auf die Entenjagd. Ende Juli kann man schon jagen.«

»Das sind ja nette Geschichten,« warf Frau Bigiel ein, »eine Frau oder eine Ente. Herr Zawilowski würde sich niemals so ausdrücken.«

»Wozu soll man denn auch lange überlegen, wenn man liebt!« meinte Marynia.

»Sie haben recht, und ich beneide ihn auch, aber nicht wegen Fräulein Castelli, obgleich ich auch einmal in sie verliebt gewesen bin, sondern wegen der Stimmung, in der man nicht mehr überlegt.«

»Was haben Sie denn gegen Fräulein Castelli?«

»Nichts, gnädige Frau, ich bin ihr nur Dankbarkeit schuldig, denn durch sie habe ich wenigstens eine Zeitlang eine Illusion gehabt. Deshalb werde ich niemals schlecht von ihr sprechen, außer wenn mich jemand aufs Gewissen über sie frägt. Bitte, fragen Sie mich daher nicht, meine Damen.«

»Im Gegenteil,« erklärte Frau Bigiel, »Sie müssen uns beiden beichten. Kommen Sie auf die Veranda, der Kaffee ist serviert.«

Die ganze Gesellschaft folgte dieser Aufforderung. Die Kinder spielten lustig und fröhlich unter den Bäumen umher. Herr Bigiel bot Swirski eine Cigarre an, und Marynia näherte sich ihrem Manne, der ein wenig auf der Seite stand, und fragte: »Weshalb bist Du so schweigsam, Stach.«

»Ich bin müde,« erwiderte er. »In der Stadt herrscht eine furchtbare Hitze, so daß man in unserer Wohnung zu ersticken glaubt. Ich konnte die ganze Nacht kein Auge schließen, da mir auch noch zudem Buczynek beständig im Kopfe herumging.«

»Auf Buczynek bin ich außerordentlich gespannt und neugierig. Ich bin sehr froh, daß Du das Anwesen besichtigt und gemietet hast. Du siehst übrigens recht angegriffen aus. Lege Dich doch ein wenig nieder. Wir werden inzwischen Herrn Swirski zu unterhalten suchen.«

»Nein, ich könnte doch nicht schlafen,« erklärte Polaniecki.

»Heute ist doch ein echter, wirklicher Sommertag,« bemerkte jetzt Swirski, an das Geländer der Veranda tretend, »kein Windzug ist fühlbar, kein Blatt bewegt sich. Haben Sie schon bemerkt, das während einer solchen Hitze, in den Momenten einer solchen Stille einem die Welt wie in sich versunken vorkommt? Bukacki behauptete stets mit Recht, darin läge etwas Mystisches, an einem solchen Sommertage möchte er sterben.«

»Er starb jedoch nicht im Sommer,« warf Bigiel ein.

»Aber im Frühling, beim herrlichsten Wetter, ohne zu leiden, und das ist die Hauptsache. Der Tod – nun, mit ihm kann und muß man sich versöhnen. Wozu aber die Menschen leiden müssen, das geht über unsere Begriffe.«

Da niemand auf diese Bemerkung antwortete, sagte Swirski, die Asche von seiner Cigarre abstreifend: »Doch genug davon. Beim schwarzen Kaffee nach dem Mittagessen kann man auch von etwas Fröhlichem reden.«

»Reden wir von Zawilowski, erzählen Sie uns von Zawilowski!« rief Frau Bigiel.

»Zawilowski gefällt mir ausnehmend gut. Alles, was er thut und sagt, hat Hand und Fuß, überhaupt ist er eine sehr reich angelegte Natur. Während unseres kurzen Zusammenseins in Przytulow schlossen wir uns sehr aneinander an. Sie machen sich keinen Begriff, wie ihn Herr Osnowski lieb gewonnen hat. Letzterem machte ich auch kein Hehl aus meinem Zweifel, das die Beziehungen zwischen seinen Damen und einem solchen Menschen wie Zawilowski zu einem glücklichen Ende führen können.«

»Und warum denn nicht, mein Herr?« fragte Marynia.

