Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Siebenundzwanzigstes Kapitel

Für Polaniecki brach jetzt die bewegte Zeit an, die jeder Hochzeit voranzugehen pflegt. Er konnte sich nicht genug darüber wundern, welch Kopfzerbrechen und welche Mühe ein so natürlicher Vorgang wie eine Hochzeit machte. Er ließ sich aber durch nichts die gute Laune verderben. Frohen Mutes sah er der Zukunft entgegen. Er wußte, welch warmes Herz, welchen gesunden Sinn, welche Selbstlosigkeit und welch edlen Charakter Marynia besaß, er wußte, daß er felsenfest auf sie bauen konnte. Gar häufig kam ihm die Antwort in den Sinn, die eine Freundin seiner Mutter auf die Frage erteilt hatte, worüber sie sich größere Sorge mache, über die Zukunft ihrer Söhne, oder die ihrer Töchter. »Ueber die Zukunft meiner Söhne,« hatte sie gesagt, »denn meine Töchter können im schlimmsten Falle nur unglücklich werden.« Und damit hatte diese Frau eine ewig bestehende Wahrheit ausgesprochen. Denn so ist's! Die Schule des Lebens erzieht die Söhne – nur zu leicht können sie Taugenichtse werden. Die Töchter, die ihre Erziehung im Hause erhalten, denen ein tiefes Ehrgefühl eingeimpft wird, können schlimmsten Falles unglücklich werden. Wenn daher Polaniecki auch häufig über Marynia nachdachte, wenn er ihre Eigenschaften zu analysieren begann, so that er dies weit eher mit der Vorliebe eines Juweliers für seine Kleinodien als mit der strengen Methode eines Gelehrten, der ein ihm unbekanntes Gebiet ergründen will.

Trotzdem er aber glaubte, Marynia genau zu kennen, geriet er doch eines Tages in sehr ernsten Streit mit ihr. Ein Brief Professor Waskowskis aus Rom, den er ihr vorlas, gab die Veranlassung hierzu. Dieser Brief lautete folgendermaßen:

»Mein Lieber!

Ich wohne via Tritone, Pension Française. Sei so gut und gehe einmal in meine Warschauer Wohnung, überzeuge Dich, ob meine Kleinen gut beaufsichtigt, und die Vögel des hl. Franziskus genügend mit Wasser und Futter versehen werden. Sobald der Frühling kommt, dies ist mein Wille, sollen Fenster und Käfige geöffnet werden – die, welche die Gefangenschaft vorziehen, mögen bleiben, die, welche die Freiheit lieben, mögen entweichen. Die Kleinen der species homo sapiens müssen auch mit guter Kost genährt werden. Das ist mir ein großes Anliegen. Und vor allem brauchen sie viel Liebe; große Strenge, fortwährender Hinweis auf die Sittenlehre sind nicht vonnöten. So jetzt habe ich Dir alles gesagt, was ich in betreff Warschaus auf dem Herzen hatte.

Die Arbeit, die ich mir zur Lebensaufgabe gesetzt habe, und von der ich Dir schon mehrmals gesprochen habe, wird jetzt in der Druckerei des Blattes »L'Italie« fertig gestellt. Ueber meine französische Ausdrucksweise wird man sicherlich lächeln. Das thut aber nichts, daran bin ich gewöhnt. Vor einigen Tagen ist Bukacki hier eingetroffen. Ein guter, lieber Mensch, der sowohl für Dich wie für Marynia eine große Vorliebe hegt. Er hat überhaupt all seine Freunde gern, trotzdem er dies leugnet. Ich halte mir stets die Ohren zu, sobald er hierüber zu sprechen anfängt.

