Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Vierundsechzigstes Kapitel

Der Tag der Taufe kam heran. Uebrigens hatte das junge Menschenkind schon die Nottaufe erhalten, weil Frau Bigiel während der Mutter Krankheit in dem Glauben befangen gewesen war, daß der Kleine nicht aufkommen werde. Doch hegte er keineswegs die Absicht zu sterben, sondern erfreute sich einer guten Gesundheit, eines guten Appetites und sah ruhig dem Feste entgegen, wobei er die Hauptrolle spielen sollte. Polaniecki lud die nächsten Bekannten dazu ein, und so waren denn außer dem Vater Marynias auch Frau Emilie, die all ihre Kräfte anspannte, um sich aufrecht zu halten, die ganze Familie Bigiel, Professor Waskowski, Swirski, Zawilowski und Fräulein Ratkowski anwesend.

Die junge Mutter sah so reizend und so glücklich aus, daß Swirski bei ihrem Anblicke beide Hände emporhob und mit der ihm eigenen Offenheit ausrief: »Das übersteigt ja alle Begriffe! Wahrhaftig, man könnte den Verstand verlieren.«

Polaniecki war nicht wenig stolz und that sich natürlich viel auf die Schönheit seiner Frau zu gut, gerade wie wenn er allein sie stets zu schätzen gewußt, kein anderer Mensch sie jemals wahrgenommen hätte.

»Kniet nieder, Ihr Völker!« rief der Maler abermals, und Marynia hörte dies mit großem Vergnügen an. Indessen blieb ihr wenig Zeit, an sich zu denken, denn vor Beginn der Ceremonie war noch manche Anordnung zu treffen. Die ersten Taufpaten des kleinen Stas sollten Frau Emilie und Bigiel, die zweiten Swirski und Fräulein Ratkowski sein. Indessen fing der Maler an, Schwierigkeiten zu machen, sich zu drehen und zu wenden, um sich seiner Aufgabe entziehen zu können. Er hätte sie sehr, sehr gern übernommen, sei deshalb von Italien zurückgekehrt, ganz gewiß! Vorher sei schon alles besprochen worden, allein er habe noch nie ein Kind über die Taufe gehalten, wisse also auch nicht, ob sein kleiner Pate gedeihen und vornehmlich, ob er Glück bei den Frauen haben würde.

Polaniecki nannte ihn lachend einen abergläubigen Italiener, Marynia hingegen, die sofort seinen wahren Grund erriet, näherte sich ihm im Moment, da er entschlüpfen wollte, und sagte in halblautem Tone: »Da Sie nicht Hauptpate sind, brauchen Sie sich darüber keine Sorgen zu machen.«

Swirski schaute sie lächelnd an und erklärte dann, sich zu Fräulein Ratkowski wendend: »Richtig, wir kommen ja erst in zweiter Linie in Betracht. Also stehe ich zu Ihren Diensten.«

Alle umringten nun den kleinen Stas, der, in Musselin und Spitzen gehüllt, von der Amme hereingetragen ward und mit seinem niedlichen Kahlkopfe, seinen runden Aeuglein prächtig aussah. Bigiel nahm ihn auf den Arm, und die Ceremonie begann.

In andächtiger Stimmung lauschten die Anwesenden den Worten des Geistlichen. Der junge Heide hingegen bewies, indem er fortwährend mit den Füßen strampelte, eine große Verstocktheit.

Gleich nach Beendigung der Ceremonie wurde er der Obhut seiner Wärterin übergeben. Diese legte ihn in einen eleganten, kleinen Wagen, ein Patengeschenk Swirskis, und wollte sich mit ihm entfernen, aber der Maler, der wohl noch nie ein solch kleines Wesen in der Nähe betrachtet hatte und der eine wahre Sehnsucht nach Familienglück im Herzen hegte, hielt sie zurück. Er beugte sich über das kleine Lager und hob das Kind empor.

»Nur vorsichtig!« rief Polaniecki, sich schnell nähernd.

Swirski wandte sich um und sagte: »Ich habe schon Werke von Luca della RobbiaLuca della Robbia, ein italienischer Bildhauer der Frührenaissance, schuf zahlreiche herrliche Kinderfiguren. in den Händen gehalten.«

In der That wiegte er das Kind so geschickt in seinen Armen, als ob er während seines ganzen Lebens mit solchen Kleinen zu thun gehabt hätte. Zu Professor Waskowski tretend, fragte er: »Nun, was ist Ihre Ansicht über diesen jungen Arier?«

»Ei, daß er ein echter, ein Arier von reinstem Wasser ist,« versetzte der Greis, den Säugling tief gerührt betrachtend.

»Und er wird seine Mission erfüllen, nicht?« fügte Polaniecki hinzu.

»Er wird sich der heiligen Sache nicht entziehen, gerade so wenig, wie Sie sich ihr entziehen können!« antwortete Waskowski.

Ueber die Zukunft vermochte man freilich nichts Sicheres zu sagen, allein jetzt entzog sich der vielversprechende junge Arier seiner Mission auf so unzweideutige, schmähliche Weise, daß er der Wärterin übergeben werden mußte. Die Frauen wurden jedoch nicht müde, sich mit ihm zu beschäftigen, in begeisterten Worten von ihm zu sprechen, und schließlich waren alle darüber einig, daß er ein ganz außergewöhnliches Kind sei.