»Das läßt sich eigentlich schwer erklären. Bestimmte Gründe kann ich ja nicht dafür anführen, das fühlt man eben. Das sind total verschiedene Naturen. Sehen Sie, Zawilowski stellt ganz andere Anforderungen an das Leben, als jene Damen. Alles Hohe und Edle ist für ihn ein Bedürfnis, die Damen betrachten aber dies alles nur als einen Schmuck, so ungefähr wie die Spitzen an einem Kleid. Das zieht man an, wenn Gäste da sind, sonst aber trägt man einen Schlafrock, und das ist doch ein großer Unterschied. Auch fürchte ich, daß sie sich nicht nur nicht seinem Fluge anbequemen, sondern verlangen werden, er solle in ihrem Gänseschritt neben ihnen herwackeln, und daß sie all das, was bedeutend in ihm ist, in kleine Münze umwechseln, um ihre täglichen, gesellschaftlichen Ausgaben damit zu bestreiten; das wäre doch ewig schade. Eine Katastrophe ist freilich kaum zu befürchten, auch steht mir durchaus nicht das Recht zu, den Damen irgendwie schlimme Absichten zuzuschreiben, allein Zawilowski kann aller Wahrscheinlichkeit nach recht unglücklich mit Fräulein Castelli werden. Sie kennen ihn ja alle und wissen, welch einfacher, guter und aufrichtiger Mensch er ist. Was er auch anfängt, er ist mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele dabei, und so liebt er auch Fräulein Castelli, meiner Meinung nach, viel zu leidenschaftlich, viel zu ausschließlich. Er legt ihr sein ganzes ›Ich‹ zu Füßen, und sie . . . sie hat nur ein kleines Teilchen ihres Seins für ihn übrig. Denn den Rest braucht sie für den gesellschaftlichen Verkehr, für ihre Toiletten, für die five o'clock teas, für lawn tennis mit Herrn Kopowski, mit einem Worte, für jene Mühle, in der das Leben zu Kleie zermahlen wird.«

»Im allgemeinen mag dies ja zutreffend sein,« bemerkte Bigiel »ich glaube aber kaum, daß Fräulein Castelli wirklich so schlimm ist, wie Sie sie schildern.«

»Nein,« wandte Frau Bigiel ein, »das ist sie sicherlich nicht. Sie aber sind ein ganz nichtswürdiger Mensch, der die Frauen gründlich haßt.«

»Ich die Frauen hassen!« rief Swirski, beide Hände gen Himmel streckend.

»So sehen Sie denn nicht ein, daß Sie aus Fräulein Castelli ein schreckliches Gänschen machen?«

»Ich, gnädige Frau? Ich gab ihr Malstunden, mit ihrer sonstigen Erziehung habe ich mich jedoch nie befaßt und werde es auch nie thun.«

»Es ist doch merkwürdig,« sagte jetzt Frau Marynia, dem Maler mit dem Finger drohend, »es ist doch merkwürdig, daß ein so guter Mensch eine solch böse Zunge hat.«

»Sie haben vollkommen recht,« erklärte Swirski; »ich stellte mir schon häufig selbst die Frage, ob ich wirklich ein guter Mensch sei, und ich glaube, ich bin es. Es giebt Menschen, die ihre Nächsten aus Neid verleumden, das ist häßlich; wieder andere thun es aus einer gewissen Vorliebe für den Schmutz, und das ist schmutzig; Bukacki redete über die Leute des Witzes wegen, und ich . . . nun ich bin zuerst ein Schwätzer und dann ein Mensch. Frauennaturen zu ergründen war von jeher meine Leidenschaft, und sobald sich mir kleinliche, niedrige Regungen offenbaren, fühle ich mich abgestoßen.«

»Weshalb dehnen Sie aber denn nicht Ihre Studien auf die Männer aus?« fragte Frau Bigiel.

»Was gehen mich die an? Doch im Ernste, meiner Ansicht nach sind sie mehr wert als die Frauen.«