Täglich flehe ich den Segen des Herrn auf Euch beide herab, auf Dich und auf Deine verehrte Marynia. Gar zu gern möchte ich bei Eurer Hochzeit sein, allein ich weiß noch nicht, ob zu Ostern meine Arbeit fertig gedruckt ist. Folglich muß ich Dir schriftlich das aussprechen, was ich Dir zu sagen habe, ja, ich darf es Dir nicht vorenthalten, daß ich Dir eben deshalb diesen Brief schreibe. Glaube ja nicht, daß der Alte schwatzt, nur um zu schwatzen. Du weißt ja, daß ich Lehrer war, daß ich diesen Beruf erst aufgab, nachdem ich meinen Bruder beerbt hatte. Ich konnte somit lange genug Erfahrungen sammeln. Beherzige daher meinen Rat, höre meine Worte. Wenn Ihr Kinder habt, quält sie nicht mit Gelehrsamkeit, laßt sie frisch und fröhlich aufwachsen, gemäß des göttlichen Willens. Damit könnte ich wohl mein Schreiben schließen, allein, da ich weiß, wie sehr Du auf die Begründung jeder Behauptung hältst, will ich Dir meine Gründe auseinandersetzen. Ein kleines Kind hat gegenwärtig ebensoviele Arbeitsstunden wie ein erwachsener Mensch, der Beamter ist, und dabei kommt noch in Betracht, daß der Beamte während seiner Bureaustunden sich mit den Kollegen unterhält oder mehrere Cigaretten raucht, das Kind jedoch, solange die Schulstunden dauern, angestrengt denken muß, weil es sonst den Faden verliert und das nicht mehr zu begreifen vermag, was ihm gelehrt wird. Der Beamte kann sich nach Schluß seiner Bureaustunden ausruhen, das Kind muß seine Aufgaben für den folgenden Tag machen, wozu die fähigen Schüler vier Stunden, die weniger fähigen sechs Stunden brauchen. Rechne nun noch die Stunden dazu, welche die ärmeren Schüler gar häufig geben, die reicheren Schüler gewöhnlich nehmen, so hast Du eine zwölfstündige Arbeitszeit. Zwölf Stunden Arbeit für ein Kind! Begreifst Du das, mein Lieber? Giebst Du Dir auch Rechenschaft darüber, daß aus solchen Kindern verkrüppelte, krankhaft beanlagte Menschen sich entwickeln müssen, Naturen, im Widerstreit mit allem Bestehenden? Weißt Du, weshalb unsere Kirchhöfe mit Kindergräbern angefüllt sind, weshalb die abenteuerlichsten Ideen Anhänger finden? Die Arbeitszeit in den Fabriken wird jetzt gesetzlich eingeschränkt – allein für die armen Schulkinder haben die Philanthropen nichts übrig. Welch ein weites Feld für einen Reformator! Welch reicher Lohn winkt ihm – die zukünftige Heiligsprechung, der zukünftige Ruhm! Ueberbürde Deine Kinder nicht mit Studien – ich bitte Dich darum, ich bitte Marynia darum – versprecht mir es beide. Glaube mir, ich rede nicht nur, um zu reden, wie Bukacki bisweilen behauptet, ich spreche aus warmem Herzen zu Euch. Eine Reform auf diesem Gebiete ist die höchste Aufgabe unsers Jahrhunderts, wäre das herrlichste Werk seit dem Auftreten Christi in der Geschichte.

Dieser Tage erlebte ich in Perugia etwas recht wunderliches. Doch davon erzähle ich, wenn ich wieder mit Euch zusammen sein werde. Indessen drücke ich Euch beiden die Hand.«

Marynia hörte sichtlich verlegen diesen Brief an, Polaniecki aber betrachtete sie lächelnd und bemerkte: »Haben Sie schon etwas Aehnliches gehört? Noch ist unsere Trauung nicht vollzogen, und der Professor jammert schon über unsere Kinder und hält eine Rede zu ihren Gunsten. Doch muß ich gestehen,« fügte er nach kurzem Schweigen hinzu, »daß ich selbst schuld an diesen Erörterungen bin, da ich ihm verschiedene Versprechungen gemacht habe.« Bei diesen Worten beugte er sich nieder, um Marynia in die Augen sehen zu können, und fragte: »Was sagen Sie zu diesem Briefe?«

Polaniecki hatte, als er diese Frage stellte, einen jener unglücklichen Augenblicke, in denen der Mensch mit der eigenen Natur in Zwiespalt gerät. Er war wohl ein etwas derber, aber kein roher Charakter, ja, er vermochte zuweilen von wirklich frauenhafter Zartheit zu sein. Jetzt aber lag sowohl in seinen Blicken wie in seiner Frage, besonders der mimosenhaft gearteten Marynia gegenüber, geradezu etwas Brutales. Sie wußte freilich, wie jedes Mädchen, daß einem in der Ehe Kinder beschert werden, aber sie dachte an diese Zukunftsbilder wie an etwas Traumhaftes, von dem man als von einem Heiligtume im späteren, gemeinschaftlichen Leben nur im ernstesten Tone spricht. Der lässige, scherzende Ton, den nun Polaniecki plötzlich anschlug, verletzte sie nicht nur – er that ihr wehe. Unwillkürlich drängte sich ihr der Gedanke auf: »Weshalb hat er dafür kein Verständnis?« Und nun kam die Reihe an sie, die eigene Natur Lügen zu strafen, denn sie geriet nun plötzlich, wie dies häufig bei gemütsruhigen Personen in Momenten der Erregung, der Verlegenheit der Fall ist, in einen zu großen, zu unmotivierten Unwillen.

