Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Einundvierzigstes Kapitel

Marynia versuchte mehr als einmal sich selbst zu überzeugen, daß sie weder Ursache noch das Recht habe, über ihren Mann zu klagen. Bis jetzt war es zwischen ihnen nicht zum kleinsten Zwist gekommen. Das sah sie jedoch klar ein, das Liebesglück, von dem sie geträumt hatte, verwirklichte sich nicht, zwischen ihrem jetzigen Leben und der Zeit, in der sie mit Polaniecki verlobt gewesen war, bestand ein himmelhoher Unterschied. Was fehlte ihr, worin hatte sie sich in Polaniecki getäuscht? Das fragte sie sich häufig. Er legte ihr niemals etwas in den Weg, er zeigte sich stets freigebig und um ihre Gesundheit besorgt, er war rücksichtsvoll und zärtlich gegen sie, allein trotzdem vermißte sie etwas an ihm, wußte sich aber selbst nicht recht zu deuten, was es eigentlich sei. Nach dem heiligen, feierlichen Feste der Liebe konnte sie sich nur schwer in das Alltagsleben finden, während ihr Mann sich sofort wieder den normalen Verhältnissen anpaßte. Außerdem empfand sie es auch instinktiv, daß sie ihm eigentlich mehr angehörte, als er ihr; sie gab ihm ihr ganzes Sein hin, er gab ihr nur soviel zurück, als er für den häuslichen Gebrauch bestimmt hatte. Niemals wäre es ihm in den Sinn gekommen, daß sie sich von ihm vernachlässigt fühlen könne; er äußerte freilich seine Gefühle ihr gegenüber weit weniger stürmisch als früher, war dies aber nicht natürlich? Der Besitz macht kühler, ruhiger, besonnener. Marynia vermochte sich das aber nicht klar zu machen; sie grübelte beständig darüber, weshalb gerade Stach sich so passiv verhielt, während Swirski, Bigiel, Zawilowski, ja selbst Osnowski ihr die größte Bewunderung zollten. Weshalb fand sie in ihrer Ehe nicht das Glück, das sie erhofft hatte? Diese Frage quälte sie Tag und Nacht, und es blieb ihr nur eine Antwort übrig: Er liebt mich nicht so innig, wie er mich lieben könnte, und somit schätzt er mich auch nicht so, wie mich die andern schätzen.

Mit dem feinen weiblichen Instinkt fühlte Marynia sehr wohl, welch tiefen Eindruck sie sofort auf Zawilowski gemacht hatte, und daß er ihr mit jedem Tage größere Verehrung entgegenbrachte. Zawilowski war ihr außerordentlich sympathisch, aber gerade aus Freundschaft für ihn, und weil sie niemals aus Eitelkeit mit dem Lebensglück eines Menschen gespielt hätte, unterstützte sie den Plan von Frau Osnowski, den jungen Dichter mit Fräulein Castelli zu verheiraten.

Eines Tages saß Marynia am Fenster und verlor sich wieder in allerlei Gedanken, als sich die Thüre öffnete und der weiße Schleier und das dunkle Gewand einer barmherzigen Schwester sichtbar wurde.

»Emilie!« rief Frau Polaniecki, voll Freude aufspringend.

»Ja, ich bin's,« erwiderte die Schwester. »Ich habe heute einen freien Tag. Wie geht es bei Euch? Wo ist Herr Stanislaus?«

»Stach ist bei Maszkos, muß jedoch jeden Augenblick zurückkommen. Wie er sich freuen wird, Dich zu sehen! Nimm doch Platz, Du wirst müde sein.«

»Wie gern käme ich öfter zu Euch,« sagte Emilie, sich setzend, »allein ich bin so sehr in Anspruch genommen. Ein freier Tag ist eine Seltenheit für mich. Ich bin eben bei Litka gewesen. Du kannst Dir nicht denken, wie schön grün es bei ihr ist, und wie herrlich die Vögel bei ihr singen.«

»Wir waren erst vor einigen Tagen dort. Alles stand in Blüte, es herrschte eine wunderbare Ruhe. Wenn nur Stach käme!«

»Ich wünschte es auch. Er hat noch einige Briefe Litkas, die ich auf einige Tage geliehen haben möchte. Nächsten Sonntag besuche ich Euch dann wieder und bringe sie zurück.«

Frau Emilie, die nur noch einem Schatten glich, sprach jetzt ganz ruhig über Litka. Ihre Gedanken drehten sich nicht mehr ausschließlich um ihr eigenes Unglück: als barmherzige Schwester hatte sie wieder gelernt, an fremdem Leid, an fremdem Glück teilzunehmen. Ihre ungetrübte Ruhe entstammte aber auch vielleicht der Ueberzeugung, daß sie in nicht allzuferner Zeit mit Litka vereinigt sein werde.