Gemeinsam fielen nun Frau Bigiel und Marynia über den unglückseligen Maler her, doch er verteidigte sich wacker, indem er fortfuhr: »Aber meine Damen, vergleichen Sie doch einmal Zawilowski mit Fräulein Castelli! Er arbeitete seit seiner Kindheit, wußte sich alle Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen, gab der Welt schon viel Schönes und weiß sich in allen Lebenslagen zurechtzufinden. Was aber hat sie bis jetzt gethan? Sie gleicht dem Kanarienvogel im Käfig. Man giebt ihm Wasser, Zucker und Vogelsamen, und er hat nur sein gelbes Gefieder mit seinem Schnabel zu säubern und zu zwitschern. Ist es nicht so? Wir arbeiten schwer, meine Damen! Die Civilisation, die Wissenschaft, die Kunst, das Brot, kurz alles, worauf der Weltbestand sich gründet, ist doch schließlich unser Werk. Und das bedeutet eine fabelhafte Arbeit. Darüber zu reden, fällt freilich nicht schwer, anders ist es aber mit dem Thun. Ob unsere Weltordnung eine richtige ist, will ich dahingestellt sein lassen, die Frauen werden nun einmal von der Arbeit ferngehalten, nur ein Gebiet bleibt ihnen offen – die Liebe – folglich müßt Ihr wenigstens zu lieben verstehen. Sehen Sie einmal mich an,« fuhr er nach einer kurzen Pause fort, während sich eine tiefe Melancholie auf seinem Antlitz spiegelte, »ich arbeite beständig; seit fünfundzwanzig Jahren schmiere ich und schmiere ich mit dem Pinsel auf der Leinwand herum, und Gott allein weiß, wie ich mich gequält habe, bis ich etwas zustande brachte. Was habe ich aber davon? Mutterseelenallein stehe ich in der Welt, und was wünsche ich mir zum Lohne für all diese Quälerei? Daß mir unser Herrgott ein liebes Weibchen beschere, das mich ein wenig liebt und mir für meine Liebe dankbar ist. Aber ich fürchte mich zu heiraten. Unter zehn Frauen versteht vielleicht eine zu lieben, wenn Ihr auch sonst auf der Gotteswelt nichts zu thun habt.«

Die weitere Unterhaltung wurde durch das Kommen von Herrn Plawicki und Frau Maszko unterbrachen, die in einem dunkelblauen Foulardkleid mit weißen Punkten von weitem wie ein Schmetterling aussah. Während sich beide der Veranda näherten, rief ersterer: »Ich raubte Frau Maszko und bringe sie her. Guten Abend, meine Herrschaften, guten Abend, Marynia. Ich wollte gerade in einer Droschke zu Euch fahren, da sah ich diese Dame auf dem Balkon stehen. Ohne lange zu überlegen, raubte ich sie und gemeinsam legten wir den Weg hierher zu Fuß zurück. Den Wagen schickte ich weg, denn ich zähle darauf, daß Ihr uns zurückbefördern werdet.«

Nachdem die gegenseitige Begrüßung vorüber war, nahm Frau Maszko, die etwas erhitzt aussah, ihren Hut ab und erklärte, Herr Plawicki habe sie wirklich geraubt, denn sie sei fest entschlossen gewesen, das Haus nicht vor der Rückkunft ihres Gatten zu verlassen. Marynias Vater that, als ob er sie beruhigen wolle. »Den Spaziergang tête-à-tête mit mir nimmt er Ihnen auch nicht übel,« fügte er hinzu, »denn wir sind doch hier in keiner Stadt, wo die Leute über jedes Vorkommnis klatschen (hier zog er seine weiße Weste mit der Miene eines Menschen herunter, der sich gar nicht wundern würde, wenn man über ihn klatschte), sondern auf dem Lande, auf dem man sich freier bewegen darf und nicht fortwährend die Etikette beobachten muß. Ja ja, deshalb geht mir auch nichts über das Landleben.«

Frau Maszko lachte herzlich, wußte sie doch, daß ihr das gut stand, allein Bigiel wandte sich an Plawicki und sagte: »Wenn Sie so sehr für das Landleben eingenommen sind, weshalb bleiben Sie denn während des Sommers in der Stadt?«

»Wie meinen Sie?« fragte Herr Plawicki, »warum ich die Stadt nicht verlassen will? Weil ich in der Stadt auf der einen Seite der Straße Schatten, auf der andern Sonne habe. Will ich mich erwärmen, gehe ich in die Sonne, ist's mir zu heiß, gehe ich in den Schatten. In der Stadt ist's im Sommer am besten. Ich wollte ursprünglich nach Karlsbad gehen, aber –«

Hier schwieg er plötzlich stille und wohl vergessend, daß er gerade zu verstehen gegeben hatte, er könne eine junge Frau noch jetzt ins Gerede bringen, blickte er mit finsterer Resignation umher und fügte erst nach einigen Minuten hinzu: »Lohnt sich's denn, diese paar Lebensjahre noch zu fristen, an denen weder mir noch andern etwas liegt?«

»Da haben wir's!« rief Marynia heiter. »Wenn Papachen nicht nach Karlsbad reist, trinkt er bei uns in Buczynek Mühlbrunnen.«

»In was für einem Buczynek?« fragte Herr Plawicki voll Neugierde.