»Wie können Sie überhaupt in meiner Gegenwart so reden!« rief sie voll Unwillen.

Polaniecki lachte laut auf; zweifellos wollte er sich durch eine künstliche Fröhlichkeit aus der Situation helfen.

»Weshalb sind Sie so ungehalten?« fragte er.

»Ihr Benehmen gegen mich ist nicht so, wie es sein sollte.«

»Ich verstehe tatsächlich nicht, was Sie meinen.«

»Um so schlimmer.«

Polanieckis Gesichtsausdruck veränderte sich mit einem Schlage.

»Es mag sein, daß ich im Unrecht bin,« erwiderte er in dem gereizten, zornigen Tone eines Menschen, der seine Worte nicht mehr überlegt, »aber nichts ist mir unangenehmer, als wenn jemand gleich die Beleidigte spielt. Auf diese Weise wird das Leben unerträglich. Wer sofort jede Kleinigkeit zu einer Staatsaffaire aufbauscht, den trifft weit mehr Schuld als mich, und da Ihnen meine Anwesenheit nur unangenehm sein kann, empfehle ich mich.«

Rasch nahm er hierauf seinen Hut, verbeugte sich und stürzte fort. Marynia versuchte nicht, ihn zurückzuhalten, der Unwille erstickte in ihr während einiger Minuten jedes andere Gefühl; allein dann sank sie wie gelähmt auf ihren Stuhl zurück. Es war ihr, als ob sie einen Schlag in den Nacken erhalten habe, und voll Entsetzen sagte sie sich: »Es ist alles vorbei, er kehrt nicht mehr zurück.« So stürzte über ihr das Gebäude zusammen, das sie sich so schön aufgebaut hatte, ein ödes zweckloses Leben lang vor ihr. Und wie glücklich hätte sie werden können. Aber das, was geschehen, war so plötzlich über sie hereingebrochen, erschien ihr so unfaßbar, daß sie es noch gar nicht zu begreifen vermochte. Endlich erhob sie sich, näherte sich langsam ihrem Schreibtische, legte ganz mechanisch, aber doch auch wieder mit einer gewissen Hast einige Bogen Papier darauf, rückte sich den Sessel zurecht und stützte das Haupt in die Hände.

Unwillkürlich fiel ihr Blick auf die Photographie Litkas. Ein neuer Hoffnungsstrahl erfüllte sie. Das Versprechen, das sie und ihr Verlobter dem kranken Kinde gegeben hatten, konnte, durfte nicht so leicht gebrochen werden. Klopfenden Herzens ging sie im Zimmer auf und ab, um zu überlegen, was zunächst zu thun sei. Das Gefühl der Kränkung trat immer mehr zurück. Die Liebe zu Polaniecki schlug in immer mächtigern Flammen empor, und tiefe Reue ergriff sie. Was aber sollte sie thun – sie schwankte fortwährend zwischen Furcht und Hoffnung. Einerseits zählte sie darauf, daß sein gutes Herz ihn wieder zu ihr zurückführe, andrerseits kannte sie aber auch die Eigenliebe der Männer, und besonders die Eigentümlichkeit Polanieckis, für einen unbeugsamen Menschen gelten zu wollen.

Im Verlaufe einer halben Stunde war sie so weich gegen ihn gestimmt, daß sie sich die Hauptschuld beimaß und zu dem Entschlusse kam, einige versöhnende Worte an ihn zu schreiben. Daraufhin, dessen war sie gewiß, mußte der abscheuliche Mensch noch am gleichen Abend kommen, mußte er doch ohne Zweifel einsehen, wie sehr sie sich überwunden hatte.