»Wie schön und gemütlich es bei Euch ist,« ergriff sie nach kurzer Zeit wieder das Wort. »Nach unsern weißen, kahlen Wänden kommt mir hier alles so prächtig vor. Habt Ihr viel Verkehr?«

»Nein,« erwiderte Marynia, »wir verkehren außer bei Bigiels nur bei Maszkos, bei Frau Bronicz und bei Osnowskis.«

»Ah, ich kenne doch Frau Osnowski; gewiß, ich kannte sie schon, als sie noch unverheiratet war, und ich habe auch einmal die Bekanntschaft von Herrn und Frau Bronicz und deren Nichte gemacht; letztere ist damals freilich noch nicht erwachsen gewesen. Herr Bronicz muß vor ungefähr zwei Jahren gestorben sein.«

»Du bist besser orientiert, als ich. Ich lernte die Osnowskis erst in Rom kennen.«

»Ich lebe schon so viele Jahre in Warschau, und wenn ich auch niemals für einen großen Verkehr geschwärmt habe, hegte ich doch stets großes Interesse für alle Menschen. Herr Stach kennt übrigens Frau Osnowski auch schon von früher. Sie wollte eigentlich Herrn Kopowski heiraten, allein ihr Vater war dagegen. Es hat genug Thränen gekostet. Sie scheint es übrigens sehr gut getroffen zu haben und kann Gott danken, daß sie so glücklich ist. Wenn sie es auch nur recht zu schätzen weiß – es ist eine so seltene Sache, das Glück, und man muß lernen, behutsam mit ihm umzugehen. Ich betrachte jetzt die Welt so objektiv, wie es nur Menschen können, die nichts mehr für sich hoffen. Und weißt Du, was ich schon oft gedacht habe? Das Glück läßt sich mit den Augen vergleichen; nur ein Stäubchen, und sofort fangen die Thränen an zu fließen.«

Marynia lächelte schmerzlich und erwiderte: »Ach ja, das ist wahr.« Ein kurzes Schweigen trat ein. Frau Emilie sah Marynia aufmerksam an, legte sanft ihre durchsichtige Hand auf deren Rechte und fragte: »Und Du, Marynia, bist Du glücklich!«

Marynia hätte sich am liebsten am Herzen der Freundin ausgeweint, allein sie hielt mit aller Kraft die Thränen zurück, die sicherlich als Klage gegen ihren Mann aufgefaßt worden wären, und sagte leise: »Wenn nur Stach glücklich ist!«

»Weshalb sollte er es nicht sein?« bemerkte Frau Emilie. »Litka bittet ja für Euch! Ich fragte nur, weil Du mir so traurig vorkamst, als ich eintrat. Ich weiß ja am besten, wie er Dich liebt. Wie unglücklich fühlte er sich über Dein Zürnen wegen Krzemien. Ach Du schlimmes Kind, wie unbarmherzig bist Du gegen ihn gewesen. Und das ist nicht gut, denn gar häufig bleibt dann in der Tiefe des Herzens eine Bitterkeit, die das ganze Leben hindurch einen Stachel zurückläßt.«

Ueber Marynias Antlitz flog es wie ein Leuchten. »Emilie, Emilie,« rief sie, »wie klug Du sprichst!«

»Ich,« entgegnete Frau Emilie, die jetzt Schwester Aniela hieß, »ich bin doch so weltfremd. Eins aber weiß ich bestimmt, Litka erbittet Glück für Euch, und Gott gewährt es, denn Ihr seid dessen wert.«

Nach diesen Worten schickte sie sich zum Gehen an. Umsonst versuchte Marynia, sie zum Bleiben zu bewegen, sie ließ sich nicht halten, versprach aber, sich nächsten Sonntag wieder einzustellen. Marynia geleitete sie bis an die Treppe, setzte sich dann in ihren Fauteuil am Fenster und hing ihren Gedanken nach. Die Worte Emiliens kamen ihr nicht aus dem Sinn, und mit einem Male glaubte sie den Schlüssel zu dem Rätsel gefunden zu haben, das sie schon so lange beunruhigte. Sie selbst trug die Schuld, daß sie in ihrer Ehe nicht das erhoffte Glück gefunden hatte, denn erbarmungslos war sie gegen Polaniecki gewesen, von seinen flehenden Blicken hatte sie sich nicht rühren lassen, und jetzt mußte sie die Strafe dafür leiden. Die Thränen waren ihr wieder nahe, aber Stach konnte jeden Moment kommen, und er durfte sie nicht mit nassen Augen finden.

Er kam auch in der That bald. Marynia wäre ihm am liebsten an den Hals geflogen, doch sie fühlte sich ihm gegenüber so schuldbewußt, daß sie durch eine plötzliche Befangenheit davon abgehalten wurde.

»War niemand hier?« fragte er, sie auf die Stirn küssend.

»Emilie ist hier gewesen, konnte aber nicht lange bleiben. Nächsten Sonntag kommt sie wieder.«

»Ach Gott,« rief er in ungeduldigem Tone, »Du weißt doch, wie viel Vergnügen es mir macht, sie zu sehen. Weshalb ließest Du mich nicht rufen? Du denkst eben nie an mich.«

»Stach,« entgegnete sie mit einer von Thränen erstickten Stimme, »so wahr ich Dich liebe, ich denke beständig an Dich!«


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