»Ach, es ist ja wahr, ich muß doch la grande nouvelle bekannt machen.«

Sie erzählte nun, daß Polaniecki das Anwesen besichtigt und gemietet habe, daß sie es wahrscheinlich kaufen werden, jedenfalls aber in vier Tagen für den ganzen Sommer dahin übersiedeln gedächten.

Als Frau Maszko dies hörte, blickte sie voll Verwunderung auf Polaniecki und sagte: »So wollen Sie uns denn wirklich verlassen?«

»Gewiß,« erwiderte dieser in etwas unwirschem Tone.

»A–ah!«

Bei diesem Ausrufe sah sie ihn mit einem Blicke an, der ihm deutlich sagte, daß sie ihn nicht begreife und wissen möchte, was dies wohl bedeute; da sie aber sofort bemerkte, wie wenig er geneigt war, ihr irgend eine Erklärung zu geben, fing sie mit Marynia eine gleichgültige Unterhaltung an.

Ihre Gewandtheit in den gesellschaftlichen Formen kam ihr jetzt sehr zustatten. Außer Polaniecki bemerkte niemand, wie niederschmetternd die Nachricht von der Uebersiedelung nach Buczynek auf sie wirkte. Während eines Augenblickes fühlte sie sich geradezu gelähmt. Sie zweifelte keinen Augenblick daran, daß ihre Person bei diesem plötzlichen Entschluß mit ins Spiel kam, und ihr kaltes Gesicht nahm einen noch kälteren Ausdruck an. Allmählich bemächtigte sich ihrer ein Gefühl der Erniedrigung, aber auch gleichzeitig der Empörung über die Handlungsweise Polanieckis. Das hätte er nicht thun dürfen. Er hätte auf wenigstens die Rücksicht nehmen müssen, welche jeder Mann aus einer gewissen Sphäre den Frauen schuldig ist, und es war bezeichnend für ihr ganzes Wesen, daß sie diese Unterlassungssünde mehr schmerzte als seine Abreise. Fast immer verlangen diejenigen Frauen die größte Rücksicht, die sie am wenigsten verdienen, denn das haben sie nötig, um sich selbst zu betrügen. Und gewöhnlich erfüllen ihnen auch die Männer teils aus Verblendung, teils aus Feingefühl, oder indem sie Komödie spielen, alle diese Wünsche während einer kurzen Spanne Zeit. Die Art aber, wie Frau Maszko von der geplanten Uebersiedlung Kunde erhielt, basierte auf einer Rücksichtslosigkeit Polanieckis, die jeden Zweifel darüber ausschloß, daß er das bestehende Verhältnis lösen wollte. Nichtsdestoweniger suchte sich Frau Maszko schließlich einzureden, der ganze Vorgang sei weniger ernst, als es den Anschein habe, eine Unterredung, ein begütigendes Wort genüge, um alles wieder auszugleichen. In der Meinung, Polaniecki fühle auch das Bedürfnis des Ansprechens, beschloß sie, ihm die Gelegenheit dazu zu verschaffen. Als sie sich daher nach dem Thee zum Gehen anschickte, sagte sie, auf jenen schauend:

»Leider muß ich jetzt einen der Herren bitten, mich zu begleiten.«

Polaniecki erhob sich mit einem müden und doch erregten Gesichtsausdruck. Seine Augen schienen zu Frau Maszko zu sagen: »Wenn Du denn absolut darauf bestehst, die Wahrheit zu hören, kann es mir nur recht sein.« Herr Bigiel zerstörte ihnen jedoch unverhofft ihre Pläne, indem er sagte:

»Der Abend ist so schön; wir können Sie alle begleiten.«

Dies geschah auch. Herr Plawicki, der sich an diesem Tage für den Ritter Frau Maszkos betrachtete, reichte ihr mit ausgesuchter Galanterie den Arm und unterhielt sie während des ganzen Weges so lebhaft, daß sie Polaniecki, der Frau Bigiel führte, nur »gute Nacht« vor ihrem Hause wünschen konnte. Ein Händedruck begleitete jedoch diesen Wunsch, in dem alles lag, was sie fragen wollte. Polaniecki war indessen unendlich froh, ohne Erklärung durchzukommen. Deshalb wollte er auch nicht in dem Bigielschen Hause bleiben, er floh ihre Nähe. Wie alle elastischen Naturen, wollte er sich nicht darniederdrücken lassen, es war ihm Bedürfnis, etwas zu unternehmen, zu wirken, ohne lange zu überlegen, ob dies Wirken ihn von dem befreie, was ihn quälte.

Nach der Verabschiedung von Frau Maszko kehrte die ganze Gesellschaft gemeinschaftlich nach Hause zurück. Marynia ging jetzt neben ihrem Manne, da sie jedoch glaubte, er sinne über den Kauf von Buczynek nach, und wohl wußte, wie ungern er in seinen Gedanken gestört wurde, brach sie das Schweigen nicht. Bei dem milden Abend begaben sich alle nach der Rückkunft noch auf die Veranda. Bigiel suchte Swirski zu überreden, über Nacht zu bleiben, indem er ihm vorstellte, ein solcher Herkules wie er finde in dem kleinen Wagen neben Plawicki überhaupt keinen Platz. Polaniecki, dem die Gegenwart eines Fremden sehr erwünscht war, unterstützte ihn dabei.

»Bleiben Sie doch,« sagte er, »ich fahre morgen in die Stadt und nehme Sie dann mit.«

»Ich eile, wieder an meine Staffelei zu kommen,« warf Swirski ein. »Morgen wollte ich frühzeitig an die Arbeit gehen, dies ist aber unmöglich, wenn ich hier bleibe.«

»Malen Sie denn ein Bild, das auf einen bestimmten Termin fertig sein muß?« fragte Marynia.

»Nein, gnädige Frau, die Hand darf aber nicht aus der Uebung kommen, beim Malen ist es unstatthaft, zu lange Pausen zu machen. Ich habe schon viel zu lange bald bei Ihnen, bald in Przytulow gefaulenzt, und während dieser Zeit trocknen mir schließlich die Farben ein.«

Die beiden Damen meinten zwar lachend, ein so berühmter Meister brauche doch nicht zu fürchten, daß er das Malen vergessen werde, allein Swirski erwiderte:

»Das ist doch der Fall. Wenn man auch eine gewisse Vollkommenheit erreicht hat, besitzt man sie doch noch nicht auf immer. Es ist eine merkwürdige Sache mit dem menschlichen Organismus. Man hat nur die Wahl, vorwärtszugehen oder zurückzukommen. Ich weiß noch nicht, ob es in jedem Berufe so ist, aber das steht fest, in der Kunst darf man sich nicht sagen: ›Jetzt ist es gut,‹ sonst bleibt man stehen. Sobald ich eine Woche nicht male, verliere ich nicht nur die Gelenkigkeit der Tatze, sondern ich verliere auch die Lust zum Malen. Die Hand wird schwer, der artistische Sinn, das Talent stumpfen sich ab. Früher glaubte ich, dies treffe nur in meinem Berufe ein, indem die Technik ein wichtiger Faktor ist, aber ich versichere Sie, meine Herrschaften, Sniatynski, der doch für das Theater schreibt, sagte mir das Gleiche. Und wie ist's mit der Technik in der Dichtkunst? Man soll sie ja gar nicht merken. Und doch versicherte mich jener, auch er müsse angestrengt arbeiten, wenn er nicht stehen bleiben wolle. Im Dienste der Kunst? das klingt freilich sehr schön, und doch hat ein Künstler ein wahres Hundeleben, ohne Ruhe, voll Mühe und Sorge. Ist denn das ganze Menschengeschlecht so schlimm daran, oder sind nur wir solch geplagte Kreaturen?«