Nichts erschien ihr leichter, als einige herzliche Worte hinzuwerfen, Worte, die von Herzen kommen und zu Herzen gehen. Welche Schwierigkeiten aber boten sich ihr, als sie an die Ausführung gehen wollte! Dem Briefe können weder thränenfeuchte Augen, noch ein Gesicht als Helfer zur Seite stehen, das gleichzeitig traurig und süß zu lächeln versteht, er hat keine vor Erregung bebende Stimme, keine Hände, die bittend erhoben werden. Einen Brief kann man lesen, kann man verstehen, wie man Lust hat, besteht er doch aus weiter nichts, als aus gleichgültigem, totem Papier und aus schwarzen Buchstaben.

Schon hatte Marynia wieder zwei Briefe zerrissen, als ihr Vater seinen Kopf durch die halb geöffnete Thüre steckte.

»Ist Polaniecki nicht hier?« fragte er.

»Nein, Papa.«

»Kommt er noch?«

»Ich weiß nicht, Papa,« antwortete sie seufzend.

»Falls er noch kommen sollte, mein Kind, so sage ihm, daß ich längstens in einer Stunde zurückkehre, und daß ich ihn noch sprechen möchte.«

»Ach,« dachte Marynia, »wie gern würde ich ihn selbst sprechen.«

Sie fing abermals einen Brief an, zerriß aber auch diesen wieder, nahm den vierten Bogen und überlegte, ob es nicht am besten sein würde, wenn sie den Streit als Scherz behandelte, oder ob sie einfach Abbitte leisten solle. Sie preßte die Hände an die heißen Schläfen und ging unschlüssig im Zimmer auf und ab. Da plötzlich ertönte die Klingel. Marynias Herz klopfte zum Zerspringen. Wenn er es wäre?

Die Thüre öffnete sich – er war es. Er trat mit einem etwas verlegenen, finstern Gesicht ein, augenscheinlich unsicher darüber, wie er aufgenommen werde, allein sie eilte ihm mit strahlendem Antlitz entgegen, voll Glückseligkeit und ganz gerührt darüber, daß er zu ihr zurückkam, schmiegte sich sofort an ihn und schlang ihre Arme um seinen Hals.

»Wie gut, wie lieb,« flüsterte sie. »Wissen Sie aber auch, daß ich Ihnen schreiben wollte?«

Polaniecki schaute ihr einen Augenblick tief in die Augen, dann zog er sie voll überströmender Empfindung fester an sich und bedeckte ihren Mund, ihre Augen und ihre Haare mit heißen Küssen.

»Sie sind zu gut,« sagte er schließlich zärtlich. »Aber gerade Ihre Güte ist es, die mich stets völlig unterjocht. Ich bitte Sie tausendmal um Verzeihung. Mein Zorn war gleich wieder verraucht, sodaß ich mir selbst die schlimmsten Scheltworte gab. Mehrere Male ging ich vor dem Hause auf und ab; ich hoffte Sie am Fenster zu sehen, ich hoffte auf ihrem Gesichte lesen zu können, ob ich zu Ihnen zurückkommen dürfe. Endlich hielt ich es nicht mehr länger aus, und so bin ich wieder hier.«

»Ich bitte aber auch um Verzeihung, ich trage auch schuld an dem Zerwürfnis. Bemerken Sie die zerrissenen Bogen Briefpapier? Ich schrieb und schrieb –«

Er hörte kaum, was sie sagte. Seine Blicke ruhten voll Entzücken auf ihr, wie sie mit vor Freude errötetem Antlitz, mit vor Glück lachenden Augen vor ihm stand und ihr Haar wieder aufzustecken versuchte, das sich, als er sie stürmisch in seine Arme geschlossen, gelöst hatte.

»Sie wollten mir also wirklich schreiben?« fragte Polaniecki.

»Das bestätigen Ihnen doch die zerrissenen Bogen.«

»Marynia, Sie sind viel zu gut für mich.«

»Nein, nein,« erwiderte sie, ihn voll und warm ansehend, »ich bin an allem schuld gewesen, ich ganz allein. Und,« fügte sie nach einem Augenblick über und über errötend und mit niedergeschlagenen Augen hinzu: »Professor Waskowski hat ganz recht mit dem, was er über den – Unterricht schreibt.«

Ihr anmutiges gütiges Wesen bezauberte ihn immer mehr.