Gleichsam von dem ihm gespendeten Weihrauch betäubt, schlief das kleine Genie ein, und man begab sich zum Frühstück. Trotz ihrer Freundschaft für Swirski wies Marynia den Platz neben Fräulein Ratkowski Herrn Zawilowski an. Sie und alle Freunde, sogar Swirski nicht ausgenommen, wünschten nämlich, daß deren gegenseitige Beziehungen sich etwas klärten, doch Zawilowski benahm sich recht sonderbar, und Swirski behauptete, er sei noch nicht ganz normal. Zwar fühlte jener sich wohl, schlief gut und hatte einen gesunden Appetit, war auch etwas stärker geworden, sprach ganz vernünftig, nur etwas leiser als früher, aber er zeigte einen Mangel an Willenskraft, eine Unfähigkeit, die Initiative zu ergreifen, die man früher nicht an ihm wahrgenommen hatte. In Italien hatte er voll Anhänglichkeit Fräulein Ratkowskis gedacht und Thränen in den Augen gehabt, so oft er von ihr sprach. Nach seiner Rückkehr indessen war er zwar stets bereit, sie zu besuchen, wenn ihn jemand dazu veranlaßte, doch sonst schien er nichts von ihrer Existenz zu wissen. Auch an Fräulein Castelli schien er nicht mehr zu denken. Dagegen war er eher heiter, als traurig, ja man konnte eine gewisse Lebensfreude an ihm wahrnehmen, wie wenn er nach seinem Wiederaufleben das Dasein erst recht schätzen gelernt hätte. Immer melancholischer, immer verschlossener ward hingegen Fräulein Ratkowski. Nicht nur, daß sie keine Gegenliebe fand, es beunruhigte sie auch noch etwas anderes bei Zawilowski, wovon sie jedoch mit niemand sprach. In dem Glauben befangen, das zurückhaltende Benehmen Zawilowskis sei die einzige Ursache ihres Kummers, fühlten Marynia und Frau Bigiel das tiefste Mitleid mit ihr. Marynia sah Zawilowski bei der Taufe zum erstenmal seit seiner Rückkehr aus Italien, Frau Bigiel aber hatte ihn täglich gesprochen und keine Gelegenheit vorübergehen lassen, ohne Fräulein Ratkowskis Lob zu verkünden und ihn darauf aufmerksam zu machen, wieviel Dank er derselben schuldig sei, wie er eine gewisse Verpflichtung ihr gegenüber habe. Mit großer Selbstlosigkeit hatte auch Swirski ihm stets das nämliche wiederholt, und Zawilowski schien mit allem einverstanden zu sein, was jener vorbrachte, sprach aber trotzdem häufig von seiner baldigen Abreise, von allerlei Reiseplänen für die Zukunft, kurz und gut von Dingen, welche in gar keiner Beziehung zu Fräulein Ratkowski standen, ein Beweis, daß er den entscheidenden Schritt nicht thun wollte.

Und während sie jetzt nebeneinander saßen, sprachen sie kaum ein Wort miteinander. Zawilowski aß mit großem Appetit, ja er wartete sogar mit einer gewissen Ungeduld, bis die Speisen, welche zuerst den älteren Gästen angeboten wurden, zu ihm gelangten. Fräulein Ratkowski, welche dies wohl bemerkte, betrachtete ihn mit innigem Mitleid, doch Marynia ärgerte sich über ihn, und um ihn mit seiner Nachbarin in eine Unterhaltung zu verflechten, rief sie ihm, sich über den Tisch beugend, zu: »Erzählen Sie mir und Stefeia doch etwas von Italien. Du bist noch nicht dort gewesen, nicht wahr, Stefeia?«

»Nein,« antwortete Fräulein Ratkowski, »eine Reisebeschreibung habe ich kürzlich gelesen, aber es ist doch etwas ganz anderes, wenn man die Dinge mit eigenen Augen sieht.«

Plötzlich errötete sie tief, weil sie verraten hatte, daß sie zu der nämlichen Zeit, da Zawilowski in Italien weilte, eine italienische Reisebeschreibung gelesen.

»Durch Herrn Swirski ward ich veranlaßt, mich nach Sicilien zu begeben,« erklärte Zawilowski, »aber es war eine furchtbare Hitze dort. Dahin sollte man jetzt reisen.«

»Ah!« sagte Marynia, »gut, daß ich daran denke! Was geschah denn mit meinen Briefen? Sie ließen ja durch Herrn Swirski fragen, ob Sie mir Ihre Eindrücke mitteilen dürften, und trotzdem bekam ich keine Zeile.«

Zawilowski wurde rot, schaute verlegen darein und sagte dann mit unsicherer Stimme: »Weil ich . . . noch nicht konnte. – – Ich werde gewiß ungeheuer viel schreiben, aber erst später.«

Swirski, der diese Worte gehört hatte, näherte sich nach dem Frühstücke Marynia und sagte leise mit einem Blick auf Zawilowski: »Wissen Sie, wie er mir zuweilen vorkommt? – Wie ein kostbares, zersprungenes Saiteninstrument.«


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