Swirski sah nun zwar durchaus nicht wie eine geplagte Kreatur aus, verfiel auch nicht in einen pathetischen Ton, als er über seinen Beruf klagte, allein seine Worte machten durch ihre Offenheit einen großen Eindruck. Er selbst hatte sich in eine immer größere Erregung hineingeredet, und als nach einer Weile der Mond hinter dunkeln Wolken hervortrat, drohte er ihm mit der geballten Faust, während er halb schmerzlich, halb ärgerlich rief: »Solch ein Knödel! Ein einzigesmal hat er es gelernt, sich um die Erde zu drehen, und sofort war er seiner Kunst sicher. Wenn man's nur auch so gut im Leben haben könnte.«

Frau Marynia lachte, und unwillkürlich mit den Augen die Richtung von Swirskis Hand verfolgend, sagte sie: »Sie sollten nicht klagen! Kein Mensch darf stehen bleiben, einerlei, was er auch ist. Ob man an einem Bilde arbeitet oder an sich selbst, das bleibt sich gleich, arbeiten muß man an sich täglich, stündlich, denn sonst stünde es schlimm mit uns. Wie . . .«

»Ja, ja, man muß ungeheuer an sich arbeiten,« unterbrach sie Herr Plawicki mit einem Seufzer.

»Sehen Sie,« ergriff jedoch Marynia nach kurzem Nachdenken wieder das Wort, »wenn irgend jemand von sich sagen würde: ›Ich halte mich für sehr klug und für sehr gut‹, so wäre dies weder klug noch gut. Mir scheint vielmehr, daß wir alle durch einen Strudel an das Ufer schwimmen müssen, wer aber ausruhen will, wer die Hände nicht mehr regt, den zieht die eigene Schwere auf den Grund.«

»Phrasen!« rief plötzlich Polaniecki.

»Nein, Stach,« entgegnete sie ruhig, »das sind keine Phrasen!«

»Es wäre bei Gott zu wünschen, daß wir immer solche Phrasen zu hören bekämen,« erklärte Swirski lebhaft. »Sie haben vollständig recht.«

»Mein lieber Herr Ignaz, warum kleiden Sie sich nicht so wie Herr Kopowski?« fragte Frau Bronicz den auf Besuch anwesenden Zawilowski. »Selbstverständlich schätzt ja Lineta Ihre Gedichte mehr als alle Kleider auf der Welt, allein Sie können sich nicht vorstellen, welch ästhetischen Sinn das Kind hat. Gestern kam das Herzchen zu mir und frägt, ›Tante‹, frägt es, ›weshalb trägt denn Ignaz morgens keinen weißen Flanellanzug? Diese Anzüge stehen doch allen Herren so gut.‹ Schaffen Sie sich doch ja einen an. Sie wird sich riesig darüber freuen. In Scheveningen gehen alle Herren des Vormittags in solchen Anzügen, und es wäre ihr unangenehm, wenn Sie nicht zu der Gesellschaft gerechnet würden, die weiß, wie man sich kleiden muß. Mir zuliebe thun Sie es schon, und Sie nehmen es mir gewiß nicht übel, wenn ich Ihnen die Wünsche meines Herzenskindes verrate.«

»Ich bin Ihnen nur dankbar dafür, gnädige Frau,« erklärte Zawilowski.

»Wie lieb Sie sind! Ja, was wollte ich noch sagen . . . ja . . . eine schöne Reisetasche aus gelbem Leder müssen Sie noch haben. Im Auslande urteilt man nur nach dem Aussehen. Gestern sahen wir uns die Reisetasche von Herrn Kopowski an; die ist wunderschön. Wenn Sie mir folgen, kaufen Sie sich eine ähnliche. Verzeihen Sie, daß ich mich hineinmische, doch sehen Sie, ich kenne die Frauen, ich kenne Lineta durch und durch. Bei ihr fährt man am besten, wenn man ihr in geringfügigen Dingen nachgiebt, denn sie kann auf alles verzichten, sobald es sich um wichtige Fragen handelt. Sie haben doch schon gehört, welch vorzügliche Partien sie hätte machen können, ihre Wahl ist aber gleichwohl auf Sie gefallen. Dafür sind Sie ihr zu Dankbarkeit verpflichtet. Ach, das wissen Sie ja selbst. Sie sind sicherlich ein guter Psycholog und haben schon häufig bemerkt, daß Naturen, die großer Aufopferung fähig sind, es gern haben, wenn man ihnen in Kleinigkeiten nachgiebt.«