»Ich bin untröstlich über mein Benehmen,« erklärte er, »Sie machen mich völlig zu ihrem Sklaven.«

»Ach,« rief sie fröhlich das Haupt schüttelnd, »Sie scherzen. Ein solcher Feigling, wie ich bin.«

»Ein Feigling wie Sie? Da muß ich Ihnen doch eine Geschichte erzählen. Ich kenne in Belgien zwei Fräulein Wantres, die von ihrer Katze derart entzückt sind, daß sie das Tier für die Vollkommenheit selbst halten und nicht genug von dessen übergroßer Güte erzählen können. Eines Tages bekamen sie einen zahmen Hasen zum Geschenk, und was geschah? Die Katze fürchtete sich so, daß sie auf alle Kasten und Oefen sprang. Dieser Gedanke beunruhigte die Damen, als sie einmal spazieren gingen und ihnen einfiel, daß sie die Katze und den Hasen zurückgelassen hatten. Doch was sollte ›matou‹ dem Hasen thun? ›Matou‹ fürchtete sich ja so sehr vor diesem. Die Damen gingen daher beruhigt weiter und kehrten erst nach einer Stunde nach Hause zurück. Raten Sie nun einmal, was geschehen war. Die Katze hatte den Hasen bis auf die Ohren total aufgefressen. Das Verhältnis zwischen uns ist ganz ähnlich. Scheinbar fürchten Sie sich, und schließlich bleiben von mir nur die Ohren.«

Polaniecki blickte Marynia lachend an, die gegen diese Behauptung energisch Verwahrung einlegte.

»Nein,« erklärte sie bestimmt, »ich habe keinen solchen Charakter.«

»Um so besser,« antwortete Polaniecki. »Doch wissen Sie, was mich meine Lebenserfahrung gelehrt hat? Wer der größte Egoist ist, der trägt den Sieg davon.«

»Ebensogut könnte man auch sagen, daß die größere Liebe sich der geringern aufopfert,« wandte Marynia ein.

»Das kommt auf eins heraus. Ich gestehe übrigens, daß ich einer Herodias gegenüber keinen Augenblick zaudern würde, so zu machen – hier spreizte Polaniecki die Finger auseinander und drückte sie dann wieder fest zusammen – hat man es aber mit einem solchen Täubchen, wie Sie es sind, zu thun, so ist das etwas ganz anderes. Sie muß man vor zu großer Aufopferung zu bewahren suchen. Nicht nur ich, sondern alle, die Sie kennen, sind dieser Ansicht. Maszko, der doch kein Salomo ist, sagte mir einmal: Sie kann mit Dir unglücklich werden, Du mit ihr niemals. Und er hat ganz recht. Ich will nur sehen, wie Maszko in der Ehe sein wird. Er versteht es, die Zügel fest in der Hand zu halten.«

»Er ist jedoch sehr verliebt.«

»Nicht so sehr, wie er es vor einiger Zeit gewesen ist, als eine gewisse Dame mit ihm kokettierte.«

»Weil er sich nicht so abscheulich benahm, wie ein gewisser Herr Stach.«

»Das wird eine merkwürdige Ehe geben. Sie ist gar nicht häßlich, wenngleich sie sehr bleich ist und fast immer rote Augen hat. Maszko heiratet sie jedoch nur wegen ihres Geldes. Er setzte voraus, sie liebe ihn auch nicht, und nach seinem Abenteuer mit Gątowski glaubte er nicht anders, als daß die Damen mit ihm brechen würden. Aber just das Gegenteil geschah, und nun ist Maszko aufs neue beunruhigt, denn die Nachsicht der Damen kommt ihm verdächtig vor. Mit der Familie Kraslawski scheint es auch einen Haken zu haben, keinesfalls ist mit Herrn Kraslawski alles in Ordnung. Gott weiß, was da vorgegangen ist. Ob Maszko in seiner Ehe das Glück finden wird, das ich mir vorstelle, bezweifle ich.«

»Und wie stellen Sie es sich vor?« fragte Marynia.

»Ich denke, daß das Glück darin besteht, eine Frau wie Sie zu bekommen, eine Frau, mit der man ruhig der Zukunft entgegensehen kann.«

»Und ich glaube, daß das Glück darin besteht, geliebt zu werden, daß man aneinander glaubt, und daß man gemeinsam arbeitet.«


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