»Möglich, gnädige Frau! Bis jetzt habe ich aber noch nicht darüber nachgedacht.«

»Vertrauen Sie nur meinen Worten, ich kenne Linetas Natur! Denken Sie nur, unter allen ihren Bewerbern hat sie Ihnen den Vorzug gegeben. Ach, Ihr Männer habt eben kein Verständnis für das zarte Gemütsleben von uns Frauen! Sobald etwas Wichtiges in Frage kommen wird, werden Sie einsehen, wie wenig Egoismus in ihr steckt. Gott möge sie freilich vor dem Erproben schützen; doch wenn es je dazu käme, würden Sie sich überzeugen.«

»Gnädige Frau,« erwiderte Zawilowski lebhaft, »ich weiß, wie sehr Sie Lineta schätzen, Sie stellen sie aber immer noch nicht so hoch wie ich.«

»Nein, wie vergnügt ich bin, wenn Sie so reden,« rief Frau Bronicz freudig, »jetzt aber wird Ihnen die Tante noch ein Geheimnis ins Ohr flüstern. Sie liebt nämlich leidenschaftlich schwarzseidene Strümpfe bei Herren. Denken Sie daran! Mit einem Blicke weiß sie Seide von fil d'écosse zu unterscheiden. Gott, Sie werden jetzt doch nicht glauben, daß ich mich in alles einmischen will? Kein Mensch versteht in einer solchen Weise zurückzutreten wie ich. Ich möchte aber um nichts in der Welt, daß das Kind irgend etwas an Ihnen vermissen müßte. Was wollen Sie? Sie bekommen eine echte Künstlerin, die alles in ihrer Umgebung schön haben will. Und dann ist sie ja auch gar nicht so arm, sie hat also das Recht dazu. Was meinen Sie, mein Lieber?«

Zawilowski zog sein Notizbuch aus der Rocktasche und entgegnete: »Ich schreibe mir Ihre Wünsche auf, damit ich nichts vergesse.«

In seinen Worten lag eine gewisse Ironie. Frau Bronicz machte ihn mit ihrem Wortschwall immer ungeduldiger. Die Taktlosigkeit aber, mit welcher Frau Bronicz ihm tagtäglich von den großen Partien sprach, die Lineta seinetwegen abgewiesen haben sollte, schmerzte ihn geradezu. Wie sich sein Leben mit Lineta gestalten würde, darüber machte er sich jetzt noch keine Gedanken, er vertraute auf seine Kraft, auf seine Liebe.

Das Verhältnis zwischen ihm und Fräulein Castelli gestaltete sich mit der Zeit immer eigentümlicher. Ganz so, wie so viele geistig bedeutende Männer, die auch deshalb in der Liebe solch unglückliche Erfahrungen machen, umgab er das geliebte Mädchen mit einem Strahlenglanz, ohne sich Rechenschaft darüber zu geben, daß die ihn blendenden Strahlen von ihm selbst ausgingen. Für Fräulein Lineta hingegen wurde ihr Verlobter immer uninteressanter, wurde die Rolle, die sie spielen mußte, immer langweiliger. Wenn sie jetzt des Morgens erwachte, ertappte sie sich häufig darauf, daß sie bei dem Gedanken, in Bälde mit ihrem Verlobten zusammenzutreffen und in seinen hohen Gedankenflug einstimmen zu müssen, das unangenehme Gefühl eines Kindes empfand, welches eine schwere Schulaufgabe bekommen hat. Ewig konnte sie doch nicht originell sein, oder immer und immer wieder staunenerregende Bemerkungen machen! Ihren Zweck hatte sie ja erreicht! Bald, das fühlte sie, war der Vorrat erschöpft, konnte man dem Brunnen auf den Grund sehen. Was vermochte sie jetzt noch ins Treffen zu führen? Höchstens noch irgendwelche künstlerische Empfindungen. Weshalb begnügte sich aber auch dieser unausstehliche Herr Ignaz nicht damit, daß sie ihm von Zeit zu Zeit eine grüne Wiese, ein Stückchen Wald oder einen Acker mit wogenden goldenen Aehren zeigte und dabei »Wie schön« sagte. Er konnte ja nicht genug Worte des Entzückens darüber finden, welch tiefer, künstlerischer Geist in diesem »Wie schön« liege, was wollte er daher noch mehr? Alles in ihr empörte sich gegen den Zwang, den er auf sie ausübte, gegen die Anstrengung, die er ihren Gefühlen, ihrem Geiste zumutete.

Wie bequem dagegen war der Verkehr mit Kopowski; da bedurfte es keiner Anstrengung, seine Gesellschaft war eine Erholung für Fräulein Castelli. Schon sein Anblick allein stimmte sie zum Lachen und Scherzen. Während aber einmal Polaniecki auf Kopowski eifersüchtig gewesen war, kam es Zawilowski gar nicht in den Sinn, diesen Laffen als einen ebenbürtigen Nebenbuhler zu betrachten. Einem Geiste wie ihm erschien es ganz außer aller Frage, daß ein so seelenvolles, kluges Mädchen wie Lineta auch nur für einen Augenblick Kopowski für etwas anderes nehmen konnte, als für die Zielscheibe ihrer lustigen Witze. Sie war noch ein Kind, das von Zeit zu Zeit sein Amüsement haben mußte, das tollen wollte. Niemand besser als sie sah ja Kopowskis bodenlose Beschränktheit ein, und niemand sprach so oft von ihr.

Nicht alle Augen schauten jedoch so wohlwollend auf dieses Spiel, und vornehmlich Frau Aneta klagte von Zeit zu Zeit ihrem Mann darüber, daß Lineta mit Kopowski kokettierte. Jozio hatte die gleiche Beobachtung gemacht, er hätte daher am liebsten Kopowski auf eine artige Weise zu Przytulow hinauskomplimentiert.

Zuweilen glaubte er, sich geirrt zu haben, und nahm sich vor, das junge Mädchen aufmerksam zu beobachten. Abgesehen von dem Verhältnisse zu seiner Frau, war er durchaus kein dummer Mensch; er bemerkte daher tausenderlei Dinge, die ihn bei seiner warmen Freundschaft für Zawilowski außerordentlich beunruhigten. Je schärfer er Fräulein Castelli beobachtete, desto mehr überzeugte er sich, daß das Verhältnis zwischen der »idealen« Lineta und Kopowski zwar auf Scherz und Neckereien beruhte, daß aber dieser Adonis doch die gewisse Anziehungskraft auf sie ausübte, durch die so oft schöne, elegant gekleidete junge Männer Frauen mit Modistinnenseelen an sich zu ketten wissen. Es ließ sich ja nicht leugnen, es lag etwas Strahlendes in seiner Jugend, in seiner Schönheit. Wenn er des Morgens im Flanellanzuge zum lawn tennis kam, war es, als ob er die Morgenfrische mit sich bringe, als ob er noch trunken sei von süßem Schlaf. Seine schlanke, wie aus Marmor gemeißelte Gestalt nahm sich in dem weichen Stoffe besonders vorteilhaft aus, der starkknochige Zawilowski mit seinem verwegenen, wagnerischen Kinn und seinen großen Füßen kam daher schlecht weg bei dem Vergleiche mit diesem »mignon«, der einesteils an die griechischen Götter, andernteils an die Modejournalherren in Biarritz oder Ostende erinnerte.

Zawilowskis Annahme, nur Frau Bronicz schwärme so sehr für einen in die Augen fallenden Luxus, seine Braut dagegen wisse gar nichts von den Ansprüchen, die an ihn gestellt wurden, beruhte auf einem großen Irrtum. Fräulein Castelli wußte wohl davon. Da sie die Hoffnung aufgeben mußte, ihr Verlobter könne dem schönen Kopowski gleichkommen, wollte sie, daß er ihm wenigstens nachahme. Sie verlor immer mehr ihre Unbefangenheit im Verkehr mit letzterem, von ihrem halb lustigen, halb ironischen Uebermut ihm gegenüber war daher nichts mehr zu bemerken.

All dies war jedoch nur für ein sehr scharfes Auge bemerkbar, gewohnt Einblicke in ein Leben zu thun, in dem aus Mangel andauernder Arbeit, höherer Zwecke die kleinsten Seelenregungen, jede Stimmungsänderung zu wichtigen Ereignissen gestempelt werden. Aeußerlich nahm ja das Leben in Przytulow seinen gewöhnlichen Verlauf; Festtag folgte auf Festtag voll süßem Nichtsthun, Minnedienst, ästhetischen Unterhaltungen und Waldpartien, deren Veranstaltung Herr Osnowski auf sich nehmen mußte.


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